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{"created":"2022-01-31T16:29:36.654103+00:00","id":"lit32533","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Spielmeyer","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 37: 466-468","fulltext":[{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466\nLiltraturbrricht.\ndes Gegensatzes, der zwischen den Anh\u00e4ngern der Willensfreiheit and des Determinismus besteht, darf nicht \u00fcbersch\u00e4tzt werden ; es handelt sich hier nicht um verschiedene Weltanschauungen oder Lebensregeln, sondern um eine verschiedene Auffassung dar\u00fcber, wie die einzelnen menschlichen Handlungen zustande kommen. Allee, was geschieht, unterliegt dem Satz vom zureichenden Grund ; das gilt auch von unserem Denken. Der Mensch w\u00e4hlt dasjenige, was ihm in der gegebenen Sachlage am richtigsten erscheint, auf Grundlage seiner individuellen Eigenart, nicht frei von dieser. Das Freiheitsgef\u00fchl, welches jede Handlung Unwillk\u00fcrlich begleitet, ist nur der Ausdruck des ungest\u00f6rten Ablaufs der Willensvorg\u00e4nge; mit der Waldfreiheit hat es nichts zu tun. Das gleiche gilt auch von dem Gef\u00fchl der Reue; es findet sich auch bei Geisteskranken, denen doch dis Willensfreiheit gerade fehlen soll. Der Determinismus vermifst nicht den Schuldbegriff des geltenden Rechts, sondern er best\u00e4tigt und erkl\u00e4rt ihn. Der Determinismus erkennt auch die weiteren strafrechtlichen Grundbegriffe der Zurechnungsf\u00e4higkeit und Vergeltungsstrafe an; ja, gerade er glaubt allein diese Begriffe befriedigend erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen.\nEkhst Schultz\u00ab (Greifcwald).\nBisswahobb. Die Hysterie (Nothnaqzls Spezielle Pathologie und Therapie XII. Bd., I. H\u00e4lfte, II. Abteilung) 9\u00d64 S. Wien, Alfred Holder. 19(M. Preis 22 M.\nIn dieser umfassenden Monographie der Hysterie ist das Hauptgewicht auf eine ersch\u00f6pfende Symptomatologie dieser Erkrankung gelegt; aus der F\u00fclle des in der Literatur niedergelegten Materials (das leider nicht in einem speziellen Literaturverzeichnis zusammengestellt ist) und aus der grofsen Erfahrung des Autors ist in l\u00fcckenloser Vollst\u00e4ndigkeit alles zusammengetragen, was den gegenw\u00e4rtigen Besitzstand unserer Kenntnisse von den Erscheinungsweisen der Hysterie ausmacht\nAuf Grund dieser Ergebnisse \u00e4tiologisch-klinischer und klinisch-symptomatologischer Untersuchungen und zugleich unter Verwertung der experimentell - psychologischen Forschungen der letzten DezenUien wird in einem besonderen Kapitel der Versuch unternommen, die pathologischen Vorg\u00e4nge bei der Hysterie unter psycho - physiologischen Gesichtspunkten zu betrachten und so die wesentlichsten Bausteine zu einer psycho-genetischen Begr\u00fcndung der Hysterie zusammenzuf\u00fcgen. \u2014 Dieser Abschnitt des grofsen Werkes: \u201eAllgemeine Psychopathologie der Hysterie\u201c d\u00fcrfte hier am meisten interessieren; ich m\u00f6chte auf ihn deshalb besonders hinweisen.\nDie Grundlagen der gesamten hysterischen Krankheits\u00e4ufserungen, das Wesen der \u201ehysterischen Ver\u00e4nderung\u201c ist in pathologischen Verschiebungen der kortikalen Dynamik zu Buchen, in \u201eSt\u00f6rungen des Gleichgewichtes zwischen den erregenden und hemmenden Vorg\u00e4ngen innerhalb der Zentrainervensubstanz\u201c. Darin ist die Hysterie den beiden anderen grofsen Neurosen, der Epilepsie und der Neurasthenie, verwandt. Was die hysterische Ver\u00e4nderung aber speziell auszeichnet, dafis ist die hohe Beeinflufsbarkeit aller Innervationsvorg\u00e4nge durch psychische Ein-","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n467\nWirkungen. Diese Suggestibility und Labilit\u00e4t