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{"created":"2022-01-31T16:33:11.786867+00:00","id":"lit32445","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Angier, Roswell Parker","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 37: 235-249","fulltext":[{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"235\n(Ans der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universit\u00e4t Berlin.)\nVergleichende Messung der kompensatorischen Boilungen beider Augen.\nVon\nDr. Roswell Pabkeb Angieb, Cambridge U. S. A.\nIn einer neueren Untersuchung \u00fcber die sog. kompensatorischen Rollungen des Auges hat Yves Delage1 einige interessante und auffallende Besonderheiten dieser Augenbewegungen aufgefunden, welche bisher noch nicht beobachtet worden waren. Der Besprechung seiner Versuche m\u00f6chte ich die Bemerkung vorausschicken, dafs der franz\u00f6sische Forscher nur mit sich selbst als Versuchsperson arbeitete und dafs seine Methodik auf dem ziemlich hochgradigen Astigmatismus, also einer Abnormit\u00e4t seiner Augen, beruhte.\nWenn der K\u00f6rper von der aufrechten Haltung ausgehend nach und nach durch volle 360 Grad seitw\u00e4rts gedreht wurde, und zwar um diejenige sagittale Achse, welche durch den Mittelpunkt der Verbindungslinie beider Augen (Nasenwurzel) gelegt zu denken ist, so zeigte sich, dafs erstens bei fast jeder gegebenen K\u00f6rperlage die Kompensationsbewegung des einen Auges dem Betrage nach bedeutend verschieden von der des anderen war. Zweitens beobachtete Delage, dafs die Rollung in entgegengesetztem Sinne ablaufen kann: Die Drehung des Augapfels kann n\u00e4mlich kleiner oder gr\u00f6fser sein, als die K\u00f6rperdrehung. Ist dieselbe kleiner, so spricht Delage von negativer, ist sie gr\u00f6fser, von positiver Rollung der Augen. Positive Rollungswerte fand Delage nur dann, wenn die Drehung des K\u00f6rpers einen gewissen Betrag, der zwischen 135 und\n1 Dblaqb, Yvbs: Le mouvement de torsion de l'ceil. Arch. cool, exp\u00e9r. et g\u00e9n\u00e9r. 1903.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nRoswell Parker Angier.\n275 Grad, von der aufrechten Haltung ab gerechnet, liegen kann, \u00fcberschritten hat. An diesem zweiten Resultat aber ist der Befund am wichtigsten, dafs die Umschlagpunkte von negativer zu positiver Rollung f\u00fcr beide Augen in keinem Falle der gleichen K\u00f6rperlage entsprechen, dafs also bei einer bestimmten K\u00f6rperlage die Richtungen der Rollungen der zwei Augen entgegengesetzt sein k\u00f6nnen. Drittens wurde festgestellt, dafs die Rollungswerte f\u00fcr beide Augen verschieden ausfielen, je nachdem die entsprechende K\u00f6rperlage durch Drehung nach der einen oder nach der anderen Seite erreicht worden war, dafs also der Rollungswert von der Richtung der voraufgegangenen K\u00f6rperdrehung abh\u00e4ngig war.\nDifferenzen in den Rollungen beider Augen sind von fr\u00fcheren Forschern nicht beschrieben worden; sind doch \u00fcberhaupt meines Wissens vergleichende Messungen dieser Bewegungen beim Menschen bisher nicht unternommen, resp. publiziert worden. Keinem der fr\u00fcheren Forscher auf diesem Gebiete stand ein \u00e4hnlicher Apparat zur Verf\u00fcgung, welcher vollst\u00e4ndige Drehungen des ganzen K\u00f6rpers auszuf\u00fchren erlaubte und es somit erm\u00f6glichte, die Bewegungswerte der Augen f\u00fcr irgend eine Lage des Kopfes zu bestimmen. Es ist also kein Wunder, dafs das Studium der \u00e4lteren Literatur bez\u00fcglich der von Delage bearbeiteten Gesichtspunkte ergebnislos ist. Nur einige an Tieren ausgef\u00fchrte Versuche ber\u00fchren sich mit den von Delage mitgeteilten experimentellen Ergebnissen. Die Resultate dieser von Nagel unternommenen Versuche tangieren indessen nur die Angabe Delages, welche das Vorkommen sowohl positiver wie negativer Raddrehungen der Augen behauptet Nagel 1 fand, dafs die positiven Rollungen des Auges beim Frosch und Kaninchen anfangen, wenn der K\u00f6rper um 200 Grad aus der Prim\u00e4rlage gedreht worden ist, und dafs sie bei beiden Tieren andauerten bis die aufrechte K\u00f6rperlage wieder erreicht war. Stets ergab sich in diesen Versuchen die positive Drehung erheblich kleiner als die voraufgehenden negativen, und diese Beobachtungen bestehen nach Delage auch f\u00fcr seine eigenen Augen vollkommen zu Recht\nGanz neu sind nun alle diejenigen Resultate der Experimente Delages, welche Differenzen in den Rollungsbewegungen\n1 W. A. Nagel. \u00dcber kompensatorische Baddrehungen der Augen. Diese Zeitschrift 12. S. 346\u2014347.