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{"created":"2022-01-31T16:17:26.362169+00:00","id":"lit32494","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 37: 315-318","fulltext":[{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n315\nnicht atm dem B\u00f6hmen der psycho-physiologischen Geschehnisse herons, \u25a0sie unterliegt denselben Gesetzen und arbeitet mit denselben Elementen wie alle \u00fcbrigen Denkprozesse, und sie mufs keineswegs durch krankhafte Vorg\u00e4nge bedingt sein. Die Natur kann somit ein Genie produzieren ohne Schulden zu machen. Die Kraft des Genies wurzelt im Gesunden und nicht im Kranken, und wenn hier und da auch eine Disharmonie innerhalb der geistigen T\u00e4tigkeit bestehen kann, so mufs es nicht sein.\nDies auf dem Boden einer streng wissenschaftlichen Deduktion klargestellt und nachgewiesen zu haben, ist ein Verdienst des Verf.s, dessen klarer und lichtvoller Ausf\u00fchrung man gern bis zum Schl\u00fcsse folgen wird.\nPblman (Bonn).\nE. Platzhoff - Lejeune, Werk and Pers\u00f6nlichkeit. Minden i. W,, Bruns.\n1903. 246 S.\nMan kann wohl behaupten, dafs die Wissenschaft der Psychologie nachgerade im grofsen und ganzen konstituiert ist. Dank der Mitarbeiterschaft zahlloser Autoren, welche die psychologischen Grundtatsachen immer von neuem beleuchtet haben, verf\u00fcgen wir in jedem Falle \u00fcber eine Anzahl gut beobachteter und wohl begr\u00fcndeter Anschauungen, welche \u00fcber diese Ph\u00e4nomene gen\u00fcgend Aufschlufs geben, wobei zu hoffen steht, dafs die kleineren Abweichungen zwischen den einzelnen Forschern allm\u00e4hlich unter umfassenderen Gesichtspunkten verschwinden werden. Zu den n\u00e4chsten Aufgaben d\u00fcrfte es nunmehr geh\u00f6ren, die Psychologie mehr und mehr ins Leben hineinzutragen, ihre Anschauungen im Dienste einer Analysis der praktischen Wirklichkeit zu verwerten. Einen wertvollen Beitrag hierzu bietet die vorliegende Arbeit \u00fcber \u201eWerk und Pers\u00f6nlichkeit\u201c. Ein lichtvolles Buch, welches sein Thema allseitig beleuchtet!\nUnter Pers\u00f6nlichkeit versteht Verf. die h\u00f6chste Ausbildung und das gleichm\u00e4fsig harmonische, sch\u00f6pferische Zusammenwirken aller die Person bedingenden Gaben und Kr\u00e4fte. Die Gegenwart ist nach Verf. arm an Pers\u00f6nlichkeiten. Daher ergeht in unserer Zeit der Ruf nach Pers\u00f6nlichkeiten. Diese Pers\u00f6nlichkeitsforderung bedeutet einen Kampf gegen den herrschenden Intellektualismus, der in der Aneignung des Wissens und in -der Pflege des Verstandes das erste und letzte Ziel aller Erziehung sieht. Der Kampf um die Pers\u00f6nlichkeit ist ein Kampf um Gef\u00fchl und Willen, ein Kampf um den Affekt. Die Pers\u00f6nlichkeit offenbart sich vor allem in ihren Werken, der vornehmsten biographischen Quelle f\u00fcr jene. Verdienstliche Besonderheiten und n\u00e4chstdem zuf\u00e4llige Momente verschaffen einer Pers\u00f6nlichkeit die Beachtung des Geschichtsschreibers. Aber auch ethisch verworfene Individuen wie Nbro, Hebostbatos, Cesare Bobgia k\u00f6nnen geschichtliche Ber\u00fchmtheit geniefsen. Sie bilden historisch wirksame Momente durch die Nachahmer, welche sie finden und dadurch, dafs sich zahllose Denkende und Strebende gegens\u00e4tzlich an ihnen entwickeln.\nDer geschichtliche Prozefs spiegelt sich in der Wechselwirkung zwischen Individuum und Masse ab und zwar in folgender Weise: Aus dem N\u00e4hrboden der Masse, deren Kulturarbeit \u201ein der Sch\u00f6pfung und Erhaltung g\u00fcnstiger physiologischer Existenzbedingungen, in der Bewahrung der Tradition, in der Hebung des allgemeinen Niveaus der Bildung\u201c besteht,","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nLiteraturberieht.