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H. Liepmann: Über Ideenflucht. Begriffsbestimmung und psychologische Analyse. Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten. Hrsg. v. A. Hoche 4 (8). 1904. 84 S.

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{"created":"2022-01-31T16:32:13.315125+00:00","id":"lit32374","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Moskiewicz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 38: 212-217","fulltext":[{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nLitn-aturhrricht\nTh. L. Bolton. Ober die Beitehengen switches Ermtdssg, Rumslss der Hast nsd MnskelleiltSSf. Kraepelins Psychologische Arbeiten 4 (2), 175\u2014234. 1902.\nDie Behauptungen Griesbachs, dafs die geistige Erm\u00fcdung sich in einer Raumschwellenerh\u00f6hung, einer Herabsetzung der F\u00e4higkeit, zwei aufgesetzte Zirkelspitzen als getrennt aufzufassen, deutlich ausdr\u00fcckt und man mittels eines \u00c4sthesiometers bequem den Grad der Erm\u00fcdung bei Schulkindern ermitteln k\u00f6nne, war vielf\u00e4ltigem Zweifel begegnet. Das angegebene Instrument war unzuverl\u00e4ssig, wichtige Versuchsbedingungen hatten keine Ber\u00fccksichtigung gefunden.\nBolton pr\u00fcfte die Angaben exakt und unter Anwendung eines fehlerfreieren Apparats nach, vor allem benutzte er ein bestimmtes Quantum geistiger Arbeit, kontinuierliches Addieren von Vs bis 2 Stunden, zur Erzielung von Erm\u00fcdung. Das Resultat ist f\u00fcr Griesbach vernichtend. Die Bestimmung einer einigermafsen zuverl\u00e4ssigen Raumschwelle erfordert schon eine so grofse Zeit, dafs sie wegen der mittlerweile auftretenden Erm\u00fcdungserscheinungen in einer Sitzung undurchf\u00fchrbar ist.\nAuch die Resultate der Ergographenversuche von Kbmsies best\u00e4tigten sich nicht.\tWeygandt (W\u00fcrzburg).\nH. Liefhann. Ober Ideenflncht Begrifsbestlmmung und psychologische Analyse.\nSammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten. Hrsg. v. A. Hoche 4 (8). 1904. 84 S. Mk. 2,50.\nDie Psychologie des Denkens liegt noch sehr im argen. Der Streit um prinzipielle Ansichten, der auf diesem Gebiete besonders heftig tobt, erschwert die gedeihliche Arbeit. Um so freudiger ist jeder Fortschritt zu begr\u00fcfsen, woher er auch komme. Vorliegende Arbeit bedeutet entschieden einen solchen Fortschritt.\nDem Verf. ist es in letzter Linie darum zu tun, eine ausreichende Definition und Analyse der Ideenflucht zu geben. Bei der Verschiedenheit der Meinungen dar\u00fcber sieht sich Verf. gen\u00f6tigt, die Ideenflucht zun\u00e4chst dem geordneten Denken gegen\u00fcber scharf abzugrenzen und kommt so dazn, auch das normale Denken einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, wobei er zu recht bemerkenswerten Resultaten kommt. Sie seien hier ausf\u00fchrlich besprochen.\nWenn man das Denken bisher psychologisch behandelt hat, so hat man immer zwei Merkmale hervorgehoben, durch die es sich von den anderen, verwandten psychischen Inhalten abhebt. Einmal sah man das Charakteristische in dem Vorhandensein einer Zielvorstellung, welche den Vorstellungsablauf beherrscht. Dann fafste man das Denken als etwas Gewolltes, Beabsichtigtes auf, und stellte die Absicht alB das wesentliche Merkmal hin, in dem Sinne, dafs wir den Ablauf der Vorstellungen selbst bestimmen, w\u00e4hrend wir uns beim blofsen Spiele der Phantasie oder in der Ideenflucht den in uns auftauchenden Vorstellungen v\u00f6llig passiv hingeben. So richtig nun auch an sich diese beiden Momente angegeben sind, insofern sie beim Denken eine wesentliche