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{"created":"2022-01-31T16:31:04.339391+00:00","id":"lit32384","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Tr\u00fcper","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 38: 228-231","fulltext":[{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nLiter aturbericht.\nder peripheren, den Reiz aufnehmenden Organe durch physikalische Hilfsmittel (Linsen, Prismen, Spiegeln) modifizierten, ver\u00e4nderten sie den Gegenstand der Sinnest\u00e4uschung gerade so, als ob er als reeller Gegenstand durch das Sinnesorgan erst aufgenommen w\u00fcrde. Diese Tatsache war bereits seit l\u00e4ngerer Zeit bekannt, besonders nach den Versuchen von Beewstkr. Der besondere Wert der Versuche liegt in der Untersuchung der Wirkung der Halluzinationen auf den Bewu\u00dftseinsinhalt und in der Aufdeckung der besonderen Bedingungen des Bewufstseinsinhaltes, welche die Entstehung der Halluzinationen beg\u00fcnstigen. So wird an einem Beispiele gezeigt, da\u00df in ein und demselben Bewu\u00dftseinsinhalt nebeneinander eine richtige Sinnes-wahrnehmung und eine Sinnest\u00e4uschung bestehen k\u00f6nnen, beide werden durch dieselben physikalischen Mittel in gleicher Weise ver\u00e4ndert, die Sinnest\u00e4uschung beeinflu\u00dft den Inhalt der Wahrnehmung und umgekehrt. Einem M\u00e4dchen war eine Nadel und ein Faden in die Hand gegeben; es wurde in der Hypnose die T\u00e4uschung geweckt, der Faden sei ein dickes Seil\u2014 die Person war nicht mehr imstande den Faden einzuf\u00e4deln; zeigte man ihr die \u00d6hre der Nadel durch ein Vergr\u00f6\u00dferungsglas, sofort schickte sie sich an, das vermeintliche Seil durch die vergr\u00f6\u00dferte \u00d6ffnung hindurchzuschicken. Der Versuch wurde in mannig\u00dfcher We\u00dfe modifiziert.\nDie Entstehung der Halluzinationen \u2014 sei es durch die Hypnose, sei es durch irgend welche organische oder funktionelle Ver\u00e4nderungen \u2014 wird durch alle jene Zust\u00e4nde beg\u00fcnstigt, die die Aufmerksamkeit ablenken und die Sch\u00e4rfe des Inhalte des Bewu\u00dftseins verw\u00dfchen. Es werden Beispiele aus der Krankengeschichte einer Patientin mit Halluzinationen schreckhaften Inhalte angef\u00fchrt \u2014 ferner auf die Entstehung der hypnagogen Halluzinationen hingewiesen. Diese Erfahrung wurde mit Erfolg bei den therapeutischen Bem\u00fchungen herangezogen.\nMerzbacheb (Florenz).\nTh. Ziehen. Die Geliteakraakheiten des Kindeialten mit besonderer Ber\u00fccksichtigung des schulpflichtigen Alters. Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der p\u00e4dagogischen Psychologie herausgeg. von Th. Zibglkb u. Th. Ziehen, 5 (1), 79 8. Preis 1,80 Mk. 7 (2), 94 8. Preis 2,\u2014 Mk.\nDen beiden vorliegenden Abhandlungen soll noch eine dritte folgen. Dieselben bezwecken nach Angabe des Verfassers eine spezielle Darstellung der einzelnen Geisteskrankheiten des Kindes- und namentlich des schulpflichtigen Alters, sowohl der angeborenen wie der erworbenen Geisteskrankheiten.\nZu dieser Darstellung ist wohl niemand mehr geeignet als Ziehen. Neben seinen grundlegenden Schriften wie die \u201ePhysiologische Psychologie\u201c und die \u201ePsychiatrie\u201c sind seine zahlreichen Artikel in der Rkih-schen \u201eEnzyklop\u00e4die\u201c ein Beweis daf\u00fcr.\nWir halten es darum f\u00fcr doppelt verdienstvoll, da\u00df er aus prakt\u00dfchen Gr\u00fcnden besondere R\u00fccksicht gerade auf das schulpflichtige Alter genommen hat, und da\u00df, nachdem er in seiner \u201ePsychiatrie\u201c bereite eine Darstellung der allgemeinen Psychopathologie des Kindes alters gegeben hat, er nun in diesen Abhandlungen die Einzeldarstellung bietet.