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{"created":"2022-01-31T16:23:18.286087+00:00","id":"lit32130","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Jodl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 40: 305-308","fulltext":[{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"305\nLiteraturbericht.\nMast Whitoh Calkins (Professor of Pilosophy and Psychology in Wellesley\nCollege). Ali Introduction to Psychology. New York, Macmillan Company.\nXI u. 509 S.\nDie Verfasserin, durch mehrfache Beteiligung an der Forschungsarbeit der amerikanischen Psychologie vorteilhaft bekannt, gibt in dem vorliegenden Buche eine Gesamtdarstellung der Psychologie, welche sich mit eigent\u00fcmlichen Absichten und eigent\u00fcmlichen Verdiensten neben die vorhandenen amerikanischen Bearbeitungen dieser Disziplin stellt. Das Buch ist zun\u00e4chst durch die Lehrzwecke der Verf. bedingt, welche am Wellesley College, einer der hervorragendsten Bildungsanstalten Amerikas f\u00fcr Frauen, t\u00e4tig ist. Die eigent\u00fcmliche Doppelstellung dieser Anstalt als Mittelschule und als Frauenuniversit\u00e4t kommt in der Ualtung dieses Buches deutlich zum Vorschein. Mit den B\u00fcchern, wie sie z. B. in \u00d6sterreich f\u00fcr den Unterricht in der philosophischen Prop\u00e4deutik an Gymnasien verfafst werden, hat es keine \u00c4hnlichkeit. Es ragt sowohl in der Gr\u00fcndlichkeit und Sorgfalt seiner Analysen, als in der Mannigfaltigkeit der behandelten Gegenst\u00e4nde und der Mitber\u00fccksichtigung der Literatur weit \u00fcber deren Mals hinaus. Es ist eine Einf\u00fchrung in das Studium der Psychologie als Wissenschaft und will in erster Linie Anleitung geben, die eigenen Be-wufstseinsph\u00e4nomene selbst\u00e4ndig und sorgsam zu beobachten. Wie das Buch selbst die introspektive Methode als die eigentliche Kardinalmethode der Psychologie vertritt, so ist auch der gr\u00f6fste Teil seines Inhalts der Bewulstseinsanalyse gewidmet. Auf diesem Gebiete ist die Verf. offenbar am selbst\u00e4ndigsten und sch\u00f6pft am meisten aus der F\u00fclle eigener Kenntnis und Erfahrung. Indessen hat sie richtig gesehen, dafs der heutige Stand der Wissenschaft von einer \u201eEinf\u00fchrung\u201c noch mehr verlangt. Diesen weitergehenden Bed\u00fcrfnissen tr\u00e4gt der zweite Teil des Buches Rechnung, welcher unter der \u00dcberschrift \u201eKomparative Psychologie\u201c das tierische und das kindliche Bewufstsein analysiert, und unter der \u00dcberschrift \u201eAbnorme Bewufstseinszust\u00e4nde geistig Gesunder\u201c von den Ph\u00e4nomenen des Traumes, der Illusion und Halluzination, der Hypnose, Telepathie und den Ver\u00e4nderungen des Ichbewufstseins handelt. Ein Schlufskapitel bringt dann eine kurze Skizze der Geschichte der Psychologie und ein Anhang eine Reihe kleiner erg\u00e4nzender Spezialabhandlungen \u00fcber Struktur und Funktion des Nervensystems (I), \u00fcber Aphasie (II); \u00fcber die modernen psycho-physiologischen Theorien der Farbenempfindung und spezielle Ph\u00e4-Zeitechrift f\u00fcr Psychologie 10.\t20","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nLi tcraturberiekt.