Rolle spielen, so reichen sie doch, nach des Verf.s Ansicht, zu einer eindeutigen Charakterisierung des","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n213\ngeordneten Denkens nicht aus. Da man n\u00e4mlich unter einer Zielvorstellung die Antizipation eines gewollten Zieles in der Vorstellung verstehen mufs, so l\u00e4fst sich leicht nachweisen, dafs gar oft das Endziel beim Beginn des Denkens unm\u00f6glich gedacht werden kann. H\u00f6re ich z. B. ein eigent\u00fcmliches Ger\u00e4usch \u2014 Verf. seihst bringt dieses Beispiel \u2014 und \u00fcberlege ich dabei, ob es das Pfeifen einer Fabrik oder ein Feuersignal ist, und ob es etwa in meinem Hause brennen k\u00f6nne, so kann von einer von vornherein im Be-wnfstsein befindlichen Zielvorstellung keine Rede sein. Aber selbst in den Fallen, wo eine solche Zielvorstellung vorhanden ist, vermag sie das Denken nicht zu erkl\u00e4ren ; denn es bleibt doch die Frage, auf die es in erster Linie ankommt, noch zu er\u00f6rtern, welchen Einflufs dann die Zielvorstellung auf den Vorstellungsablauf hat, worin sich ein solcher von einem anderen ohne Ziel Vorstellung unterscheidet.\nEine \u00e4hnliche \u00dcberlegung gilt auch f\u00fcr das zweite als charakteristisch angef\u00fchrte Moment: den Willen. Gewifs ist das Denken eine Willens-handlung, niemand wird das leugnen. Aber da ich einen Vorstellungs-ablauf auch dann als einen geordneten erkenne, wenn ich ihn nicht selbst mit meinem Willen hervorgebracht habe, sondern wenn ich ihn h\u00f6re oder lese, wo ich die Absicht doch nicht unmittelbar wahrnehmen kann, so kann doch der Wille nicht das sein, was mich veranlafst, einen Gedankengang f\u00fcr geordnet zu halten ; vielmehr mufs das Kriterium daf\u00fcr in dem Aufbau und der Struktur des vom Willen beherrschten Vorstellungsablaufes selbst zu finden sein. Die eigentliche Frage ist also die, wie sich ein vom Willen beherrschter Vorstellungsablauf von einem unwillk\u00fcrlich auftretenden seinem Aufbau, seinem Mechanismus nach unterscheidet.\nDas Problem ist also bisher immer nur zur\u00fcckgeschoben, nie gel\u00f6st worden. Betrachtet man nun den Unterschied zwischen geordnetem und ideenfi\u00fcchtigem Denken im Aufbau der Vorstellungen selbst, so findet man, wie gew\u00f6hnlich gesagt wird, dafs das geordnete Denken einen Zusammenhang zeigt, das ideenfl\u00fcchtige aber nicht. Aber auch die ideenfl\u00fcchtige Reihe zeigt einen gewissen Zusammenhang insofern, als jedes Glied der Reihe mit dem vorhergehenden nach irgend einem Assoziationsprinzip verbunden ist. Freilich wechselt dieses Prinzip in einer Reihe unter Umstanden oft; aber ein solcher Wechsel findet sich auch beim geordneten Denken, andererseits bleibt auch bei der Ideenflucht das Prinzip oft dauernd dasselbe, so z. B. wenn nur nach dem Klange, oder nur nach r\u00e4umlichzeitlicher Koexistenz assoziiert wird. Die Konstanz des Prinzipes kann also nicht Ursache des Zusammenhanges im geordneten Denken sein. Dieser ist auch nicht darin zu finden, dafs beim geordneten Denken nur begriffliche Assoziationen beim ideenfl\u00fcchtigen aber nur niedere auftreten ; denn auch das geordnete Denken zeigt sehr h\u00e4ufig niedere Assoziationen, und eine ideenfl\u00fcchtige Reihe bleibt es auch dann, wenn in ihr begrifflich assoziiert wird, wie das Beispiel : Fall Beinbruch Arzt Gypsverband deutlich zeigt Es zeigt sich also, dafs alle Formen der Assoziation bei beiden Arten des Denkens Vorkommen, ferner, dafs auch die Konstellation, die beim geordneten Denken gewifs eine sehr grofse Rolle spielt, bei der Ideenflucht zu beobachten iBt.