\nAus den landl\u00e4ufigen Lehrb\u00fcchern der Psychiatrie und wie auch aus den","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich t.\n229\nsonstigen Arbeiten der Psychiater \u2014 etwa Arbeiten wie die von EMiONaHAUs \u201ePsychosen im Kindesalter\u201c, von Koch Ober \u201ePsychopathische Minderwertigkeiten\u201c und \u00fcber \u201edas Nervenleben in gesunden und kranken Tagen\u201c und das von R\u00f6mer \u201ePsychiatrie und Seelsorge\u201c ausgenommen \u2014 ist f\u00fcr den Lehrer und Erzieher weder f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis psychopathischer Erscheinungen noch f\u00fcr die erzieherische Behandlung nicht allzu viel zu holen, zumal wenn gegen\u00fcber der Psychopathologie die Gehirnpathologie in den Vordergrund tritt. Es ist f\u00fcr die Wissenschaft an sich ja gewifs von grofser Bedeutung, die \u00dcbereinstimmung psychopathischer St\u00f6rungen mit Gehirnst\u00f6rungen nachzuweisen, und es soll nicht bestritten werden, dafs in manchen Fallen mit medizinischen wie namentlich mit physikalisch-di\u00e4tetischen Heilmitteln manches auf dem Wege durch den K\u00f6rper gebessert werden kann; aber im ganzen ist der Psychologie an Bich und der P\u00e4dagogik an sich mit der Behandlung der abnormen Erscheinungen im Seelenleben blofs als krankhafte Ver\u00e4nderungen des Gehirns nicht sehr viel gedient, denn das Gehirn ist nicht die Psyche. Die Darstellungen dieser krankhaften Zustande nach der seelischen Seite hin sind in den meisten medizinischen Werken aber allzu d\u00fcrftig und schematisch, wie von angesehenen Psychiatern das ja auch rundweg zugestanden wird, eben weil die Lehre von den seelischen Erkrankungen im Kindesalter \u00fcberhaupt noch in den Kinderschuhen steckt. Nicht selten begegnet man sogar noch einer Auffassung, wonach alles, was man mit dem d\u00fcrftigen Schema der psychiatrischen Lehrb\u00fccher \u00fcber die kindlichen Geisteskrankheiten nicht weiter unterbringen kann, einfach in den Sammeltopf \u201eIdiotie\u201c geworfen wird. Was bei einigen Psychiatern noch alles als \u201eIdiotie\u201c bezeichnet wird, ist erstaunlich. Aus Kindern mit \u201egeschw\u00e4chter und fehlerhafter Veranlagung\u201c werden einfach \u201eSchwachsinnige\u201c und \u201eIdioten\u201c gemacht und in demselben Atem behauptet man dann, dafs, wenn solche Kinder nicht unter ihrer Leitung Bich befinden, es der \u201eWissenschaft, der Erfahrung und der Humanit\u00e4t\u201c widerspricht.\nDemgegen\u00fcber ist es ein besonderes Verdienst von Ziehen, dafs er uns einen tieferen Einblick auch in die seelischen St\u00f6rungen des Kindesalters durch seine Einzeldarstellung verschafft. Man merkt der Schrift auf jeder Seite an, dafs Ziehen ein reiches Beobachtungsmaterial zur Verf\u00fcgung stand und dafs er dieses Beobach tun gsmaterial auch wirklich psychologisch beobachtet und zergliedert hat. Er hat die Einzelheiten sowohl nach der leiblichen wie nach der seelischen Seite und in deren Wechselwirkung scharf zu erfassen verstanden, sich also als vortrefflicher Diagnostiker erwiesen. Aber auch seine Therapie, die er bietet, mt ebenso bestimmt wie sachlich begr\u00fcndet. In der seelischen Therapie tritt besonders der scharfsinnige Psychologe hervor, der zugleich auch tiefereB p\u00e4dagogisches Verst\u00e4ndnis bekundet.\nDie Schrift ist darum nicht blofs f\u00fcr \u00c4rzte und Psychologen, sondern auch f\u00fcr den praktischen Erzieher und zwar nicht blofs f\u00fcr den der kranken, sondern auch f\u00fcr den der gesunden, normalen Kinder von grofser Bedeutung. Die geistig Erkrankten werden nur teilweise wieder geBund und nur ein geringer Prozentsatz erreicht wieder die normale Leistungsf\u00e4higkeit. Wenn","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nLitera turbericht.