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen. 237\nbeider Augen ergeben haben und welch\u00e9 eine Abh\u00e4ngigkeit der Richtung und Gr\u00f6fse der Augendrehung von der Richtung der K\u00f6rperdrehung angeben.\nWie schon angedeutet, beruht die Versuchsmethodik Delages auf dem Astigmatismus seiner Augen und zwar benutzte er die Eigenschaft dieser Refraktionsanomalie, dafs Kreise in Ellipsenform auf der Netzhaut abgebildet werden. Die grofse Achse dieser Ellipse liegt nat\u00fcrlich immer in der Richtung des am schw\u00e4chsten brechenden Homhautmeridianes und die Drehung dieser Achse kann als Index f\u00fcr die Rollung des Bulbus dienen. F\u00fcr den Versuch liefe sich Delage auf einem besonders konstruierten Stuhle festschnallen und konnte dann mit samt dem Stuhl um eine Achse gedreht werden, welche in sagittaler Richtung durch den Mittelpunkt der Verbindungslinie beider Augen gelegt zu denken ist. Vor den Augen wurde ein kleiner leuchtender Kreis erzeugt, dessen Zentrum auf der eben beschriebenen Drehungsachse lag. Dieser Kreis behielt also bei allen Drehungen des K\u00f6rpers eine vollkommen konstante Lage im Verh\u00e4ltnis zu den Augen bei, und erschien bei Fixation dem unkorrigierten astigmatischen Auge als Ellipse, deren Achsenrichtung sich mit der K\u00f6rperdrehung \u00e4nderte. Als Mafs f\u00fcr die kompensatorischen Rollungen der Augen benutzte Delage den Winkelunterschied, welcher zwischen dem Betrage der K\u00f6rperdrehung und der Achsendrehung der Ellipse ermittelt wurde. Um die Ellipsendrehung genauer messen zu k\u00f6nnen, erzeugte Delage einen zweiten Lichtkreis in solchem Abstande vom dem erstbeschriebenen, dafs bei gleicher Richtung der Hauptachsen der zwei ellipsenf\u00f6rmigen Netzhautbilder, deren beide Pole sich gerade ber\u00fchrten, dafs also beide grofse Achsen gleiche Richtung hatten. Nach Ausf\u00fchrung einer K\u00f6rperdrehung von irgend einem Betrage hatte ein Gehilfe den zweiten Kreis so lange herumzuf\u00fchren, bis beide grofse Achsen der ellipsenf\u00f6rmigen Bilder dem Beobachter in gegenseitiger Verl\u00e4ngerung zu liegen schienen. Es versteht sich, dafs bei den Ortsver\u00e4nderungen des zweiten Kreises der Abstand zwischen den Zentren beider Kreise unge\u00e4ndert bleiben mufste. Die Winkelverschiebung des zweiten Kreises um das Zentrum des ersten (Drehungsachse der Versuchsperson) konnte an einer Skala abgelesen werden und bildete direkt das Mafs f\u00fcr die Drehung des Augapfels. Die Kompensationsbewegung war dann leicht zu berechnen.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nBmicdl Parker Angier.\nDafs die oben zitierten Ergebnisse der Untersuchungen Delageb vielfache interessante und wichtige Beziehungen za den Problemen der Physiologie der Gesichtswahmehmungen haben, liegt auf der Hand. Gehen wir zun\u00e4chst etwas n\u00e4her auf das erste dieser Versuchsresultate ein, welches mir physiologisch am bedeutsamsten zu sein scheint und welches, wie erinnerlich sein wird, eine Verschiedenheit der Raddrehungen eines Auges von der des anderen bei gegebener Seitenneigung des K\u00f6rpers behauptet. Die Richtigkeit dieser Angabe vorausgesetzt, w\u00e4re zu folgern, dafs die Muskelkoordinationen der Augen und die Projektionsrichtungen der beiden Netzhautbilder unter dieseu Umst\u00e4nden wesentlich different sein m\u00fcfsten und erheblich von der Art des normalen Binokularsehens bei aufrechter K\u00f6rperhaltung abweichen w\u00fcrden. Die Bilder, welche normalerweise auf korrespondierende Netzhautpunkte fallen, w\u00fcrden bei geneigtem Kopf nicht korrespondierende Punkte treffen. Es lag nahe, die sich hier bietende, sehr anziehende Gelegenheit zu benutzen, diejenigen Ph\u00e4nomene der Gesichtswahrnehmungen n\u00e4her zu untersuchen, welche von der Modifikation der Muskelkoordination oder Reizung nicht korrespondierender Netzhautpunkte direkt beeinfiufst werden m\u00fcssen.