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{"created":"2022-01-31T16:31:08.261011+00:00","id":"lit32197","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pf\u00e4nder","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 342-346","fulltext":[{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"34\u00e4\nLiteraturbericht.\nsein\u201c) sehr interessieren. Ob aber die strenge Losl\u00f6sung der Psychologie von allen erkenntnistheoretischen Erw\u00e4gungen, wie Verf. sie fordert und durchzufahren versucht, gerade f\u00fcr eine \u201eEinf\u00fchrung\u201c geeignet ist, erscheint dem Ref. doch fraglich.\tLipkann (Berlin).\nE. F. B\u00fcchner, Piychologlctl Prognu. Psychol. Bulletin 1 (3), 67\u201464. 1904.\nIn diesem Essay wird gezeigt, wie man durch PrQfen und Ausscheiden in der Wissenschaft weiter kommt. Rekonstruktion ist die Bedingung sine qua non von Fortschritt und doch beh\u00e4lt die Psychologie, obgleich in verschiedene Schulen zersplittert, ihr eigenes Gepr\u00e4ge als Ganzes. Mm unterscheidet mit historischer Bestimmtheit sechs Schulen: 1. Geistes-verm\u00f6gen, 2. ABSoziationspsychologie, 3. Herbartische, 4. physiologische, 5. experimentelle und 6. genetische Psychologie. Die erste, zweite und vierte beziehen sich auf Erkl\u00e4rungsweisen. Die dritte folgt dem Namen eines Autors. Die f\u00fcnfte und sechste sind nach Untersuchungsmethoden genannt. Die erste, zweite, dritte und vielleicht die vierte sind schon veraltet, doch ist das Gute an jeder zum Recht gekommen und angenommen. Wie allm\u00e4hliche Assimilation und Fortschritt zustande kommen, zeigt Verf. dm Beispiel von H. Spencers psychologischen Verdiensten. Der psychologische Gewinn beruht hier haupts\u00e4chlich auf der freien Rekonstruktion von g\u00fcltigen Tatsachen in Zusammenhang mit Prinzipien, die Verdienste in allen Wissenschaften errungen haben. Es folgt sodann ein ziemlich detaillierter Aufsatz \u00fcber Spencers psychologische Ansichten und ihren Einflufs auf die moderne Psychologie. Ooden (Columbia, Missouri).\nN. Losskij. Die 0randtehren der Pejcbttogife rotn lUndptmkte des Tel\u00ab*-\nUrtstuai. Deutsch von E. Kledkek. Leipzig, Barth. 1904.\t221 S.\nMk. 6,00.\nDer Verf. will in diesem Buche, von dem die ersteh 46 Seiten schon vor zwei Jahren im 30. Bd. der \u201eZeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg.\u201c erschienen sind, den Voluntarismus in einem bestimmten Sinne recht-fertigen und die Lehren entwickeln, die sich notwendig aus diesem Voluntarismus ergeben. Er kn\u00fcpft an meine \u201ePh\u00e4nomenologie des Wollens\u201c an und baut schlie\u00dflich eine voluntaristische Weltanschauung auf, die manche \u00c4hnlicheit mit der Willensphilosophie Maine de BiraNs hat. Ich setze zun\u00e4chst ziemlich unabh\u00e4ngig von der Terminologie und dem Gedankengang des Buches eine \u00dcbersicht \u00fcber das Gesamtergebnis desselben voran.\nDen ma\u00dfgebenden Quellpunkt d\u00e8s ganzen individuellen psychischen LebenB bildet das Ich, dessen Wesen und eigent\u00fcmlicher Charakter in einem System von bestimmten urspr\u00fcnglichen Strebungen besteht. Diese urspr\u00fcnglichen Strebungen lassen ganze Reihen abgeleiteter, ihrer Zweckverwirklichung dienender Strebungen aus sich hervorgehen. Bei dieser Ausstrahlung des Strebens bleibt es aber nicht, sondern das strebende Ich wird nun auch t\u00e4tig und f\u00fchrt durch diese seine T\u00e4tigkeit bestimmte Ver\u00e4nderungen des psychischen Lebens herbei. Von sich selbst und seinen Zust\u00e4nden hat das Ich nicht notwendig eine Erkenntnis, wohl aber ein gef\u00fchlsm\u00e4fsiges Bewu\u00dftsein; es hat Selbstbewufstsein, aber nicht