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{"created":"2022-01-31T16:31:32.339744+00:00","id":"lit32403","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kramer","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 38: 316-317","fulltext":[{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nLitcraturbcricht.\nGrund der \u201eTests\u201c dazu gelangen k\u00f6nne, die Grenzen des psychisch-normalen und des psychopathologischen zahlenm\u00e4fsig bestimmen zu k\u00f6nnen, ein Ziel, von dem wir uns wohl noch aufserordentlich weit entfernt befinden, wenn es auf diesem Wege \u00fcberhaupt erreichbar sein sollte.\nKramer (Breslau).\nMagulh\u00e4es Lemos. \u00c9volution des id\u00e9es d\u00e9lirantes dans quelques cas de m\u00e9lancolie chronique \u00e0 forme anxieuse. XlVe Congr\u00e8s intern, de M\u00e9d. Porto, Officina typogr. do hosp. de alienados do conde de Ferreira 1903 52 S.\nVerf. schildert ausf\u00fchrlich einen Fall von Melancholie mit \u00e4ngstlicher F\u00e4rbung, der in chronischer Progression zu einer systematisierenden Wahnbildung f\u00fchrte und bei welchem sich der Mechanismus der Entstehung der Wahnideen sehr genau verfolgen liefe. Verf. hat diese Entwicklung sehr sorgf\u00e4ltig beobachtet und gibt uns eine eingehende, an interessanten Einzelheiten reiche Beschreibung der Krankheit. Dieselbe begann bei dem 35j\u00e4hrigen Patienten zuerst mit Unruhe, Schlaflosigkeit und einem zun\u00e4chst unsubstantiierten Ungl\u00fccksgef\u00fchl, wobei noch ausgesprochenes Krankheitsgef\u00fchl vorhanden war. Hierzu gesellte sich nach einiger Zeit offenbar auf dem Wege des Erkl\u00e4rungswabns f\u00fcr das Unglticksgef\u00fchl und die unbestimmten Gewissensbisse ausgesprochene Selbstvorw\u00fcrfe und Selbstbeschuldigungen, die sich zun\u00e4chst auf die gesch\u00e4ftliche T\u00e4tigkeit des Patienten bezogen. Allm\u00e4hlich nahmen diese Selbstbeschuldiguugen einen immer phantastischeren Charakter au, indem der Kranke sich immer schlimmerer Verbrechen beschuldigte und sich endlich als den Urheber alles auf der Welt geschehenen Ungl\u00fccks betrachtete. Wiederum auf dem Wege des Erkl\u00e4rungsbed\u00fcrfnisses entwickelte sich hieraus ein sekund\u00e4rer Gr\u00f6fsenwahn im Sinne von Unsterblichkeit\u00ab- und Ewigkeitsideen. Denn zu so vielen S\u00fcnden war eben ein Leben von aller Ewigkeit an n\u00f6tig, zu ihrer S\u00fchnung ein unsterbliches Leben erforderlich. Endlich kam der Kranke dazu, sich als Geist des Universums, als das Universum selbst zu betrachten. Dabei behielten diese Gr\u00f6fsenideen, ihrem Ursprung entsprechend, immer einen qualvollen, mit Selbstvorw\u00fcrfen untermischten Charakter bei.\nVerf. legt besonderen Wert auf die Konstatierung, dafs sich Gr\u00f6fsenideen im Sinne der Unsterblichkeit und Ewigkeit unmittelbar aus den melancholischen Wahnideen heraus entwickeln k\u00f6nnen.\nKramer (Breslau).\nErnst Schultze. Stirn er sehe Ideen in einem paranoischen Wahnsystem.\nArchiv f\u00fcr Psychiatrie 36 (3), 793\u2014819. 1903.\nVerf. hat bei einer in Anstaltsbehandlung befindlichen Paranoika ein System beobachtet, das in seinen Hauptz\u00fcgen aufserordentlich an die Ideen Max Stirners erinnerte. Die Patientin hatte aufser gelegentlichen m\u00fcndlichen Aufserungen ihre Ansichten in der Anstalt ausf\u00fchrlich schriftlich niedergelegt und entwickelte darin ein System von aufserordentlicher Konsequenz, ein System des krassesten Egoismus. Das Wesentliche ihrer Ansichten fafst Verf. in folgenden drei Punkten zusammen: 1. Was ich","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n317\nwill, ist recht. 2. Ich tue, was ich will; also begehe ich niemals Unrecht. 