\nAuf Vorschlag von Herrn Professor Nagel unternahm ich die n\u00e4here Untersuchung der aufgeworfenen Fragen und begann mit Experimenten \u00fcber den Einfiufs von Ungleichheit der beiderseitigen Raddrehungen auf die Genauigkeit der Tief en Wahrnehmung. Mit dem bekannten Dreist\u00e4bchenapparat von Helmholtz (in der ihm von Heine gegebenen Form) stellte ich zun\u00e4chst die Genauigkeit meiner eigenen Tiefensch\u00e4tzung bei aufrechter K\u00f6rperhaltung und vertikaler St\u00e4bchenstellung messend fest. Darauf wurden dieselben Versuche bei sonst gleichen Bedingungen nach Schulterneigung des Kopfes um 90 Grad und bei Horizontallage der St\u00e4bchen wiederholt.\nZu meinem Erstaunen stellte sich der Unterschied in der Genauigkeit der Tiefen Sch\u00e4tzung unter beiderlei Versuchsbedingungen in den vielfach wiederholten Experimenten als so minimal heraus, dafs sie kaum zahlenm\u00e4fsig angegeben werden k\u00f6nnen und wahrscheinlich auch gar nicht real vorhanden sind. Wenn man sich erinnert, dafs Delage eine Differenz von 9 Grad in den Kompensationsdrehungen zwischen beiden Augen bei 90 Grad Kopfdrehung nach rechts und von 4 Grad","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Mestung der kompenea tori gehen Ballungen beider Augen. 239\nbei 90 Grad Drehung nach links feststellte, so mufste das Ergebnis meiner Messungen wohl befremdend genug erscheinen und es war wohl selbstverst\u00e4ndlich, dafs sofort Zweifel an der Richtigkeit der D\u00dfLAGEschen Resultate oder doch an ihrer allgemeinen G\u00fcltigkeit auf kamen.\nAllerdings pr\u00fcfte Delage ja in seinen Versuchen jedes Auge einzeln, w\u00e4hrend bei meinen Experimenten \u00fcber die Tiefen-sch\u00e4tzung beide Augen gleichzeitig funktionierten. Es w\u00e4re zun\u00e4chst sehr wohl m\u00f6glich gewesen, dafs tats\u00e4chlich jedes Einzelauge bei isolierter T\u00e4tigkeit, ganz wie Delage angibt, seine besondere Rollung zeigen w\u00fcrde, dafs dagegen eine Ausgleichung der Differenzen erfolgen k\u00f6nnte, wenn beide Augen gleichzeitig am Sehen beteiligt sind und koordiniert arbeiten m\u00fcssen. Es ist ja bekannt, dafs die Muskelzust\u00e4nde des einen Auges nicht ganz unabh\u00e4ngig von den Sehfunktionen mit den Bewegungen des anderen Auges absolut pr\u00e4zis verkn\u00fcpft sind: man denke nur an den bekannten Versuch, dafs, wenn ein oder beide Augen verdeckt gehalten und dann pl\u00f6tzlich freigegeben werden, oft Doppelbilder, wenn auch nur vor\u00fcbergehend, zur Beobachtung gelangen. Dieses Ph\u00e4nomen beruht zweifellos auf den beiderseits verschiedenen muskul\u00e4ren Gleichgewichtszust\u00e4nden, welche sich erst ausgleichen, wenn beide Augen gleichzeitig in Sehfunktion treten. Um die Bedeutung dieser Faktoren bez\u00fcglich meiner und der DELAGEschen Versuche klarzustellen, machte ich einige einfache Versuche, welche nach Mafsgabe der eingehaltenen Bedingungen in zwei Kategorien zerfielen. Bei einer ersten Reihe von Versuchen hatten die Augen w\u00e4hrend der Ausf\u00fchrung der K\u00f6rpemeigung dauernd ein Objekt zu fixieren, bei einer zweiten Reihe dagegen blieben die Augen in ihren beiderseits verschiedenen Gleichgewichtszust\u00e4nden und wurden nicht durch die Aufgabe binokular zu fixieren in eine bestimmte Zwangsstellung gebracht.\nWenn man den Kopf, ausgehend von der Vertikallage, allm\u00e4hlich nach einer Schulter hinneigt, und w\u00e4hrend dieser Bewegung eine gerade Linie dauernd fixiert, dann erscheint diese Linie weder doppelt noch unscharf. Dieses Resultat steht im Widerspruch zu den Versuchsergebnissen Delages, denn wenn infolge der beiderseits ungleichen Raddrehungen der Augen nicht korrespondierende Netzhautstellen erregt worden w\u00e4ren, so h\u00e4tte Doppelsehen auftreten m\u00fcssen. Erzeugt man ferner Doppel\u00ab","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nRoswell Parker Angler.\nbilder einer Lichtlinie, indem man dieselbe nahe dem Auge anbringt, dabei aber einen entfernten Punkt fixiert, und neigt man jetzt unter Festhaltung des fixierten Punktes den Kopf zur Seite, .so m\u00fcfsten, wenn die Rollungen tats\u00e4chlich beiderseits ungleich sind, gekreuzte oder wenigstens unparallele Doppelbilder der Lichtlinie wahrzunehmen Bein. Von etwas derartigem fand ich nichts, selbst wenn ich den Kopf nach links oder nach rechts um mehr als 135 Grad aus der Vertikalstellung gedreht hatte.\nAuch die Ergebnisse meiner Versuche, bei welchen die Gleichgewichtslage der Augen beibehalten wurde, fielen nicht derart aus, dafs sie eine St\u00fctze der Angaben Delages bilden k\u00f6nnten. Wenn nach Seitw\u00e4rtsneigung des Kopfes die accom-modationslos auf eine Lichtlinie gerichteten Augen entweder beiderseits oder nur auf einer Seite verdeckt und dann pl\u00f6tzlich frei gegeben werden, so erscheinen die vor\u00fcbergehend zu beobachtenden Doppelbilder weder gekreuzt noch gegeneinander geneigt; sie sind vielmehr vollkommen parallel.