Selbstgew\u00fcfstsein. -Die Sph\u00e4re dessen, was dem Ich in eintnri unmittel-","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n343\nbaren Gef\u00fchl als sein eigen erscheint, erstreckt sich soweit, als seine Strebungen und seine T\u00e4tigkeit reichen. So sind dem Ich denn immer seine urspr\u00fcnglichen, sowie die daraus abgeleiteten Strebungen, seine T\u00e4tigkeit und ein Teil der darauf folgenden Ver\u00e4nderungen unmittelbar als seine eigenen bewufst. Nun ist aber., der psychische. Prosefs, der mit einer Strebung des Ich beginnt und durch das Gef\u00fchl der eigenen T\u00e4tigkeit des Ich hindurch zu bestimmten Ver\u00e4nderungen f\u00fchrt, nichts anderes als eine Willenshandlung. Die Sph\u00e4re das psyohischen Lebens des Ich ist also nichts anderes als ein im Ich vereinigtes System von Willenshandlungen. Nicht die Assoziationen, sondern das. Streben und) Tun das Ich sind das Bestimmende im psychischen Leben; die Assoziationen bereiten nur das Material f\u00fcr die T\u00e4tigkeit des Ich vor.\nDie Strebungen des Ich enthalten als unabtrennbare Bestandteile in sich solche Gef\u00fchle der Lust oder der Unlust, die dem Ich ala seine eigenen bewufst sind. Demnach kann die Lust des Ich als Bestandteil der Strebung weder die Ursache noch die Wirkung, einer Strebung des Ich sein. Die Gef\u00fchle zeigen nur Unterschiede der Intensit\u00e4t und den Gegensatz von Befriedigung und Mifsbefriedigung.\nObgleich nun das Ich mit seinen urspr\u00fcnglichen Strebungen das eigentlich Bestimmende im Seelenleben ist, so mufs. doch etwas anderes mit dem Ich Zusammenwirken, wenn \u00fcberhaupt ein Seelenleben m\u00f6glich sein Boll. Die\u00bb andere tritt dem Ich als eine ihm gegebene, objektive Weit gegen\u00fcber, in der es seinen K\u00f6rper, die sog. Aufsenwelt und anders Iche unterscheiden kann. In Wahrheit aber ist diese objektive Welt ebenfalls eine Welt von Ichen, d. h. von substanziellen Einheiten aus urspr\u00fcnglichen \u00dftrebungen.\nDas einzelne Ich hat die F\u00e4higkeit der Intuition, d. h. es vermag das wahre Wesen der objektiven Welt, die Zust\u00e4nde und die Strebungen anderer Iche unmittelbar zu f\u00fchlen. Diese Zust\u00e4nde und. Strebungen sind ihm dann nicht als seine eigenen, sondern als ihm \u201egegebene\u201c, ala \u201ein ihm\u201c vorhandene bewufst. Und das heifst wiederum nicht, sie seien ge.wufst; denn an und f\u00fcr sich sind alle Bewufatseinssust\u00e4nde ungewufst und trotzdem bewufst. Soll Etwas Gegenstand des Gewuiatseins, cL h. der Erkenntnis werden, so ist dazu immer eine T\u00e4tigkeit des Aufmerkens, Vergleichen und Unterscheidens n\u00f6tig.\nAufser der F\u00e4higkeit, der Zust\u00e4nde und Strebungen anderer Iche unmittelbar bewufst zu werden, hat aber das individuelle Ich auch die F\u00e4higkeit, durch seine Strebungen unmittelbar auf die anderen Iche einzuwirken. Diese unmittelbare Wirkung des einen Ich auf ein anderes, vollzieht sich ebenfalls nach dem Typus der Willenshandlung. Erf\u00e4hrt das Ich den Ein-fiuis der Strebungen anderer Iche, ao kann dadurch in ihm niemals ein eigenes Streben und Handeln direkt verursacht, sondern entweder ein solches nur veranlafst oder aber ein ihm \u201eabgen\u00f6tigtes\u201c Streben und Handeln verursacht werden. Eigenes Streben und Handeln kann immer nur aus den urspr\u00fcnglichen Strebungen des Ich selbst hervorgehen.\nDie Gef\u00fchle anderer Iche f\u00fchlt das Ich als ihm \u201egegebene\u201c, nicht als seine eigenen. Unter diesen \u201egegebenen\u201c Gef\u00fchlen kann man zwei Arten, die physischen und die \u00fcberpers\u00f6nlichen Gef\u00fchle unterscheiden.","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nLiteratur bericht.