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{"created":"2022-01-31T16:34:32.931536+00:00","id":"lit32295","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"B\u00e1r\u00e1ny, Robert","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 38: 34-50","fulltext":[{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\n(Ans der Universit\u00e4ts-Ohrenklinik [Vorstand: Hofrat Professor Polities]\nin Wien.)\nExperimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils.\n(\u00dcber mehrere von dem Grade der Aufmerksamkeit abh\u00e4ngige Urteilsph\u00e4nomene im Gebiete unsicherer taktiler Empfindungen.)\nVon\nDr. Robert Babany,\nDemonstrator der k. k. Universit\u00e4ts - Ohrenklinik.\nBei den in dieser Zeitschrift1 37, 321 u. 414 besprochenen taktilen Versuchen wurde ich auf mehrere Ph\u00e4nomene aufmerksam, die im folgenden beschrieben und erkl\u00e4rt werden sollen. Es sind dies Urteilsph\u00e4nomene, die mit der Mehrdeutigkeit der hier in Betracht kommenden taktilen Empfindungen Zusammenh\u00e4ngen und die sich in derselben oder einer \u00e4hnlichen Weise \u00fcberall finden d\u00fcrften, wo unsichere, mehrdeutige Empfindungen zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden.\nDie Resultate der vorliegenden Arbeit ergaben sich aus Versuchen, deren Anordnung zwar schon in der eingangs zitierten Arbeit beschrieben ist, des leichteren Verst\u00e4ndnisses wegen aber hier nochmals besprochen werden soll.\nIch bediente mich bei diesen Versuchen eines von Herrn Castagna, dem Mechaniker des physiologischen Institutes, nach unseren Angaben hergestellten Apparates.\nDie Aufgabe, die unser Apparat zu l\u00f6sen hatte, bestand darin, dafs auf der Stirne der Versuchsperson in beliebiger Richtung Striche gezogen werden sollten, die eben nach ihrer Richtung zu registrieren waren. Zu diesem Zwecke war \u2014 um\n1 Psychophysiologische Untersuchungen \u00fcber die Bedeutung des Statolithenapparates f\u00fcr die Orientierung im Raume an Normalen und Taubstummen von Dr. 6. Alexander und Dr. Robert Bar\u00e2nt.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag rur Psychologie des Urteils.\t35\nzun\u00e4chst das Prinzip unseres Apparates zu nennen \u2014 an dem einen Ende einer Metallachse eine Metallplatte mit einem Spalte angebracht, in welchem ein Stift verschiebbar war. An dem anderen Ende der Achse war ein mit dem Spalte parallel gestellter Zeiger befestigt, welcher auf einem Papiertransporteur bei jeder beliebigen Stellung des Spaltes die Richtung des Spaltes und damit auch des Striches auf der Stirn anzeigte.\nWas nun detailliert den Bau unseres Apparates anlangt, so bestand er in folgendem.\nEin in einer H\u00fclse verschiebbarer, vertikal gestellter Eisenstab (6) ist fix mit einer halbkreisf\u00f6rmigen Messingscheibe (c) von 124 mm Durchmesser verbunden. Die Mitte der Scheibe ist durchbohrt und tr\u00e4gt die erw\u00e4hnte, in dem Bohrkanal drehbare und von vom nach hinten verschiebbare Metallachse (d). Nach vom (beim Versuche gegen die Stirn der Versuchsperson gerichtet) ist an der Achse eine Messinggabel (e) befestigt, welche eine rechtwinklige Metallplatte (f) tr\u00e4gt.\nDiese Metallplatte ist um eine quere Achse drehbar und kann so stets parallel zur Stirn gestellt werden.\nDie Metallplatte besitzt einen, sie der L\u00e4nge nach durchsetzenden 40 mm langen und 3 mm breiten Spalt, welcher (r) als F\u00fchrung f\u00fcr den Beinstift (s) dient, mittels dessen die Striche auf der Stirn der Versuchsperson gezogen werden. Der 30 mm lange, stumpf endigende Stift ist an der Platte mittels einer Metallfeder (r) befestigt, welche beim Versuch den Stift an die Stirn der Versuchsperson stets angedr\u00fcckt h\u00e4lt. Die Verl\u00e4ngerung der Achse des Apparates trifft die Mitte des Spaltes, so dafs die 40 mm langen Striche alle Durchmesser eines Kreises sind, dessen Mittelpunkt mit der Achse des Apparates \u00fcbereinstimmt.\nDie Richtungen der auf der Stirn gezogenen Striche werden durch eine, am anderen (dem Experimentator zugekehrten) Ende\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nRobert B\u00e2r\u00e2ny.\nder Metallachse, parallel zum Spalte fix angebrachte Leiste (g) angezeigt. Diese Leiste spielt \u00fcber der Gradeinteilung eines auf der halbkreisf\u00f6rmigen Messingscheibe mittels zweier Klammern auswechselbar zu befestigenden Papiertransporteurs (t) und besitzt an ihrem Ende drei \u00fcbereinander stehende Durchbohrungen, in welchen je ein federndes, gespitztes Stiftchen (h) steckt. Durch Niederdr\u00fccken dieses Stiftchens entstehen auf der Gradeinteilung des Transporteurs drei radial \u00fcbereinander liegende punktf\u00f6rmige Eindr\u00fccke (zur Bezeichnung der Vertikal-, Rechts- und Links-Angaben). Der Transporteur mufs auf der Messingscheibe so befestigt werden, dafs er bei 90\u00b0 mit der Mittellinie des Apparates sich deckt und dafs das Zentrum der Teilung mit der Hauptachse des Apparates zusammenf\u00e4llt.