\nMan kann die Versuchsmethodik noch vielfach modifizieren. Ich will indessen den Leser hier nicht durch Beschreibung zu ^vieler Einzelheiten erm\u00fcden, und erw\u00e4hne nur, dafs alle Versuche Resultate ergaben, welche mit den letzterw\u00e4hnten in vollem Einklang stehen. Rach alledem kann man mit Sicherheit behaupten, \u00abdafs alle Bekund\u00e4ren Ph\u00e4nomene, welche bei beiderseits ungleicher Rollung auftreten m\u00fcfsten, niemals zur Beobachtung gelangten.\nEs war nun meine Aufgabe durch direkte Messung der Kompensationsdrehungen die Frage direkt anzugreifen und da--durch die L\u00f6sung der Differenzen zwischen meinen bisherigen Versuchsergebnissen und denen Delages anzubahnen.\nIch ging also daran, die Rollungen beider Augen bei Seitenneigungen des Kopfes bis zu 170 Grad Abweichung von \u25a0der Vertikalen zu messen. Ich mufste darauf verzichten, die Versuchsanordnung Delages nachzuahmen und danach vorzugehen, weil keine Versuchsperson mit hinreichend astigmatischen Augen zu finden war. Der Entschlufs zu diesem Verzicht war leicht, denn die von mir benutzte, schon fr\u00fcher vielfach erprobte Versuchsmethode liefs von vornherein weit pr\u00e4zisere Resultate \u25a0erwarten, als die Delages. Sie war schon deshalb vorzuziehen, weil ihrer Anwendung nicht eine Abnormit\u00e4t der Augen zum Ausgangspunkt dient, und weil sich die Richtigkeit der Resultate","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen. 241\nmit Leichtigkeit durch Wiederholung der Versuche an vielen Personen kontrollieren l\u00e4fst.\nIch verfuhr im wesentlichen folgendermafsen :\nZun\u00e4chst wurde bei aufrechter Kopfhaltung monokular das Nachbild einer genau vertikalen Lichtlinie erzeugt. Dann wurde bei der gew\u00fcnschten Seitenneigung des Kopfes das Nachbild auf eine entfernte schwach beleuchtete vertikale Wand projiziert. Die Winkeldifferenz zwischen dem Grade der Kopfdrehung und der Neigung des projizierten Nachbildes ergibt ohne weiteres ein richtiges Mafs f\u00fcr die Rollung des Auges. Denn das projizierte Bild \u00e4ndert bekanntlich seine Richtung in demselben Mafse und demselben Sinn, wie der Netzhautmeridian, auf welchem es liegt.\nNoch einige Einzelheiten des Verfahrens m\u00f6chte ich hervorheben. Die Fl\u00e4che, auf welche das Nachbild projiziert wurde, wurde durch einen grofsen weifsen Karton gebildet, auf den ein graduierter Kreis (V* m Radius) gezeichnet war. Der schwarz markierte Mittelpunkt des Kreises diente als Fixiermarke, und der Abstand zwischen Projektionsfl\u00e4che und Versuchsperson betrug 6 m. Der Kopf der Versuchsperson wurde zuerst bei der Impr\u00e4gnierung des Nachbildes in genau aufrechter Stellung vermittels eines Beifsbrettes festgehalten. Das Beifsbrett, welches um eine zur Ebene der Projektionsfl\u00e4che senkrechte Achse drehbar war, war so ausgerichtet, dafs Nasenwurzel, Halbierungspunkt der das Prim\u00e4rbild ausmachenden Lichtlinie, und Fixiermarke der Projektionsfl\u00e4che in einer Linie lagen. Die fixierte Lichtlinie befand sich in einem Abstand von etwa 3 m von der Versuchsperson. War nach mehrere Sekunden dauernder Fixation ein gutes Nachbild gewonnen, so wurde die Lichtlinie ausgel\u00f6scht und beseitigt, das Beifsbrett um den gew\u00fcnschten Winkel gedreht und die Z\u00e4hne dem Brett in seiner neuen Lage wieder angepafst. Wenn jetzt der Mittelpunkt des Kreises auf der Projektionsebene fixiert wurde, so mufsten dieser und der Halbierungspunkt des projizierten Nachbildes aufeinanderfallen. Ein Gehilfe legte an den Karton einen Stab derart an, dafs dessen einer Rand durch das Zentrum des Kreises lief, und drehte denselben als Radius vector auf Signale des Beobachters so lange, bis das projizierte Nachbild mit dem Rand des Stabes v\u00f6llig zusammenfiel. Da der Grad der Kopfneigung bekannt war, konnte jetzt die Winkelgr\u00f6fse der Rollung direkt an der Zeitschrift fiir Psychologie 37.\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nRoswell Parker Angier.\nKreisskala abgelesen werden. Derselbe Versuch wurde sofort anschliefsend mit dem anderen Auge gemacht und dann das gleiche Verfahren f\u00fcr die gleiche, aber entgegengesetzt gerichtete Kopfneigung wiederholt.