\nBeide verbinden sich nur dann mit den dem Ich eigenen Gef\u00fchlen der Befriedigung und Mifsbefriedigung, wenn eine urspr\u00fcngliche Strebung des Ich hinzutritt.\nVon den Gef\u00fchlen sind die Affekte zu unterscheiden. Die Affekte sind Willenshandlungen; sie bestehen aus Strebungen des Ich, oder aus gegebenen Strebungen, die auf die Erzeugung von innerk\u00f6rperlichen Ver-inderungen gerichtet sind, und aus der Wahrnehmung dieser Ver\u00e4nderungen.\nDa die urspr\u00fcnglichen Strebungen den Charakter des Ich ausmachen, so wird eine Haupteinteilung der Charaktere durch die Verschiedenheit der Hauptrichtungen des Strebens gegeben sein. Das Ich sp\u00fcrt in sich aufser seinen eigenen Strebungen auch die k\u00f6rperlichen und die \u00fcber-pers\u00f6nlichen Strebungen. Herrschen nun in dem Leben des Ich die k\u00f6rperlichen Strebungen vor, so hat es einen sinnlichen Charakter; \u00fcberwiegen dagegen seine eigenen Strebungen, so geh\u00f6rt es zum Typus des egozentrischen Charakters; macht sich das Ich dagegen wesentlich znm Tr\u00e4ger \u00fcberpers\u00f6nlicher Strebungen, so wird sein Charakter zu einem \u00fcberpers\u00f6nlichen.\nNun l\u00e4fst sich auch das Gebiet der Psychologie, die subjektive Welt, vom voluntaristischen Standpunkt abgrenzen. Es ist n\u00e4mlich nichts anderes als der Inbegriff derjenigen Bewulstseinszust\u00e4nde, die oder sofern sie dem Ich unmittelbar als seine eigenen bewufst sind. Da diese Bewufstseins-zust\u00e4nde s\u00e4mtlich Willenshandlungen sind, so ergibt sich, daTs das Gebiet der Psychologie in dem Inbegriff der Willenshandlungen des Ich besteht Der Inbegriff von BewuTstseinszust\u00e4nden dagegen, die von dem Ich unmittelbar als ihm \u201egegebene\u201c gef\u00fchlt werden, ist das, was man die objektive Welt nennt.\nNachdem ich so die Quintessenz des Buches vorangestellt habe, darf ich nun nicht verschweigen, dafs leider die Begr\u00fcndung dieser Ansichten im einzelnen meist wenig \u00fcberzeugend ist; dafs man aufserdem da, wo man geneigt w\u00e4re, zuzustimmen, h\u00e4ufig durch die Unklarheit der Formulierungen daran gehindert wird. Es fehlt die gr\u00fcndliche Genauigkeit im Ausdruck und in der Begriffsbildung, die in solchen Fragen gerade so notwendig ist. Inwieweit vielleicht die \u00dcbersetzung aus dem Russischen daran schuld ist, vermag ich nicht zu entscheiden.\nEs sei nur kurz auf die Hauptunklarheiten hingewiesen. Vielleicht ist es in diesem Falle nicht von besonderem Nachteil, wenn fortw\u00e4hrend \u201eEmpfindung\u201c und \u201eGef\u00fchl\u201c durcheinander gemengt werden. Die Gef\u00fchle und Strebungen anderer Pers\u00f6nlichkeiten sollen, ebenso wie die eigenen, vom Ich unmittelbar empfunden werden. Dann sollen wieder alle Empfindungen, z. B. die der weifsen Farbe, in Wahrheit Gef\u00fchle und nicht intellektuelle Ver\u00e4nderungen im Bewufstsein sein. (S. 62.) Gr\u00f6feer wird die Verwirrung schon, wenn auch der Gegenstand oder Inhalt der Empfindung mit der Empfindung selbst, und allgemein die Gegenst\u00e4nde mit den Arten des Gegenstandsbewufstseins verwechselt werden : die Farben, die T\u00f6ne usw. werden zusammen mit den Gef\u00fchlen und Strebungen als Bewulstseinszust\u00e4nde bezeichnet. Das erkenntnistheoretische Begriffs-Zauberkunstst\u00fcckchen, durch welches die objektive physische Welt zu einem Teil der psychischen Welt, zu einer \u201eReihe von Wahrnehmungen\u201c gemacht","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n345\nwird, bet\u00f6rt auch den Verf. und verbreitet weitreichende Unklarheit \u00fcber \u00abeine Darlegungen. Daher wird denn auch die sonst so wichtige