\nDieser ganze Apparat wird auf den um eine sagittale Achse drehbaren und in jeder beliebigen Stellung fixierbaren \u201eKopfhalter\u201c (g) aufgeschraubt, w\u00e4hrend der Kopf der Versuchsperson durch Einbeilsen in ein ebenfalls an den Kopfhalter an-schraubbares \u201eBeifsbrettchen\u201c (a) fixiert wird. Dieses \u201eBeifs-brettchen\u201c wird mit in heifsem Wasser erweichter Gebifsmasse \u00fcberzogen, in welche die Versuchsperson kr\u00e4ftig hineinbeifst ; hierauf \u00f6ffnet die Versuchsperson den Mund, in kaltem Wasser erstarrt die Masse und bildet einen getreuen Abdruck der Z\u00e4hne, wodurch, wenn nun die Versuchsperson das Beifsbrettchen wieder in den Mund nimmt und denselben fest schliefst, jede Verschiebung des Kopfes ausgeschlossen ist. Sodann wird der Apparat so eingestellt, dafs der Elfenbeinstift die Stirn der Versuchsperson sanft ber\u00fchrt und bei Verschiebungen in beliebiger Richtung stets in Kontakt mit der Stirne bleibt.\nJe nachdem die Bestimmung nun bei geradem oder seitlich geneigtem Kopf vorgenommen werden soll, wird der Kopfhalter auf 0\u00b0 oder auf eine die Seitenneigung des Kopfes anzeigende Gradzahl eingestellt, die Versuchsperson schliefst die Augen und der Versuch kann beginnen.\nDie Versuchsperson hatte die Aufgabe, ein Urteil \u00fcber die Richtung des jeweilig auf ihrer Stirn gezogenen Striches abzugeben. Ihre Urteile lauteten senkrecht, rechts und links, rechts, wenn das untere Ende des Striches nach der rechten Schulter der Versuchsperson zielte. Die Urteile der Versuchsperson wurden so registriert, dafs das unterste Stiftchen des Registrier-","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils.\n37\napparates f\u00fcr das Urteil links, das mittlere f\u00fcr das Urteil senkrecht, das obere f\u00fcr rechts reserviert wurde.\nWurde ein und derselbe Strich zu verschiedenen Zeiten einmal als vertikal, einmal als rechts bezeichnet, so gab sich das dadurch zu erkennen, dafs der dem mittleren Stiftchen entsprechende Punkt und der dem oberen Stiftchen angeh\u00f6rige auf dem Transporteur genau \u00fcbereinander lagen; kamen derartige verschiedene Bezeichnungen bei mehreren Strichen vor, so \u00fcberlagerten die \u00fc(echts)-Punkte auf eine gr\u00f6fsere Strecke des Papiertransporteurs die F(ertikal) - Punkte. \u2014 Die Aussagen der Versuchsperson erfolgten fast durchgehende prompt und sicher ; nur selten war sie im Zweifel.\nBei den hier in Betracht kommenden Untersuchungen handelte es sich durchwegs um Bestimmungen der Lotrechten, d. h. die Versuchsperson hatte, w\u00e4hrend ihr Kopf gerade oder geneigt fixiert war, die Aufgabe, zu beurteilen ob die auf ihrer Stirn gezogenen Striche lotrecht (senkrecht im Raum) rechts oder links geneigt waren. Bei geradem Kopf wurde hierbei der Apparat so eingestellt, dafs die Senkrechte nicht in der Mitte der Stirn, sondern 2cm seitlich von der Stirnmitte gezogen wurde, und diese Versuche wurden kurz als Bestimmungen der Senkrechten RvdM oder LvdM bezeichnet. Aufserdem wurden hier auch Versuche, in welchen die Senkrechte im Raum bei geneigtem Kopfe in der Mitte der Stirn bestimmt wurde, verwendet, und letztere Versuche kurz als StR-Versuche bezeichnet.\nAlle die taktilen Versuche haben das gemeinsame, dafs die Senkrechte nicht scharf bestimmt wird, sondern dafs sich ein gr\u00f6fseres Gebiet (von 5\u00b0\u201430\u00b0) auf der Stirn ergibt (von uns \u201eunsicheres Feld\u201c (UF) genannt), innerhalb dessen F(ertikal)-Angaben Vorkommen. Diese P-Angaben sind rechts und links \u00fcberdeckt (auf dem Papiertransporteur) von R(echts)- und L(inks)-Angaben, welche letzteren in der Mitte des unsicheren Feldes (UF) entweder durch ein kleines Feld blofser F-Angaben getrennt sind, sich daselbst ber\u00fchren oder auch auf eine kurze Strecke \u00fcberkreuzen. Das UF hatte f\u00fcr je eine Bestimmung, die aus ca. 20\u2014100 Strichen bestand, eine gewisse Gr\u00f6fse und Lage. Bei wiederholten Bestimmungen derselben idealen Linie (z. B. der Senkrechten LvdM) aber wechselte diese Lage.\nAlle untersuchten Versuchspersonen, sowohl Vollsinnige als Taubstumme, zeigten die von mir zu besprechenden Ph\u00e4nomene","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nBoberl B\u00e0rdny.