\nIn der folgenden Tabelle sind die Resultate dieser Messungen verzeichnet: In der ersten Kolumne sind die Winkelgr\u00f6fsen der Kopfdrehung angegeben. Die folgenden Doppel kolumnen enthalten die Einstellungen der verschiedenen Versuchspersonen und zwar sind die f\u00fcr das rechte Auge g\u00fcltigen Werte in der ersten, die f\u00fcr das linke Auge in der zweiten Halbkolumne jedesmal angegeben; die hier reproduzierten Zahlen sind als Differenz zwischen dem Grad der K\u00f6rperdrehung und dem Grad der Drehung des projizierten Nachbildes berechnet, geben also den Betrag der kompensatorischen Raddrehungen an. Als Versuchspersonen dienten Herr Professor Dr. Nagel (V), Herr Dr. Piper (P) und ich (A). Um den Vergleich mit den Resultaten Delages zu erleichtern und anschaulich zu machen, habe ich die von diesem Forscher gefundenen Werte in die letzte Doppelkolumne aufgenommen. Die Herren Prof. Nagel und Dr. Piper machten nur Einstellungen bei K\u00f6rperdrehungen von 90 Grad seitw\u00e4rts. F\u00fcr mich betrug die gr\u00f6fste, im Stehen erreichbare Seitendrehung des Kopfes 135 Grad. Aber es gelang mir auch Messungen bei K\u00f6rperdrehung von 170 Grad durchzuf\u00fchren. Bei diesen letzten Versuchen mufste ich mich auf einen Tisch legen und den Kopf \u00fcber den Rand desselben niederneigen. Um einen Vergleich zwischen diesen letzten Werten und den Zahlen Delages zu erm\u00f6glichen, habe ich die Rollungswerte in die Tabelle aufgenommen, welche er bei 165 Grad und 180 Grad K\u00f6rperneigung gewann. Bei 170 Grad Neigung hat er keine Bestimmungen ausgef\u00fchrt.\n(Siehe Tabelle auf S. 243.)\nAlle Einstellungen, welche von Herrn Dr. PirER bei Kopfneigung um 90 Grad nach rechts erhalten wurden, und alle von mir bei 90 Grad Neigung erzielten, sind zur Berechnung der in der Tabelle reproduzierten Durchschnittswerte benutzt worden. Alle \u00fcbrigen in der Tabelle enthaltenen Werte geben die direkt abgelesenen Winkelgr\u00f6fsen der Einzelbestimmungen wieder. Bez\u00fcglich der Berechnung der Durchschnittswerte will ich nicht unerw\u00e4hnt lassen, dafs die gr\u00f6fste mittlere Abweichung niemals","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen. 243\nbe der Augen 1\tbei Kopfneigung nach links\t\t\tc?\tO\t\u00a9\to o\to'\t\u00a9\"\t<xf\tco' iH\tH\tvH Il\tII\t1\n\t\t* *\t\u00a9^\t\u00a9 to\to r- cd\to fr-*'\tca II\t+\t+\n\t\t\t-8,6 -8,8 -7,6\n\t\t\t\u2014 9,0 -8,8 -7,6\n\tUn\t\t\u201410,7 |\n\t\t\u00bb?\t\u2014 10,9\n\tte;\t\tCO 05 1\n\t\to?\t00 aef i\nRollungswen bei Kopfneigung nach rechts\tQ\t\to c>\t& c>\ta> ocT t\u00bb\tto o\tio iii\t+\n\t\tft?\t\u2014 8,0 \u2014 16,0 \u2014 22,0 -18,0 \u2014 16,0\n\t\t\tC\u00bb\tCO^\tCO\u00c4\t^\tco^ l>\tC^*\t\u00ab\tlO\t*\u2666 1\t1\t7\t1\t1\n\t\tft?\too^\tca^\t05^\t^\tca^ 00*'\tCO*\tiO\tiO 1\t1\t1\t1\t1\n\tOs\t\tf oo-* 1\n\t\tli\t^ \u00ab 00 !'\u25a0 i\t\n\tte;\tL | -12,5 -16,3\t\n\t\tft?\t\u201412,5 \u201416,4\nGr\u00f6fse der K\u00f6rperneigung in Winkel-\t\tS\t!\to\to\teeee \u2019S\t5 g\t\u00a3 S e 8 u\tjj\t\n16*\nPie negativen Eollungswerte eind mit Minus-, die positiven mit Pluszeichen versehen.","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nRoswell Parker Angier.\nmehr als 0,6 Grad betrug und dafs die Differenz der Werte, welche zwischen den Drehungen beider Augen einer Versuchsperson gefunden wurde, die Gr\u00f6fse von 1,1 Grad (Prof. Nagkl) \u00fcberschritt. Aber auch in diesem Falle d\u00fcrfte es sich wohl nur um eine zuf\u00e4llige Unsicherheit in der Beobachtung handeln, denn bei allen anderen Versuchen, welche dieselbe Versuchsperson bei gleicher Kopflage ausf\u00fchrte, waren die Rollungswerte f\u00fcr beide Augen identisch.\nDie Berechnung der Durchschnittsdifferenz aller Werte ergibt die Zahl 0,35 Grad. Wenn man bedenkt, dafs die Beobachtungen aus einem Abstand von 6 m gemacht wurden, und ferner zur Kenntnis nimmt, dafs die kleinen Unterschiede in den Einstellungen niemals gr\u00f6fser ausgefallen sind, als die scheinbare Breite des projizierten Nachbildes betrug, so wird man zugeben m\u00fcssen, dafs die Genauigkeit der Messungen allen Anforderungen gerecht wird. Zweifellos sind die erw\u00e4hnten kleinen Fehler in der Methodik begr\u00fcndet und k\u00f6nnen mit Recht als g\u00e4nzlich irrelevant vernachl\u00e4ssigt werden. Nimmt man hinzu, dafs nach den oben beschriebenen Vorversuchen, welche das von der Gleichheit resp. Ungleichheit der Rollungen offenbar abh\u00e4ngige Ph\u00e4nomen der Tiefenwahrnehmung betrafen, ganz im gleichen Sinne ausgefallen sind, wie die letzterw\u00e4hnten Messungen, so wird man nicht zu weit gehen, wenn man behauptet, dafs in den Grenzen der hier innegehaltenen Versuchsbedingungen die kompensatorischen Rollungen des einen und die des anderen Auges sich stets als v\u00f6llig identisch erwiesen haben.