alles psychischen Geschehens ist bei der Hysterie begr\u00fcndet in den St\u00f6rungen, die der normale Parallelis-mus \u00abwischen den materiellen Hirnrindenprozessen und den psychischen Vorg\u00e4ngen erlitten hat. So kommt es bald zu einer Steigerung, bald zu einem Ausfall kortikaler Leistung: unterschwellige Reize k\u00f6nnen pathologisch starke Empfindungen ausl\u00f6sen und umgekehrt k\u00f6nnen kr\u00e4ftige zentripetale Erregungen ohne Einfiufs auf die Bewufstseinsvorg\u00e4nge bleiben. Das gleiche gilt f\u00fcr die motorischen Erscheinungen. \u2014 Diese eigenartige Verschiebung der kortikalen Erregbarkeitszust\u00e4nde beherrscht aber nicht nur die psychischen Elementarformen, die Empfindungen und die Vorstellungen mit ihren Gef\u00fchlst\u00f6nen, sondern den gesamten psychischen Mechanismus und wohl auch die infrakortikalen Funktionen.\nDie klinischen Studien und die psychologischen Analysen der wechsel-vollen psychischen Zust\u00e4nde und der somatischen Innervationsvorg\u00e4nge lehren, dafs \u201ein den einzelnen Gruppen die hysterische Ver\u00e4nderung ganz verschiedenwertig, vielleicht geradezu verschiedenartig sich verh\u00e4lt\u201c.\nAus den Ab\u00e4nderungen der zentralen Erregbarkeitsverh\u00e4ltnisse erkl\u00e4ren sich die Affektst\u00f6rungen und die pathogenen Wirkungen der Affekte. Die Erregungssteigerungen, die das psychische Gleichgewicht bei den verschiedenartigen Affekten erf\u00e4hrt, gleichen sich normalerweise in rascher \u201emotorischer Abfuhr\u201c oder ganz allm\u00e4hlich aus nach allgemeinen durch die inneren Widerst\u00e4nde gegebenen Gesetzen. Bei sehr heftigen Affekten kann es zu einem \u201eanomalen Ausdruck der Gem\u00fctsbewegungen\u201c, zu einem \u00dcberfliefsen auf periphere Leitungswege kommen. Ohne scharfe Grenze f\u00fchren diese physiologisch noch zul\u00e4ssigen Aflektreaktionen zu jenen \u00fcber-m\u00e4Tsigen Wirkungen der Affekte hin\u00fcber, die ohne weiteres die hystero-pathische Konstitution offenbaren. Werden diese \u201ereflektorischen\u201c Affektentladungen fixiert, wird die Affekterregung in ein k\u00f6rperliches Ph\u00e4nomen \u201ekonvertiert\u201c (Bbeueb, Freud), so ruft schliefslich \u201edie urspr\u00fcnglich affektive Vorstellung nicht mehr den Affekt, sondern nur den abnormen Reflex hervor\u201c. \u2014 Im grofBen und ganzen vertritt hier Binswakqeb die BaEUER-FaEUDSChe Auffassung. Im Gegensatz zu diesen Autoren betont B. jedoch die Bedeutung, die eine Miterregung infrakortikaler Apparate bei der kortikofugalen Affektentladung besitzt. Und vor allem wendet sich B. gegen eine \u00dcbersch\u00e4tzung der \u201eRetentionen\u201c, der willk\u00fcrlichen Unterdr\u00fcckung peinlicher Vorstellungen, in ihrer pathogenen Wirkung auf die Stabilisierung der Konversionen; ebenso spricht er sich gegen die Auffassung aus, dafs mit den peripheren Entladungen in der Regel eine Verringerung der affektiven Spannung einhergehe.\nDie pathogene Wirkung von Affekten wird besonders m\u00e4chtig unter den Bedingungen pathologischer B ew u fsts eins ver\u00e4n deru n gen : die sog. \u201eAutohypnosen\u201c wirken infolge des Auftretens geftthlsstarker halluzinatorischer Traumvorstellungen beg\u00fcnstigend auf das Zustandekommen der Konversion ; in noch h\u00f6herem Mafse gilt dies f\u00fcr die \u201ehypnoiden Zust\u00e4nde\u201c, f\u00fcr die affektlosen Tr\u00e4umereien, in denen intensive Sinnesreize starke emotive Wirkungen haben k\u00f6nnen.\nDie Verschiedenartigkeit der pathogenen Bedingungen, unter\n30*","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468\nLiteraturbericht.