\nin gleicher Weise, und wenn ich bei der Besprechung derselben haupts\u00e4chlich die Resultate des Taubstummen B. anf\u00fchre, so geschieht dies nur deshalb, weil von ihm die meisten Versuchszahlen vorhegen. Um den Ablauf des Versuches jederzeit vollst\u00e4ndig vor Augen zu haben, habe ich bei Versuchen, die zur Kl\u00e4rung der hier in Betracht kommenden Fragen ausgef\u00fchrt wurden, folgende Methode angewandt. Es wurden die Angaben der Versuchsperson vom Experimentator sofort einer HilfsperBon diktiert, die dieselben in Form einer Kurve zu Papier brachte. Bei dem untersuchten Taubstummen ergab sich hierbei keine Schwierigkeit. Bei den vollsinnigen Versuchspersonen wurden Grad zahl und Urteil in einer der Versuchsperson fremden Sprache angegeben. Die Versuchsperson lernte aber auch bald diese Ausdr\u00fccke verstehen. Dabei zeigte es sich nun, dafs auch die Kenntnis der Angaben auf den Ablauf des Versuches keinen Einflufs hatte, so dafs im weiteren Verlauf darauf keine R\u00fccksicht genommen zu werden brauchte, dafs die Versuchsperson die Angaben verstand. F\u00fcr die Untersuchung der hier in Betracht kommenden Ph\u00e4nomene stehen mir 254 Versuche an dem Taubstummen B., 95 Versuche an dem Taubstummen Z., 44 Versuche an dem Normalen Dr. Bar., 64 an dem Normalen Dr. B. zur Verf\u00fcgung.\nDie hier beobachteten Ph\u00e4nomene ergaben sich, wenn man die Striche nicht regellos bald rechts geneigt, bald links geneigt, bald vertikal zog, sondern sie, z. B. mit links geneigten Strichen beginnend, in kleinen Abst\u00e4nden, etwa 10\u20145 0 des Transporteurs entsprechend, aufeinander folgen liefe ; es traten dann nach den L-Angaben V- Angaben, schliefslich, bei B - Neigung der Striche, R-Angaben auf. Eine derartige Folge von L-, V- und \u00dc-Angaben bezeichnete ich als \u201eHinweg\u201c. Liefe ich nun die Striche in umgekehrter Reihe wieder aufeinander folgen, so bezeichnete ich dies als \u201eR\u00fcckweg\u201c.\nDas erste Ph\u00e4nomen kann kurz bezeichnet werden als eine Verschiebung der Vertikalangaben \u201eim Sinne der Bewegung\u201c und besteht in folgendem:\nWenn wir z. B. die Senkrechte links von der Mitte bestimmen lassen und hierbei, mit links geneigten Strichen beginnend, die Striche sich strahlenf\u00f6rmig aneinander reihen lassen, so dafs sie an Linksneigung allm\u00e4hlich abnehmen, dann senkrecht und","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils.\n39\nschlie\u00dflich rechte geneigt werden, so macht unsere Versuchsperson zun\u00e4chst L - Angaben, um dann an einer Stelle 1\u20142 F-Angaben zu machen, an die sich dann i2-Angaben anschliefsen.\nGehen wir nun denselben Weg zur\u00fcck, so zeigt sich nun die Erscheinung, auf die es mir ankommt. Es treten nat\u00fcrlich zuerst R-Angaben auf, dann folgen wieder 1\u20142 F-Angaben und dann L-An gaben.\nDie Lage der F-Angaben aber deckt sich nicht mit der Lage der F-Angaben des ersten Hinweges.\nAn der Stelle, wo auf dem ersten Hinwege F-Angaben gemacht wurden, finden sich nun R-Angaben und die F-Angaben des R\u00fcckweges liegen \u00fcber den Z-Angaben des ersten Hinweges.\nEs ist also zu einer Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c gekommen.\nWiederholen wir Hin- und R\u00fcckweg ein zweites und drittes Mal, so zeigt sich das erw\u00e4hnte Ph\u00e4nomen in gleicher Weise stets in voller Deutlichkeit\nBezeichnen wir die Angabe eines jeden Weges nicht weiter, so erhalten wir nach 3\u20144 Hin- und R\u00fcckwegen schematisch folgendes Bild1:\n80\u00b0\t82\u00b0\t84\u00b0\nV\tV\tV\nl\tl\tl\n86\u00ae\t88\u00ae\t90\u00ae\n92\u00ae\t94\u00ae\t96\u00ae\t98\u00b0\t100\u00ae\nr\tr\tr\tr\nV\tV\tV\tV\nWir haben also ein Feld von 10\u201420\u00b0 vor uns, in dem F-Angaben liegen, w\u00e4hrend die B-, L-Angaben sich ber\u00fchren oder ein wenig \u00fcberkreuzen.\nWenn wir die Angaben jedes Weges, wie wir dies zum genaueren Studium dieser Frage getan haben, sofort in Form einer Kurve auftragen lassen, so zeigt es sich, dafs das unsichere Feld dadurch zustande kommt, dafs eben die F-Angaben und damit auch die B- und Z-Angaben zweier aufeinander folgenden Wege im Sinne der Be wegung.ge geneinan der sich verschieben.\n1 In diesem Bilde ist auf die Zahl der einzelnen Angaben zun\u00e4chst keine R\u00fccksicht genommen","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nRobert B\u00e0r\u00e0ny,\n80\u00b0\t82\u00b0\t84\u00ae\t86\u00b0\t88\u00b0\t90\u00b0\t92\"\n1. Hinweg : +\u2022 \u00ee\tI\ti\tv\tv\tr\tr\nl\tv\tv\tr\tr\tr\tr \u2666\t1.\tR\u00fcckweg.\nDas zweite, etwas seltener zu beobachtende, dem ersten gerade entgegengesetzte Ph\u00e4nomen k\u00f6nnen wir als die \u201eentgegengesetzt dem Sinne der Bewegung gerichtete\u201c Verschiebung der F-Angaben bezeichnen. Es besteht in folgendem:\n. Wir haben wieder einen Hinweg von links her kommend absolviert und beginnen den R\u00fcckweg. Dabei tritt aber nun die erste V - Angabe noch innerhalb des Gebietes der fr\u00fcheren R-Angaben auf, es folgen 1\u20142 F-Angaben, dann die L-Angaben, die also die F-Angaben des ersten Hinweges \u00fcberdecken.