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{"created":"2022-01-31T13:05:59.623489+00:00","id":"lit32075","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heller, Th.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 411-412","fulltext":[{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nPaul Eiemann. Beeinflussung des Seelenlebens durch Taubheit. Kinderfehle 5 (6), 241\u2014269. 1900.\nUeber die seelischen Eigenth\u00fcmlichkeiten der Taubstummen werden verschiedene Behauptungen aufgestellt, die einander h\u00e4ufig widersprechen. Am deutlichsten zeigt sich dieser Widerstreit der Meinungen in der Beantwortung der Frage, ob die Geberden- oder die Lautsprache die Grundlage f\u00fcr den Taubstummenunterricht bilden solle. Yerf. weist nach, dafs die Geberdensprache wohl eine gewisse geistige Entwickelung erm\u00f6gliche. \u201eMancher ohne Unterricht aufgewachsene Taubstumme hat schon im Mechanischen Bewundernsw\u00fcrdiges zu Tage gef\u00f6rdert, wozu ohne Zweifel 'eine richtige, zusammenh\u00e4ngende Anschauungsfertigkeit, ein ge\u00fcbtes Combinationsverm\u00f6gen geh\u00f6ren.\u201c Aber abgesehen davon, dafs das Denken des Taubstummen, der sich lediglich der Geberdensprache bedient, niemals \u00fcber das Gebiet der sinnlichen Anschauung hinausreicht, erh\u00e4lt sein Seelenleben ein eigenth\u00fcmliches, egoistisches Gepr\u00e4ge, soferne er von sich selbst auf andere Menschen schliefst und ihren Handlungen oft eigenn\u00fctzige Gesinnungen und Absichten unterschiebt. Aber auch der unterrichtete Taubstumme bleibt quantitativ und qualitativ in seinem Denken zur\u00fcck, sein Urtheilen und Schliefsen ist einseitig, l\u00fcckenvoll und unsicher. \u201eEs kann bei ihm von einer \u00fcber die Mittelbildung der Yollsinnigen hinausreichenden F\u00f6rderung nie und nimmer die Eede sein.\u201c\nEs wird vielfach behauptet, dafs die Bildung des Gemtithes und des Willens durch den Mangel des Geh\u00f6rs beeintr\u00e4chtigt werden. Dies trifft nicht einmal f\u00fcr den ungebildeten Taubstummen in vollem Umfange zu; \u25a0seine Fehler erkl\u00e4ren sich zum gr\u00f6fsten Theil aus seiner geistigen Vereinsamung und der verkehrten Behandlung, die ihm h\u00e4ufig seitens seiner h\u00f6renden Mitmenschen zu Theil wird. Der Taubst\u00fcmmenlehrer hat Gelegenheit, durch den Unterricht nicht blos auf die Geistes, sondern auch auf die Gem\u00fcthsbildung f\u00f6rdernd einzuwirken.\nF\u00fcr die Willensbildung des Taubstummen kommen vor Allem der Unterricht und die Schulzucht in Betracht. Es l\u00e4fst sich nicht in Abrede stellen, \u201edafs auch der Taubstumme durch Unterricht zu einem verst\u00e4ndigen, sittlichen und in gewissem Sinne charaktervollen, vern\u00fcnftigen Wollen gelangt; wenn dasselbe auch naturgem\u00e4fs nie zu einem h\u00f6heren Grade von Vollkommenheit ausreift.\u201c","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nLiteraturbericht.\nDem Wirken des Taubstummenlehrers sind Grenzen gezogen, die sich nach Aneicht des Verf.'s lediglich aus den psychischen Eigent\u00fcmlichkeiten des Taubstummen ergeben. Die Frage mufs aber noch unbeantwortet bleiben/ ob man die Unvollkommenheiten, welche dem Taubstummen trotz allen Unterrichtes anhaften, nicht sp\u00e4terhin bis zu einem gewissen Grade durch eine Vervollkommnung der Methoden wird beheben k\u00f6nnen. Solange es aber an einer exacten Taubstummenpsychologie fehlt, kann an eine solche Ausgestaltung der Taubstummenp\u00e4dagogik nicht gedacht werden.