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{"created":"2022-01-31T16:31:35.469498+00:00","id":"lit32189","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 236-238","fulltext":[{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nLiteraturbericht.\nzu viel psychologisch und zu wenig physiologisch-mechanisch zu erkl\u00e4ren versucht haben.\tGrobthuyskn (Berlin).\nS. Jank\u00e9l\u00e9vitsch. De la nature do seitlment amooreu. Rev. philot. 58 (10), 353\u2014378. 1904.\nNur wenige Leute gibt es, welche in der geschlechtlichen Liebe nichts anderes sehen, als einen ,\u00e9change de deux fantaisies et un contact de deux \u00e9pidermes'. Man hat die Liebe f\u00fcr ein krankhaftes Ph\u00e4nomen erkl\u00e4rt: Ein gesunder Mensch, welcher ein geschlechtliches Bed\u00fcrfnis f\u00fchlt, wird sich auf dem k\u00fcrzesten Wege an einer anderen Person befriedigen. Ein Verliebter dagegen ist eine Art hysterisch Blasierter. Wollte ein Mensch noch obendrein unter der Liebe leiden oder aus Liebe in den Tod gehen, so w\u00e4re dies ebenso t\u00f6richt, als wenn jemand Speise und Trank verweigerte bis er vor Hunger oder Durst st\u00fcrbe.\nIn vielen Ehen spielt die Liebe nicht die mindeste Bolle, n\u00e4mlich in solchen, welche aus sozialen Konventionen geschlossen sind oder aus Butine ohne das geringste romantische, sentimentale oder \u00e4sthetische Element, bisweilen nur als Zufluchtsmittel nach intellektuellem oder moralischem Niedergange. Allerdings ist es gut, wenn der Sturm der Gef\u00fchle baldigst abgeschw\u00e4cht, die Illusion bald zerst\u00f6rt wird. Dies w\u00e4re der normale Zustand.\nBeim Naturmenschen ging das Bed\u00fcrfnis der Idee der Befriedigung voraus. Mit dem Forschritt der Kultur vollziehen sich die organischen Prozesse mit weniger Begelm\u00e4fsigkeit. Es werden k\u00fcnstliche Beizmittel n\u00f6tig. Und diejenigen Personen, welche das Maximum der Erregung und Befriedigung gew\u00e4hren, sind die gesuchtesten. Dies w\u00fcrde den Anfang der Wahl bezeichnen. In anderen F\u00e4llen macht die Heftigkeit der \u00e4ufseren Bewegungen einer inneren Konzentration Platz, indem das Individuum sein ganzes Leben \u00fcber in der Erwartung des Genusses und Besitzes des geliebten Wesens lebt.\t,\nDas sexuelle Bed\u00fcrfnis unterscheidet sich von anderen k\u00f6rperlichen Bed\u00fcrfnissen. Nach Schopenhauer besteht dieses unterscheidende Element in dem Gattungswillen, dem Instinkt. Was einen bestimmten Mann an eine bestimmte Frau kettet, ist die unbewufste Intuition, dafs letztere f\u00fcr die Fortpflanzung der Art besonders geeignet ist. Auch Verf. ist der Ansicht, dafs bei der sexuellen Liebe zu den organischen Mobilien andere hinzukommen. Gewisse Protozoen und Aktinien, sobald sie einen bestimmten Grad der Entwicklung erreicht haben, teilen sich in mehrere Teile, welche sich entweder voneinander trennen oder am Grunde verbunden bleiben. Daraus sieht man, dafs die sexuelle Funktion die Tendenz besitzt, ihre eigenen Grenzen zu \u00fcberschreiten. Eine Zeit hindurch zwar ist der Instinkt der Erhaltung station\u00e4r. Es kommt aber eine Periode, wo das Tier danach strebt, ein ausgedehnteres Medium zu besitzen und seine F\u00e4higkeit der Anpassung zu vergr\u00f6fsern. Um dies zu erreichen, vervielf\u00e4ltigt es sich. Auf diese Weise k\u00f6nnen solche Wesen ein individuelleres Leben f\u00fchren. Psychologisch gesprochen bedeutet diese Spaltung der Mutterindividuen die Tendenz, das Leben \u00fcber die gr\u00f6fstm\u00f6gliche Zeit und den gr\u00f6fstm\u00f6glichen