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{"created":"2022-01-31T16:34:32.162322+00:00","id":"lit32282","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Guttmann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 461-462","fulltext":[{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"Literatwbericht,\n461\nKarl Ludwig Schleich. Seelische Hemmungen. Nene Rundschau XV. Jahrgang, Heft 12. Berlin, S. Fischer. 1904.\nDer Name Kabl Schleich ist jedem Mediziner durch die nach ihm benannte Erfindung der \u201elokalen An\u00e4sthesie\u201c bekannt. Sein Buch \u201eSchmerzlose Operationen\u201c hat der Chirurgie neue Bahnen gewiesen. Die Form der \u00f6rtlichen Schmerzlosigkeit f\u00fcr operative Zwecke, die in der Einspritzung einer indifferenten Fl\u00fcssigkeit in das K\u00f6rpergewebe am Ort der Operation besteht, ist von 8chleich nicht zuf\u00e4llig gefunden worden; sie ist eine Frucht seiner theoretischen, auf anatomische und psychophysische Kenntnisse gest\u00fctzten Hypothese, dafs die Neuroglia, der Lymphapparat des Gehirns und R\u00fcckenmarks die Rolle isolierender, zwischen die Ganglienzellen eiugeschobener, feuchter Platten spiele. (Nach der sonst g\u00fcltigen Ansicht ist die Neuroglia nur \u201eSt\u00fctz- und N\u00e4hrgewebe\u201c.) Die Ganglienzellen entspr\u00e4chen Reizakkumulatoren und Transformatoren des Gehirns, in denen die Reizwellen gestaut w\u00fcrden. Erst die wechselnde Durchfeuchtung der Neuroglia aber f\u00fchre zur Entladung auf den Bahnen geringsten Widerstandes. Schleich verlegt also die Vorg\u00e4nge von Bahnung und Hemmung (\u201eStrom und Gegenstrom\u201c) vom Gehirnapparat aus in ein System nicht nerv\u00f6ser Natur, n\u00e4mlich in die an den Ganglien vorflberpassierende Blutfl\u00fcssigkeit.\nAuf eine Kritik der Theorie, die f\u00fcr die Praxis ein so stolzes Resultat gezeitigt hat, dafs heute unz\u00e4hlige Operationen \u201emit Schleich\u201c gemacht werden, sei hier nicht eingegangen, sondern nur ein Punkt besprochen, welcher zu der neuerdings wieder sehr in den Vordergrund des Interesses tretenden Frage nach den \u201espezifischen Sinnesenergien\u201c einen wichtigen Beitrag liefert: die Lehre vom Schmerz. Als schlagendstes Argument, dafs wir keine spezifischen 8chmerznerven h\u00e4tten, f\u00fchrt Schleich folgende von ihm zuerst gemachte und sp\u00e4ter wiederholt best\u00e4tigte Beobachtung an : wenn er (ohne Narkose nach seiner An\u00e4sthesierungsmethode) die Bauchh\u00f6hle eines Menschen er-\u00f6ffnete und an dem normalen Bauchfell, das gegen Schnitt, Stich und Hitze unempfindlich ist, operierte, bemerkte er nach wenigen Minuten an den der Manipulation ausgesetzten Stellen zuerst R\u00f6tung, dann Schmerzempfindlichkeit selbst gegen leiseste Ber\u00fchrung. Nach der vielfach in der Neurologie verbreiteten Theorie einer nur auf spezifischen Bahnen geleiteten Schmerzempfindung m\u00fcfsten also, da im Bauchfell sensible Bahnen fehlen, solche in wenigen Minuten \u201egewachsen\u201c sein. Auch aus anderen Gr\u00fcnden versage diese Theorie, w\u00e4hrend seine eigene Theorie alle bekannten Ph\u00e4nomene des Schmerzes erkl\u00e4re; sie lautet: \u201eSchmerz verm\u00f6gen nur die Nervenbahnen zu leiten, deren Ber\u00fchrung an sich normalerweise Tastgef\u00fchle ausl\u00f6st\u201c (sensible Nerven und Sympathikus). \u201eDer Schmerz ist ein Kurzschlufs elektro\u00efder Spannungen im Nervensystem\u201c; er kommt zustande durch Verletzung der Nerven-isolation, der Neuroglia. Diese Isolierung bewirkt Schleich experimentell mit dem Einspritzen seiner die Schmerzleitung verhindernden, die Tastleitung nicht beeintr\u00e4chtigenden Fl\u00fcssigkeitskomposition.