\naber die Lehrer gesunder Kinder ausger\u00fcstet sind mit einer derartigen feinen und feinsinnigen psychopathologischen Kenntnis, dann werden Viele St\u00f6rungen im Kindesalter verh\u00fctet, manche Existenz einer Kindespers\u00f6nlichkeit wird gerettet und manche Familie wird vor tiefem Schmerz bewahrt werden. Ich messe also solchen Bearbeitungen wie den ZisHEKSchen Zugleich eine eminent soziale Bedeutung bei.\nZiehen teilt die Geisteskrankheiten des Kindesalters in A. Psychosen mit Intel ligenzdefekt oder Defektpsychosen und B. Psychosen ohne Intelligenzdefekt.\n\u201eUnter Intelligenzdefekt ist \u2014 so sagt Ziehen \u2014 die krankhafte Armut oder wie man auch sagt, der Ausfall von Vorstellungen und assoziativen Vorstellungsverkn\u00fcpfungen zu verstehen. Auf die Anwesenheit oder Abwesenheit eines solchen Intelligenzdefektes die Haupteinteilung der Psychosen zu gr\u00fcnden, erscheint aus den verschiedensten Gr\u00fcnden zweck-m\u00e4fsig. Erstens ist der Intelligenzdefekt als solcher eines der wichtigsten psychischen Krankheitssymptome, zweitens gibt er stets auch einen bestimmten pathologisch-anatomischen Hinweis: Die Defektpsychosen sind n\u00fcmlich ausnahmslos zugleich dadurch charakterisiert, dafs bei der Sektion stets entweder makroskopisch oder mikroskopisch krankhafte Ver\u00e4nderungen der Grofshirnrinde sich nachweisen lassen. Dem Ausfall von Vorstellungen und Vorstellungsverkn\u00fcpfungen entspricht ein Untergang von Ganglienzellen bzw. Nervenfasern der Grofshirnrinde. Wir kennen keinen einzigen Fall einer Defektpsychose, der gr\u00fcndlich nach den uns zu Gebote stehenden Methoden makroskopisch und mikroskopisch untersucht worden w\u00e4re und keine krankhaften Abweichungen im Bau der Grofshirnrinde ergeben h\u00e4tte. Man kann daher die Defektpsychosen auch als organische Psychosen bezeichnen, da man unter organischen Krankheiten ebeu solche versteht, bei welchen die Sektion makroskopische oder mikroskopische Ver\u00e4nderungen aufdeckt. Demgegen\u00fcber hat man die Psychosen ohne Intelligenzdefekt als funktionelle Psychosen zu bezeichnen, weil hier auch mit Hilfe unserer feinsten Methoden keine makroskopischen oder mikroskopischen Ver\u00e4nderungen in der Grofshirnrinde nachzuweisen sind. Es handelt sich eben hier nicht um den Ausfall von Vorstellungen und Vorstellungsverkn\u00fcpfungen, sondern nur um Abnormit\u00e4ten des Vorstellungsablaufes, der Gef\u00fchlsbetonung u.s.f., nicht um Zerst\u00f6rungen der Elemente selbst, sondern um St\u00f6rungen ihrer T\u00e4tigkeit oder ,Funktion'. Selbstverst\u00e4ndlich ist auch f\u00fcr diese St\u00f6rungen eine materielle Ver\u00e4nderung anzunehmen, aber dieselbe ist so unerheblich, dafs sie sich unserem Nachweis in den meisten F\u00e4llen vollst\u00e4ndig entzieht. In einzelnen F\u00e4llen mag es sich auch um eine krankhafte Ver\u00e4nderung des Blutumlaufes im Gehirn handeln, z. B. um eine krankhafte Verminderung des arteriellen Zuflusses, durch welche begreiflicherweise ganz ebenso wie durch unzureichende Ern\u00e4hrung, \u00dcberanstrengung usw. St\u00f6rungen der T\u00e4tigkeit der Kindenelemente entstehen k\u00f6nnen. Auch solche St\u00f6rungen durch Blutdurchstr\u00f6mung lassen sich bis jetzt an der Leiche nicht sicher nachweisen und noch weniger die durch diese St\u00f6rungen bedingten feinen Ver\u00e4nderungen der Rindenelemente.\u201c\nSo begr\u00fcndet Ziehen seine Einteilung. Es wird sich erst verlohnen,","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\n231\ndie einzelnen Kapitel n\u00e4her zu betrachten, -wenn das ganze Werk vollendet ist. Zu dieser allgemeinen und prinzipiellen Frage m\u00f6chte ich aber folgendes bemerken.