Kaum auszudehnen, eine ephemere Existenz in eine dauerhafte zu ver-","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n237\nwandeln. Die sexuelle Liebe ist nichts anderes als das Bed\u00fcrfnis nach dem Absoluten und Unendlichen. Bei den niederen Tieren f\u00e4llt die Tendenz zum Akt mit dem Akt selbst zusammen. Es findet ein Reflexvorgang statt ohne Dazwischentreten irgend eines seelischen Faktors. Letzterer entwickelt sich jedoch, je mehr man in der Tierreihe in die Hohe steigt. Dem Menschen ist es sogar m\u00f6glich, den seelischen Fakter vom organischen zu trennen.\nNach diesen allgemeinen Betrachtungen geht Verf. zur Untersuchung spezieller Kategorien der Liebe \u00fcber, zun\u00e4chst zur mystischen. H\u00f6ffdino uennt das religi\u00f6se Leben ein kosmisches. Schon lange, bevor die Religion sich in Formen kleidete, existierte sie als unbestimmtes Bed\u00fcrfnis nach einem grofsen Ganzen. Die Mystiker nun suchten ihr Gl\u00fcck in der unmittelbaren Vereinigung mit diesem Allwesen. Hier lag ein \u00dcberstr\u00f6men der sexuellen Energie vor, welche ihren gewohnten Abflufs nicht finden konnte. Wir haben in den Mystikern ein eklatantes Beispiel eines intensiven organischen Genusses, welcher unabh\u00e4ngig ist vom sexuellen. Denn das, was sie beherrscht, ist das Bed\u00fcrfnis nach dem Absoluten, Unendlichen, dasselbe was auch die Basis der sexuellen Liebe bildet. Die Mystiker sind in der Liebe wahre Genies. Sie vereinigen alle die partiellen Liebes-bed\u00fcrfnisse, welche sie den einzelnen Menschen gegen\u00fcber hegen, zu der unendlichen Liebe gegen Gott. Diese Liebe ist jedoch nicht intellektueller Natur, wie bei Spinoza, sondern sexueller, die Liebe zu einem konkreten Gotte in Knochen und Fleisch. Doch gesteht es der Mystiker nicht ein, dafs seiner Liebe fleischliche Elemente beigemischt sind. Die Mystiker sind keine Erotomanen, sondern Liebende, welche sich das Absolute, Unendliche zum Ziel gemacht haben. Aber sie erstreben dasselbe mit grofser Gewalt und Ungeduld.\nDen religi\u00f6sen Charakter besitzt auch die platonische Liebe, welche namentlich zur Zeit der italienischen Renaissance in allen Tonarten besungen und ger\u00fchmt wurde. Zweierlei aber unterscheidet die platonische Liebe von der mystischen. Erstere ist nicht lediglich sentimental, sondern mit einer Dosis Reflexion verbunden. Auch sucht sie nicht die fleischliche Liebe auszul\u00f6schen. Bei den Vertretern der platonischen Liebe wie Dante, Michel-Anoelo, Petkabca etc. bildete das Ideal die Fleischwerdung des Absoluten und Unendlichen. Beide Arten von Liebe stimmen jedoch darin \u00fcberein, dafs bei dem Liebesbed\u00fcrfnis das Sexuelle nicht in Betracht kommt.\nDie Liebenden im gew\u00f6hnlichen Sinne endlich verlangen eine enge Verbindung zwischen der psychischen und physischen Seite der Liebe. F\u00fcr manchen von ihnen bildet die Liebe eine Lebensfrage. Das geliebte Wesen repr\u00e4sentiert f\u00fcr den Liebenden die reelle und konkrete Inkarnation seiner Art und Weise, das Universum zu betrachten, seine Beziehungen zu ihm zu verstehen. Ja der Liebende wird erst er selbst von dem Tage an, wo er diese Liebe gefunden hat. Er glaubt damit das Ziel seines Lebens gefunden zu haben.