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{"created":"2022-01-31T16:28:27.399406+00:00","id":"lit32077","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Volkelt, Johannes","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 412-415","fulltext":[{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nLiteraturbericht.\nDem Wirken des Taubstummenlehrers sind Grenzen gezogen, die sich nach Aneicht des Verf.'s lediglich aus den psychischen Eigent\u00fcmlichkeiten des Taubstummen ergeben. Die Frage mufs aber noch unbeantwortet bleiben/ ob man die Unvollkommenheiten, welche dem Taubstummen trotz allen Unterrichtes anhaften, nicht sp\u00e4terhin bis zu einem gewissen Grade durch eine Vervollkommnung der Methoden wird beheben k\u00f6nnen. Solange es aber an einer exacten Taubstummenpsychologie fehlt, kann an eine solche Ausgestaltung der Taubstummenp\u00e4dagogik nicht gedacht werden.\tTh. Heller (Wien).\nB. Hollander. The Present Stute of Mental Science. The Journ. of Mental Science 47 (197), 293\u2014317. 1901.\nEine Arbeit mit vielversprechendem Titel und schwungvollen Capitel-\u00fcberschriften. Der Hauptnachdruck wird auf den Nachweis gelegt, dafs das Stirnhirn der Sitz der Verstandesth\u00e4tigkeit und damit das \u201eHemmcentrum gegen die niederen und mehr instinctiven Triebe\u201c ist; auch die Affecte erhalten ihre eigenen Centren.\tSchr\u00f6der (Heidelberg).\nBenno Erdmann. Die Psychologie des Kindes nnd die Sch\u00e4le. Bonn, Cohen, 1901. \u00f6l S. Mk. 1.\u2014.\nEine wie grofse Gefahr f\u00fcr die wissenschaftliche Arbeit der Gegenwart in dem Scheine der Exactheit liegt : davon legt auch der gegenw\u00e4rtige Betrieb der Kinderpsychologie beredtes Zeugnifs ab. Statt sich den Be-wufstseinsthatsachen des Kindes mit den Mitteln der Psychologie anzun\u00e4hern, ziehen die Kinderpsychologen vielfach physiologische und biologische Begriffe und Gesichtspunkte in der Voraussetzung heran, dafs durch sie die kindlichen Bewufstseinsvorg\u00e4nge unmittelbar festgestellt und erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Der Schein der Exactheit, der f\u00fcr Viele von Allem ausgeht, was von Physiologie und Biologie herkommt, l\u00e4fst leichten Herzens die einfache Thatsache \u00fcbersehen, dafs das Untersuchungsgebiet der Kinderpsychologie das Bewufstsein des Kindes ist. So vergifst man, dafs die Methoden dieser Wissenschaft doch wohl den eigenth\u00fcmlichen Forderungen anzupassen sein werden, die durch die Aufgabe der Bewufstseins-forschung gegeben sind. Der einzige Erfahrungsstoff, der dem Kinderpsychologen zur Beobachtung gegeben ist, liegt weitab von den kindlichen Bewufstseinsvorg\u00e4ngen als solchen; und es kommt nun darauf an, Mittel und Wege zu ersinnen, durch die es m\u00f6glich ist, von dem andersartigen Erfahrungsstoffe aus unter Beachtung der mannigfaltigen Schwierigkeiten und Unsicherheitsquellen dennoch einigermaafsen die Bewufstseinsvorg\u00e4nge des Kindes nach Elementen und Entwickelung zu erschliefsen. Statt dieses langwierigen und dornigen Weges wird nun von vielen ein k\u00fcrzerer und sich aufserdem durch scheinbare Exactheit empfehlender Weg gew\u00e4hlt: der Kinderpsychologe glaubt in gewissen der Physiologie und Biologie entnommenen Begriffen oder wohl gar \u201eGesetzen\u201c unmittelbar den Schl\u00fcssel zu den Fragen und R\u00fcthsein des kindlichen Seelenlebens in der Hand zu haben. Indem er von etwas v\u00f6llig anderem spricht, glaubt er doch schon von dem kindlichen Bewufstsein zu sprechen. Heinrich Eber hat die Sch\u00e4digung der Kinderpsychologie durch biologische Begriffe besonders an","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturhericht.\n413\n\u25a0dem Beispiele des BALDwiN\u2019schen Buches \u201eMental Development in the Child and the Bace\u201c treffend dargelegt (\u201eZur Kritik der Kinderpsychologie\u201c in Wundt\u2019s Philos. Stud. 12, 587 ff.).\nNoch in anderer Weise \u00fcbt der verlockende Schein der Exaetheit in der Kinderpsychologie verderbliche Wirkungen aus. Wem dr\u00e4ngt sich nicht die Wahrnehmung auf von dem mannigfachen Nutzen, den die Psychologie aus der Anwendung des Experiments gezogen hat! Da bem\u00e4chtigte sich nun Vieler die unkritische Ueberzeugung, es werde sich auch auf dem besonderen Gebiet des kindlichen Seelenlebens das Experiment in \u00e4hnlichem Umfang und mit \u00e4hnlichem Erfolge an wenden lassen. Dabei legte sich zugleich der Gedanke nahe, dafs sich aus gewissen experimentellen Ergebnissen der Kinderpsychologie f\u00fcr die P\u00e4dagogik eine exactere Grundlage werde gewinnen lassen. So wird denn von zahlreichen Stimmen mit \u00fcberschwenglicher Kritiklosigkeit eine neue P\u00e4dagogik auf experimenteller Grundlage in Aussicht gestellt. Es wird nicht bedacht, in welch hohem Grade f\u00fcr das Experimentiren mit Kindern die Gefahr unentwirrbarer und unausschaltbarer Unsicherheitsquellen besteht, und eine wie d\u00fcrftige und unzureichende Grundlage f\u00fcr Folgerungen auf den lebendigen und vollen Unterricht die Experimente mit ihren k\u00fcnstlichen, einf\u00f6rmigen, unp\u00e4dagogischen Bedingungen in den allermeisten F\u00e4llen bilden.\nBei solcher Lage der Dinge ist es hocherw\u00fcnscht, wenn sich gewichtvolle Stimmen erheben, die die schweifenden Geister zur Ordnung rufen. Es ist daher zu begr\u00fcfsen, dafs Benno Erdmann den Vortrag, den er \u00fcber die Psychologie des Kindes in den Lehrerinnenvereinen zu Frankfurt a. M. und Bonn gehalten hat, in ausgef\u00fchrter Form weiteren Kreisen zug\u00e4nglich gemacht hat. Man ist berechtigt, von dem Schriftchen eine kl\u00e4rende, z\u00fcgelnde, luftreinigende Wirkung zu erwarten. Denn jeder seiner knapp gefafsten, gedr\u00e4ngt inhaltsvollen S\u00e4tze l\u00e4fst den Leser f\u00fchlen, dafs ein Forscher zu ihm spricht, der der gegenw\u00e4rtigen Arbeit auf dem Gebiet der Kinderpsychologie mit freiem, beherrschendem Ueberblick gegen\u00fcbersteht, und der in die Aufgabe, Methoden, Schwierigkeiten der Kinderpsychologie eine Einsicht besitzt, in der alles klar eindringend, streng erarbeitet, wohlbegr\u00fcndet ist. In den meisten F\u00e4llen erscheinen mir seine Darlegungen unwidersprechlich.\nDurch den ganzen Vortrag geht die Mahnung: die kinderpsychologische Str\u00f6mung sei viel zu sehr in die Breite gegangen ; sie m\u00fcsse \u00fcberall mehr tief als breit werden. Erdmann findet, dafs man \u00fcberaus h\u00e4ufig der Neigung zu unklaren Formulirungen, mangelhaft durchdachten Methoden und schweifenden Deductionen nachgegeben habe. Besonders in Lehrerkreisen sei vielfach ein ideal gerichteter Eifer in Uebereifer ausgeartet, dem die Voraussetzungen ernsthaften Gelingens fehlten. Vor allem m\u00fcsse sich der Kinderpsychologe \u00fcber die verschiedenen Methoden und das durch sie Erreichbare klar werden. Nichts aber sei in dieser Beziehung mehr vom Uebel, als sich weitgehenden Hoffnungen enthusiastisch hinzugeben. Habe sich doch sogar \u201ekeine der weittragenden Hoffnungen\u201c erf\u00fcllt, die auf die Psychologie \u00fcberhaupt in den Anf\u00e4ngen ihrer modernen Entwickelung gesetzt wurden! Jeder Fortschritt der psychologischen Erkenntnifs enthalte \u201edie Keime zu mehr und schwierigeren Problemen\u201c, als er l\u00f6se. Durch das","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414\nLitera turberich t.