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nLitcratwbcrUht.\nSo sehen wir, dafs in einer ideenfl\u00fcchtigen Reihe jede Vorstellung mit der anderen nach einem bestimmten Assoziationsprinzip verbunden ist, dafs keine dieser Prinzips charakteristisch ist f\u00fcr den Zusammenhang im geordneten Denken, dafs dieser sich \u00fcberhaupt nicht nach den allgemeinen Assoziationsgesetzen erkl\u00e4ren l\u00e4fst. Es ist unm\u00f6glich, den Zusammenhang im geordneten Denken, den doch jeder unmittelbar erlebt, dadurch ersch\u00f6pfend darstellen zu wollen, dafs man die einzelnen assoziativen Verbindungen aufweist, die zwischen den einzelnen Vorstellungen {benachbarten und entfernteren) bestehen, m\u00f6gen diese noch so innige sein. Es mufs vielmehr ein v\u00f6llig neues Prinzip gefunden werden, das der Ideen-fincht v\u00f6llig fremd ist, und das die Einheit der Vorstellungen herbeif\u00fchrt. Zu diesem Zwecke geht Verf. von zwei Antworten aus, die er auf dieselbe Frage: wie geht's? von einem Gesunden, nur Nerv\u00f6sen, und einem Ideenfl\u00fcchtigen erhalten hat. Der Gesunde antwortete : Es geht besser, der Kopfschmerz hat nachgelassen. Nur der Schlaf l\u00e4fst noch zu w\u00fcnschen \u00fcbrig; ob das heiise Bad oder der L\u00e4rm daran schuld war, weifs ich nicht. Der Ideenfl\u00fcchtige antwortete: Es geht, wie\u2019s steht. Bei welchem Regiment haben Sie gestanden? Herr Oberst ist zu Hause. In meinem Hause, in meiner Klause. Haben Sie Dr. Klaus gesehn? Kennen Sie Koch, kennen Sie Virchow? Sie haben wohl Pest oder Cholera?\nBei letzterer Antwort lassen Bich leicht die einzelnen Assoziations-Prinzipien. aachweisen, nach welchen die einzelnen Glieder sich aneinander reihen. Bei der ersten ist das nicht m\u00f6glich. Man kann unm\u00f6glich sagen, dafs der Gedanke: Der Kopfschmerz hat nachgelassen, den darauf folgenden: nur der Schlaf ist noch schlecht, assoziativ hervorgerufen hat. Der Vorgang ist in diesem Falle vielmehr folgender. Auf die Frage: wie geht\u2019s? taucht in dem Manne eine Gesamtvorstellung von seinem Zustande und der ganzen Situation, in der er sich augenblicklich befindet, auf. Mit dieser Vorstellung assoziiert sich nun nicht eine neue, die dann ausgesprochen w\u00fcrde, und mit dieser wieder eine usf., sondern der Vorstellungsablauf wird dadurch hervorgerufen, dafs aus der Gesamtvorstellung die einzelnen Teilvorstellungen in einer bestimmten Reihenfolge abfliefsen. Es ruft also nicht eine Vorstellung die andere hervor, sondern sie alle werden in gleicher Weise von der gleichsam \u00fcber allen gemeinsam schwebenden Gesamtvorstellung \u2014 Verf. nennt sie daher mit Recht Obervorstellung \u2014 hervorgebracht. Das allgemeine Prinzip, das alle Vorstellungen einer geordneten Rede miteinander verbindet, ist also dies, dafs sie alle in der Obervorstellung resp. in dem durch sie ausgedr\u00fcckten Realzusammenhange enthalten sind und einzig allein aus ihr hervorgehen. Diese den Gedankenablauf beherrschende Obervorstellung iBt es nun auch, was den Zusammenhang, den Sinn des Ganzen ausmacht. Je mehr Vorstellungen einer Rede aus ein und derselben Obervorstellung hervorgehe, je weniger durch Assoziationen von anderen Vorstellungen geweckt werden, um so einheitlicher ist die Rede. Die Bedeutung einer solchen Obervorstelluug f\u00fcr den geordneten Ablauf eines Gedankens besteht nun darin, dafs sie dauernd von der Aufmerksamkeit festgehalten wird, dafs daher auch die sich aus ihr abwickelnden Einzelvorstellungen dauernd im Blickpunkte deB Bewufstseins bleiben und das Hervortreten anderer Vorstellungen unm\u00f6glich machen.