\nDie Analogie zwischen dem \u00dcberspringen des elektrischen Funkens durch die gest\u00f6rte Isolierungsschicht (Kurzschlufs) und den Vorg\u00e4ngen im Nervensystem (Schmerz) wird nun von Schleich auf das Psychische \u00fcbertragen. \u201eAuch in der Seele gibt es einen Kurzschlufs elek-","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"462\nLiterat Krb'rich.t.\ntrolder Spannungen.\u201c Auf die sehr anregenden Anwendungen seiner Theorie in besag auf andere Probleme (Schlaf, Narkose, Ohnmacht, Epilepsie, Geisteskrankheiten, physikalische und chirurgische Therapie, Rhythmus, Bewegung u. a. m.) sei hier nur hingewiesen. Dafs er mit der Aufdeckung dieses \u201eMechanismus\u201c zwingend eine materielle Deutung verbunden habe, weist Schleich energisch ab, um sich gegen den Verdacht \u201eeines anmafslichen Materialismus\u201c zu sch\u00fctzen.\nG\u00fcttmanw (Berlin).\nF. Reutheb. Beitr\u00e4ge mr Bed\u00e4chtnilfonohnag. Wundts Psychologische Studien I (1), 4\u2014101. 1905.\nVerf. untersucht das Wiedererkennen fr\u00fcher dagewesener Reihenglieder. Er benutzt hierbei eine Methode, die er als die Methode der identischen Reihen bezeichnet, und die darin besteht, dafs eine Reihe von Gliedern der Versuchsperson zur Einpr\u00e4gung dargeboten wird und dann nach Verlauf einer bestimmten Zwischenzeit nochmals in ganz unver\u00e4nderter Gestalt vorgef\u00fchrt wird, ohne dafs die Versuchsperson erf\u00e4hrt, dafs die zuerst dargebotene und die sp\u00e4ter vorgef\u00fchrte Reihe v\u00f6llig identisch sind. Der Versuchsperson ist vielmehr mitgeteilt, dafs die Glieder der letzteren Reihe zu einem gr\u00f6fseren oder geringeren Teile neu sein k\u00f6nnen, ohne dafs die beiden Grenzf\u00e4lle ausgeschlossen seien, wo sie s\u00e4mtlich neu oder s\u00e4mtlich bereits in der fr\u00fcheren Reihe dagewesen sind. Die in dieser Weise instruierte Versuchsperson hatte bei jedem Gliede einer zum zweiten Male vorgef\u00fchrten Reihe sich zwischen den beiden Urteilen \u201ealt\u201c und \u201eneu\u201c zu entscheiden. Als Glieder aller Reihen dienten vierstellige Zahlen. Die Vorf\u00fchrung derselben fand sukzessiv mittels des von Wibth konstruierten Ged\u00e4chtnisapparates statt, der eine Vervollkommnung des bekannten RANSCHB\u00fcBGSchen Apparates darstellt.\nVerf. untersucht nun die Abh\u00e4ngigkeit, in welcher die Menge der wiedererkannten Glieder zu verschiedenen Faktoren steht. Er findet, dals diese Menge langsamer zunimmt als die Zahl der Darbietungen 1 der betreffenden Reihe. Wurde unter sonst gleichen Umst\u00e4nden die Expositionszeit jedes einzelnen darzubietenden Gliedes verl\u00e4ngert, so zeigte sich zwar im allgemeinen, aber nicht in einer von Schwankungen und Abweichungen freien Weise eine gleichzeitige Zunahme der Menge des Wiedererkannten. Bei wachsender Reihenl\u00e4nge ergab sich eine Zunahme der absoluten Menge, aber Abnahme der relativen Menge der wiedererkannten Glieder. Wurde die Zwischenzeit, die zwischen den Darbietungen einer Reihe und der Pr\u00fcfung des Wiedererkennens f\u00fcr dieselbe verflofs, verl\u00e4ngert, so verringerte sich die Menge des Wiedererkannten im Sinne einer anfangs 6teil abfallenden, sp\u00e4ter aber sich immer mehr verflachenden Kurve. Als da\u00bb zwischen je 2 Darbietungen einer und derselben Reihe verfliefsende Intervall in einer Versuchsreihe abwechselnd gleich 4 Sek., 1 Min., 2 Min.,\n1 Unter den Darbietungen einer Reihe oder eines Gliedes verstehe ich hier nur die zur Einpr\u00e4gung dienenden Vorf\u00fchrungen, nicht auch das zur Pr\u00fcfung des Wiedererkennens dienende Vorzeigen.","page":462}],"identifier":"lit32282","issued":"1905","language":"de","pages":"461-462","startpages":"461","title":"Karl Ludwig Schleich: Seelische Hemmungen. Neue Rundschau XV. Jahrgang, Heft 12. Berlin, S. Fischer. 1904","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:32.162327+00:00"}