\nunleugbare Wachsthum der wohlgeordneten und sorgf\u00e4ltig analysirten That-Sachen des seelischen Lebens seien die Unterschiede der Auffassung und Deutung keineswegs geringer geworden. Trotzdem sei es die erste Bedingung f\u00fcr alle kinderpsychologische Forschung, sich streng an die Methoden der allgemeinen Psychologie anzuschliefsen. Was nun da\u00ab Besondere in den Methoden der Kinderpsychologie betrifft, so unterscheidet Ebdmann zun\u00e4chst die Methode der B\u00fcckerinnerung von der objectivai Methode. Jene gewinne nur in seltenen F\u00e4llen einige Bedeutung. Die objective Methode gr\u00fcnde sich entweder auf directe oder auf experimentelle Beobachtung. Von der directen Beobachtung erkennt Erdmann an, dab mit ihr in den letzten Jahrzehnten f\u00fcr die ersten Lebensjahre des Kindee nicht Unbetr\u00e4chtliches geleistet worden ist. Mit dieser Eintheilung der objectiven Methode kreuzt sich eine andere: die Beobachtung des Kindee ist entweder \u201estill\u201c oder \u201eformell\u201c. In dem zweiten Fall weifs sich da\u00ab Kind beobachtet, in dem ersten nicht. Die formelle Beobachtung h\u00e4lt Erdhann mit Recht f\u00fcr etwas sehr Fragw\u00fcrdiges. Wieder unter einem anderen Gesichtspunkt ergibt sich der Unterschied der biographischen und statistischen Methode. Jener giebt er bei Weitem den Vorzug. In der Statistik des kindlichen Seelenlebens erblickt er \u201efast die unsicherste aller der unsicheren Statistiken, durch die wir die gemeinsamen Z\u00fcge verwickelter Reactionen zu finden und zu deuten suchen\u201c. Endlich scheidet sich die Beobachtung des Kindes darnach, ob die zu beobachtenden Reactionen nat\u00fcrlich oder k\u00fcnstlich, unwillk\u00fcrlich oder willk\u00fcrlich sind. Nachdr\u00fccklich weist Erdmann auf das schwer Deutbare der willk\u00fcrlichen Reactionen hin. Aber auch \u201edie unwillk\u00fcrlichen reagirenden Bewegungen des Kindes zu deuten\u201c, sei \u201eso unsicher wie schwierig\u201c.\nReich an beherzigenswerthen Wahrheiten sind auch die letzten, den Folgerungen f\u00fcr die Schule gewidmeten Betrachtungen Erdmann\u2019s. Eine officielle Einrichtung kinderpsychologischer Institute h\u00e4lt er mit vollem Recht nicht f\u00fcr w\u00fcnschenswerth. \u201eDer berufene Lehrer und der berufene Kinderpsychologe fallen eben nicht zusammen ; die Arbeit an der Ausbildung der Kinderpsychologie bleibe das Vorrecht derer, die sich dazu in besonderem Maafse eignen. Es w\u00e4re nicht eine w\u00fcnschenswerthe Vertiefung oder Erg\u00e4nzung, sondern eine sehr wenig w\u00fcnschenswerthe Verschiebung der p\u00e4dagogischen Vorbildung, solche Schulung allgemein zu machen. Es schl\u00f6sse das zugleich ein fast v\u00f6lliges Verkennen der Aufgaben des Lehrers und eine sehr unzweckm\u00e4fsige Mehrbelastung seiner verantwortungsvollen Th\u00e4tigkeit ein.\u201c Auch zur Gr\u00fcndung von Vereinen zum Zweck des Kinderstudiums verh\u00e4lt sich Erdmann zweifelnd und zur\u00fcckhaltend. Er f\u00fcrchtet, dafs dadurch jenes l\u00e4stige Wuchern der kinderpsychologischen Literatur, das schon verderblich genug geworden ist, noch zunehmen werde. Insbesondere aber warnt er vor den maafs- und sorglosen Folgerungen, die aus den Erm\u00fcdungsversuchen f\u00fcr den Schulunterricht gezogen zu werden pflegen. Es ist mir aus der Seele gesprochen, wenn er hervorhebt, da\u00f6 f\u00fcr die Entscheidung in der Ueberb\u00fcrdungsfrage und verwandten Fragen neben jenen Erm\u00fcdungsversuchen und unter Umst\u00e4nden auch gegen sie die Erfahrungen in der Schule, die W\u00fcrdigung der Unterrichtsergebnisse,","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n415\ndie p\u00e4dagogische Erw\u00e4gung, wie sie seit lange ge\u00fcbt wird, ihr Recht behalten.