Unterscheidung zwischen gewufsten und ungewufsten Bewufstseinszust\u00e4nden bei L. zu einer v\u00f6llig zweideutigen. Zun\u00e4chst und vor allem bedeutet n\u00e4mlich ein \u201eungewufster\u201c Bewufstseinszustand f\u00fcr L. einen solchen, der kein WiBsen, keine Erkenntnis eines Gegenstandes in sich enth\u00e4lt. Ein Beispiel daf\u00fcr ist ihm der \u201edunkle Trieb\u201c, in welchem zwar ein Bewufstsein von dem erstrebten Erlebnis, aber keine Erkenntnis, kein Gewufstsein desselben vorhanden sei. Dann aber ist, was dem Wortsinne mehr entspricht, ein \u201eungewufster\u201c Bewufstseinszustand vielmehr ein solcher, der nicht selbst Gegenstand eines Wissens ist, wenn auch in ihm ein Wissen um allerlei anderes enthalten ist. Jene Verwechslung des Gegenstandes des Bewufstseins mit dem Gegenstandsbewufstsein zieht sich auch durch die Er\u00f6rterungen, die der Erh\u00e4rtung der voluntaristischen These dienen sollen. Denn hier wird mehrfach der Gegenstand einer Willenshandlung mit der Willenshandlung selbst verwechselt. Es soll z. B. Etwas, das Gegenstand der Aufmerksamkeit ist und das insofern als \u201emein\u201c empfunden werde, unter den Begriff des Willensaktes fallen und alle Elemente eines Willensaktes enthalten.\nAufserdem tritt in diesen Er\u00f6rterungen ein mir unverst\u00e4ndlicher Denkfehler auf: der Verf. sieht nicht, dafs sein allgemeiner Satz durch die Ausnahme, die er ausdr\u00fccklich selbst hervorhebt, notwendig umgeworfen wird. Der allgemeine Satz besagt n\u00e4mlich: \u201eJeder psychische Zustand, sofern er als meiner empfunden wird, enth\u00e4lt alle Elemente eines Willensaktes, meine Strebung, das Gef\u00fchl meiner Aktivit\u00e4t und eine Ver\u00e4nderung, die mit dem Gef\u00fchl der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit verkn\u00fcpft ist; ein solcher Zustand erscheint mir als durch mich hervorgebracht.\u201c Dieser Satz m\u00fcfste nun nat\u00fcrlich auch auf die psychischen Zust\u00e4nde gelten, die der Verf. \u201emeine\u201c Strebungen und das Gef\u00fchl \u201emeiner\u201c Aktivit\u00e4t nennt, d. h. diese m\u00fcfsten wiederum alle Elemente des Willensaktes, also \u201emeine\u201c Strebung, das Gef\u00fchl \u201emeiner\u201c Aktivit\u00e4t und eine Ver\u00e4nderung enthalten. Daraus w\u00fcrde offenbar ein unendlicher Regrefs folgen, der aber einfach dadurch abgeschnitten wird, dafs gesagt wird, die Strebungen k\u00f6nnten als \u201emein\u201c empfunden werden ohne wiederum die \u00fcbrigen Elemente des Willensaktes zu enthalten.\nIn der Lehre von den Affekten begegnet mir eine \u00e4hnliche Unverst\u00e4ndlichkeit. Der Verf. erkl\u00e4rt n\u00e4mlich hier einerseits, es sei ihm in einem bestimmten Falle gelungen, den Affekt des Schrecks zu unterdr\u00fccken, wobei aber die organischen Empfindungen fast dieselben geblieben seien. Andererseits behauptet er aber, die organischen Empfindungen seien der wichtigste Teil der Affekte.\nUm den Voluntarismus als g\u00fcltig behaupten zu k\u00f6nnen, sieht sich der Verf. gen\u00f6tigt, das Gebiet der Psychologie dementsprechend abzugrenzen : nnr diejenigen Bewufstseinszust\u00e4nde sollen Gegenstand der Psychologie sein, die sich dem Ich unmittelbar als seine eigenen f\u00fchlbar machen. Es ist jedoch leicht ersichtlich, dafs damit eine v\u00f6llig willk\u00fcrliche Einschr\u00e4nkung des psychologischen Gebietes vorgenommen ist. Nicht nur das fremde psychische Leben, sondern auch z. B. die sinnlichen und die","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nLitei-atur bericht.