\nMan kann aber mit einem gewissen Recht noch weiter gehen und behaupten, dafs die Rollungen beiderseits f\u00fcr jede Kopflage ebenfalls gleich sind. Nach allen diesen Ergebnissen bleibt von der zuerst vermuteten aufserordentlichen Bedeutsamkeit der Befunde Delages f\u00fcr die Physiologie der Gesichtswahmehmungen nicht viel \u00fcbrig, so viel ich sehen kann, gar nichts, wenn es sich in den Versuchen um K\u00f6rperlagen handelt, bei welchen dauernde Beobachtung \u00fcberhaupt noch m\u00f6glich ist.\nEs wird jetzt am Platze sein, auf einen weiteren Punkt der \u00dcELAGEschen Untersuchungen noch etwas n\u00e4her einzugehen. Aufser den erw\u00e4hnten erheblichen Unterschieden, welche Delaob","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen. 245\nzwischen den kompensatorischen Drehungen beider Augen fand, stellte er des weiteren fest, dafs f\u00fcr bestimmte Kopflagen die Richtung, in welcher sich die Rollungen vollziehen, beiderseits verschieden sein k\u00f6nnen. Er unterscheidet demnach negative und positive Rollungen, je nachdem die Augendrehung der K\u00f6rpemeigung an Gr\u00f6fse nachsteht oder ihr vorauseilt. Naturgem\u00e4fs ist bei diesen Versuchen die Richtung oder der Weg von Bedeutung, auf welchem der Kopf die Seitenlage erreicht hat. Dafs bei Kopfneigungen nicht allzu erheblichen Grades die Rollungen negativ, d. h. \u201ekompensatorisch\u201c sind, ist ja lange bekannt. Es ist aber zweifellos von Interesse, nachdem einmal nachgewiesen ist, dafs bei hochgradigen K\u00f6rperneigungen positive Drehungswerte Vorkommen, festzustellen, an welcher Stelle der ganzen Umdrehung bei der einen und der anderen Bewegungsrichtung der K\u00f6rpemeigung die Umschlagspunkte von negativer zu positiver Rollung des Auges liegen. Delage fand, dafs bei Drehung des Kopfes um 165 Grad nach links die Rollung seines rechten Auges schon einen positiven Wert von 7,5 Grad besafs, und bei gleicher Kopfdrehung nach rechts die Drehung des linken Auges schon gleich Null war. Der Umschlagspunkt f\u00fcr das linke Auge lag bei einer K\u00f6rperneigung von 210 Grad nach links und f\u00fcr das rechte Auge bei einer K\u00f6rperneigung nach rechts um 275 Grad.\nEs ist nat\u00fcrlich nicht zu erwarten, dafs die Umschlagspunkte f\u00fcr meine Augen genau mit denen f\u00fcr Delage g\u00fcltigen \u00fcbereinstimmen, dafs aber bis zu K\u00f6rperdrehungen von 170 Grad die Rollung meiner Augen erstens beiderseits vollkommen gleich und zweitens beiderseits negativ ausfallen, w\u00e4hrend bei gleicher K\u00f6rperlage die Rollung des einen Auges von Delage schon positiv, die des anderen aber negativ gefunden wurde, \u2014 diese Verschiedenheit der Befunde l\u00e4fst im Zusammenhang mit den oben erw\u00e4hnten Vorversuchen die Vermutung wohl begr\u00fcndet erscheinen, dafs sich Delage auch hier wieder entweder im Irrtum befindet, oder, dafs seine Augen keineswegs normal funktionieren. Ich kann das Ergebnis meiner Beobachtungen dahin zusammenfassen, dafs bei den von mir ben\u00fctzten Neigungsgraden beide Augen stets sowohl der Richtung, wie der Gr\u00f6fse nach ganz \u00fcbereinstimmende Rollungsbewegungen ausf\u00fchrten.\nDas dritte Ergebnis seiner Arbeit, nach welchem die Gr\u00f6fse","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nRoswdl Parker Angicr.\nund die Richtung der Rollung nicht nur von der Kopflage, sondern auch von der Richtung, nach welcher sich der Kopf rar Erreichung dieser Lage gedreht hat, abh\u00e4ngen soll, wird durch meine Untersuchung nicht unmittelbar ber\u00fchrt. Was diesen Punkt betrifft, so halte ich ob sehr wohl f\u00fcr m\u00f6glich, sogar f\u00fcr wahrscheinlich, dafs Belage hier das Richtige getroffen hat.