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{"created":"2022-01-31T16:38:48.276287+00:00","id":"lit32251","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Witasek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 386-388","fulltext":[{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nLiteraturbericht.\nschliefst aus dem Resultat auf eine Reihe unbewufster affektiver Urteile, die vorhergegangen sind. 3. Religi\u00f6se und \u00e4hnliche Bed\u00fcrfnisse bestimmen ein Schlufsverfahren, das zu gewissen Entdeckungen f\u00fchrt, z. B. zum Glauben an die Unsterblichkeit, zum Weissagen der Zukunft. 4. Ein Glaube, eine Meinung soll gerechtfertigt werden und bestimmt den Gang dee 8chlufsverfahrens. 5. Im \u201ePlaidoyer\u201c, in der Redekunst haben wir ein gemischtes Schlufsverfahren, das sich aus Elementen der rationellen und der Gef\u00fchlslogik zusammensetzt. Das letzte Kapitel ist eine Studie \u00fcber die sch\u00f6pferische affektive Einbildungskraft, d. h. eine Einbildungskraft, die ausschliefslich affektive Zust\u00e4nde verschiedener Natur in neue Beziehungen zusammenordnet. In ihrer reinsten Form tritt sie uns in der Musik entgegen, in weniger reinen Formen in der symbolistischen Dichtung, und bei gewissen Mystikern, die ganz in einem Gef\u00fchl leben, z. B. in der Liebe zu Christus.\nEs ist eines der Verdienste von Ribots Arbeit wohl zuerst in Frankreich, auf die \u00f6sterreichischen Werttheoretiker hingewiesen zu haben. Nicht berechtigt ist es, dafs er ohne eingehenden Beweis in einer Zeit, in der die Fragen nach den Werten auf das lebhafteste diskutiert werden, eine bestimmte, subjektivistische Werttheorie hinstellt. Geh\u00f6ren denn wirklich alle Werturteile in das Gebiet der Gef\u00fchlslogik ? Wird denn z. B. das Beweisverfahren bei wissenschaftlicher Er\u00f6rterung von Wertfragen immer durch den Wunsch bestimmt, bestimmte Wertthesen zu beweisen? Was R.s Meinung \u00fcber die sch\u00f6pferische affektive En-bildungskraft betrifft, so ist seine Behauptung, sie sei bisher nicht ber\u00fccksichtigt worden, was die deutschen Psychologen anbetrifft, nicht richtig, es k\u00e4men hier u. a. Dilthey, Lipps, Meinong in Betracht. R.'s Theorie selbst ist anfechtbar. Es gilt hier nicht zu beweisen, dafs Musik keine visuellen Vorstellungen erweckt, wie R. es versucht, sondern, dafs die Reihenfolge auditiver Vorstellungen durch eine rein affektive Phantasie bestimmt sei, w\u00e4hrend z. B. in der bildenden KunBt die entsprechenden formalen Verh\u00e4ltnisse nicht einen reinen Gef\u00fchlsausdrock darstellen w\u00fcrden. Das sind aber nur nebens\u00e4chliche Ausstellungen gegen\u00fcber dem Wert der neuen Gesichtspunkte, die R. in seinem Werke gibt.\nGeoethutsen (Berlin).\nMoritz Geiger. BemerkugOK nr Psychologie der GeflUtlselemente ud GefUls-verbindnngen. Arch. f. d. ges. Psychologie 4 (1 u. 2), 233\u2014288. 1904.\nDieser mit grofsem Fleifs und sch\u00f6nem Blick f\u00fcr die Vielgestaltigkeit des psychischen Geschehens gearbeitete Artikel stammt aus dem psychologischen Seminar der Universit\u00e4t M\u00fcnchen und steht auf dem Boden der Lipps'schen Gef\u00fchlslehre. Er ist meines Wissens der erste Versuch, die Mannigfaltigkeit wenigstens eines Teiles der konkreten Gef\u00fchlsgestaltungen vom Gesichtspunkte der genannten Lehre aus ph\u00e4nomenologisch (nicht genetisch) zu analysieren und in ein System zu ordnen.