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{"created":"2022-01-31T16:30:18.710412+00:00","id":"lit32381","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Merzbacher","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 38: 225-226","fulltext":[{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n225\nWenn das Wesen der Hemmung nicht nur in einer Funktionsherabsetzung besteht, sondern, wie es Verf. tut, auch als eine Fixierung in der Funktion, also eigentlich Funktionssteigerung aufgefafst wird, so besagt es eigentlich nicht viel mehr, als Funktionsst\u00f6rung \u00fcberhaupt, und die Bezeichnung \u201epartieller Schlaf\u201c kann uns, da sie ja schliefslich nur ein Gleichnis mit einem uns ebenfalls durchaus unverst\u00e4ndlichen Zustande darstellt, auch nichts wesentliches mehr bieten. Wir erfahren also eigentlich nicht mehr, als dafs die Hysterie in einer Funktionsst\u00f6rung unbekannter Natur im Bereiche des Gehirns besteht; also eine Auffassung, die wohl die allgemein verbreitete ist.\nIm einzelnen bietet sonst das Buch viel Interessantes. Die Analyse der einzelnen Symptome und die Art wie Verf. dieselben aus seiner Anschauung ableitet und wie er auf allem diesem sein therapeutisches Verfahren aufbaut, gibt besonders dem Praktiker viel Anregung.\nAuf die Einzelheiten des therapeutischen Teiles einzugehen, er\u00fcbrigt sich wohl, da dieser \u00fcber den engeren Fachkreis hinaus kaum von Interesse iBt.\tKrameb (Breslau).\nG. Wolf*. Psychiatrie and Dlchtkanst. Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens 22. 1903.\nMit Interesse mufs man dem Vortrag eines Psychiaters folgen, der die Psychiatrie treibenden Dichter in Schutz nimmt. Nicht mit kleinlichen Argumenten des \u00fcberlegenen Fachmannes m\u00fcssen die Produktionen des Dichters auf diesem Gebiete gemessen werden, sondern von einem allgemeinen \u00e4sthetischen Standpunkt aus, der den Anforderungen des grofsen Publikums den Aufgaben der Dichtkunst gegen\u00fcber gerecht wird. Der Fachmann tritt an eine Pr\u00fcfung heran, nicht um die G\u00fcte des Kunstwerkes nach der mehr oder weniger getreuen Darstellung der Psychose messen zu wollen, sondern um zu erl\u00e4utern, warum gerade der Dichter sich so h\u00e4ufig veranlagst f\u00fchlt, der Darstellung Geisteskranker, sei es als Tr\u00e4ger der ganzen Handlung, sei es mehr episodenhaft f\u00fcr die Bestimmung der Entwicklung der Handlung, seine Kraft widmet und dann um weiter die freie, ziel-bewuJtste Sch\u00f6pfungskraft des Dichters zu illustrieren, indem er den Kranken des Dichters mit dem Kranken der Klinik vergleicht. Auf diesem Standpunkt stehend kommt W. zu den scheinbar paradox klingenden S\u00e4tzen: den Dichtern ist eine F\u00e4lschung psychiatrischer Krankheitsbilder im Dienste der Dichtkunst nicht nur erlaubt, sondern sie sind sogar dazu verpflichtet; eine wahrheitsgetreue Darstellung vertr\u00e4gt sich mit den Aufgaben der Dichtkunst nicht; gerade jene Dichter, denen wir am meisten unseren Beifall zollen, wirken auf uns, indem sie die Krankheit ihrer Helden nach ihrer eigenen Vorstellung umschaffen.\nDer Dichter, der \u201edie menschliche Seele in ihren H\u00f6hen und Tiefen, in allen ihren Lebens\u00e4ufserungen\u201c zum Gegenstand Beiner Betrachtung macht, wird auch jene \u00c4ufBerungsform heranziehen, die, sei es durch das Vorwalten eines Affektes, sei es durch die m\u00e4chtige Leitung infolge irgend einer Wahnidee, einer besonderen dramatischen Gestaltung f\u00e4hig sind. Solange die Darstellung der Geisteskrankheit keiner anderen Mittel sich bedient als derjenigen, die uns aus dem Spiele unserer gew\u00f6hnlichen Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 88.