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turberich t.\n215\nDer Ideenfl\u00fcchtige hingegen ist nicht imstande, seine Aufmerksamkeit dauernd der einen Obervorstellung zusuwenden; diese verliert dadurch die Herrschaft \u00fcber den Gedankenablauf, andere, nicht der Obervorstellung entspringende durch allerlei Umst\u00e4nde assoziativ hervorgerufene Vorstellungen drangen sich vor, bis schliefslich der Zusammenhang verloren geht, der ja eben darin besteht, daTs nur aus der Obervorstellung stammende Vorstellungen auftreten. Die Ideenflucht ist also in letzter Linie als eine Aufmerksamkeitsst\u00f6rung aufzufassen.\nNicht immer beherrscht nur eine Obervorstellung den Ablauf der Gedanken, oft sind mehrere vorhanden, die wieder einer h\u00f6heren untergeordnet sind, so daTs schliefslich der ganze Gedankengang aus einem System solcher Obervorstellungen verschiedener Wertigkeit besteht.\nDas sind die wesentlichsten Gesichtspunkte, die Bich aus der vorliegenden Schrift des Verf.s f\u00fcr eine Psychologie des Denkens ergeben. Auf alle Einzelheiten, besonders auf das psychiatrisch Interessante kann hier nicht n\u00e4her eingegangen werden.\nWenn wir noch einmal hervorheben, was wertvoll und fruchtbar in dieser Arbeit ist, so scheint es dem Ref. in folgendem zu liegen:\nMan mufs dem Verf. darin ohne weiteres zustimmen, dafs mit der Definition des Denkens als einer Willenst\u00e4tigkeit nichts fflr eine genauere Analyse gewonnen ist. Die Tatsache selbst wird nat\u00fcrlich niemand leugnen, und will man den Denkvorgang restlos beschreiben, so darf das Moment des Willens dabei nat\u00fcrlich nicht fehlen. Wenn man aber feststellen will, worin das eigentliche Wesen des geordneten Denkens gegen\u00fcber dem ideenfl\u00fcchtigen besteht \u2014 und das ist doch die Kernfrage einer Psychologie des Denkens \u2014, so handelt es sich nicht darum, dafs etwas gewollt wird, sondern was gewollt wird, welche Vorstellungen der Wille ergreift, und nach welchen Gesichtspunkten die einzelnen Vorstellungen ausgesondert werden. Dies kann aber nur geschehen, wenn man die Struktur des Vorstellungsablaufes untersucht, wobei man vom Willensmoment v\u00f6llig ab-sehen kann.\nDas wesentlichste Resultat der Arbeit liegt sicherlich aber darin, dafs der Verf. \u00fcberzeugend nachgewiesen hat, dafs der Zusammenhang im Denken sich nicht durch Aneinanderreihen von Vorstellungen nach irgend welchen Prinzipien erkl\u00e4ren l\u00e4fst. Dieses Charakteristische, das wir beim geordneten Denken erleben, die engste Beziehung aller Vorstellungen zum Gedanken des Ganzen, das Gef\u00fchl der Notwendigkeit im Vorstellungsablauf, dieser ganze sich gegen \u00e4hnliche Inhalte scharf abhebende psychische Inhalt ist durch die Aufstellung des Begriffes einer Obervorstellung in dem vom Vert gegebenen Sinne aufs gl\u00fccklichste beschrieben. Denn dadurch ist die prinzipiell andere Verkn\u00fcpfungsweise gekennzeichnet. W\u00e4hrend bei der Ideenflucht die Verkn\u00fcpfung nur in einer Richtung geht, von einer Vorstellung zur anderen, vollzieht sie sich beim geordneten Denken noch in einer zweiten, von der Obervorstellung zu den Einzelvorstellungen. Es ist also zur richtigen Beschreibung des Tatbestandes gleichsam eine zweite Dimension n\u00f6tig, in der die Ober Vorstellung sich befindet, gleichm\u00e4fsig \u00fcber allen Einzelvorstellungen herrschend.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nLiteratut bericht,\nDies klargelegt zu haben, ist das grofse Verdienst des Verf.s.