\nnomene des Farbensehens (Kontrasterscheinungen, Farbenblindheit und das P\u00fcKKD\u00eejBsche Ph\u00e4nomen (III) ; \u00fcber die physischen und physiologischen Bedingungen der Geruchsempfindung, verfafst von McC. Gamble (IV) ; \u00fcber die physiologischen Bedingungen der Druck- und Schmerzempfindung (V); eine analytische Tafel der k\u00f6rperlichen Bewegungen (VI) und einen kurzen \u00dcberblick \u00fcber die wichtigsten Theorien der Aufmerksamkeit Eine nach systematischen Gesichtspunkten geordnete Bibliographie, in der begreiflicherweise die angio - amerikanische Literatur bei weitem vorschl\u00e4gt, und die, ohne irgend umfassend sein zu wollen, doch sehr n\u00fctzliche Winke gibt, ein Schlagwortindex und ein Autorenverzeichnis vervollst\u00e4ndigen das Buch, welches sicherlich ein sehr brauchbares Hilfsmittel ist und viele Anregung zu geben vermag. Der Wert desselben f\u00fcr seine speziellen Zwecke wird dadurch noch erh\u00f6ht, dale es in bezug auf gewisse prinzipielle Streitpunkte eine Mittelstellung zwischen den Extremen zu gewinnen sucht. Dies gilt zun\u00e4chst von der namentlich durch M\u00fcnstbbbbrqs \u201eGrundz\u00fcge der Psychologie\u201c angeregten, oder vielmehr neuerdings versch\u00e4rften Auffassung der Psychologie als einer Wissenschaft von den kausalen Beziehungen von BewuTstseinsinhalten (ideas) zueinander, wobei die Beziehung dieser Inhalte auf ein Subjekt oder eine Person ganz aus dem Spiele bleibt Indem die Verf. das Recht einer derartigen Betrachtungsweise und ihre methodische Fruchtbarkeit keineswegs bestreitet, ist sie doch bem\u00fcht auch die Berechtigung der \u201eIch-Psychologie\u201c ersichtlich zu machen und es sind, wie nat\u00fcrlich, vorzugsweise die Abschnitte, welche von Gef\u00fchl und Willen handeln, in denen die Bedeutung des pers\u00f6nlichen Faktors sich geltend macht. So wird sie zu einer allgemeinen Unterscheidung von psychischen Inhalten und psychischen Akten gef\u00fchrt, die \u00fcber alle sonstigen Unter schiede des psychischen Lebens \u00fcbergreift. Denn wenn es schon fast unm\u00f6glich scheint die Ausdr\u00fccke : \u201eIch will\u201c oder \u201eIch glaube\u201c mit den Ausdr\u00fccken \u201eein Wille\u201c oder \u201eein Glaube\u201c gleichzusetzen, so ist es doch auch gewifs, dafs es nicht nur Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffe gibt, sondern auch Wahrnehmen, Vorstellen, Denken. M. a. W. die eine wie die andere Gruppe kann sowohl als Ereignis wie als T\u00e4tigkeit eines Ich aufgefafst werden, wobei es freilich lehrreich zu sehen ist, dafs C. auch d* gen\u00f6tigt ist, Willen und Glauben als vorzugsweise aktive Vorg\u00e4nge allen \u00fcbrigen gegen\u00fcberzustellen. Auffallend ist dabei, dafs von diesem Gesichtspunkt gar kein Gebrauch gemacht wird, um das so \u00fcberaus wichtige Phinomen der Aufmerksamkeit aufzuhellen, welches nur im ersten Teile unter den Structural Elements of Consciousness vorkommt, (unter denen es gewifs nichts zu tun hat, da ja die Aufmerksamkeit keine neuen Inhalte zuf\u00fchren, sondern nur gegebene verdeutlichen kann) und rein deskriptiv behandelt wird. Etwas \u00e4hnliches m\u00f6chte ich bemerken von dem an sich sehr verdienstlichen Kapitel X: Relational Elements of Consciousness, welches die rein sensualistische Ansicht ebenso abweist wie die aphoristischen Theorien. Aber indem die Verf. mit allem Nachdruck f\u00fcr den Bestand von Beziehungselementen im Bewufst8ein eintritt, die weder Empfindung noch Gef\u00fchl genannt werden d\u00fcrfen, bleibt die Entstehung und Herkunft derselben in v\u00f6lligem