\nWurde in seinen Versuchen der K\u00f6rper successive nach einer Seite (etwa nach rechts) durch volle 360 Grad gedreht, so blieb zuerst die Augendrehung um einen gewissen Betrag hinter der K\u00f6rperdrehung zur\u00fcck; es handelte sich also um die bekannten negativen Kompensationsbewegungen des Bulbus. Hatte die K\u00f6rperlage einen bestimmten Punkt der ganzen Umdrehung passiert \u2014 einen Punkt, welcher je nach den speziellen Versuchsbedingungen zwischen 165 und 275 Grad liegen konnte und oben als Umschlagspunkt bezeichnet wurde \u2014 so traten positive Rollungen auf, d. h. die Drehung des Auges hatte jetzt die K\u00f6rperdrehung, von der Ausgangslage in der Drehungsrichtung gerechnet, um einen gewissen Betrag \u00fcberholt. Die Gr\u00f6fsen der positiven Rollungen waren stets erheblich geringer als die Werte der voraufgegangenen, geringeren K\u00f6rperdrehungen entsprechenden, negativen KompenBationsbewegungen. Wurde der K\u00f6rper in umgekehrter Richtung (nach links) gedreht, so traten bei Drehung bis zum Umschlagspunkt wieder negative Rollungen des Auges auf. Diese \u00fcbertrafen aber an Wert erheblich die der gleichen K\u00f6rperlage entsprechenden positiven Werte, welche bei der fr\u00fcheren Bewegungsrichtung des K\u00f6rpers (nach rechts) gefunden waren. War bei der neuen Bewegungsrichtung (nach links) der Umschlagspunkt passiert, so erwiesen sich die jetzt gefundenen positiven Rollungswerte kleiner als die vorher bei gleicher Richtung aber geringerer Gr\u00f6fse der K\u00f6rperdrehung gefundenen negativen Werte und ebenfalls kleiner als die negativen Rollungswerte, welche der gleichen K\u00f6rperlage bei entgegengesetzter Bewegungsrichtung (nach rechts) entsprachen.\nGewisse Befunde, welche Nagel1 nach Versuchen am Kaninchen und am Frosch zu verzeichnen hat, ber\u00fchren sich mit den eben referierten Angaben Delages. Nagel fand die Gr\u00f6fse der positiven Rollungen (Umschlagspunkt bei etwa\n1 1. c. 8. 352.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen. 247\n200 Grad Kopfdrehung) bedeutend kleiner als die negativen, \u25a0welche bei K\u00f6rperdrehungen geringeren Grades beobachtet worden waren. Setzt man voraus, dafs die positiven Rollungen des menschlichen Auges nur sehr geringe Werte haben, und beachtet man die Tatsache, dafs in meinen Versuchen die negativen Drehungen beider Augen hei K\u00f6rperdrehung nach der einen wie der anderen Richtung ungef\u00e4hr gleich grofs gefunden wurden, so darf man vielleicht mit aller Reserve die Feststellung Nagels an Tieren auch mit zu dem Schlufs heranziehen, dafs auch bei Menschen Richtung und Gr\u00f6fse der Rollung des Auges nicht nur von der Gr\u00f6fse, sondern auch von der Richtung der Kopfdrehung abh\u00e4ngig sind.\n\u00dcbrigens bleibt die Frage offen, ob es sich bei den ersten Augeneinstellungen unmittelbar nach Ausf\u00fchrung der K\u00f6rperdrehung nur um vor\u00fcbergehende Erscheinungen handelt, und ob nicht nachher f\u00fcr jede bestimmte K\u00f6rperlage eine einzige bestimmte Augenstellung erreicht wird, welche unabh\u00e4ngig von Richtung und Weg der vorauf gegangenen K\u00f6rperdrehung gewonnen wird.\nDa mir f\u00fcr die Physiologie der Gesichtswahmehmungen die von Dklage behauptete Verschiedenheit der beiderseitigen Kompensationsdrehungen weitaus das wichtigste Resultat seiner Untersuchung zu sein schien, und meinem urspr\u00fcnglichen Plane gem\u00e4fs meine Versuche sich nur auf diese Frage erstrecken sollten, so habe ich diese Arbeit nur so weit ausgedehnt, als n\u00f6tig war, um die Unhaltbarkeit der hierauf bez\u00fcglichen Resultate Delages wenigstens in ihrer allgemeinen Fassung darzutun.\nMan k\u00f6nnte wohl den Einwand gegen meine Schl\u00fcsse erheben, dafs ich nach anderer Methode als Delage gearbeitet habe und somit den alten Grundsatz Johannes M\u00fcllees gegen mich ins Feld f\u00fchren, dafs die Unrichtigkeit wissenschaftlicher Behauptungen nur strikte bewiesen sei, wenn die Kontrollunter-suchung nach genau gleicher Methode wie die des Kontrahenten ausgef\u00fchrt ist. Es war indessen wie gesagt nicht m\u00f6glich, eine geeignete Versuchsperson zu finden. Aber selbst wenn ich eine solche h\u00e4tte finden k\u00f6nnen, so h\u00e4tte ich mich doch nie ohne die Kontrolle durch die weit vollkommenere Methode zufrieden gegeben. Es liegt ja auf der Hand, dafs die Einstellung zweier Ellipsen in solche Lage zueinander, dafs ihre langen Hauptachsen eine gerade Linie bilden, nicht sehr pr\u00e4zis ausgef\u00fchrt werden","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nRoswell Parker Angier.