\ngeht das Individuum hervor, \u201edas, nachdem es den Tatbestand sich angeeignet hat, aus einer ihm eigentflmlichen r\u00e4tselhaften Kraft rar Umbildung des MilieuB schreitet und als Revolution\u00e4r der stets konservativen, der Gefahr des Vegetierens ausgesetsten Masse neues Blut zuf\u00fchrt. Hat es somit die Potentialit&t der Masse zur Aktualit\u00e4t, erst fQr sich, dann f\u00fcr sie fortgebildet, so ist seine Rolle ausgespielt, und die nun auf einem anderen, vielleicht h\u00f6herem Niveau befindliche Gesamtheit Obernimmt ihrerseits wieder die Kulturaufgabe in der Pflege und Verwertung der von einzelnen ihr geschenkten G\u00fcter. Aus der Wirkung wird sie zur Ursache, bis ein neues Individuum ihrem Schofse entw\u00e4chst\u201c. \u201eEine Beschleunigung dieses Rhythmus nennen wir eine geistesm\u00e4chtige Zeit, seine \u00dcberhastung eine Revolution, seine Verlangsamung eine Reaktion.\u201c\nDer Entdecker und Erfinder schauen beide ahnend etwas voraus. Das Werk des Entdeckers ist damit schon zu Ende. Der Erfinder dagegen mufs ahnend diejenigen allen genugsam bekannten Elemente so ausw\u00e4hien und zusammenf\u00fcgen, dafs sich neue Wirkungen ergeben. Selbst wenn das Werk vollendet ist, bleiben ihm weitere Verbesserungen unbenommen. Das Werk des Entdeckers und Erfinders h\u00e4ngt nicht unmittelbar an seiner Pers\u00f6nlichkeit. Auch andere h\u00e4tten dasselbe leisten k\u00f6nnen. Immerhin ist die Leistung des Erfinders die pers\u00f6nlichere. So hat auch die Bekanntschaft mit dem Lebensschicksale der Pers\u00f6nlichkeit selbst f\u00fcr die Kenntnisnahme des Werkes keinen Wert.\nDen Erfinder kann man sich allein, den Entdecker von einer Schar Gleichwollender umgeben denken. Der Eroberer dagegen bedarf einer Menschenmasse, auf die er erst schulend und vorbereitend wirken muls, ehe er sie als Werkzeug gebrauchen kann. Die Werke des Eroberers bedeuten besondere Konzentrationen, m\u00fchevolle Anstrengungen, dem Ich die bestm\u00f6gliche Leistung abzugewinnen. Die grolsen Eroberer haben direkt durch ihre Werke, indirekt durch den Schrecken, den sie erregten, gewirkt\nDer Staatsmann hat mit dem Feldherrn viel Gemeinsames. Beide wollen das Gegebene erhalten und vergr\u00f6fsern, freilich mit ganz verschiedenen Mitteln. Das Werk des Staatsmannes hat vor den \u00dcberraschungen des Augenblicks nicht soviel zu f\u00fcrchten, er ist weit weniger gen\u00f6tigt, schwerwiegende Entscheidungen sich von einem Moment diktieren zu lassen. Auch bleibt ihm immer Zeit zum Handeln. W\u00e4hrend aber Feldherr und Eroberer Zerst\u00f6rer sind, ist der Staatsmann ein grofser Erhalter. Das Werk des Staatsmanns verr\u00e4t quantitativ vielleicht weniger Pers\u00f6nliches als das des Feldherrn. Doch verbirgt ersterer seine pers\u00f6nliche Stellung nur, so dafs sie f\u00fcr den Blick der Menschen unsichtbar wird.\nDer F\u00fcrst ist ein Wirkender ohne Werk. In dem f\u00fcrstlichen Wirkenden erkennen wir die denkbarste Ver\u00e4ufserlichung des Pers\u00f6nlichkeitsbegriffes. Es fehlt ihm eine scharf zu umgrenzende Leistung. Seine Aufgabe erstreckt sich vorherrschend auf die Wahrung des Herkommens und den Gebrauch seiner Vollmachten. Sein Beruf verbietet dem F\u00fcrsten eine pers\u00f6nlichere Bet\u00e4tigung im tieferen 8inne des Wortes.\nProphet, Apostel und Reformator sind Leugner des Bestehenden: der erste verk\u00fcndet das Neue, der zweite vollbringt es im fremden Auftr\u00e4ge, der dritte schafft es aus eigener Kraft. Allen gemeinsam ist, dafs","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich t.