\nDer Verf. beginnt mit einer charakterisierenden Gegen\u00fcberstellung des Empfindungskomplexes und der Gef\u00fchlsverbindung und bestimmt den Begriff des Gef\u00fchlselementes dahin, dafs es den letzten Bestandteil eines Totalgef\u00fchles darstellt, der selbst\u00e4ndig auf einen Gegenstand bezogen werden","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n381\nkann. Durch die Forderung der Selbst\u00e4ndigkeit grenzt sich der Begriff des Gef\u00fchlselementes ab gegen den des Gef\u00fchlsmerkmales, das eben nicht selbst\u00e4ndig, sondern nur durch Vermittlung des Elementes auf den Gegenstand bezogen ist. \u201eDas Gef\u00fchl der Bewunderung einer Bilds\u00e4ule gegen\u00fcber w\u00e4re also kein Element, da die darin enthaltenen Gef\u00fchle der Lust sowohl, als auch der Spannung usw. sehr wohl gesondert ebenfalls auf ein Objekt bezogen werden k\u00f6nnen. Dagegen ist die eigenartige Beruhigung, die man gegen\u00fcber einem tiefen Blau f\u00fchlt, ein Element: Es l\u00e4fst sich die Beruhigung nicht weiter in Bestandteile zerlegen derart, dafs jeder Bestandteil die angegebene Bedingung erf\u00fcllt\u201c (S. 237). Im Gef\u00fchl der subjektiven Notwendigkeit ferner, das z. B. der D\u00fcrstende hat, ein Glas Wasser aus zutrinken, oder im Gef\u00fchl der objektiven Notwendigkeit, einen mathematischen Lehrsatz anzuerkennen, sind Subjektivit\u00e4t und Objektivit\u00e4t Merkmale des Gef\u00fchlselementes der (subj. oder obj.) Notwendigkeit; denn subjektiv oder objektiv ist nicht unser Tun, sondern dieses ist nur notwendig, und erst durch Vermittlung der Notwendigkeit sind auch Subjektivit\u00e4t oder Objektivit\u00e4t auf das Tun bezogen, geradeso wie bei den Empfindungen etwa Rot Eznpfindung8element, S\u00e4ttigung Merkmal ist; die Rose ist rot, das Rot ist ges\u00e4ttigt, nicht die Rose ist ges\u00e4ttigt.\nDie Gef\u00fchlselemente unterscheiden sich durch ihre Merkmale zun\u00e4chst nach \u201eGef\u00fchlsgrundlage\u201c (z. B. Lust gegen Erregung). Innerhalb jeder Grundlage ordnen sie sich nach Intensit\u00e4t, Richtungsgegensatz (Lust-Unlust) und Gef\u00fchlscharakter (Lust, Billigung, Sch\u00f6nheit; Hemmung, Notwendigkeit, Wirklichkeit). Innerhalb des Gef\u00fchlscharakters eventuell nach Gef\u00fchlsmodulation, Gef\u00fchlsf\u00e4rbung, Gef\u00fchlsbetonung und Gef\u00fchlsnuance. \u2014 Die theoretische Festlegung der vier letztgenannten Bestimmungen macht auf den ferner Stehenden den Eindruck des Unsicheren und Willk\u00fcrlichen. \u201eUm ein Beispiel herauszugreifen : Das Gef\u00fchl beim starken Hinsehen nach einem Gegenstand etwa geh\u00f6rt der Gef\u00fchlsgrundlage der Spannung-L\u00f6sung an. Seiner Intensit\u00e4t nach ist es nicht genau angebbar, aber jedenfalls am von 0 abgewandten Ende der Skala, seine Richtungsbestimmtheit ist positiv (Spannung), sein Gef\u00fchlscharakter Streben. Sein Gef\u00fchlscharakter i6t n\u00e4her bestimmt durch die Merkmale der Aktivit\u00e4t (Gef\u00fchlsmodulation); denn es ist ein Streben, bei dem keineswegs vom Gegenstand meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen wird, sondern bei dem ich meine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand richte. Zu den Gef\u00fchlsbetonungen w\u00e4ren die Unterschiede des Strebensgef\u00fchls zu rechnen, die sich auf die Seite am Gegenstand, die erstrebt wird, beziehen. Es k\u00e4me hier als Gef\u00fchlsbetonung also in Betracht, dafs es apperzeptives Streben ist, das hier vorliegt, dafs die Apperzeption des Gegenstandes erstrebt wird. Als Gef\u00fchlsf\u00e4rbung w\u00e4re die Entschiedenheit des Strebens anzusehen und als Gef\u00fchlsnuance diejenigen Merkmale am Streben, die bestimmt sind durch die Individualit\u00e4t des Gegenstandes, den ich betrachte\u201c (8. 249 f.).\nNachdem der Verf. so die Gef\u00fchlselemente festgelegt und geordnet hat (freilich ohne die in die einzelnen so gewonnenen Gruppen geh\u00f6rigen Gef\u00fchlselemente der psychologischen Empirie tats\u00e4chlich anzuf\u00fchren, er begn\u00fcgt sich vielmehr jeweils mit einem Beispiele), bestimmt er gewisser-\n25*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nLiteraturberickt.