\nWenn wir nun mehrere Hin- und R\u00fcckwege machen, so treten jedesmal beim Hinwege noch im Bereiche der L-Angaben des vorhergehenden R\u00fcckweges, beim R\u00fcckweg im Bereich der Jt-Angaben des vorhergehenden Hinweges die F-Angaben auf.\nWenn wir nun die Angaben der einzelnen Wege nicht weiter bezeichnen, so erhalten wir genau dasselbe Bild wie beim Versuch imSinne derBewegung. Nureine sofortige Registrierung der Angaben zeigt uns, dafs die Art, wie hier das unsichere Feld sich mit F-Angaben f\u00fcllte, genau die entgegengesetzte ist als die des vorherigen Versuches.\n80\u00ab\t82\u00b0\t84\u00b0\t86\u00b0\t88\u00b0\t90\u00b0\t92\u00ab\t94\u00bb\n1. Hinweg: >2\tl\tv\tv\tr\tr\tr\tr\nl\tl\tl\tl\tv\tv\tr\tr *\t1. R\u00fcckweg.\nDas dritte Ph\u00e4nomen besteht darin, dafs beim ersten R\u00fcckwege eine Verschiebung nicht auftritt, sondern die F-, R-und L- Angaben an genau derselben Stelle erfolgen wie beim ersten Hinwege. Auch dieses Ph\u00e4nomen wiederholt sich oft in 5 bis 6 aufeinander folgenden Hin- und R\u00fcckwegen.\nWir haben uns nun mit der Erkl\u00e4rung dieser Ph\u00e4nomene zu befassen.\nAm klarsten ist das dritte Ph\u00e4nomen. Dafs eine Verschiebung der Angaben durch mehrere Wege hindurch ausbleibt, kann nur darin liegen, dafs die Versuchsperson die taktile Empfindung","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils.\n41\ngenau gemerkt und mit der Vorstellung resp. dem Urteil Senkrecht f\u00fcr diese Zeit fest verbunden hat. Es wird durch ein solches Verhalten der Anschein geweckt, als ob wir es nicht mit unsicheren, mehrdeutigen, sondern mit eindeutigen, zweifellosen Empfindungen zu tun hatten, und erst die pl\u00f6tzlich eintretende Verschiebung belehrt uns eines Besseren.\nSo wie es sicher ist, dafs das Ausbleiben der Verschiebung auf der festen Verbindung von Empfindung und Urteil beruht, so ist es auch sicher, dafs die Verschiebung nur auf dem Nichtmerken dieser Verbindung beruhen kann. Die Merkf\u00e4higkeit begrenzt hier nur das Feld, innerhalb dessen die Verschiebung auftritt.\nDie Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Verschiebung sowohl \u201eim Sinne\u201c als .entgegengesetzt dem Sinne der Bewegung\u201c liegt in den Eigenschaften des unsicheren Feldes, die wir noch des n\u00e4heren besprechen m\u00fcssen.\nWenn wir bei einem Versuche, in dem eine Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c oder \u201eentgegengesetzt\u201c sich gezeigt hatte, die Angaben einer gr\u00f6fseren Zahl von Wegen addieren und f\u00fcr jeden Grad des unsicheren Feldes die Zahl der F-, R-und L-Angaben feststellen, so zeigt sich folgendes:\nIn der Mitte des unsicheren Feldes finden sich die meisten F-Angaben. Nach beiden Seiten hin nimmt ihre Zahl ab; dementsprechend nimmt die Zahl der L-Angaben gegen die linke Seite des unsicheren Feldes zu und gegen die Mitte ab. Die Zahl der \u00c6-Angaben wieder hat auf der rechten Seite des unsicheren Feldes ihr Maximum.\nNehmen wir die Zahlen eines bestimmten Versuches:\nTaubstummer B. Versuch 9 vom 14. Juni 1903 mit 14 Hin-und R\u00fcckwegen zeigt folgendes Verhalten. Gr\u00f6fse des VF von 67\u00ab\u201479 \u00b0, Mitte des UF bei 73\u00b0, Mitte der R-, L- Angaben bei 72\u00ab; dieselben \u00fcberkreuzen sich nicht, sondern ber\u00fchren sich bei 72\u00b0. In dem Gebiete von 70\u00b0\u201475\u00b0 finden sich 18 Vertikalanlagen, 7 bei 73\u00b0. \u2014 Zwischen 67\u00b0 und 69\u00b0 nur 2, zwischen 76\u00b0 und 79\u00b0 4 Vertikalangaben. In dem Gebiete von 70\u00b0\u201472\u00b0 finden sich 7 L- Angaben, zwischen 72\u00b0 und 76\u00b0 9 R - Angaben. Zwischen 67\u00b0 und 69\u00b0 finden sich 11 L- Angaben, zwischen 76\u00b0","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nRobo t B\u00e0n\u00eeny.\nund 79\u00b0 13 R-Angaben, bei 72\u00b0 finden sich 2 i?-Angaben und 3 L- Angaben.\n67\u00b0\t68\u00b0\t69\u00ab\t70\u00bb\t71\u00b0\t72\u00b0\t73\u00b0\t74\u00b0\t75\u00ae\t76\u00ae\t77\u00ae\t78\u00ae\t79\u00b0\ni\t|\ni ______________j____________I\n'TTUT' Tl\ti i\tTr\tTTWr\n'\tfis?\t\u2019\nMan sieht also deutlich das besprochene Verhalten, wenn auch der einzelne Versuch kleine Unregelm\u00e4fsigkeiten bietet, wie z. B. die grofse Zahl von R- und L-Angaben an der Ber\u00fchrungsstelle der L-, R - Angaben.