\ndenen ein und dasselbe Krankheitssymptom sich entwickeln kann, wird besonders bei den Empfindungsl\u00e4hmungen deutlich. F\u00fcr B. ist die Voraussetzung eine Empfindungsl\u00e4hmung in dem Ausfall eines elementaren psychischen Vorganges gelegen; aus der St\u00f6rung eines psychischen Elementarvorganges resultiert die Sch\u00e4digung eines anderen. Es bedarf zur Erkl\u00e4rung der hysterischen An\u00e4sthesien nicht der teleologisch gef\u00e4rbten Erkl\u00e4rungsversuche Janets, die einen recht komplizierten Bewulstseinszustand voraussetzt. Das Grundlegende f\u00fcr die hysterischen Empfindungsst\u00f6rungen ist \u201edie Erregbarkeitsverringerung oder Aufhebung der Erregbarkeit, die Erh\u00f6hung der Reizschwelle, die Inkongruenz der \u00e4ufseren Erregung und der Empfindungsintensit\u00e4t\u201c. \u2014 Nach Art ihres Zustandekommens scheinen sich die An\u00e4sthesien der Hysterischen in drei Gruppen zu gliedern, je nachdem sie abh\u00e4ngen von einem pathologisch verringerten Erregbarkeitszustand der Rindenelemente (Hemian\u00e4sthesien), von St\u00f6rungen des Aufmerkens (herdweise An\u00e4sthesien) oder von Hemmungen, die von bestimmten Vorstellungskomplexen ausgehen (geometrisch angeordnete An\u00e4sthesien). \u2014 \u00c4hnliche Deutungen gelten auch f\u00fcr die anderen hysterischen Empfindungsst\u00f6rungen, speziell f\u00fcr solche des Gesichtssinnes.\nTritt schon hinsichtlich der Empfindungsst\u00f6rungen der hemmende Einflufs der Zerstreutheit und die bahnende Wirkung der Aufmerksamkeit deutlich hervor, so trifft dies noch mehr f\u00fcr die A m n e s i e n zu : sie beruhen in letzter Linie auf St\u00f6rungen des Aufmerkens, sie sind als besonders geartete Assoziationsst\u00f6rungen zu betrachten. Solche Erschwerungen der assoziativen T\u00e4tigkeit, die sich aus der mangelnden Aufmerksamkeit herschreiben, haben auch an dem Ausfall motorischer Akte, haben an dem Zustandekommen der Abulien teil; speziell gilt das z. B. f\u00fcr die Bewegungsst\u00f6rungen in den an\u00e4sthetischen Gliedern. Aber auch Affektvorg\u00e4nge und \u00fcberwertige Vorstellungen spielen in der Pathogenese der Abulien eine bedeutende Rolle.\nAm Schl\u00fcsse des Kapitels \u00fcber die \u201eallgemeine Psychopathologie der Hysterie\u201c weist Binswangeb noch auf die einschl\u00e4gigen Arbeiten O. Vogts hin, speziell auf seine Darlegungen von den sogenannten \u201esekund\u00e4ren\u201c oder \u201eabgeleiteten\u201c hysterischen St\u00f6rungen. Sie leiten sich her aus einer \u201eintellektuellen Verarbeitung\u201c psychischer und k\u00f6rperlicher Folgewirkungen der hysterischen Aflektreaktionen : so entwickeln sich \u00fcberwertige Vorstellungen von der Art hypochondrischer Ideen, die ihrerseits wieder die m\u00e4chtigste suggestive Wirkung besitzen. Spielmeyeb (Freiburg i. B.).\nGecko Chbistiax Schwarz. Ober Herrenheilstitteii und die Gestaltung der Arbeit als Hanptbellmittel. Ein Wort aus praktischen Erfahrungen an \u00c4rzte und alle F\u00f6rderer des Gemeinwohls gerichtet. Leipzig, J. A. Barth. 1903. 134 S. Mk. 2,50.\nIn der heutigen Zeit, wo man allerorten beginnt, endlich den Bestrebungen, das Heer der Nervenkranken zu heilen, mehr Interesse entgegen zu bringen, wo hier und da Nervenheilst\u00e4tten gebaut oder geplant werden, verdient die vorliegende Schrift weitgehende Verbreitung. Sie ist nicht von einem Fachmanne geschrieben; sie stammt vielmehr aus der Feder eines Nervenkranken, der es am eigenen Leibe bitter hat empfinden","page":468}],"identifier":"lit32533","issued":"1904","language":"de","pages":"466-468","startpages":"466","title":"Binswanger: Die Hysterie (Nothnagels Spezielle Pathologie und Therapie XII. Bd., I. H\u00e4lfte, II. Abteilung) 954 S. Wien, Alfred H\u00f6lder. 1904","type":"Journal Article","volume":"37"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:29:36.654108+00:00"}