\nNach Ansicht des Ref. geht Verf. f\u00fcr die Praxis zu weit, wenn er die sexuelle Liebe als das Bed\u00fcrfnis nach dem Unendlichen und Absoluten","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nLiteraturbericht\nbezeichnet. So weit ist dieses Bed\u00fcrfnis wohl nicht gespannt. Vielmehr fahlen sich die beiden Liebenden zu einer neuen, h\u00f6heren Lebensgemeinschaft vereinigt, in der sie sich gegenseitig erg\u00e4nzen, zu einer kleinen Welt, die beiden gen\u00fcgt, und mit der sie sich gegen die Aufsenwelt abschlielsen. Je \u00e4rmer an geistigem Inhalt beide sind, um so leichter kann dies geschehen, je phantasiereicher dagegen, nm so mehr werden ihre Bed\u00fcrfnisse nach sexueller Liebe ins Weite gehen, um so weniger wird ihneu die Monogamie gen\u00fcgen. Im \u00fcbrigen d\u00fcrfte das Gef\u00fchl des Unendlichen und Absoluten als Bestandteil des sinnlichen Gef\u00fchls dem Geschlechtsakt selbst zukommen.\nGixsslbb (Erfurt).\nw. Specht. Intemll ud Arbeit. Experimentelle Untennchugei Aber in Elnflufi de\u00ab durch \u00abkutUcbe Reise begreuten Intemll* auf den xeitllcbu and formalen Terlanf k\u00f6rperlicher ArbeltiTerrlcbtnng. Archiv f\u00fcr die ga.\nPsychologie 3 (1), 1\u201432. 1904.\nDie vorliegende Untersuchung wurde im psychologischen Laboratorium der Universit\u00e4ts-Irrenklinik zu Heidelberg ausgef\u00fchrt. Der Verf. experimentierte mit Kr\u00e4peliks Ergographen. Die Hebungen wurden als Reaktionen auf den Hauptreiz mit diesem und dem Vorsignal zusammen auf einer rotierenden Trommel von konstanter Umdrehungsgeschwindigkeit (10 Sek.) registriert. Als Vorsignal und Hauptreiz benutzte Sp. zwei Glockensclil\u00e4ge von gleicher H\u00f6he und Intensit\u00e4t, die elektrisch ausgel\u00f6et wurden. F\u00fcr diesen Zweck war dem Achsenstab der Trommel ein Metallkranz von 500 mm Umfang, dessen Peripherie mit einer Gradeinteilung versehen war, mit zugeh\u00f6rigem, verschiebbarem Kontaktapparat auf-geschraubt. Auf diese Weise erreichte der Verf. eine beliebige Variation der Intervallgr\u00f6fse. Die Zeitwerte der letzteren bewegten sich zwischen den Grenzen von */* bis 2 Sek. und wurden in auf- und absteigender Richtung um je '/* Sek. abgestuft. Die gehobenen Gewichte betrugen 3\u2014fi kg, bei einer Variation von 1kg f\u00fcr jede Versuchsreihe. Sp. arbeitete mit zwei Versuchspersonen H. und E., von denen die erstere 28, die letztere 22 Jahre alt war. Die Hauptresultate der Arbeit waren, wie sie der Verf. am Schl\u00fcsse selbst zusammengefafst hat, die folgenden:\n\u201eDie Untersuchung, welchen Einflufs die L\u00e4nge des Intervalls auf den zeitlichen und formalen Verlauf k\u00f6rperlicher Arbeitsverrichtung hat, hat bei den Versuchspersonen H. und E. zu durchaus verschiedenen Ergebnissen gef\u00fchrt. II. wird in seiner Arbeitsverrichtung von der L\u00e4nge des Intervalls in gesetzm\u00e4fsiger Weise beeinflufst, indem mit Intervallzuwachs die Reaktionszeit und die Basis der Kurven konstant gr\u00f6lser werden, w\u00e4hrend das Verh\u00e4ltnis der beiden Basiskomponenten sich fortschreitend zugunsten der ersten Komponente ver\u00e4ndert.\u201c (Unter Basis der Kurven ist die zwischen beiden Fufspunkten der Zuckung gelegene Wegstrecke verstanden.) \u201eAuch die besondere Stellung des Intervalls in der Versuchsreihe beeinflufst die L\u00e4nge der Reaktionszeit und der Basis, indem sie in der absteigenden Reihe und besonders, wenn diese am Ende steht, kleiner ansf\u00e4llt als in der aufsteigenden.\nDemgegen\u00fcber zeigt E. ein viel konstanteres Verhalten. Nur bei den","page":238}],"identifier":"lit32189","issued":"1905","language":"de","pages":"236-238","startpages":"236","title":"S. Jank\u00e9l\u00e9vitsch: De la nature du sentiment amoureux. Rev. philos. 58 (10), 353-378. 1904","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:31:35.469503+00:00"}