\tTh. Heller (Wien).\nB. Hollander. The Present Stute of Mental Science. The Journ. of Mental Science 47 (197), 293\u2014317. 1901.\nEine Arbeit mit vielversprechendem Titel und schwungvollen Capitel-\u00fcberschriften. Der Hauptnachdruck wird auf den Nachweis gelegt, dafs das Stirnhirn der Sitz der Verstandesth\u00e4tigkeit und damit das \u201eHemmcentrum gegen die niederen und mehr instinctiven Triebe\u201c ist; auch die Affecte erhalten ihre eigenen Centren.\tSchr\u00f6der (Heidelberg).\nBenno Erdmann. Die Psychologie des Kindes nnd die Sch\u00e4le. Bonn, Cohen, 1901. \u00f6l S. Mk. 1.\u2014.\nEine wie grofse Gefahr f\u00fcr die wissenschaftliche Arbeit der Gegenwart in dem Scheine der Exactheit liegt : davon legt auch der gegenw\u00e4rtige Betrieb der Kinderpsychologie beredtes Zeugnifs ab. Statt sich den Be-wufstseinsthatsachen des Kindes mit den Mitteln der Psychologie anzun\u00e4hern, ziehen die Kinderpsychologen vielfach physiologische und biologische Begriffe und Gesichtspunkte in der Voraussetzung heran, dafs durch sie die kindlichen Bewufstseinsvorg\u00e4nge unmittelbar festgestellt und erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Der Schein der Exactheit, der f\u00fcr Viele von Allem ausgeht, was von Physiologie und Biologie herkommt, l\u00e4fst leichten Herzens die einfache Thatsache \u00fcbersehen, dafs das Untersuchungsgebiet der Kinderpsychologie das Bewufstsein des Kindes ist. So vergifst man, dafs die Methoden dieser Wissenschaft doch wohl den eigenth\u00fcmlichen Forderungen anzupassen sein werden, die durch die Aufgabe der Bewufstseins-forschung gegeben sind. Der einzige Erfahrungsstoff, der dem Kinderpsychologen zur Beobachtung gegeben ist, liegt weitab von den kindlichen Bewufstseinsvorg\u00e4ngen als solchen; und es kommt nun darauf an, Mittel und Wege zu ersinnen, durch die es m\u00f6glich ist, von dem andersartigen Erfahrungsstoffe aus unter Beachtung der mannigfaltigen Schwierigkeiten und Unsicherheitsquellen dennoch einigermaafsen die Bewufstseinsvorg\u00e4nge des Kindes nach Elementen und Entwickelung zu erschliefsen. Statt dieses langwierigen und dornigen Weges wird nun von vielen ein k\u00fcrzerer und sich aufserdem durch scheinbare Exactheit empfehlender Weg gew\u00e4hlt: der Kinderpsychologe glaubt in gewissen der Physiologie und Biologie entnommenen Begriffen oder wohl gar \u201eGesetzen\u201c unmittelbar den Schl\u00fcssel zu den Fragen und R\u00fcthsein des kindlichen Seelenlebens in der Hand zu haben. Indem er von etwas v\u00f6llig anderem spricht, glaubt er doch schon von dem kindlichen Bewufstsein zu sprechen. Heinrich Eber hat die Sch\u00e4digung der Kinderpsychologie durch biologische Begriffe besonders an","page":412}],"identifier":"lit32075","issued":"1902","language":"de","pages":"411-412","startpages":"411","title":"Paul Riemann: Beeinflussung des Seelenlebens durch Taubheit. Kinderfehle[r] 5 (6), 241-269. 1900","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:05:59.623495+00:00"}