\nmafsen a priori die verschiedenen Formen m\u00f6glicher Gef\u00fchlskomplexe und schr\u00e4nkt sich dann seine Aufgabe dahin ein, die Formen der \u201eGef\u00fchk-verbindungen erster Ordnung\u201c, wenigstens die wichtigsten derselben, aufzuzeigen und mit konkreten Beispielen zu belegen. Eine Charakteristik dessen, was er bietet, l\u00e4fst sich am besten durch Anf\u00fchrung des Endergebnisses beibringen. Es gestaltet sich folgenderma\u00dfen :\n\u201e1. Verbindungen von Affektgef\u00fchlen. A. Verbindungen gegens\u00e4tzlicher Gef\u00fchle. 1. Gefflhlsverschmelzung (Mitleid). 2. Mehrdeutige Gef\u00fchisver-flechtungen. a) Gef\u00fchlsverdr\u00e4ngung (unangenehme Speise bei Hungen, b) Mehrdeutige Gef\u00fchlsverwebung (Sehnsucht). 3. Eindeutige Gef\u00fchls Verflechtungen, a) Eindeutige Gef\u00fchlsvereinheitlichung (\u00fcberwundene Anstrengung). b) Eindeutige Gef\u00fchlsverwebung (Entr\u00fcstung). 4. Zwischen-Verbindung zwischen Gef\u00fchlsverbindung und Verbindungsgef\u00fchlen, a) Gef\u00fchlssubordination (Rache, Neid). [5. Verbindungsgef\u00fchl : Vertiefungsgef\u00fchl.] B. Verbindungen verschiedenartiger Gef\u00fchle. 1. Gef\u00fchlsverdichtung ('\u00dcberraschung). 2. Gef\u00fchlsdurchdringung (Kraft). 3. Gef\u00fchlskoordination (leuchtendes Rot). 4. Gef\u00fchls\u00fcberh\u00f6hung (Schreck). 5. Gef\u00fchlsverkn\u00fcpfnng (freudige \u00dcberraschung). \u2014 II. Verbindungen von logischen Gef\u00fchlen. A. Verbindungen gegens\u00e4tzlicher Gef\u00fchle. [1. Verschmelzungsgef\u00fchl (M\u00f6glichkeit)]. 2. Gef\u00fchlsentgegensetzung (Zweifel). B. Verbindungen verschiedenartiger Gef\u00fchle. 1. Gef\u00fchlsnebeneinander (neue M\u00f6glichkeit]. III. Verbindungen logischer Gef\u00fchle mit Affektgef\u00fchlen. 1. Affektivlogische Gef\u00fchlsdurchdringung (Gewifsheit). 2. Logisch - affektives Gef\u00fchls nebeneinander (unangenehme Gewifsheit)\u201c (S. 288). \u2014 Alle die hier genannten Formen sind durch Kombination der verschiedenen Eigenschaften der Gef\u00fchlselemente gewonnen und definiert.\nDer Anh\u00e4nger der Lipps\u2019schen Gef\u00fchlstheorie wird in der vorliegenden Arbeit einen wertvollen Beitrag zum weiteren Ausbau dieser Lehre erblicken d\u00fcrfen und nicht Anstofs daran zu nehmen brauchen, dafs im einzelnen die vorgetragenen Analysen nach individuellem Ermessen noch Raum f\u00fcr abweichende Anschauungen lassen. Die Theorie selbst geht, was Festigung ihrer Beweisgrundlagen betrifft, \u00fcbrigens nicht im Widerspruch mit den Intentionen der Arbeit, leer aus; denn die Anwendung aufs Einzelne und Konkrete, die sie erf\u00e4hrt, ist nicht, wie es sonst wohl geschieht, darauf angelegt, einen indirekten Beweis f\u00fcr die Richtigkeit ihrer allgemeinen Positionen auszumachen. Deshalb ist auch die Arbeit f\u00fcr den, der in der Gef\u00fchlspsychologie entgegengesetzten Grundanschauungen huldigt, nur insofern von besonderem Interesse, als sie ihm an der Hand des. ausgedehnten Einzelmateriales, dessen sie sich bedient, und das mittels bewunderungsw\u00fcrdig feiner und reicher innerer Wahrnehmung herbeigeschafft ist, neuerdings die Einsicht vor das Bewufstsein stellt, dafs auch er von seinen weitaus einfacheren Voraussetzungen aus der Mannigfaltigkeit des Gef\u00fchlslebens gerecht zu werden vermag, und zwar dies besonders deshalb, weil er, was der Verf. als Eigenschaften der Gef\u00fchlselemente namhaft macht, kaum als letzte, nicht weiter zurflckf\u00fchrbare Elemente gelten zu lassen braucht.\tWrrasEK (Graz).","page":388}],"identifier":"lit32251","issued":"1905","language":"de","pages":"386-388","startpages":"386","title":"Moritz Geiger: Bemerkungen zur Psychologie der Gef\u00fchlselemente und Gef\u00fchlsverbindungen. Arch. f. d. ges. Psychologie 4 (1 u. 2), 233-288. 1904","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:38:48.276293+00:00"}