Open Access
{"created":"2022-01-31T16:36:44.758109+00:00","id":"lit32308","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Saxinger","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 437-439","fulltext":[{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht\nJ. T\u00fcrkheim. Zur Psychologie des Willens. W\u00fcrzburg, Stahel\u2019sche Verlags-\nanstalt, 1900. 181 S. Mk. 1,80.\nDer Verf. behandelt im ersten Theil des Buches die Frage nach dem Wesen des Willens. Der Wille soll mit dem Schmerz (Schmerzgef\u00fchl) identisch sein. Das ist der Grundgedanke des Buches, auf den die weiteren Ausf\u00fchrungen immer wieder zur\u00fcckkommen. Ich glaube nicht, dafs diese Auffassung Anklang finden wird. Ebensowenig wird die Ansicht des Verf.\u2019s dafs der Schmerz positiver, Lust dagegen negativer Natur sei, durchdringen. T\u00fcrkheim sucht uns vergeblich einzureden, dafs das, was wir innerlich als Lust erleben, eigentlich nichts anderes als aufh\u00f6render Schmerz oder untergehender Wille sei.\nDer zweite Theil des Buches hat die Aufgabe die Beziehungen darzustellen, in welchen die Gef\u00fchle zu dem \u00fcbrigen Bewufstseinsinhalt stehen. Der Verf. untersucht hier insbesonders die Frage nach dem Einflufs der Gef\u00fchle auf die Entwickelung der geistigen Gebilde. Weiters bespricht er die Ursachen, welchen die einzelnen Gef\u00fchle ihre Anwesenheit im Bewufst-sein verdanken. Es sind die physiologischen, die pathologischen, und intellectuelle Vorg\u00e4nge aller Art, welche bei der Hervorbringung der Gef\u00fchle betheiligt sind. In betreff des Probl\u00e8mes der Willensfreiheit vertritt der Verf. die Ansicht, dafs es keine Willensfreiheit giebt. An die Untersuchung dieses Problems reiht sich dann eine Er\u00f6rterung \u00fcber die Entstehung des Charakters und die Bedeutung desselben f\u00fcr den Lebenslauf des Individuums. Hier steht der Verf. auf dem Standpunkt, dafs der Charakter angeboren ist, und dafs Erziehung und Umgebung nur im beschr\u00e4nkten Maafse Einflufs auf die Ausgestaltung desselben gewinnen k\u00f6nnen. Den Schlufs des Buches bilden Ausf\u00fchrungen \u00fcber den Begriff der Gl\u00fcckseligkeit.\nBemerkenswerth erscheint noch, dafs in dem Buche vielfach auch metaphysische Aufstellungen Vorkommen. Die metaphysischen Anschauungen des Verf.\u2019s sind nicht ohne Einflufs auf die Behandlung psychologischer Fragen geblieben.\tSaxinger (Linz).\nHermann Schwarz. Psychologie des Willens (zur Grundlegung der Ethik)*\nLeipzig, Engelmann, 1900. 381 S.\nDas Buch ist anziehend geschrieben und bietet dem Psychologen vielseitige Anregung. In \u00fcbersichtlicher Weise werden die Erscheinungen des Willenslebens behandelt und durch gl\u00fccklich gew\u00e4hlte Beispiele erl\u00e4utert. Ebenso finden Fragen aus dem Bereiche der Gef\u00fchle im engen Anschlufs an die Darstellung der Willensvorg\u00e4nge ihre Er\u00f6rterung. Bemerkenswerth erscheint auch der metaphysische Standpunkt des Verf.\u2019s. Schwarz zeigt sich als ein entschiedener Gegner einer rein naturwissenschaftlichen Betrachtung des Menschen. W\u00e4hrend man sich in der Psychologie zumeist gew\u00f6hnt hat, unter Seele die Gesammtheit der seelischen Vorg\u00e4nge zu begreifen, vollzieht sich bei Schwarz wieder eine bedeutsame Ann\u00e4herung an die urspr\u00fcngliche Bedeutung des Seelenbegriffes. Die Annahme einer geistigen Pers\u00f6nlichkeit als Tr\u00e4gerin der geistigen Functionen und weiteres deren Beziehung zu einem pers\u00f6nlichen Gotte bildet wohl den wichtigsten Punkt der Metaphysik Schwarz. Wir m\u00fcssen es uns hier","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nLiteraturbericht.