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{"created":"2022-01-31T16:28:53.687129+00:00","id":"lit32121","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Offner, M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 40: 296-299","fulltext":[{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"29(i\nLiieratur\u00e0rnckl.\nMittelalter, der 8piritiamu8 sowie krankhafte Richtungen in Konst und Literatur der Neuzeit. \u2014 Ein besonderes Gewicht ist immer auf die neuro-pat bische Anlage der beteiligten Elemente zu legen.\nAm Schl\u00fcsse findet sich ein Literaturverzeichnis von 92 Nummern, das zumeist franz\u00f6sische Autoren ber\u00fccksichtigt\nWenn man den Ansichten der Verfasser auch nicht in allen Punkten wird beipflichten k\u00f6nnen, so bleibt die Lekt\u00fcre des eigenartigen, vielseitigen Buches doch eine sehr anregende und interessante.\nR, Fokbstzb (Bonn).\nW. Wdidblbaio). Oker Willeiifaelkeit Zw\u00f6lf Vorlesungen. T\u00fcbingen und Leipzig, J. C. B. Mohr. 1904. 7, 223 8. 3,60 Mk.\nEs sind wohl\u00fcberlegte, ausgereifte Gedanken, die W ixdrlband in diesem Buche dem weiteren Kreise der allgemein Gebildeten mitteilt. Schon in seiner \u201eLehre vom Zufall\u201c (1870) und in seinen \u201ePr\u00e4ludien\u201c (1884) hzt er die Frage behandelt und sich f\u00fcr den Determinismus entschieden. Seitdem hat er das viel umk\u00e4mpfte Problem wiederholt zum Gegenst\u00e4nde von Vorlesungen gemacht. In dieser Form bietet es das vorliegende Buch. Die erste Vorlesung gibt eine Analyse des Problems, die zweite bespricht die Freiheit des Handelns, die dritte, vierte und f\u00fcnfte die Freiheit des W\u00e4hlern, die sechste bis elfte die Freiheit des Wollens, die letzte endlich die Verantwortung.\nMit R\u00fccksicht auf die verwickelte Problemverschlingung, die in der Frage der Willensfreiheit vorliegt, und auf den vieldeutigen und schwankenden Gebrauch des Wortes Freiheit gibt W. zun\u00e4chst eine Analyse de\u00bb Wortes \u201efrei\u201c, sowie eine Darstellung des Willensvorganges in seinen Stufen und Formen. Diese psychologische Analyse l\u00e4fst drei Hauptstnfen erkennen, das Wollen, das W\u00e4hlen, das Handeln, und liefert so die Disposition f\u00fcr die Behandlung des Problems.\nZuerst bespricht W. die Freiheit des Handelns, unter derer versteht die M\u00f6glichkeit zu tun; was man will. Sie fehlt also bei. alien unwillk\u00fcrlichen Handlungen, wie reflektorischen, automatischen Bewegungen und bei erfolglosen Willensimpulsen. Sie besteht tats\u00e4chlich in vielen F\u00e4llen, aber nat\u00fcrlich nicht unbeschr\u00e4nkt, sondern bestimmt von allgemein menschlichen wie individuellen Grenzen und durch verschiedene \u00e4ufsere Umst\u00e4nde.\nLiegen mehrere M\u00f6glichkeiten zu Handeln vor, so ergibt sich die Wahl. Das Gef\u00fchl der Freiheit, das sich dabei einstellt, bezieht sich eigentlich auf die Freiheit des Handelns, auf das Wissen, dafs nichts mich hindert, jede der m\u00f6glichen Handlungen auszuf\u00fchren, wenn ich mich daf\u00fcr entscheide. Die Wahl entscheidet sich nach dem st\u00e4rksten Motive, freilich eine Tautologie oder eine analytische Wahrheit ist, weil als das st\u00e4rkste Motiv eben dasjenige bezeichnet wird, nach dem die Wahl sich entscheidet. Je leichter die Wahl sich vollzieht, um so gr\u00f6fsere Intensit\u00e4t-unterschiede bestehen zwischen den Motiven, und je geringer diese, des\u00bb schwerer f\u00e4llt jene; bei Gleichheit unterbleibt sie. Anderenfalls st\u00fcnde man vor einer motivlosen Wahl, dem liberum arbitrium indifferentiae. Nno zeigt die psychologische Erfahrung manche scheinbar motivlose Wahl. In Wirklichkeit sind das aber gar keine Wahlentscheidungen, sondern geradem","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur bericht.