Dunkel. Und doch w\u00e4re gerade hier der Punkt gewesen, um deutlich zu machen, dafs diese Beziehungen zwar nicht aus einem an-","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n307\ngeborenen Formenschatz des Bewufstseins, wohl aber aus der Aktivit\u00e4t desselben, aus der unterscheidenden und vergleichenden T\u00e4tigkeit, welche es an den ihm gegebenen Inhalten aus\u00fcbt, erwachsen. Zugleich aber m\u00f6ge hier auf den geradezu verwirrenden Mifsbrauch hingewiesen werden, der, beg\u00fcnstigt durch einen h\u00f6chst schwankenden Sprachgebrauch, mit dem Worte \u201efeeling\u201c getrieben wird und der in dem vorliegenden Werke seinen H\u00f6hepunkt erreicht hat. Es ist h\u00f6chst bezeichnend, dafs es in dem ganzen Buche und seinen ausgedehnten Klassifikationen keinen Platz und keine Definition f\u00fcr \u201efeeling\u201c gibt. Die Er\u00f6rterung von Lust und Unlust (pleasantness and unpleasantness) wird abgeschlossen mit dem Satze: \u201eWe find in our conscious experience two distinct and unanalyzable feelings, pleasantness and unpleasantness, the affective elements.\u201c Danach sind also Lust und Unlust Arten einer \u00fcbergeordneten Gattung \u201efeeling\u201c. Diese selbst wird von allen Empfindungsbestandteilen (sensational elements) scharf geschieden. Gleich darauf folgt eine Er\u00f6rterung \u00fcber die \u201efeelings of realness\u201c. Im weiteren Verlaufe h\u00f6ren wir dann von \u201efeelings of likeness, feelings of congruence, of less or more, of wholeness, of familiarity, of generality, of future\u201c usw. Nun ist aber klar, dafs es ganz unm\u00f6glich ist, diese psychischen Erlebnisse de\u00bb Erlebnissen von Lust und Unlust zu koordinieren, als andere Arten einer Gattung ; denn es sind logisch ganz disparate Inhalte ; aufser man verf\u00e4hrt so, wie die Verf. auf S. 150, wo sie erkl\u00e4rt, sie gebrauche das Wort feeling gleichbedeutend mit conscious experience \u00fcberhaupt. Dann f\u00e4llt es aber mit dem Wort idea=Bewufstseinsinhalt im allgemeinsten Sinne zusammen und es ist zu der fr\u00fcher betonten Scheidung von sensation und feeling kein Grund mehr vorhanden. In dieser Erweiterung seines Gebrauches \u2014 zu welcher auch in der deutschen Psychologie eine verh\u00e4ngnisvolle Hinneigung besteht \u2014 scheint mir aber das Wort eine Gefahr f\u00fcr jede genauere Analyse zu bedeuten, ein wahres asylum ignorantiae. Wenn es beispielsweise bei C. heilst: \u201eThe general notion is primarily the percept or image as supplemented by a feeling of generality\u201c (S. 226); oder 8. 235: \u201eJudgment is a complex consciousness distinguished by the presence of an untemporal, relational experience, the feeling of wholeness,\u201c so ist wohl ohne weiteres klar, dais diese \u201efeelings\u201c nicht nur ihrer Existenz nach h\u00f6chst problematisch sind, sondern auch ihrem deskriptiven Wert nach nur ein \u201eidem per idem\u201c.\nAuffallend schwach sind Kapitel XVII und XVIII, welche das Denken in den drei Funktionen Generalization, Judgment, Reasoning behandeln. Und mit Befremden gewahrt man, dafs Recognition in Kapitel XIX diesen Funktionen nachgestellt ist. Damit ist aber der Analyse der Begriffsbildung und des Urteils der nat\u00fcrliche Boden entzogen. Auch hier zeigt sich wieder das Verengende der Feeling - Theorie. Das Wiedererkennen oder Erkennen, so heilst es, ist im letzten Grunde ein Bekanntheitsgef\u00fchl und als solches nicht weiter zu analysieren. Dabei wird in Abweisung anderer deskriptiver Darstellungen das N\u00e4chstliegende \u00fcbersehen: die assoziative Weckung eines schon fr\u00fcher gebildeten Bewu\u00dftseinsinhalts und seine v\u00f6llige oder teilweise Verschmelzung mit dem neu auftretenden.