\nversagen, den metaphysischen Ausfahrungen des Verf.\u2019s ins Einzelne zu folgen.\nIn der Einleitung behandelt der Verf. den Gegensatz zwischen Naturzwang und Normzwang. Der Naturzwang ist entweder ein physischer oder ein psychischer. Auch im letzteren Falle ist die psychische Person causal beeinflufst (z. B. Motivzwang). Ist dagegen die psychische Person, insofern sie aus sich nach selbst\u00e4ndigen Gesetzen zu wirken vermag, die alleinige Ursache gewisser seelischer Acte, dann spricht man vom Normzwang. Gewisse Denkvorg\u00e4nge stehen nun, wie die Logik zeigt, unter dem Normzwang. Vielleicht giebt es analog auch Acte des Willens, die eigenen Gesetzen gehorchen. Das ist die Frage, die das Buch l\u00f6sen wilL\nDer erste Theil des Buches (Lehre vom unteren Begehrungsverm\u00f6gen) handelt von den Naturgesetzen des Willens und zeigt, wie weit im Gebiete des Willens der naturgesetzliche Mechanismus reicht. Er umfafst die Acte des Gefallens und Mifsfallens, Gefallen und Mifsfallen sind keine Gef\u00fchle. Lust ist ein Gewertetes, kein Werten. Lust ist Object des Gefallens. Aehnlich verh\u00e4lt es sich mit Unlust und Mifsfallen. Gefallen und Mifsfallen, die Acte des niederen Begehrungsverm\u00f6gens sind die einfachsten und urspr\u00fcnglichsten Willensregungen. Sie haben ihren Ursprung in den allgemeinen Willensanlagen. Alles Gefallen und Mifsfallen l\u00e4fst S\u00e4ttigungsunterschiede zu. Das Begehrte, das wir haben, s\u00e4ttigt unser Gefallen; solange wir es begehren, ohne es zu haben, bleibt unser Gefallen unges\u00e4ttigt. Unges\u00e4ttigt nennen wir jenes Gefallen, das uns mit W\u00fcnschen erf\u00fcllt, ges\u00e4ttigt jenes, bei dem das W\u00fcnschen aufh\u00f6rt. Entgegengesetzt wie das Gefallen zum W\u00fcnschen, verh\u00e4lt sich das Mifsfallen zum Widerstreben. Letzteres schwindet, wenn das Mifsfallen unges\u00e4ttigt wird.\nWir k\u00f6nnen hier die Frage, ob die von Schwarz vorgenommene Umstellung der Begriffe vor der bisher waltenden Ansicht, nach welcher Gefallen und Mifsfallen f\u00fcr Gef\u00fchlsreactionen gehalten werden, den Vorzug verdient, auf sich beruhen lassen. Jedenfalls ist aber daran zu erinnern, dafs als gemeinsames Merkmal aller Willensregungen gilt, dafs sie auf Nicht-Daseiendes gerichtet sind. Ein Umstand, der beim Gefallen und Mifsfallen nicht von Belang ist.\nDie Aufgabe des zweiten Theiles des Buches (Lehre vom oberen Begehrungsverm\u00f6gen) besteht in der Aufdeckung der Normgesetze des Willens. Das Vorziehen ist keine intellectuelle Operation; es ist vielmehr ein h\u00f6herer Willensact. Die Acte des Vorziehens (Lieberwollen) sind ebenso wie die des Gefallens und Mifsfallens urspr\u00fcngliche Aeufserungen des Willensverm\u00f6gens. W\u00e4hrend aber diese unter dem Naturzwange stehen, vollziehen sich jene nach autonomen Gesetzen. Hier ist die Grenze des naturgesetzlichen Mechanismus im Willensleben. Das Vorziehen ist entweder ein analytisches oder ein synthetisches. Dem analytischen Vorziehen wird durch die Acte des Gefallens und Mifsfallens die Richtung gewiesen. Diese lassen schon vorher erkennen, wo das Bessere liegt. Das analytische Vorziehen tritt stets zu Gunsten des satter Gefallenden und minder satt Mifsfallenden ein. Synthetisch ist das Vorziehen, das durch seinen eigenen Act anzeigt, wo das Bessere liegt. Durch das synthetische Vorziehen werden wir uns bewufst, was besser und was schlechter ist.