\nMan sollte meinen, dafs, da die Vertikale als Trennungslinie zwischen rechts und links eine ideale Linie ist, das Feld der F-Angaben dementsprechend ein \u00e4ufserst kleines sein werde. Es mufs \u00fcberraschend wirken, dafs die F- Angaben sich auf ein 60 grofses Gebiet erstrecken. Da ferner das vertikal ist, was weder rechts noch links ist, so m\u00fcfste man annehmen, dals dort, wo die Unsicherheit besteht, ob eine Linie vertikal ist, man ebensosehr zwischen r und l schwanken werde, und dafs daher im Gebiete der F-Angaben auch allenthalben R- und L-Angaben sich \u00fcberkreuzen. Dem ist aber in Wirklichkeit nicht so.\nDas tats\u00e4chliche Verhalten wird am besten durch folgende schematische Zeichnung illustriert:\n\t\t1 r\t\t\t\n2 o\t3 v\t4 v\t2 r\t3 r\t4 r\n3 l\t2 l\t1 l\t3 o j\t, 2 v\t1 V\n82\u00bb\t84\u00bb\t86\u00bb\t88\u00bb\ti 90\u00ae\t92\u00bb\nIn dieser Zeichnung bedeuten die Zahlen von 80\u00b0\u201492\u00b0 die Gradzahlen des unsicheren Feldes. Die Bezeichnungen \u201ev l r\u201c bedeuten die Urteile, die beigegebene Zahl die Zahl der Urteile der Versuchspersonen bei den einzelnen Graden des unsicheren Feldes.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag ear Psychologie des Urteils.\n43\nEs sind also wohl die Empfindungen im ganzen Gebiete des UF unsichere, mehrdeutige, aber nur in der Mitte des UF lassen sie drei Deutungen (V, R und L) zu, zu beiden Seiten blofs zwei (V und E, V und L) und wie unsere Versuchszahlen zeigen, ist auch diese Doppeldeutigkeit der Empfindungen zu beiden Seiten des UF nicht \u00fcberall gleich, sondern je mehr wir uns den Grenzen des UF n\u00e4hern, desto geringer ist die Unsicherheit in der Deutung der Empfindung, desto mehr n\u00e4hert sich die Empfindung der eindeutigen aufserhalb des UF. Den Tatsachen des Experiments werden wir dadurch am besten gerecht, dafs wir die Zahlen der abgegebenen Urteile einfach als ebensoviele Riehtungswerte betrachten, die den einzelnen Graden des UF zukommen.\nDurch die Einf\u00fchrung der Bezeichnung der Richtungswerte f\u00fcr die Empfindungen des UF geschieht nichts weiter, als dafs wir zeitlich auseinanderliegende, verschiedene Urteile \u00fcber ein und dieselbe Empfindung alsAusdruck der Mehrdeutigkeit der Empfindung betrachten, die sich in unseren Versuchen eben nicht momentan durch die Unsicherheit des abgegebenen Urteils dokumentiert, sondern erst durch eine Reihe aufeinander folgender, voneinander verschiedener Urteile enth\u00fcllt wird.\nDort, wo F-, R- und L-Urteile in gleicher Zahl Vorkommen, dort besitzt die betreffende Stelle des UF eine gleich grofse Zahl von F-, R- und L -Werten f\u00fcr unsere Empfindung, dort wo blofs F- und fi-Urteile Vorkommen, fehlen die Werte und sind blofs R- und F-Werte vorhanden; ferner: die taktile Empfindung, die dem in der Mitte des unsicheren Feldes gelegenen Striche entspricht, hat die meisten V-Werte beigeordnet, daneben nur wenige R- und L-Werte; die Striche nach beiden Seiten hin enthalten immer weniger F- und immer mehr R- resp. L-Werte.\nWenn wir nun diese einzige Annahme machen, dafs die Angabenzahlen, wie wir sie in unseren Versuchen finden, den Richtungswerten der einzelnen Grade entsprechen, so k\u00f6nnen wir alle beobachteten Ph\u00e4nomene auf das einfachste erkl\u00e4ren.\nDie Verschiebung im Sinne der Bewegung kommt dadurch zustande, dafs, wenn wir von links kommen, die Versuchsperson","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nRobert B\u00e2nimj.\nsolange \u201elinks\u201c sagt, als es ihr durch die den einzelnen Graden des unsicheren Feldes zukommenden Linkswerte halbwegs m\u00f6glich ist. Erst in dem Momente, wo die Linkswertigkeit des gezogenen Striches bereits eine sehr geringe, die F-Wertigkeit eine sehr hohe ist, sagt die Versuchsperson \u201evertikal.\u201c \u2014 Nun aber bleibt sie wieder bei ihrer F- Angabe, bis erst bei starker .R-Wertigkeit R-Aussagen auftreten, zu einer Zeit, wo eben schon fast keine Spur von F-Wertigkeit mehr vorhanden ist. Wenn nun der R\u00fcckweg angetreten wird, so bleibt die Versuchsperson jetzt bei ihrer R-Angabe so lange, bis sie durch das Fehlen jedes R-Wertes gezwungen ist, \u201evertikal\u201c zu sagen, und bei der F-Angabe so lange, bis sie durch das Fehlen jeder F-Wertigkeit zur L-Angabe gezwungen wird.\nMan sieht also, dafs die Ursache f\u00fcr die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c darin liegt, dafs die Versuchsperson bei ihrem einmal abgegebenen Urteile jedesmal m\u00f6glichst lange verharrt.