\nDemgegen\u00fcber bedeutet es nicht viel, dafs man nicht mit allem, was Verf. sagt, einverstanden sein kann, und dafs vor allem doch betont werden mufs, dafs mit vorliegender Arbeit noch nicht alle Probleme gel\u00f6st sind.\nVerf. hat die Art und Weise, nach welcher sich aus der Obervorstellung die einzelnen Vorstellungen entfalten, nicht naher angegeben. Es scheint nach einigen Bemerkungen des Verf.s, als ob er assoziative Vorg\u00e4nge hier prinzipiell ausgeschlossen wissen will. Weil es unm\u00f6glich ist, auf dem bis jetzt versuchten Wege vorw\u00e4rts zu kommen, indem man die assoziativen Verbindungen zwischen den Einzelvorstellungen nachweisen wollte, glaubt Verf. die Assoziation \u00fcberhaupt als Erkl\u00e4rung zur\u00fcckweisen zu m\u00fcssen. Aber schliefslich mufs der Abflufs der Einzelvorstellungen aus der Gesamtvorstellung doch nach bestimmten Gesetzen erfolgen, da er doch nicht willk\u00fcrlich stattfinden kann. Solche den Vorstellungsverlauf beherrschende Gesetze sind die Assoziationsgesetze. Wollte er hier apperzeptive Prozesse, d. h. vom Willen geleitete Prozesse zur Erkl\u00e4rung heranziehen, so beginge er .denselben Fehler, den er selbst zur\u00fcckgewiesen hat, n\u00e4mlich das Willensmoment als ausschlaggebend anzusehen. Und andere Gesetze stehen f\u00fcr eine psychologische Erkl\u00e4rung zurzeit nicht zur Verf\u00fcgung. Gewifs ist das Denken ein bei weitem nicht so einfacher Assoziationsprozefs, wie man vielfach bisher gedacht hat; aber damit ist doch nicht gesagt, dafs er \u00fcberhaupt kein Assoziationsprozefs ist. Er ist eben ein recht komplizierter Assoziationsvorgang. Die Assoziationen verlaufen in ganz anderen Richtungen, nach anderen Prinzipien als wie beim Spiel der Phantasie oder bei der Ideenfiucht. Aber es bleiben doch Assoziationsvorg\u00e4nge.\nSchliefslich sei noch eines erw\u00e4hnt, wor\u00fcber sich wohl Verf. selbst von vornherein klar gewesen sein wird.\nDem Verf. lag daran, das, was man Zusammenhang im geordneten Denken nennt, n\u00e4her zu beschreiben. Als Material der Analyse diente ihm der fertige Gedanke. Er ist dadurch charakterisiert, dafs sich in ihm eine Obervorstellung nachweisen l\u00e4fst. Die Beispiele, die Verf. anf\u00fchrt (Antwort auf eine Frage, eine Rede etc.), sind Wiedergaben von Gedanken. Im Redenden mufs die Obervorstellung bereits vollst\u00e4ndig vorhanden sein, bevor er zu reden anfangen kann. Verf. selbst nennt einmal das, was er analysiert hat, planm\u00e4fsige Darlegungen. Aber bevor ich etwas planm\u00e4fsig darlegen kann, mufs ich es mir erst planm\u00e4fsig zurecht legen ; mit anderen Worten; Die Obervorstellung ist in vielen F\u00e4llen erst das Produkt, das Resultat des Denkens, Denken in dem Sinne gebraucht, in dem es allein gebraucht werden sollte, um Verwirrung zu vermeiden: Denken im Sinne von Nachdenken.\nDas Nachdenken besteht nun oft darin, solche fertige Obervorstellungen zu bilden, derart, dafs man sie dann planm\u00e4fsig darlegen kann. Wenn ich nach meinem Befinden gefragt werde, so mag sich die Obervorstellung sofort einstellen, da ich mir jeden Augenblick meinen Zustand ins Bewufstsein rufen kann. Aber soll ich eine mathematische Aufgabe l\u00f6sen, so ist zun\u00e4chst noch keine Obervorstellung vorhanden, wenigstens nicht so vollst\u00e4ndig, dafs aus ihr nun alle zu diesem Denkakte notwendig","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n217\ngeh\u00f6renden Vorstellungen abfiiefsen k\u00f6nnen. Sie ist vielmehr nur in groben Umrissen angedeutet, und Aufgabe und Zweck des Nachdenkens ist es nun, diese Umrisse nun su vervollst\u00e4ndigen. In dem vom Verf. selbst angef\u00fchrten Beispiel vom Feuerl\u00e4rm (8. 