\n297\nVerzichte auf eine Wahl, insofern die Entscheidung dem Spiel des physiologischen Mechanismus des Greifens, Gehens u. dgl. oder dem psychischen Mechanismus der Assoziation \u00fcberlassen wird, so dafs an die Stelle der psychischen Kausalit\u00e4t einfach die psychophysische tritt. Bei der wirklichen Wahl stellen sich entweder momentane, d. h. aus gegenw\u00e4rtigen Zust\u00e4nden und Beziehungen entspringende Motive (unmittelbare Erlebnia-gef\u00fchle) hemmend entgegen oder, was h\u00e4ufiger ist, es wirken erinnerte Motive herein als sog. Wissen der Folgen. In Wahrheit sind es Vorstellungs-oder Erwartungsgef\u00fchle, die sich bald als Erinnerungsgef\u00fchle, bald als Phantasiegef\u00fchle erweisen, und als Zweck oder als Mittel zur Wahl stehen. Sie steigen aus dem dauernden Bestand des individuellen Motivationslebens, als konstante Motive, auf und wirken zusammen mit den aus der jeweiligen Lage sich ergebenden momentanen Motiven. Biese Motive, deren Vereinbarkeit bestimmt ist von ihrer Modalit\u00e4t, ihrem alternativen Lust- oder Unlustcharakter, haben ihren psychischen Einheitspunkt nicht sowohl in dem f\u00e4lschlich zum Rang eines dinghaften Etwas erhobenen, in Wahrheit aber vollkommen inhaltsleeren Abstraktum Willen, sondern in dem einheitlichen Einzelwollen, dessen Richtung und St\u00e4rke sie bestimmen. In welcher Richtung das st\u00e4rkste Motiv geht, dahin f\u00e4llt die Wahl. Die Lehre, nach der die momentanen mit den konstanten Motiven zusammen den ganzen Willen inhaltlich ausmachen und in dieser Vereinigung die Wahl bestimmen, wird bezeichnet als innerer Determinismus, den alle grofsen Philosophen vertreten haben. Wahlfreiheit ist also der Zustand, worin bei dem W\u00e4hlenden in seiner Reaktion auf die momentanen Motive die ganze Energie der konstanten Motive, d. h. seines Charakters zur Geltung kommt, also Bestimmung der Handlungen durch den Charakter. Sie hat Grade und Grenzen, wie die Freiheit des Handelns, und zwar bestimmt durch die Zahl der \u00e4u\u00dferen M\u00f6glichkeiten wie das Mafs unseres Wissens um diese, durch psychische Krankheiten, Mangel an Zeit zur \u00dcberlegung, starke Affekte. M\u00e4chtige Leidenschaft beschr\u00e4nkt sie dagegen nicht, da diese als konstante dominierende Richtung des Gef\u00fchls einen Teil des Charakters bildet. Ganz dasselbe mufs aber auch von der pathologischen Veranlagung gelten, was W. der \u00fcblichen Anschauung folgend abzulehnen scheint.\nAber so sicher der seiner Leidenschaft Folgende psychologisch frei ist, ebenso Bicher ist er ethisch unfrei. Ethische Freiheit ist Selbstbestimmung durch das Sittengesetz, ist jener Zustand, in dem die entscheidenden Motive die sittlichen sind. Da dieses tats\u00e4chlich kaum je vollst\u00e4ndig vorliegt, ist die sittliche Freiheit ein Ideal, eine Norm, ein Wertbegriff, der mit dem formalen, von der Qualit\u00e4t der Motive absehenden Begriff der Wahlfreiheit weder zusammenf\u00e4llt noch ihm widerspricht. Alle diese drei Formen der Freiheit erweisen sich als die ungehinderte Kausalit\u00e4t eines schon bestehenden Wollene.\nDieses Wollen hat aber auch wieder seine Ursachen in der umgebenden Welt und ihren Vorg\u00e4ngen wie in der von den Vorfahren und anderen Umst\u00e4nden bedingten psycho-physischen Eigenart des Menschen. Gegen diese Einordnung in einen gesetzm\u00e4\u00dfigen Zusammenhang protestiert nun freilich das individuelle Pers\u00f6nlichkeits- oder Freiheitsgef\u00fchl, das gleich dem Verantwortlichkeitsgef\u00fchl die wollende Pers\u00f6nlichkeit nicht als Pro-","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nlAtnatwbfricht.