\nGanz das Gegenteil von diesem Verhalten stellt die \u201edem Sinne der Bewegung entgegengesetzte\u201c Verschiebung dar. Hier sagt die Versuchsperson bereits bei 80\u00b0 \u201evertikal\u201c und bei 86\u00b0 \u201erechts\u201c und beim R\u00fcckweg bei 92\u00b0 \u201evertikal\u201c und bei 86\u00b0 bereits \u201elinks\u201c, d. h. die Versuchsperson bemerkt bereits den geringsten Einschlag von F- resp. R- oder L-Wertigkeit, um sofort ihr Urteil zu \u00e4ndern. \u2014\nDieAngaben imVerlaufe eines Versuches folgen einander nicht so regelm\u00e4fsig, wie dies das Schema angibt. Es ist bald mehr, bald weniger Raum zwischen je zwei Angaben. Nehmen wir an, dafs die Angaben sehr dicht gedr\u00e4ngt sind, also in sehr kleinen Abst\u00e4nden aufeinander folgen, so sind die Unterschiede der R-, F- resp. L-Wertigkeit bei zwei aufeinander folgenden Angaben sehr gering, dagegen desto gr\u00f6fser, je weiter auseinander die Angaben gelagert sind. Die Chancen f\u00fcr eine Unterscheidung zweier aufeinander folgender Striche in bezug auf ihre R-, F-resp. L-Wertigkeit sind also um so gr\u00f6fsere, je weiter auseinander die Angaben liegen, desto kleinere, je n\u00e4her sie beieinander gelagert sind. Von vornherein wird man daher annehmen m\u00fcssen, dafs dort, wo die Angaben dichter gelagert sind, die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, dort,","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils.\n45\nwo sie weiter auseinander gelagert sind, die Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c sich einstellen wird. Ich habe nun bei einer gr\u00f6fseren Zahl von Wegen, im ganzen 57, diese Voraussetzung gepr\u00fcft und habe \u00fcberraschenderweise das Gegenr teil des Erwarteten gefunden. Ich berechnete die Zahl der Angaben vom Beginn des Weges bis zur ersten Vertikalangabe (inkl.) dividiert durch die Gradzahl des zur\u00fcckgelegten Weges f\u00fcr die Wege mit Verschiebung \u201eimSinne der Bewegung\u201c, \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c und ohne Verschiebung. Dabei ergab sich nun, dals f\u00fcr die Wege \u201eim Sinne der Bewegung\u201c die Dichtigkeit 4/10, f\u00fcr die Wege ohne Verschiebung 5/10, f\u00fcr die Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c */io betrug.\nWenn wir diese Zahlen illustrieren, so heifst das:\nDichtigkeit der Angaben bei der Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c */io:\nDichtigkeit der Angaben ohne Verschiebung\nDichtigkeit der Angaben bei der Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c \u00ae/io*\n8\u00b0\n\\\nDie Punkte bedeuten die Angaben.\n0\u00bb\t2\u00b0 1\t4\u00bb\n\u2022\t1\t\u2022\n0\u00b0\t2\u00bb 1\t4\u00bb\n\u2022\t\t\u2022 !\n!\n8\u00b0 10\u00b0\n{\n8\u00b0 10\u00bb\n\u2022 \u2022\nAlso trotz der gr\u00f6fsten Dichtigkeit der Angaben findet die \u201eder Bewegung entgegengesetzte\u201c Verschiebung statt und trotz der geringsten Dichtigkeit, also den f\u00fcr die Differenzierung g\u00fcnstigsten Verh\u00e4ltnissen, findet die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c statt.\nDieses Resultat beweist eklatant, dafs es nicht die schwierigere oder leichtere Unterscheidbarkeit ist, welche die Verschiebung \u201eim Sinne\u201c oder \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c verursacht. Es beweist, dafs wir die Ursache f\u00fcr dieses Verhalten nicht in den Empfindungen selbst suchen d\u00fcrfen. Die Ursache finden wir nun in der Art resp. dem Grade der Aufmerksamkeit. Es ist ja klar, dafs es einer weit sch\u00e4rferen Aufmerksamkeit bedarf, bereits geringe Differenzen zwischen zwei auf-","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nRobert Bard it y.\neinander folgenden Empfindungen zu erkennen, als sich erst durch handgreifliche Unterschiede zu einer \u00c4nderung desUrteils quasi zwingen zu lassen. Man kann daran denken, dafs es nicht so sehr der Grad als die Art der Aufmerksamkeit ist, welche die Verschiebung \u201eim Sinne\u201c und \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c hervorruft. Ist n\u00e4mlich die Aufmerksamkeit auf das bei den aufeinanderfolgenden Empfindungen gleichbleibende gerichtet, so kommt die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c zustande, ist sie dagegen auf das sich \u00e4ndernde gerichtet, so erfolgt die Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c. Aber auch hier ist es klar, dafs es leichter ist, das Gleichbleibende trotz geringer Ver\u00e4nderungen festzuhalten, als trotz des Gleichbleibens eines grofsen Teiles der Empfindung kleine Differenzen zu erkennen. Also auch hier m\u00fcssen wir f\u00fcr die Verschiebung \u201eim Sinne\u201c und \u201eentgegen dem Sinne\u201c der Bewegung verschiedene Grade der Aufmerksamkeit annehmen. Beim Versuche selbst hat der Experimentator den unmittelbaren Eindruck, dafs bei der der Bewegung entgegengesetzten Verschiebung die Versuchsperson eine mehr aktive, bei der Verschiebung im Sinne der Bewegung eine mehr passive Rolle spielt. Im ersteren Falle bestimmt die Versuchsperson selbst den Gang des Versuches, im zweiten wird sie durch den Gang des Versuches bestimmt. Man hat oft direkt den Eindruck, es mit einem willenlosen Gesch\u00f6pf zu tun zu haben, wenn bei der