3. Unrecht ist, was ich gegen meinen Willen von anderen gezwungen oder aus Not und Gefahr tue. Sie k\u00f6nne heute so und morgen so reden, immer sei es Wahrheit. Was sie sage und tue, sei immer recht, sie brauche sich an niemanden zu kehren. Die Gesetze, die zehn Gebote seien nicht fllr sie, sondern nur fllr die anderen da. Ihr Wille ist f\u00fcr sie identisch mit Recht und Vernunft. Sie d\u00fcrfe stehlen; denn dadurch, dafs sie etwas begehre, habe sie es schon zu ihrem Eigentum gemacht; sie nehme also nur ihr Eigentum an sich. In gleicher Weise wird dieser Standpunkt f\u00fcr alle anderen Fragen des Lebens durchgef\u00fchrt. Sie hat nur Rechte; alle anderen Menschen nur Pflichten, n\u00e4mlich das zu tun, was ihrem Willen entspricht. Allen Einwendungen wufste die Patientin mit grofser Gewandtheit zu begegnen und aus allem sprach eine Logik, wie sie f\u00fcr eine Angeh\u00f6rige niederen Standes mit nur Volksschulbildung recht auffallend war. Vor der Anstaltsbehandlung hatte die Patientin auch verschiedene Versuche gemacht, ihre Ideen in die Praxis umzusetzen, indem sie Brandstiftung versuchte und aufserdem ihren Bruder bestahl und betrog.\nDafs die Patientin geisteskrank ist und aufserdem des Schutzes des Paragraph 51 des Strafgesetzbuches teilhaftig werden mufs, unterliegt keinem Zweifel. Bemerkenswert an dem System ist die aufserordentliche \u00c4hnlichkeit mit dem System Stirners. Verf. erl\u00e4utert dieselbe sehr gut durch Gegen\u00fcberstellung einiger charakteristischer Stellen aus dem \u201eEinzigen und sein Eigentum\u201c. Es mufste bald die Frage aufgeworfen werden, ob der Kranken das STiRNERsche Buch nicht bekannt war. Sie selbst leugnete dies strikte, was aber bei ihrer Berechtigung zu l\u00fcgen, die sie sich beimafs, nicht viel besagte. Doch h\u00e4lt es Verf. aus verschiedenen Gr\u00fcnden nicht f\u00fcr wahrscheinlich, dafs diese Bekanntschaft vorlag. Einmal liegt der Beginn des Systems bei der Kranken in einer Zeit, wo das STiBRKRSche Buch durchaus noch nicht so in die \u00d6ffentlichkeit gedrungen war, wie es sp\u00e4ter durch die Nietzscbe- Bewegung und die RECLAMSche Ausgabe des Buches geschah. Aufserdem zeigten die beiden Systeme bei aller \u00dcbereinstimmung einige wesentliche Unterschiede, die f\u00fcr eine Unabh\u00e4ngigkeit derselben sprachen; f\u00fcr die Kranke ist ihr Wille die oberste Instanz; Stuwer l\u00e4fst die Macht des einzelnen entscheiden. W\u00e4hrend letzterer allen Menschen das gleiche Recht zuschreibt, nimmt die Kranke dieses einzig und allein f\u00fcr sich in Anspruch ; ein Punkt, der ja gerade f\u00fcr die paranoische Natur des Systems sehr charakteristisch ist.\nEine weitere Frage, die Verf. noch ber\u00fchrt, ist die, ob Stuwer nicht ebenfalls geisteskrank gewesen ist. Die Mitteilungen \u00fcber Stirners Leben sind aber so mangelhaft, dafs sich ein sicherer Schlufs daraus nicht ziehen l\u00e4fst. Jedenfalls liegt in dem, was wir dar\u00fcber wissen, kein Anhaltspunkt f\u00fcr das Bestehen einer Psychose vor.\tKramer ^Breslau).\nE. Glev. \u00c9tudes de psychologie physiologique et pathologique. Paris, F. Alcan 1903. 335 S. Preis 5 Frcs.\nDas vorliegende Buch gibt in erster Linie einen ausf\u00fchrlichen \u00dcberblick \u00fcber den heutigen Stand einiger Fragen, welche die Beziehungen zwischen k\u00f6rperlichen und geistigen Vorg\u00e4ngen betreffen; daran schliefsen\nI","page":317}],"identifier":"lit32403","issued":"1905","language":"de","pages":"316-317","startpages":"316","title":"Ernst Schultze: Stirnersche Ideen in einem paranoiden Wahnsystem. Archiv f\u00fcr Psychiatrie 36 (3), 793-819. 1903","type":"Journal Article","volume":"38"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:31:32.339749+00:00"}