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{"created":"2022-01-31T16:29:35.478424+00:00","id":"lit32120","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Foerster, R.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 40: 294-296","fulltext":[{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nl\u00c0tt rn tu rber\u00f9 h f\nunterbewofsten Affektxust\u00e4nden. Sie ist ein physiologischer Prozefs, den seine Entstehung nnd sein Bewufstseinswert von der Stereotypie weit ab-r\u00fcckt Aber such 2. der tic des d\u00e9g\u00e9n\u00e9r\u00e9s ist von ihr wesentlich unterschieden dadurch, dais er einen ausgesprochenen Stimmungswert besitzt, bis zum gewissen Grade bewufst bleibt und durch volle Aufmerksamkeit! einstellung \u00fcberwunden werden kann: er ist nur der Parasit eines neben ihm ganz intakten Ich, w\u00e4hrend die Stereotypie eine vom Ichkomplex los gel\u00f6ste isolierte Leistung eines maximal eingeengten Bewegungsbewufstseins darstellt. Deshalb hat sie auch mit 3. den ticartigen Bewegungen der Idioten nichts Gemeinsames. Denn diese haben nie einen Zweckinhalt oder einen Bewufstseinswert besessen, sondern sind als prim\u00e4re, jedoch nicht affektlose Automatismen das ungen\u00fcgende Ergebnis einer ungen\u00fcgenden Hirnfunktion.\nMit den Stereotypien haben die Tics also nichts zu tun \u2014 aber sie spielen doch eine Rolle unter den abnormen Bewegungs\u00e4ufserungen in der Dementia pr\u00e4cox. Denn deren psychopathisches Milieu entspricht in einer bestimmten Phase ihrer fortschreitenden Entwicklung ganz dem de* D\u00e9g\u00e9n\u00e9r\u00e9. Dann gew\u00e4hrleistet es auch die Voraussetzungen f\u00fcr das Zustandekommen der tics : Insuffizienz der kortikalen Kontrolle und Disposition f\u00fcr rasche Eingew\u00f6hnbarkeit motorischer Akte. Tats\u00e4chlich tritt in dieser Periode neben der Stereotypie der echte Tic auf, wohlcharakteri siert durch seine krampfartige Form, Beine Affektnote und seine willens m\u00e4fsige Beherrschbarkeit. Andererseits zeigt das Endstadium der Dementi* pr\u00e4cox Bewegungsarten, die wieder nicht als Stereotypien gefaJst weiden d\u00fcrfen, sondern die den Automatismen der Idioten direkt entsprechen, weil sie wie diese gekennzeichnet sind durch nachahmende oder atavistische Erscheinungsformen, Rhythmizit\u00e4t und obligaten Lustaffekt, der bei ihrer Verhinderung in j\u00e4he Unlust umschl\u00e4gt. Das sind dann Z\u00fcge des geistigen Verfalls, w\u00e4hrend die Stereotypie immer als Symptom und Produkt des geistigen Zerfalls aufzufassen ist\tAlteb (Leubus).\nA. Vioouboux et P. J\u00fcqcklieh. La co\u00e4tigtou mentale. Paris, Doin, 1905.\n258 S. 4 Francs.\nDie Verfasser besch\u00e4ftigen sich in dem vorliegenden Buche, das einen Band der von Toulouse herausgegebenen \u201eBiblioth\u00e8que internationale de psychologie exp\u00e9rimentale\u201c bildet mit der \u00dcbertragung psychischer Vorg\u00e4nge (contagion mentale) und definieren sie als unwillk\u00fcrliche Nachahmung, bei der jede \u00dcberlegung seitens des infizierten Individuums ausgeschlossen ist. Der Begriff der contagion mentale wird von dem der bewu&ten Nachahmung und der Suggestion abgegrenzt. Das Wort \u201ementale\u201c wird dabei im weitesten Sinne angewandt und umfafst alle Funktionen \u2014 die einfachsten bis zu den kompliziertesten \u2014 des Zentralnervensystems.\nIm ersten Teile wird in mehreren Kapiteln besprochen die Ansteckung durch Bewegungsvorg\u00e4nge (G\u00e4hnen, Weinen, Lachen, Husten. Kratzbewegungen), Affektzust\u00e4nde (Freude, Trauer u. dgl.), Gef\u00fchle (die niederstehenden wie Furcht, Zorn, Mutlosigkeit, Scham und die h\u00f6herstehenden : das religi\u00f6se, moralische, \u00e4sthetische und intellektuelle Gef\u00fchl' und Ideen \u2014 insoweit alle diese in die Breite des Normalen fallen.