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n439\nDas synthetische Vorziehen pr\u00e4gt W\u00fcrdeunterschiede. Das Bessere, das sich durch den Act dieses Vorziehens kundgiebt, ist das sittlich Bessere. Wir stellen das Wollen pers\u00f6nlicher Werthe h\u00f6her als das zust\u00e4ndlicher Werthe und setzen das Wollen der FremdWerthe \u00fcber das von allen Eigenwerthen. Mit der Klarlegung der Normen des analytischen und synthetischen Vorziehens gewinnen wir den Begriff eines voluntaristischen Apriorismus, der sich dem rationalistischen Apriorismus Kant\u2019s erg\u00e4nzend zur Seite stellt. Die Anerkennung eigener Normgesetze im Gebiete des Willens bringt auch die L\u00f6sung des Problems der Willensfreiheit. Sie ist einerseits eine deterministische, denn sie lehrt Determinirung der h\u00f6heren Willensacte durch Normzwang; und andererseits ist sie aber eine indeterministische, denn sie leugnet die Determinirung der h\u00f6heren Willensacte durch Motivzwang. Es widerspricht keineswegs dem physikalischen Gesetze der Energieerhaltung, dafs freie Wesen mit spontanen Acten das Gewebe der nat\u00fcrlichen Ursachen durchbrechen. Das Gesetz der Energieerhaltung besagt nichts anderes, als dafs es kein perpetuum mobile giebt, oder dafs es unm\u00f6glich ist, mit vorhandener physischer Energie neue zu erzeugen.\nDas Buch beschliefsen zwei Excurse, von denen der erste einen allgemeinen Beitrag zur Lehre von den Gef\u00fchlen bringt, der zweite von der Centrirung der Vorstellungen durch das Gefallen und Mifsfallen handelt.\nSaxinuer (Linz).\nAlfred K\u00fchtmann. Maine de Bi ran. Ein Beitrag zur Geschichte der Metaphysik und Psychologie des Willens. Bremen, M. N\u00f6fsler, 1901. 195 S.\nDas historische Interesse unter den gegenw\u00e4rtigen Psychologen ist im Allgemeinen nicht sehr stark. Man ist zu sehr mit der wachsenden F\u00fclle von Problemen und ihrem grofsen Anhang von Einzelfragen besch\u00e4ftigt, als dafs man sich um deren Vorgeschichte viel k\u00fcmmern k\u00f6nnte. Und doch liefse sich wohl manche M\u00fche sparen, wenn man die Geschichte mehr zu Bathe z\u00f6ge. Denn nicht wenige Fragen sind von den Fr\u00fcheren weiter gef\u00f6rdert worden, als wir anzunehmen gewohnt sind, und mancher fruchtbare Gedanke, zu dem wir erst auf langen Umw\u2019egen gelangt sind, ist schon fr\u00fcher ausgesprochen worden. Es ist darum sehr zu begr\u00fcfsen, dafs K\u00fchtmann sich der keineswegs geringen M\u00fche unterzogen hat, die Psychologie Maine de Biran\u2019s, deren Grundgedanke in der voluntaristischen Psychologie unserer Tage eine Art Auferstehung feiert, in zusammenfassender Darstellung uns Deutschen n\u00e4her zu bringen. K\u00fchtmann\u2019s Absicht ist dabei keineswegs, die gesammten Gedankeng\u00e4nge des franz\u00f6sischen Denkers in allen ihren Einzelheiten darzulegen und kritisch zu er\u00f6rtern. Vielmehr beschr\u00e4nkte er sich darauf, die geschichtlichen Ankn\u00fcpfungspunkte der BiRAN\u2019schen Philosophie, sowie ihren Entwickelungsgang nur in den Grundz\u00fcgen darzulegen, nicht ohne Leben und Lebenskreis des Philosophen zu beschreiben. Dagegen behandelt er diejenigen Fundamentalprobleme seiner Philosophie ausf\u00fchrlicher, deren Auspr\u00e4gung M. de B. selbst als seine \u2022werthvollste Gedankenarbeit betrachtet hat, wie das Verh\u00e4ltnis des Wollens zum Empfinden und Vorstellen, Apperception und Aufmerksamkeit, die Urs\u00e4chlichkeit des Willens und das Causalproblem und den Willen als Centralpunkt des ethischen Problems.","page":439}],"identifier":"lit32308","issued":"1902","language":"de","pages":"437-439","startpages":"437","title":"Hermann Schwarz: Psychologie des Willens (zur Grundlegung der Ethik). Leipzig, Engelmann, 1900. 381 S","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:36:44.758115+00:00"}