15) besteht su Anfang ebensowenig eine Obervorstellung wie eine Zielvorstellung. Das eigentliche Denken besteht also in vielen F\u00e4llen darin, mit Hilfe eines gewissen sur Verf\u00fcgung stehenden Materials Obervorstellungen zu bilden. Und eine Psychologie des Denkens wird die Frage, wie dies vor sich geht, ganz besonders in Angriff nehmen m\u00fcssen.\nDies schm\u00e4lert den Wert der vorliegenden Arbeit durchaus nicht. Verf. hat, indem er den Begriff der Obervorstellung aufgestellt hat, allen weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete eine feste Richtung gegeben. Und das ist gewifs kein kleines Verdienst.\nNur kurz sei an dieser Stelle noch erw\u00e4hnt, wie es dem Verf. gelingt, den Streit bez\u00fcglich des Tempos im Vorstellungsverlauf der Manischen zu schlichten. Der Manische kann zwar nicht schneller assoziieren als der Gesunde, weshalb im Experiment die Assoziationszeiten nicht verk\u00fcrzt sind; aber, da die Manie eine schwere St\u00f6rung der Aufmerksamkeit bedingt, so ist der Kranke nicht imstande, eine Vorstellung so lange zu fixieren, als es im Interesse des Gedankenzusammenhanges n\u00f6tig ist; dadurch gewinnen andere nicht hingeh\u00f6rige Vorstellungen die Oberhand ; der Gedankenablauf, der ja an das Fixieren gewisser Vorstellungen (n\u00e4mlich der Obervorstellungen) gebunden ist, kann nicht zu Ende gef\u00fchrt werden, es dr\u00e4ngen sich bei ihm in der gleichen Zeit mehr Vorstellungen auf als beim Gesunden. Also das Intervall zwischen 2 Vorstellungen ist beim Manischen nicht verk\u00fcrzt, er verweilt nur bei jeder Vorstellung infolge seiner Aufmerksamkeitsst\u00f6rung k\u00fcrzere Zeit.\nDamit scheint der Widerspruch zwischen klinischer Beobachtung und dem Experiment gel\u00f6st zu sein.\tMoskiewicz (Breslau).\nA. Goedekkmetek. Bat West H des Urteils. Archiv f. system. Philosophie 0 (2), 179\u2014194. 1903.\nDas Urteil ist als ein synthetischer Prozefs aufzufassen. Mehrere Vorstellungen werden aufeinander bezogen und zu einer Gesamtvorstellung verbunden. Oft geht einer solchen Synthese eine Analyse voraus, indem erst aus einem als Ganzes Gegebenem einzelne Teile herausgeholt werden, die dann wieder zu einem Ganzen vereinigt werden m\u00fcssen.\nEine solche Analyse ist nicht immer n\u00f6tig. Oft werden die Bestandteile, welche vereinigt werden sollen, schon getrennt gegeben, so bei Belehrungen und Mitteilungen \u00fcberhaupt. Alsdann ist nur eine Synthese n\u00f6tig.\nWerden also zwei Vorstellungen im BewufstBein miteinander verkn\u00fcpft, so bedeutet dies, dale sie nicht mehr gleichg\u00fcltig neben- oder hintereinander ablaufen, sondern dafs eine beabsichtigte Beziehung zwischen ihnen gesetzt ist. Diese Beziehung \u00e4ufsert sich nun darin, dafB sich aus der Synthese ein Beziehungsbegriff, wie der der Identit\u00e4t oder der Zusammengeh\u00f6rigkeit entwickelt, der abh\u00e4ngig ist von dem zur Verf\u00fcgung stehenden AB8oziationsmaterial.\nAber diese Bestimmungen des in Beziehungsetzens und eines sich","page":217}],"identifier":"lit32374","issued":"1905","language":"de","pages":"212-217","startpages":"212","title":"H. Liepmann: \u00dcber Ideenflucht. Begriffsbestimmung und psychologische Analyse. Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten. Hrsg. v. A. Hoche 4 (8). 1904. 84 S.","type":"Journal Article","volume":"38"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:32:13.315134+00:00"}

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