\nkann, zumal wenn man bedenkt, dafs es sich in diesem Falle nicht um sehr flache Ellipsen gehandelt haben kann. (Nach den Figuren Delages scheint das Achsenverh\u00e4ltnis etwa 1 : 2 gewesen zu sein.) Dafs eine Arbeitsmethode, bei welcher zwei gerade Linien zur Koinzidenz gebracht werden, weit pr\u00e4ziser arbeiten mufs und der Anordnung Delages weit \u00fcberlegen ist, braucht kaum gesagt zu werden. Auch ist daran zu erinnern, dafs Delage gerade bei solchen K\u00f6rperstellungen die gr\u00f6fsten Differenzen zwischen den Rollungen beider Augen fand, welche subjektiv als h\u00f6chst unbequem und unangenehm empfunden werden.\nVon den beiden M\u00f6glichkeiten, dafs n\u00e4mlich Delages Resultate entweder auf unrichtiger Beobachtung beruhen oder dafs seine Augen nicht nur in ihrer Refraktion, sondern auch in ihrer ganzen Muskelkoordination abnorm funktionieren, halte ich die letztere f\u00fcr wahrscheinlicher, denn in einigen F\u00e4llen erwies sich die Verschiedenheit zwischen beiden Augen als so hochgradig (bis zu 21 Grad), dafs T\u00e4uschungen ausgeschlossen erscheinen. In anderen Versuchen fand er \u00fcber Erwarten niedrige oder sogar Nullwerte. So hochgradige Fehler kann man kaum auf Irrt\u00fcmer in der Versuchsanordnung und im Ablesen der Werte zur\u00fcckf\u00fchren, sondern mufs vermuten, dafs es sich um abnorme Verh\u00e4ltnisse handelt.\nZum Schlufs sei es mir gestattet, einem Einwand gegen\u00fcber der Methodik meiner Versuche entgegenzutreten, welcher auf einer, wie ich glaube, falschen Deutung des ganzen Ph\u00e4nomens beruhen w\u00fcrde, des Ph\u00e4nomens n\u00e4mlich, dafs die Neigung einer vertikalen Linie hinter der Neigung des Kopfes zur\u00fcckbleibt Schon Helmholtz hat diese Erscheinung eingehend untersucht und beschrieben und bezeichnet sie als eine T\u00e4uschung, welche durch die Untersch\u00e4tzung der Seitenneigung des Kopfes bedingt sei. Andere Forscher haben die ganze Frage in Connex mit dem sog. AuBERTschen Ph\u00e4nomen abgehandelt, welches bekanntlich darin zum Ausdruck kommt, dafs eine vertikale Linie bei Seitenneigung des Kopfes im sonst dunklen Zimmer fixiert, nicht vertikal, sondern schief zu stehen scheint. Boubdon 1 hat neuerdings darauf hingewiesen, dafs das Zur\u00fcckbleiben des Nachbildes hinter der K\u00f6rperdrehung nicht T\u00e4uschung sei, sondern tatsftch-\n1 Boubdon. La perception visuelle de l\u2019espace. Paris 1902. 8. 169.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen. 249\nlieh vorhanden sei. Die fr\u00fchere Deutung ist jedoch von Cyon 1 auch nach dem Erscheinen der BouitooNschen Darlegungen festgehalten worden, und durch die Tatsache n\u00e4her begr\u00fcndet worden dafs bei dem AuBEHTschen Ph\u00e4nomen die Schiefstellung der Linie der Richtung der Kopfdrehung entgegengesetzt ist, w\u00e4hrend das Nachbild im gleichen Sinne wie die Kopfdrehung wandert. Cyon betrachtet dieses Argument als fundamental und als beweisend daf\u00fcr, dafs die zwei T\u00e4uschungen nicht in gleicher Weise erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen; und mit dieser Behauptung als Ausgangspunkt arbeitet er eine eigene Theorie \u00fcber diese Art von T\u00e4uschungen aus. Meines Erachtens geh\u00f6ren die beiden fraglichen Ph\u00e4nomene keineswegs in die gleiche Kategorie. Bei der AuBEHTschen T\u00e4uschung n\u00e4mlich scheint die leuchtende Linie eine von der wirklichen erheblich abweichende Richtung zu haben, d. h. sie scheint in eine Ebene projiziert zu sein, welche mit der wirklichen Projektionsebene des Netzhautbildes einen Winkel bildet. Ganz anders hegen die Erscheinungen bei der Beobachtung des Nachbildes. Hier stimmt die Projektionsebene des Nachbildes vollst\u00e4ndig mit der des Netzhautbildes des objektiven Gegenstandes, n\u00e4mlich des Randes des Mafsstabes, \u00fcberein. Das Ph\u00e4nomen ist daher keineswegs als T\u00e4uschung aufzufassen, sondern gibt uns ein pr\u00e4zises Mafs f\u00fcr das Zur\u00fcckbleiben des Netzhautbildes und deshalb ein Mafs f\u00fcr die Rollung des Auges.\n1 Cyok, E. v. Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Raumsinns. Pfl\u00fcgers Archiv f\u00fcr Physiologie, 8. 218\u2014221, 230\u2014250.\n(Eingegangen am 11. August 1904.)","page":249}],"identifier":"lit32445","issued":"1904","language":"de","pages":"235-249","startpages":"235","title":"Vergleichende Messung der kompensatorischen Rollungen beider Augen","type":"Journal Article","volume":"37"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:33:11.786873+00:00"}