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n296\nNachdem die Autoren darauf hingewieeen haben, dafe die Reflexvorg\u00e4nge beaonders leicht \u00fcbertragbar sind, gehen sie weiter und behaupten, gest\u00fctzt auf die Theorie von Jam\u00ab und Lahob : psychische Zustande gehen von einem Individuum auf das andere dadurch \u00fcber, dafs die mit diesen notwendigerweise einhergehenden und Bufserlich sichtbaren physischen Anzeichen (beispielsweise Blasse, Tremor, G\u00e4nsehaut bei Furcht) \u00fcbertragen werden, d. h. bei einem Zeugen reproduziert werden und daduroh die gleiche zugrunde liegende Gem\u00fcts- nnd Geistesverfassung hervorrufen. \u2014 Ausf\u00fchrlich wird die Art und Weise er\u00f6rtert, wie das Beispiel der M\u00e4rtyrer ansteckend auf die Glaubensgenossen und sogar auf die Heiden wirkte. Die kontagi\u00f6se Macht der religi\u00f6sen \u00dcberzeugung erkl\u00e4rt gewisse gewaltige historische Bewegungen, die Kreuzz\u00fcge und die sonderbarsten Gebr\u00e4uche bei verschiedenen Sekten. \u2014 Was die Ideen angeht, so sind diese um so eher \u00fcbertragbar je mehr gef\u00fchlsbetont sie sind. Erstaunlich ist es, welch' ungeheuren Einflufs die Autoren der Presse und den B\u00fcchern bez\u00fcglich der Verbreitung von Ideen und Anschauungen unter der grofsen Menge zuschreiben. Als Beispiel wird unter vielen anderen die Dreyfusaflaire angef\u00fchrt, \u201ederen leidenschaftliche Er\u00f6rterungen ihren Widerhall in ganz Europa fanden\u201c. \u2014 Auch Handlungen wie Mord und Selbstmord, die doch als willk\u00fcrliche angesehen werden, k\u00f6nnen epidemisch auftreten. \u2014 In dem letzten Kapitel des ersten Teiles werden dann die Bedingungen zusammen-gestellt, welche das Zustandekommen der psychischen Ansteckung beg\u00fcnstigen ; es sind dies psychologische (z. B. die Zerstreutheit), soziologische (das Milieu) und pathologische (Degeneration, Alkohol usw.). Das in allen diesen F\u00e4llen gelockerte, gespaltene Ich der zu infizierenden Person (dieser Zustand wird als d\u00e9sagr\u00e9gation de la personnalit\u00e9 bezeichnet) gibt erst den g\u00fcnstigen Boden f\u00fcr die \u201econtagion\u201c ab.\nDer zweite Teil befafst sich mit der \u00dcbertragung krankhafter psychischer Zust\u00e4nde. Wie in den vorigen Abschnitten findet der Leser auch hier eine F\u00fclle von Beispielen aus der Geschichte sowie von Zitaten aus der medizinischen und sch\u00f6ngeistigen Literatur, denen sich verschiedentlich auch eigene lehrreiche Beobachtungen der Verfasser anreihen.\nDie Autoren schildern, wie sich hysterische Kr\u00e4mpfe, Katalepsie, Tics, Veitstanz auf andere Personen \u00fcbertragen k\u00f6nnen. Sie weisen ferner hin auf die ungeheure Verbreitung, die der GenufB bzw. Mifsbrauch von Alkohol, Tabak und Opium gefunden hat; jeder Trinker und Raucher ist nur dem Vorbild seiner Umgebung gefolgt, mag es ihm anfangs noch so schwer gefallen sein. Die \u00dcbertragung von Geisteskrankheiten ist sehr selten und nur auf dem Boden einer ererbten oder erworbenen Pr\u00e4disposition m\u00f6glich. Das induzierte Irresein, die folie \u00e0 deux wird hier ausf\u00fchrlicher besprochen (Kapitel III). Es geh\u00f6ren weiter hierher die impulsiven Aufregungszust\u00e4nde grofser Volksmengen, die sich durch das Beispiel der stets in ihnen vorhandenen degenerierten und alkoholentarteten Elemente zu den furchtbarsten Greneltaten hinreifsen lassen (franz\u00f6sische Revolution). Auch Zoophilie, Heimweh, verbrecherische Neigungen, sexuelle Perversionen finden h\u00e4ufig weite und schnelle Verbreitung. Eingehender wird die Ansteckung durch impulsiven Selbstmord er\u00f6rtert, besonders aber das epidemische Auftreten religi\u00f6ser Wahnideen, der Hexenaberglaube im","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"29(i\nLiieratur\u00e0rnckl.