\t15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nLiteratur bericht.\npsychischen Funktionen bekannt und deshalb verst\u00e4ndlich sind, solange mit anderen Worten die Handlungen der Geisteskranken vom Dichter uns psychologisch begreiflich geschildert werden, m\u00fcssen wir sie als Gegenst\u00e4nde der Dom\u00e4ne der Dichtkunst anerkennen. Aber gerade bei dem Versuche die \u00c4ufserung der Geisteskrankheit psychologisch zu erkl\u00e4ren, di vergieren die Bem\u00fchungen des Dichters und die des Psychiaters W\u00e4hrend es der Psychiater immer mehr aufgibt, die Geisteskrankheiten einem psychologischen Erkl\u00e4rungsversuch zu unterziehen, pafst der Dichter die \u00c4ufserungsformen seiner Geisteskranken einem Seelenleben an, das die Gesetze widerspiegelt, die die \u00c4u\u00dferungen im Denken, F\u00fchlen und Handeln gesunder Personen beherrschen W\u00fcrde der Dichter sich bem\u00fchen, streng objektiv den Geisteskranken so darzustellen, wie ihn der Fachmann kennt, so w\u00fcrde er kaum dem Leser oder H\u00f6rer gen\u00fcgend zu interessieren verm\u00f6gen, indem \u201edas Psychopathische, das dem Wirklichen entspricht, gegen die. psychologische Wahrheit verstofsen mu\u00df, die das oberste Gesetz der Dichtkunst ist\"1. So \u201edarf1* der Dichter das Psychopathische gar nicht der Wahrheit nach schildern und Wolff f\u00fchrt mehrere Beispiele an (Ibskk \u201eGespenster\u201c, Sophokles \u201eAjas\u201c), an denen gezeigt wird, wie gerade der Dichter mit gro\u00dfer Kunst es vermeidet, das Krankhafte unmittelbar darzustellen.\nDie SHAKKSPBKBsche Psychiatrie ist Laienpsychiatrie, d. h. Psychiatrie, wie sie sich der Laie aus seinem eignen Vorstellungsleben selbst konstruiert; sie h\u00e4lt der Analyse einer wissenschaftlichen Psychiatrie nicht Stand. Sh. schildert nach seinen eignen Worten die Vernunft im Wahnsinne, \u201ewenn er das geistige Leben verschleiert, so verh\u00fcllt er es mit einem durchsichtigen Schleier, durch den wir immer noch den Gang des geistigen Geschehens beobachten k\u00f6nnen\u201c. Gerade packend an der Darstellung Sh.s wirkt es, da\u00df er es in meisterhafter Weise versteht, psychologische Zusammenh\u00e4nge dort aufzustellen und wahrscheinlich zu machen, wo eie in der Wirklichkeit gar nicht bestehen w\u00fcrden.\nHingegen l\u00e4\u00dft Gkbh. Hauptmanns \u201eFuhrmann Henschel\u201c das Publikum gerade deshalb kalt, weil eine Erkl\u00e4rung der Handlungsweise Henschels ohne Kenntnis von Psychiatrie vollkommen unm\u00f6glich ist, seine Handlungen wohl dem Psychiater vollkommen verst\u00e4ndlich erscheinen, nicht aber demjenigen, der sie psychologisch zu begreifen sich anschickt. Somit erscheint dieses Drama Wolffs als Kunstwerk minderwertig und das um so mehr, je st\u00e4rker von anderer \u2014 psychiatrischer \u2014 Seite aus die meisterhafte, naturgetreue Schilderung des Pathologischen gelobt worden ist.\nMebzbachbb (Heidelberg).\nSCHNBIDBB. Ober Anffaiinng und lerkfiUgkait beim AltersblBdsiu. Kraepelins\nPsychologische Arbeiten 3 (3), 458\u2014 481. 1900.\nDie Arbeiten in Krabpelins Laboratorium sollen in letzter Linie der Psychiatrie eine exakte, experimentelle Grundlage verleihen. Das l\u00e4\u00dft Bich, nun keineswegs in der Weise erreichen, da\u00df man Versuche, die an Gesunden vorgenommen wurden, ohne weiteres auch bei Geisteskranken anBtellt. Es-bedarf vielmehr erst des Zwischengliedes einer wohlausgebildeten Individual-","page":226}],"identifier":"lit32381","issued":"1905","language":"de","pages":"225-226","startpages":"225","title":"G. Wolff: Psychiatrie und Dichtkunst. Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens 22. 1903","type":"Journal Article","volume":"38"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:30:18.710417+00:00"}