\n\u201eOberpers\u00f6nlichen\" Gef\u00fchle and Strebungen w\u00fcrden damit vom Gebiete der Psychologie ausgeschlossen sein. Sind jedoch andererseits, wie der Verf. annimmt, alle dem Ich \u201egegebenen\u201c Bewufstseinszust\u00e4nde in Wahrheit psychische Zustande anderer Iche, die von diesen als ihre eigenen \u201eempfunden\u201c werden, so entgeht der Verf. nicht der Folgerang, der er gerade durch seine Definition der Psychologie entgehen m\u00f6chte, dafs n\u00e4mlich dann schliefslich alle Wissenschaften nur Teile der Psychologie w\u00e4ren.\nWas nun den Versuch betrifft, die Berechtigung des Voluntarismus nachzuweisen, so kann ich denselben durchaus nicht als gelangen betrachten. Im Grunde wird nur, ganz analog wie es schon Mains de Biban im Anfang des 19. Jahrhunderts getan hatte, nachgewiesen, dafs eine gewisse Aktivit\u00e4t des psychischen Subjekts bei den meisten psychischen Tatsachen vorhanden ist, und dafs die urspr\u00fcnglichen Eigent\u00fcmlichkeiten des Ich \u00fcberall bestimmend auf das psychische Leben einwirken. Aber damit ist noch lange kein Voluntarismus im eigentlichen Sinne erwiesen. Es tritt auch hier wieder hervor, dafs die immer wiederkehrenden Versuche, das psychische Leben vom Standpunkte einer einseitigen Theorie darzustellen, nur eines heuristischen Wert besitzen, an sich aber aussichtslos und ohne dauernde Bedeutung sind. Sie beweisen nur, dafs man am Ende mit Hilfe jedes Begriffs jedes Gebiet beschreiben kann, wenn man zuerst den Begriff zweck m\u00e4fsig formt und dann das Gebiet entsprechend abgrenzt. So wird denn auch vom Verf. zuerst der Begriff der Willenshandlung \u00fcber seinen gew\u00f6hnlichen Sinn hinaus ausgedehnt. Da er aber dann doch noch nicht das ganze psychische Leben zu umfassen vermag, so wird das psychische Gebiet so eingeschr\u00e4nkt, dafs seine Grenze mit der des ansgedehnten Begriffes der Willenshandlung zusammenf\u00e4llt. Trotz aller voluntaristischen Behauptungen bleibt jedoch, wie eine genauere Untersuchung zeigen w\u00fcrde, die Tatsache bestehen, dafs die Prozesse im menschlichen Seelenleben, die man gew\u00f6hnlich als Willenshandlungen bezeichnet, relativ seltene und bestimmtgeariete Prozesse sind. Wenn man sich darauf versteift, alle psychischen Prozesse Willenshandlungen zu nennen, so mufs man daher f\u00fcr jene eigenartigen und eigentlichen Willenshandlangen eines neuen Namen finden; die Sache aber bleibt dann, wie sie vorher war, nur dafs man nun mit den Irrt\u00fcmern zu rechnen hat, die durch den ver\u00e4nderten Wortgebrauch entstehen k\u00f6nnen. Welchen Nutzen jedoch ein solches Verfahren f\u00fcr die Psychologie haben sollte, vermag ich nicht zu ersehen.\nWenn nun freilich auch das vorliegende Buch h\u00e4ufig den Eindruck unklarer G\u00e4rung macht, so mufs man doch anerkennen, dafs in ihm \u00fcberall die ernste Bem\u00fchung zum Ausdruck kommt, eine ad\u00e4quatere Erkenntnis des wirklichen psychischen Lebens zu gewinnen. Wie vielleicht aus der obigen Inhalts\u00fcbersicht schon ersichtlich ist, vermag es manche Anregung zu fruchtbarem Weiterdenken zu geben. Wertvoll erscheint mir vor allem, dafs der Verf. gegen\u00fcber allem Mechanismus und Intellektualismus in der Psychologie die Bedeutung der Strebungen und der Eigenschaften des Ich f\u00fcr das psychische Leben deutlich hervorhebt und auf das eigent\u00fcmliche Leben des strebenden und t\u00e4tigen Ich nachdr\u00fccklich hinweist.\nPp\u00e4ndsb (M\u00fcnchen).","page":346}],"identifier":"lit32197","issued":"1905","language":"de","pages":"342-346","startpages":"342","title":"N. Losskij: Die Grundlehren der Psychologie vom Standpunkte des Voluntarismus. Deutsch von E. Kleuker. Leipzig, Barth. 1904. 221 S.","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:31:08.261017+00:00"}