\ndukt verschiedener Ursachen gellen lassen will, sondern den Mensches als wollende Individualit\u00e4t selbst eu den letalen and ersten anabh\u00e4ngigen Ursachen gerechnet wissen m\u00f6chte. Dieses Freiheit\u00bb gef\u00fchl postuliert eines neuen Freiheitsbegriff,den metaphysischen oder makrokosmischen, die Freiheit von der Kausalit\u00e4t, also ein ursacheloses Wollen. Damit kann gemeint sein die Ursachelosigkeit einzelner Willensakte oder die Ursachelosigkeit nur der Pers\u00f6nlichkeit als einer bleibenden Substanz, die allem Geschehen zugrunde liegt. Dieser Verzicht auf die kausale Bedingt heit der einzelnen Wollungen durch die Pers\u00f6nlichkeit wird vom Indeterminismus geleistet, um die Zurechnung nnd Verantwortung zu erm\u00f6glichen; in Wahrheit aber hebt er sie v\u00f6llig auf. Nur durch das kausale Band wird sie erst m\u00f6glich. Dieses f\u00fchrt freilich auch \u00fcber den einzelnen Menschen hinaus in die umgebende Gesellschaft und andere \u00e4ufsere Umst\u00e4nde, deren gesetzm\u00e4\u00dfiges Zusammenwirken mit dem Willen des Individuums die Statistik aufzeigt und zahlenmftfsig belegt. Aber auch wenn man nur die Pers\u00f6nlichkeiten vom Gesetze der Kausalit\u00e4t unabh\u00e4ngig denkt, ihr Aseit\u00e4t zuschreibt, w\u00e4hrend ihre einzelnen Willensentscheidungen mit kausaler Notwendigkeit aus den Beziehungen dieser durch nichts au\u00dfer ihr bestimmten Substanzen zn den \u00fcbrigen Substanzen hervorgeht, l\u00e4\u00dft sich der Indeterminismus nicht halten. Denn einerseits scheitert dieser L\u00f6sung* versuch an der Unm\u00f6glichkeit einen Inhalt zn denken, der das urspr\u00fcng liehe, selbstbestimmte Wesen dieser Individuen ausmachen soll, andererseits an der metaphysischen \u00dcberzeugung von der substantiellen Einheit der Welt, welche auch der christlichen Anschauung zugrunde liegt. \u00dcber diese Schwierigkeiten hilft auch Kants Theorie vom intellegiblen Charakter nicht hinweg, die \u00fcbrigens Wandlungen durchgemacht hat. Man m\u00fc\u00dfte denn Kants Begriff der Freiheit gleich Ursachelosigkeit keineswegs als Leugnnng der kausalen Notwendigkeit fassen, sondern lediglich als Betrachtnng ausschlie\u00dflich aus dem Gesichtspunkt der Sittlichkeit nach Ma\u00dfgabe der Norm, des sittlichen Ideales, unter Abhebung von der kausalen Bedingtheit, der das betrachtete Verhalten wie jedes andere Geschehnis untersteht. In der Alltagspraxis f\u00e4llen wir ja auch jederzeit Werturteile \u00fcber Pers\u00f6nlichkeiten, ohne uns um ihre Vorgeschichte zu k\u00fcmmern. In diesem Sinne betrachtet, kann man f\u00fcr den Charakter wohl die Bezeichnung intellegibel feetbalten, w\u00e4hrend er unter dem Gesichtspunkt des kausalen Zusammenhanges gesehen als empirisch zn gelten hat. Durch diese Sinndeutung l\u00e4\u00dft sich der KANTSche Gedanke retten.\nAuf diesem kausalen Zusammenhang zwischen Pers\u00f6nlichkeit, Willensentscheidung und -Handlung beruht die Verantwortlichkeit. Die Grenzen der psychophysischen und der psychologischen Freiheit fallen mit der empirischen und praktischen Verantwortlichkeit zusammen. Die primitivste Form des Verantwortlichmachens ist die Vergeltung. Sie wie die h\u00f6heren Formen machen Halt bei der wollenden Pers\u00f6nlichkeit, ohne weiter in fragen, und haben zur Voraussetzung den deterministischen Freiheitsbegriff. Das Recht zum Verantwortlichmachen besteht in dem Werte der Nonnen, die durch sie verwirklicht werden sollen \u2014 wie dieses Sollen in der Psyche zustande kommt, erkl\u00e4rt W. nicht weiter \u2014 und nur mit ihrer","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n299\nHilfe verwirklicht werden, 'd. h. durch Erzeugung der in jedem Falle dazu geeigneten Gef\u00fchle bei den wollenden Personen.