Verschiebung im Sinne der Bewegung der Experimentator die Richtung der Bewegung willk\u00fcrlich wechselt, und die Versuchsperson je nach dem Willen des Experimentators demselben Strich bald das Urteil \u201evertikal\u201c, bald \u201erechts\u201c oder \u201elinks\u201c erteilt. Dieser unmittelbare Eindruck bestimmte mich auch, die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c als eine suggestive zu bezeichnen. Diesen Namen darf man ihr jedoch nur dann geben, wenn man annimmt, dafs die Tr\u00e4gheit, mit der die Versuchsperson bei dem einmal abgegebenen Urteil verharrt, nicht eine Folge eines geringeren Grades oder einer besonderen Art der Aufmerksamkeit, sondern darin begr\u00fcndet ist, dafs in dem einmal abgegebenen Urteil die Suggestion liegt, es zu wiederholen \u2014 \u00e4hnlich wie bei den unbewufsten Automatismen \u2014 biB durch die \u00e4ulseren Umst\u00e4nde eine \u00c4nderung des Urteils direkt erzwungen wird. Subjektive Beobachtung w\u00e4hrend dieser Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c hat nichts ergeben, was f\u00fcr","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag nur Psychologie des Urteils.\n47\ndiese Deutung der Erscheinung sprechen w\u00fcrde. Die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c trat bei mir auch ein, wiewohl mir der Experimentator in eigens deshalb angestellten Versuchen die Lage jeder meiner Angaben w\u00e4hrend des Versuches jedesmal vor dem n\u00e4chsten Strich mitteilte. Ich konnte eben nur so und nicht anders urteilen, ohne aber subjektiv irgend etwas \u00fcber die Gr\u00fcnde meines Urteilens aussagen zu k\u00f6nnen. Wenn man aber trotzdem diese Deutung der Erscheinung annehmen w\u00fcrde, m\u00fcfste man f\u00fcr die Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c annehmen, dafs hier unter dem Einflufs eines h\u00f6heren Grades von Aufmerksamkeit die Suggestion ausbleibt, die bei geringerem Grade der Aufmerksamkeit die Verschiebung im Sinne der Bewegung bewirkt.\nWas die relative H\u00e4ufigkeit der beiden Verschiebungen zueinander anlangt, so finden wir bei Betrachtung unserer Kurvenversuche, dafs die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, entsprechend der gr\u00f6fseren Leichtigkeit der Aufgabe, weitaus h\u00e4ufiger ist als die Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c. Auch in bezug auf die durchschnittliche Gr\u00f6fse unterscheiden sich die beiden Verschiebungen. Die diesbez\u00fcglichen Zahlen sind:\nTaubstummer B. Versuche LvdM.\n91 Wege mit Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 4,8\u00b0.\n38 Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 2,9\u00b0.\n46 Wege ohne Verschiebung.\nTaubstummer B. SiR-Versuche.\n66 Wege mit Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 3,7\u00b0.\n50 Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 2,8 \u00b0.\n63 Wege ohne Verschiebung.\nTaubstummer Z.\n34 Wege mit Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 11 \u00b0.\n9 Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 8\u00b0.\n42 Wege ohne Verschiebung.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nRobert B\u00e2r\u00e2ny.\nNormaler Dr. Bm.\n18 Wege mit Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 3,5\u00b0.\n13 Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 3,1 13 Wege ohne Verschiebung.\nNormaler Dr. B.\n55 Wege mit Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 6\u00b0.\n2 Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c, durchschnittliche Gr\u00f6fse der Verschiebung 2 ljt \u00b0.\n7 Wege ohne Verschiebung.\nAus den mitgeteilten Zahlen ersehen wir, dafs \u00fcberall die Wege mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c auch die kleineren Verschiebungen zeigen. Es h\u00e4ngt dies gewifs damit zusammen, dafs mit der gr\u00f6fseren Aufmerksamkeit auch die Merkf\u00e4higkeit gesteigert wird und dadurch das Feld, auf welchem die Verschiebung stattfindet, sich verkleinert.\nWenn wir die einzelnen Wege in ihrer Aufeinanderfolge betrachten, so werden wir gewahr, dafs nicht Verschiebung im Sinne der Bewegung, \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c und keine Verschiebung ganz kunterbunt durcheinandergehen, sondern dafs fast durchwegs auf mehrere Wege mit Verschiebung \u201eimSinne der Bewegung\u201c solche mit entgegengesetzter oder fehlender Verschiebung folgen.