\nMittelalter, der 8piritiamu8 sowie krankhafte Richtungen in Konst und Literatur der Neuzeit. \u2014 Ein besonderes Gewicht ist immer auf die neuro-pat bische Anlage der beteiligten Elemente zu legen.\nAm Schl\u00fcsse findet sich ein Literaturverzeichnis von 92 Nummern, das zumeist franz\u00f6sische Autoren ber\u00fccksichtigt\nWenn man den Ansichten der Verfasser auch nicht in allen Punkten wird beipflichten k\u00f6nnen, so bleibt die Lekt\u00fcre des eigenartigen, vielseitigen Buches doch eine sehr anregende und interessante.\nR, Fokbstzb (Bonn).\nW. Wdidblbaio). Oker Willeiifaelkeit Zw\u00f6lf Vorlesungen. T\u00fcbingen und Leipzig, J. C. B. Mohr. 1904. 7, 223 8. 3,60 Mk.\nEs sind wohl\u00fcberlegte, ausgereifte Gedanken, die W ixdrlband in diesem Buche dem weiteren Kreise der allgemein Gebildeten mitteilt. Schon in seiner \u201eLehre vom Zufall\u201c (1870) und in seinen \u201ePr\u00e4ludien\u201c (1884) hzt er die Frage behandelt und sich f\u00fcr den Determinismus entschieden. Seitdem hat er das viel umk\u00e4mpfte Problem wiederholt zum Gegenst\u00e4nde von Vorlesungen gemacht. In dieser Form bietet es das vorliegende Buch. Die erste Vorlesung gibt eine Analyse des Problems, die zweite bespricht die Freiheit des Handelns, die dritte, vierte und f\u00fcnfte die Freiheit des W\u00e4hlern, die sechste bis elfte die Freiheit des Wollens, die letzte endlich die Verantwortung.\nMit R\u00fccksicht auf die verwickelte Problemverschlingung, die in der Frage der Willensfreiheit vorliegt, und auf den vieldeutigen und schwankenden Gebrauch des Wortes Freiheit gibt W. zun\u00e4chst eine Analyse de\u00bb Wortes \u201efrei\u201c, sowie eine Darstellung des Willensvorganges in seinen Stufen und Formen. Diese psychologische Analyse l\u00e4fst drei Hauptstnfen erkennen, das Wollen, das W\u00e4hlen, das Handeln, und liefert so die Disposition f\u00fcr die Behandlung des Problems.\nZuerst bespricht W. die Freiheit des Handelns, unter derer versteht die M\u00f6glichkeit zu tun; was man will. Sie fehlt also bei. alien unwillk\u00fcrlichen Handlungen, wie reflektorischen, automatischen Bewegungen und bei erfolglosen Willensimpulsen. Sie besteht tats\u00e4chlich in vielen F\u00e4llen, aber nat\u00fcrlich nicht unbeschr\u00e4nkt, sondern bestimmt von allgemein menschlichen wie individuellen Grenzen und durch verschiedene \u00e4ufsere Umst\u00e4nde.\nLiegen mehrere M\u00f6glichkeiten zu Handeln vor, so ergibt sich die Wahl. Das Gef\u00fchl der Freiheit, das sich dabei einstellt, bezieht sich eigentlich auf die Freiheit des Handelns, auf das Wissen, dafs nichts mich hindert, jede der m\u00f6glichen Handlungen auszuf\u00fchren, wenn ich mich daf\u00fcr entscheide. Die Wahl entscheidet sich nach dem st\u00e4rksten Motive, freilich eine Tautologie oder eine analytische Wahrheit ist, weil als das st\u00e4rkste Motiv eben dasjenige bezeichnet wird, nach dem die Wahl sich entscheidet. Je leichter die Wahl sich vollzieht, um so gr\u00f6fsere Intensit\u00e4t-unterschiede bestehen zwischen den Motiven, und je geringer diese, des\u00bb schwerer f\u00e4llt jene; bei Gleichheit unterbleibt sie. Anderenfalls st\u00fcnde man vor einer motivlosen Wahl, dem liberum arbitrium indifferentiae. Nno zeigt die psychologische Erfahrung manche scheinbar motivlose Wahl. In Wirklichkeit sind das aber gar keine Wahlentscheidungen, sondern geradem","page":296}],"identifier":"lit32120","issued":"1906","language":"de","pages":"294-296","startpages":"294","title":"A. Vigouroux et P. Juquelier: La contagion mentale. Paris, Doin, 1905. 258 S.","type":"Journal Article","volume":"40"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:29:35.478429+00:00"}