\tJohannes Volkelt (Leipzig).\nW. Ch. Bagley. On the Correlation of Mental and Motor Ability in School Children. Amer. Journ. of Psych. 12 (2), 193\u2014205. 1901.\nZur experimentellen Pr\u00fcfung der k\u00f6rperlichen Geschicklichkeit dienten f\u00fcnf verschiedene Apparate und zwar zur Messung der St\u00e4rke, Schnelligkeit, Stetigkeit, der Genauigkeit und Constanz der willk\u00fcrlichen und des Umfanges der unwillk\u00fcrlichen Bewegungen. Aufserdem kamen f\u00fcr die Beurtheilung in dieser Hinsicht die Qualificationen seitens der Lehrer in Betracht. Die geistige Geschicklichkeit wurde ebenfalls sowohl nach letzterem Gesichtspunkt unter Einf\u00fchrung gewisser Correcturen bestimmt, als auch wiederum experimentell mit Reactionsversuchen an Jastrow\u2019s Card-Sorting Apparat (Bericht der Am. Psych. Association 1897), die von Mils Chapman durchgef\u00fchrt wurden. Aufserdem wurden die pers\u00f6nlichen Verh\u00e4ltnisse der Kinder in Betracht gezogen und anthropometrische Messungen \u00fcber Gewicht, Gr\u00f6fse und Sch\u00e4delumfang angestellt. Zur Kl\u00e4rung der Versuchsergebnisse wurden f\u00fcnf verschiedene Altersclassen zwischen 8 und 17 Jahren f\u00fcr sich betrachtet. Es zeigte sich nun im Allgemeinen ein reciprokes Verh\u00e4ltnifs zwischen geistiger und k\u00f6rperlicher Geschicklichkeit, allerdings mit individuellen Ausnahmen. Die geistige Geschicklichkeit, f\u00fcr sich betrachtet, scheint als Reactionsgeschicklichkeit zur Classenqualification in keiner weiteren Beziehung zu stehen. Mit dem Alter nimmt die k\u00f6rperliche Gewandtheit mehr zu als die geistige, und scheinen die Knaben in jener, die M\u00e4dchen in dieser den Vorzug zu haben. Zwischen Sch\u00e4delumfang und geistiger Geschicklichkeit wurde diesmal ein umgekehrtes Verh\u00e4ltnifs festgestellt. Wirth (Leipzig).\nW. S. Small. Experimental Study of the Mental Processes of the Eat. IL Amer. Journ. of Psych. 12 (2), 206\u2014239. 1901.\nWie in den fr\u00fcheren Versuchen wrurde auch hier die an den thierb sehen Verstand gestellte Forderung m\u00f6glichst den nat\u00fcrlichen Lebensgewohnheiten angepafst und beobachtete Verf. diesmal die Orientirung der Ratten in den vielfach gewundenen und mit blinden Seitengassen versehenen G\u00e4ngen eines Labyrinthes aus Drahtgeflecht. Der Ausblick auf das im mittleren Erdraum liegende Futter bildete f\u00fcr die hungrigen Thiere jedesmal einen gleichm\u00e4fsigen Antrieb. Nach dem Versuche am Abend blieben die Thiere auch Nachts \u00fcber in dem Raume. Nach Vorversuchen mit wilden Ratten folgten die Hauptversuche wieder mit zahmen weifsen Ratten beiderlei Geschlechts. Das Maafs des Fortschrittes giebt wieder die bis zum Ziel gebrauchte Zeit, die Herabsetzung der Fehler etc. Die M\u00e4nnchen zeigten sich den Weibchen dabei etwas \u00fcberlegen, auch die wilden Thiere den zahmen, allerdings nur, was die jeweils gebrauchte Zeit, nicht die Stetigkeit der Ein\u00fcbung f\u00fcr die sp\u00e4teren Versuche anbetraf. Verf. h\u00e4lt in beiden F\u00e4llen nur die gr\u00f6fsere Dreistigkeit, nicht den besseren Verstand f\u00fcr die Ursache. Die Nachahmung hat \u00fcberall wieder nur sehr geringe Bedeutung. Wenn alte Fehler auch lange Zeit immer wiederholt werden, so findet sich doch als Anzeichen h\u00f6herer psychischer","page":415}],"identifier":"lit32077","issued":"1902","language":"de","pages":"412-415","startpages":"412","title":"Benno Erdmann: Die Psychologie des Kindes und die Schule. Bonn, Cohen, 1901. 51 S","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:28:27.399412+00:00"}