\nDabei bemerken wir nun, dafs stets entgegengesetzte und fehlende Verschiebung eng miteinander Zusammengehen. W\u00e4hrend fast nie mehrere Wege mit Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c durch einen solchen mit Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c unterbrochen werden, finden sich mitten zwischen Wegen ohne Verschiebung solche mit entgegengesetzter oder mitten zwischen solchen mit entgegengesetzter, solche ohne Verschiebung. Wir k\u00f6nnen daraus den Schlufs ziehen, dafs der Seelenzustand, in welchem die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c auftritt, gew\u00f6hnlich eine Zeitlang anh\u00e4lt, bevor er demjenigen Platz macht, in welchem die Verschiebung","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Experimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils.\n49\n\u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c auftritt, dafs aber der Seelenzustand, in welchem die Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c auftritt, nahe verwandt ist demjenigen, in welchem eine Verschiebung ausbleibt. Wir k\u00f6nnen ferner sagen, dafs diese Seelenzust\u00e4nde durch einen besonderen Grad der Aufmerksamkeit und der Merkf\u00e4higkeit charakterisiert sind.\nZusammenfassung.\n1.\tBei der Verwendung taktiler Empfindungen zur Bestimmung der \u201eSenkrechten im Raum\u201c findet sich, dafs die Bestimmung nicht scharf erfolgt, sondern, dafs sich ein gr\u00f6fseres Gebiet ergibt, in welchem Vertikalangaben Vorkommen. (Unsicheres Feld.)\n2.\tVerh\u00e4ltnism\u00e4fsig selten ist die Merkf\u00e4higkeit der Versuchspersonen so grofs, dafs wenigstens f\u00fcr eine Zeitlang bei mehreren Hin- und R\u00fcckwegen ein und dieselbe Empfindung als Vertikal bezeichnet wird.\n3.\tIn der Regel treten beim Hin- und R\u00fcckweg regelm\u00e4fsige Verschiebungen der Vertikalangaben auf, die bald im Sinne, bald entgegen dem Sinne der Bewegung erfolgen.\n4.\tDiese Verschiebungen beruhen auf der Mehrdeutigkeit der Empfindungen des unsicheren Feldes; es besitzen n\u00e4mlich die Empfindungen zu beiden Seiten des Unsicheren Feldes nach der Mitte zu abnehmende Rechts- resp. Linkswerte und nach der Seite zu abnehmende Vertikalwerte.\n5.\tDie Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c kommt dadurch zustande, dafs die Aufmerksamkeit auf das an den aufeinander folgenden Empfindungen gleichbleibende gerichtet ist, also wenn man z. B. von links her kommt, dafs die Versuchsperson so lange die Linkswertigkeit der Empfindung im Auge beh\u00e4lt und danach urteilend Linksaussagen macht, bis jede Spur von Linkswertigkeit verschwunden ist.\n6.\tDem entgegengesetzt tritt die Verschiebung entgegen dem Sinne der Bewegung dadurch auf, dafs die Aufmerksamkeit auf das an den Empfindungen sich \u00e4ndernde gerichtet ist, also wenn man von links her kommt, sofort eine Vertikalangabe auftritt, sowie nur eine Spur von Vertikalwertigkeit zur Linkswertigkeit hinzutritt.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie S8.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nHobart B\u00e0rdtiy,\n7.\tDurch Berechnungen an der Hand der Kurven ergab sich, dafs die ersterw\u00e4hnte Art der Aufmerksamkeit dem Grade nach geringer ist als die zweite, was sich auch ohne weiteres verstehen l\u00e4fst, da es ja viel schwerer ist, einen minimalen Unterschied sofort zu erkennen, als erst bei grobem Unterschied sein Urteil zu wechseln.\n8.\tDie beiden Grade und Arten der Aufmerksamkeit wechseln nicht regellos ab, sondern stets h\u00e4lt eine jede von ihnen eine gewisse Zeit an, bevor sie der anderen Platz macht.\n9.\tDer Seelenzustand, in welchem eine Verschiebung \u201eentgegen dem Sinne der Bewegung\u201c erfolgt, ist nahe verwandt dem Seelenzustand, in welchem durch mehrere Hin- und R\u00fcckwege eine Verschiebung der Vertikalangaben nicht eintritt, entsprechend dem bei den gemeinsamen h\u00f6heren Grade der Aufmerksamkeit und Merkf\u00e4higkeit, w\u00e4hrend die ersten beiden von dem Seelenzustande, in welchem die Verschiebung \u201eim Sinne der Bewegung\u201c auftritt, wesentlich verschieden sind.\n10.\tEin Einflufs der Erm\u00fcdung auf den Wechsel der erw\u00e4hnten Aufmerksamkeitsgrade liefs sich nicht erkennen, wiewohl die Versuche wiederholt ohne Unterbrechung durch mehr als 1 Stunde fortgesetzt wurden.\nIch bin am Schl\u00fcsse meiner Ausf\u00fchrungen angelangt und m\u00f6chte nur noch Herrn Hofrat Professor Politzee sowie Herrn Dozenten Dr. Sachs f\u00fcr die vielfachen Anregungen, die sie mir bei der Diskussion der hier beobachteten Ph\u00e4nomene gegeben haben, meinen herzlichsten Dank sagen.\n(Eingegangen am 2. Dezember 1904.)","page":50}],"identifier":"lit32295","issued":"1905","language":"de","pages":"34-50","startpages":"34","title":"Experimenteller Beitrag zur Psychologie des Urteils: \u00dcber mehrere von dem Grade der Aufmerksamkeit abh\u00e4ngige Urteilsph\u00e4nomene im Gebiete unsicherer taktiler Empfindungen","type":"Journal Article","volume":"38"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:32.931541+00:00"}