\nDafs Ziehen alle diese St\u00f6rungen ohne weiteres als \u201eGeisteskrankheiten\u201c schlechthin bezeichnet, hat von seinem Standpunkte aus ja gewifs seine Berechtigung. Von anderer Seite her betrachtet, erheben sich jedoch dagegen allerlei Bedenken.\nEs ist zun\u00e4chst f\u00fcr alle Angeh\u00f6rigen wie f\u00fcr die betroffenen Kinder selbst, welche mit leichteren seelischen St\u00f6rungen behaftet sind, weit f\u00f6rderlicher, ja es h\u00e4ngt oft ein St\u00fcck Zukunft davon ab, dafs sie nicht als \u201egeisteskrank\u201c betrachtet und behandelt werden, auch wenn sie vor\u00fcbergehend oder dauernd der \u00e4rztlichen Kontrolle zu unterstellen sind. Nicht dafs man einen Arzt gebrauchen mufs, ist das Anst\u00f6fsige, obgleich viele auch daran Anstofs nehmen, sobald es sich um seelische St\u00f6rungen handelt, sondern dafs einem Kinde dauernd der Stempel \u201egeisteskrank\u201c aufgepr\u00e4gt werden kann. Sodann ist es nicht blofs gef\u00fchlsm\u00e4fsig und durch den herrschenden Sprachgebrauch, sondern auch durch die Sache selbst begr\u00fcndet, dafs f\u00fcr die milderen Formen abnormer Erscheinungen im kindlichen Seelenleben auch die Wissenschaft mildere Bezeichnungen w\u00e4hle. Insbesondere sollte sie allgemein ein ZwiBchengebiet zwischen Geisteskrankheit und geistiger Gesundheit, wie Koch sie als \u201ePsychopathische Minderwertigkeiten\u201c umschrieben und als besonderes Gebiet begr\u00fcndet hat, festhalten. Der Ausdruck ist zwar auch kein sehr ansprechender, aber ein besserer Ersatz ist noch nicht daf\u00fcr gefunden.\nF\u00fcr die P\u00e4dagogik wie f\u00fcr die Psychologie hat das noch einen besonderen Wert. F\u00fcr jene ist dieses zugleich das Gebiet, welches als \u201eP\u00e4dagogische Pathologie\u201c (zuerst von Ludwig Str\u00fcmpell umschrieben) auch ihr in vollem Mafse mit angeh\u00f6rt, sowohl der Wissenschaft als der Praxis nach, und f\u00fcr die Psychologie haben wir hier ein Gebiet, ohne deren Ber\u00fccksichtigung sie eigentlich zu einer Lehre von der Psyche blofs hervorragender Kinder wird.\tTr\u00fcper (Jena).\nRudolf Holzapfel. Wesen und Methode der socialen Psychologie. Archiv f\u00fcr systematische Philosophie 9 (1), 1\u201457. 1908.\nDie schwer lesbare Abhandlung fordert, dafs im Mittelpunkt der sozialen Psychologie die Selbstbeobachtung stehen soll. Ob und wie weit daneben aus der \u00fcbrigen Erfahrungswelt, insbesondere aus den Geisteswissenschaften gesch\u00f6pft werden soll, hat der Referent nicht zu erkennen vermocht. Weiterhin bietet der Aufsatz eine Art Schema f\u00fcr die Hauptgebiete der neuen Disziplin und eine Reihe erl\u00e4uternder Bemerkungen dazu. Sicherlich ist der Wert der Selbstbeobachtung f\u00fcr die GeBellschaftspsychologie gr\u00f6fser, als man meiBt annimmt. Aber ebenso gewifs bedarf diese Quelle der Verkn\u00fcpfung mit den objektiven Aussagen der Kulturwissenschaften, soll sie nicht in unfruchtbare Dialektik versanden. Eine Probe auf seine Methodik hat Holzapfel in seinem Buch geliefert: Panideal. Psychologie der sozialen Gef\u00fchle. Leipzig 1902. Der Inhalt dieses Buches, \u00fcber den die vorliegende Abhandlung weiterhin kurz berichtet, tritt in der Tat fast","page":231}],"identifier":"lit32384","issued":"1905","language":"de","pages":"228-231","startpages":"228","title":"Th. Ziehen: Die Geisteskrankheiten des Kindesalters mit besonderer Ber\u00fccksichtigung des schulpflichtigen Alters. Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der p\u00e4dagogischen Psychologie herausgeg. von Th. Ziegler u. Th. Ziehen, 5 (1), 79 S., 7 (2), 94 S.","type":"Journal Article","volume":"38"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:31:04.339397+00:00"}