\n317\ndie Gesinnung mitspielt. Der Prophet redet, aber er handelt nicht. Er verk\u00fcndet eine kommende Umwandlung, aber er tut nichts, um sie aufzuhalten oder zu beschleunigen. W\u00e4hrend der Prophet vom Kommenden spricht, redet der Apostel von einem schon geschehenen freudigen Ereignis, das sich in Zukunft in herrlicher Falle auswirken soll. Beim Reformator ist sowohl der Moment als auch die Art seines Eingreifens in den Verlauf der Dinge ungleich freier und pers\u00f6nlicher als beim Propheten und Apostel. Seine Leistung wird durch seine gr\u00f6fsere Unabh\u00e4ngigkeit von Autorit\u00e4ten nnd durch sein vielseitiges Wirken zu einem viel pers\u00f6nlicheren.\nDer Begriff des Gelehrten d\u00fcrfte mit dem des Historikers zu identifizieren sein. Sein Beruf beschr\u00e4nkt sich auf die Verlebendigung des Vergangenen. Wo der Gelehrte es anders treibt, ist er entweder Techniker oder Entdecker. Auch beim objektivsten Arbeiten ist der pers\u00f6nliche Faktor nicht ganz auszuschalten.\nDer metaphysiche Philosoph begreift die bekannten Tatsachen als Folgen eines Prinzips, das er postnliert oder hinzudenkt, indem er in den anmittelbar gegenw\u00e4rtigen Ereignissen Winke und Spuren ffir k\u00fcnftige Gestaltung findet, die er in grofsen Linien zu ziehen nicht unterlassen kann. Immerhin \u00bbt der subjektive Charakter jeder Spekulation unbestritten. Der Metaphysiker strebt danach, seiner Pers\u00f6nlichkeit einen vollkommenen Ausdruck zu verschaffen und doch dabei im Namen der Gesamtheit zu reden. Mit Aufwendung der ganzen Subjektivit\u00e4t wird eine zur h\u00f6chsten Objektivit\u00e4t sich erhebende Leistung gewagt Der Philosoph soll uns seine Lehren m\u00f6glichst Vorleben, mindestens ihre Durchf\u00fchrbarkeit als m\u00f6glich dartun.\nDer K\u00fcnstler ist ein Schaffender, aber kein absolut Schaffender. Denn er mute sich an die Wahrheit halten. Er unterscheidet sich von gew\u00f6hnlichen Sterblichen dadurch, dafs er die F\u00e4higkeit besitzt, seine ihm allein eigent\u00fcmliche Auffassung der Aufsenwelt zu objektivieren. Auch seine Fabelwesen lehnen an Bekanntes an. Jedenfalls offenbart eich die Pers\u00f6nlichkeit reichlich in den Werken des K\u00fcnstlers. \u2014 Was speziell die Musik betrifft, so strebt sie gegenw\u00e4rtig danach, die Subjektivit\u00e4t etwas zu mildern. Die Programm - Musik verr\u00e4t das Bestreben, an die Stelle der fortw\u00e4hrenden Schilderung eigener Empfindungen fremde Empfindungen zu setzen. Dabei zwingt uns aber der Musiker, die Dinge so zu empfinden, wie er sie empfand. Im Chore und im Liede ist das objektive Moment am st\u00e4rksten. \u2014 Der Dichter will nur Pers\u00f6nliches geben. Er ist in seinen Beruf um so tiefer eingedrungen, je mehr er es gibt. Eine Abstufung der Dichtarten nach ihrem Pers\u00f6nlichkeitsgehalt h\u00e4tten wir in der Reihe: Drama, EpoB, Roman, Lyrik. Im Drama kommt der Dichter \u00fcberhaupt nicht, in der Lyrik kommt er allein zu Worte, im Epos und Roman redet er mit hinein. Das Drama ist darum noch keine unpers\u00f6nliche Gattung, denn die Wahl von Zeit und Ort, der Konflikt, das Geschlecht der Haupthelden, ihr Charakter ist der freien Wahl des Dichters \u00fcberlassen. Sind die Dinge aber erst im Gange, so wird das Eingreifen des Dichters immer schwieriger und zuletzt unm\u00f6glich. Immerhin verkleidet sich der Dramatiker in eine seiner Personen, welche seine geheimsten Neigungen und Eigenschaften mehr inkarniert als andere. Der Stoff der Epen entstammt meist einer fr\u00fcheren Epoche, so dals die Pers\u00f6nlichkeit des Dichters nicht","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nLiteraturbericht.