\nDiese Inhalts\u00fcbersicht mag wohl gezeigt haben, dafs Windelband mit seinem Buche einen wertvollen Beitrag zur Kl\u00e4rung des Problems geleistet hat, f\u00fcr den ihm olle, die sich mit diesem besch\u00e4ftigen, Dank schulden. Fraglich erscheint aber, ob W. nicht nur bei diesen, sondern beim allgemein gebildeten Publikum, wie er doch hofft, durchweg Verst\u00e4ndnis finden wird. Von seinen Ausf\u00fchrungen \u00fcber Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik wie \u00fcber den intellegiblen Charakter erscheint dies mehr als zweifelhaft. Die Klarheit seiner Darlegungen w\u00fcrde gewonnen haben \u2014 auch das kann nicht verhehlt werden \u2014 wenn er die Unvereinbarkeit des Determinismus mit den vagen und wechselnden Anschauungen der Alltagsphilosophie, die besonders bei Juristen nnd Theologen noch vielfach herrscht, noch sch\u00e4rfer herausgehoben h\u00e4tte, statt durch Umdeutung des Begriffes der intellegiblen Freiheit oder des indeterministischen Begriffes der Selbstbestimmung den Gegensatz zu mildern. In der letzten Abhandlung \u00fcber die Verantwortung w\u00fcrde man gern mehr vernehmen \u00fcber den Unterschied zwischen Zurechnung und Verantwortung und ihre Arten, \u00fcber die Begriffe Zurechnungsf\u00e4higkeit und Verantwortlichkeit und ihr Mafs sowie \u00fcber die psychischen Vorg\u00e4nge, welche unter diesen Bezeichnungen zusammengefafst werden. Freilich liegen diese Er\u00f6rterungen nicht im engeren Rahmen des FreiheitsproblemeB. Indes geht Windelband auch sonst gern auf die letzten Elemente zur\u00fcck und zwar mit musterhafter Knappheit und Klarheit, so dafs man ihm eine solche Abschweifung nicht nur willig verziehen h\u00e4tte, sondern auch seiner F\u00fchrung dankbar gefolgt w\u00e4re, um so mehr, als hier, wie Referent in seiner Untersuchung \u00fcber \u201eWillensfreiheit, Zurechnung und Verantwortung\u201c, Barth, Leipzig 1903, zu zeigen versucht hat, noch mancherlei interessante Fragen der L\u00f6sung harren.\tM. Offnes (M\u00fcnchen).\nStephen S. Colvin. The Problem of Psychological Determinism. The Journal\nof Philosophy, Psychology and Scientific Methods 1 (22), 589\u2014594. 1904.\nVerf. zeigt in dieser Abhandlung, dafs die empirische Psychologie, sofern sie wirklich innerhalb des Gebietes der Erfahrung sich h\u00e4lt, wie ihr Name ja verlangt, im Seelenleben jene strenge Gesetzm\u00e4fsigkeit, welche im Bereich der physischen Erscheinungen sich erweisen l\u00e4fst, nicht aufzuzeigen vermag, also f\u00fcr ihren Teil den Willen f\u00fcr frei im Sinne des Indeterminismus erkl\u00e4ren mufs. Metaphysische Erw\u00e4gungen m\u00f6gen daneben denselben Willen als unfrei erscheinen lassen. F\u00fcr die Frage der Willensfreiheit ist damit nichts gewonnen, da sie ja keine rein psychologische ist, sondern letzten Endes eine metaphysische.\nM. Offner (M\u00fcnchen).\nHermann Stamps. Du Problem dar Willensfreiheit vom Standpukt da\u00ab Solleu.\nArchiv f\u00fcr systematische Philosophie 10 (4), 621\u2014542. 1904.\n\u201eRein theoretisch, so fafst St. seine Ausf\u00fchrungen zusammen, als Erkennen des Wirklichen angesehen, hat das Freiheitsbewufstsein im Determinismus seine einzige, aber auch hinreichend gesicherte Stelle.\u201c \u201eNeben","page":299}],"identifier":"lit32121","issued":"1906","language":"de","pages":"296-299","startpages":"296","title":"W. Windelband: \u00dcber Willensfreiheit. Zw\u00f6lf Vorlesungen. T\u00fcbingen und Leipzig, J. C. B. Mohr. 1904. 7, 223 S.","type":"Journal Article","volume":"40"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:28:53.687135+00:00"}