\nDoch es h\u00e4tte an dieser Stelle keinen Wert, sich mit der Verf. \u00fcber\n20*","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"306\nLi tcraturberiekt.\nnomene des Farbensehens (Kontrasterscheinungen, Farbenblindheit und das P\u00fcKKD\u00eejBsche Ph\u00e4nomen (III) ; \u00fcber die physischen und physiologischen Bedingungen der Geruchsempfindung, verfafst von McC. 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Dies gilt zun\u00e4chst von der namentlich durch M\u00fcnstbbbbrqs \u201eGrundz\u00fcge der Psychologie\u201c angeregten, oder vielmehr neuerdings versch\u00e4rften Auffassung der Psychologie als einer Wissenschaft von den kausalen Beziehungen von BewuTstseinsinhalten (ideas) zueinander, wobei die Beziehung dieser Inhalte auf ein Subjekt oder eine Person ganz aus dem Spiele bleibt Indem die Verf. das Recht einer derartigen Betrachtungsweise und ihre methodische Fruchtbarkeit keineswegs bestreitet, ist sie doch bem\u00fcht auch die Berechtigung der \u201eIch-Psychologie\u201c ersichtlich zu machen und es sind, wie nat\u00fcrlich, vorzugsweise die Abschnitte, welche von Gef\u00fchl und Willen handeln, in denen die Bedeutung des pers\u00f6nlichen Faktors sich geltend macht. So wird sie zu einer allgemeinen Unterscheidung von psychischen Inhalten und psychischen Akten gef\u00fchrt, die \u00fcber alle sonstigen Unter schiede des psychischen Lebens \u00fcbergreift. Denn wenn es schon fast unm\u00f6glich scheint die Ausdr\u00fccke : \u201eIch will\u201c oder \u201eIch glaube\u201c mit den Ausdr\u00fccken \u201eein Wille\u201c oder \u201eein Glaube\u201c gleichzusetzen, so ist es doch auch gewifs, dafs es nicht nur Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffe gibt, sondern auch Wahrnehmen, Vorstellen, Denken. M. a. W. die eine wie die andere Gruppe kann sowohl als Ereignis wie als T\u00e4tigkeit eines Ich aufgefafst werden, wobei es freilich lehrreich zu sehen ist, dafs C. auch d* gen\u00f6tigt ist, Willen und Glauben als vorzugsweise aktive Vorg\u00e4nge allen \u00fcbrigen gegen\u00fcberzustellen. Auffallend ist dabei, dafs von diesem Gesichtspunkt gar kein Gebrauch gemacht wird, um das so \u00fcberaus wichtige Phinomen der Aufmerksamkeit aufzuhellen, welches nur im ersten Teile unter den Structural Elements of Consciousness vorkommt, (unter denen es gewifs nichts zu tun hat, da ja die Aufmerksamkeit keine neuen Inhalte zuf\u00fchren, sondern nur gegebene verdeutlichen kann) und rein deskriptiv behandelt wird. Etwas \u00e4hnliches m\u00f6chte ich bemerken von dem an sich sehr verdienstlichen Kapitel X: Relational Elements of Consciousness, welches die rein sensualistische Ansicht ebenso abweist wie die aphoristischen Theorien. Aber indem die Verf. mit allem Nachdruck f\u00fcr den Bestand von Beziehungselementen im Bewufst8ein eintritt, die weder Empfindung noch Gef\u00fchl genannt werden d\u00fcrfen, bleibt die Entstehung und Herkunft derselben in v\u00f6lligem Dunkel. 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