\nmitsprechen kann. Der Roman kann von den Bekenntnissen, Eindr\u00fccken und Reflexionen des Autors nicht leben, wohl aber die Lyrik. Alle Kunst strebt nach vollster Subjektivit\u00e4t, sobald aber das Ziel erscheint, kehrt sie pl\u00f6tzlich am und verlangt nach objektiven St\u00fctzen. Dies geschieht aus Mitteilungsbed\u00fcrfnis an andere. Es bleibt nicht bei dem einfachen und bequemen Ausstr\u00f6menlassen der Lebenskraft, bei dem rohen Vonsichgeben des \u00dcberflusses, sondern die brachliegende Gabe wird in den Dienst der Menschheit gestellt. Immer mufs der K\u00fcnstler von einem idealen Pnblikum mindestens tr\u00fcumen, das ihn recht verstehen und w\u00fcrdigen k\u00f6nnte. Vollkommene Kunst ist der Ausdruck vollster Subjektivit\u00e4t in der Gestalt vollster Objektivit\u00e4t. Der K\u00fcnstler verteilt an jede Person ein St\u00fcck seines eigenen Selbst. Welcher Person gibt aber der Dichter Recht? Was meint er selbst? Jedenfalls wird er einer bestimmten unter den Personen mehrere Z\u00fcge von seinem Selbst, von seinem Erlebten und \u201eAnempfundenen\u201c verleihen, wobei die Anempfindung ein noch unverarbeitetes Erlebnis darstellt. Beide Elemente, Wirklichkeit und Phantasie, sind f\u00fcr das Zustandekommen des Kunstwerkes unentbehrlich. Meist \u00fcbertreibt, potenziert sich der K\u00fcnstler in seiner Hauptperson. Auch das Privatleben des K\u00fcnstlers d\u00fcrfte bis au einem gewissen Grade in Betracht kommen. Zwar ist in den seltensten F\u00e4llen der K\u00fcnstler gr\u00f6\u00dfer als sein Werk. Warum daher nach der Person des K\u00fcnstlers fragen ? 1 Und doch erst durch die Kenntnis der Entstehungabedingungen eines Werkes verm\u00f6gen wir dasselbe richtig zu w\u00fcrdigen. Die Unsicherheit in der k\u00fcnstlerischen Beurteilung eines Werkes kann sich verlieren, wenn man aus einer Biographie des K\u00fcnstlers ersieht, welches Erlebnis und welche Stimmung der k\u00fcnstlerischen Vision zugrunde lagen.\tGissslss (Erfurt).\nR. (Up.kv Beobachtungsgabe. W. Reins Encyklop\u00e4disches Handbuch der P\u00e4dagogik. 2. Auflage. S. 515\u2014532. 1903.\nWie es f\u00fcr den Psychologen interessant sein d\u00fcrfte, sich von Zeit zu Zeit \u00fcber die Verwertung seiner Lehren in der P\u00e4dagogik zu informieren, so ist f\u00fcr den P\u00e4dagogen die Betrachtung seiner Diszipline im Lichte der fortschreitenden Psychologie insofern erspriefslich, als er dadurch leicht auf bestehende M\u00e4ngel und neue Erfordernisse aufmerksam wird. Der vorliegende Aufsatz behandelt eine kompliziertere seelische Erscheinung, deren Ausbildung zu den unerl\u00e4\u00dflichsten Bedingungen aller Geistesbildung geh\u00f6rt, die Beobachtungsgabe.\nUnter Beobachtungsgabe versteht man einerseits die Feinheit und Unterscheidungsf\u00e4higkeit der Sinne als \u201esch\u00e4tzende\u201c Beobachtungsgabe, andererseits die \u201eanalysierende\u201c, wobei das Individuum sein Objekt nicht als ungegliederte Masse auf sich wirken l\u00e4\u00dft, sondern es in seine Bestandteile zerlegt auffa\u00dft. Die psychologischen Bedingungen der sch\u00e4tzenden Beobachtungsgabe sind Feinheit der Organe selbst und \u00dcbung derselben. Von entschiedenem Einflu\u00df auf die Genauigkeit der Sch\u00e4tzung ist der Aufmerksamkeitsgrad. Wenn wir achtlos sehen und h\u00f6ren, halten wir vieles f\u00fcr gleich und identisch, was wir bei scharfem Aufmerken wohl unterscheiden. Auch die Vitalit\u00e4t d. h. das Quantum der vorhandenen Nerven-energie, genauer der Grad der Erm\u00fcdung spielt eine Rolle. Ferner kommt","page":318}],"identifier":"lit32494","issued":"1904","language":"de","pages":"315-318","startpages":"315","title":"E. Platzhoff-Lejeune: Werk und Pers\u00f6nlichkeit. Minden i. W., Bruns. 1903. 246 S.","type":"Journal Article","volume":"37"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:17:26.362174+00:00"}