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{"created":"2022-01-31T16:26:01.890117+00:00","id":"lit32543","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schumann, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 36: 161-185","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"161\nJ\n(Aus dem psychologisch eu Institut der Universit\u00e4t Berlin.)\nBeitr\u00e4ge zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen.\nVon\nF. Sch\u00fcmann.\nVierte Abhandlung,\nZur Sch\u00e4tzung der Richtung\nI.\n\u00a7 1. Man zeichne auf ein. greiseres St\u00fcck Papier zwei Meine Linien von beispielsweise 2 cm L\u00e4nge in einem gegenseitigen Abstande von ca. 20 cm in der Weise, dafs die eine genau in der Verl\u00e4ngerung der andern Hegt-, H\u00e4lt man dann das Papier in bequeme Seinveite und dreht es so, dafs die beiden Linien senkrecht untereinander zu liegen kommen, so erkennt man im allgemeinen bei zwanglosen Augenbewegungen leicht, dafs die eine die Fortsetzung der andern bildet. Fixiert man dagegen fest die eine der beiden Linien, so hat man w\u00e4hrend der Fixation kein sicheres Urteil \u00fcber Lage und Richtung der anderen; diese wird viel zu undeutlich gesehen. Ein sicheres Urteil kommt nur zu st\u00e4nde, wenn man mit den Augen hin- und hergeht; es wird .also \u00fcberhaupt erst durch die Augenbewegungen erm\u00f6glicht. In gleicher Weise gelange ich nun auch zu einem sicheren und richtigen Urteile, wenn ich das Papier so drehe, dafs die beiden Linien horizontal zu liegen kommen. Sind sie dagegen schr\u00e4g gerichtet, so treten erhebliche T\u00e4uschungen \u00a9in: so scheint mir bei der Lage, die Fig. 1 zeigt, gew\u00f6hnlich die Fortsetzung der unteren Linie \u00fcber die obere hinwegzugehen. Hin und 'wieder habe ich allerdings auch die umgekehrte\tFig 1\nBeobachtung machen k\u00f6nnen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 86.\tH","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nF. Schumann.\nIch habe diese 'Versuche nun an einer gr\u00f6lseren Anzahl von Versuchspersonen nachgepr\u00fcft. Alle erkannten bei horn zontaler und vertikaler Lage der Linien die eine als die Fortsetzung der anderen und alle unterlagen bei der schr\u00e4gen Richtung einer T\u00e4uschung. Diese T\u00e4uschung war jedoch nicht bei allen Personen die gleiche ; vielmehr dachten sich die einen die Fortsetzung der unteren Linie oberhalb, die anderen unterhalb der oberen L\u00fcne.\nWer von der fundamentalen Bedeutung der Muskelempfin-d\u00fcngen f\u00fcr die Raumwahrnehmung \u00fcberzeugt ist, wird diese Empfindungen nat\u00fcrlich auch zur Erkl\u00e4rung der angef\u00fchrten T\u00e4uschung heranzuziehen suchen. Indessen d\u00fcrfte es wohl schwer fallen, mit ihrer Hilfe die Tatsache zu erkl\u00e4ren, dafs di\u00a9 T\u00e4uschung bei einem Teil der Versuchspersonen .in der einen Richtung, bei einem anderen aber in entgegengesetzter Richtung auftritt. Dagegen Mit sich eine einfache Erkl\u00e4rung f\u00fcr di\u00a9 beschriebenen Erscheinungen geben, wenn wir von folgender Anschauung ausgehen, die vor kurzem Magnus Bmx1 ausgesprochen hat, und die ich auch schon seit mehreren Jahren in meinen psychologischen \u00dcbungen zur Erkl\u00e4rung obiger T\u00e4uschung herangezogen habe.\nWollen wir n\u00e4mlich beurteilen, ob die gedachte Fortfletzmg einer Linde einen etwas entfernten Punkt genau trifft oder seitw\u00e4rts von ihm hinl\u00e4uft, so lassen wir wohl gew\u00f6hnlich den B\u00fcck zuerst die L\u00fcne durchlaufen und suchen dann die Augen in derselben Richtung weiter zu drehen. Dabei fassen wir aie Punkte, \u00fcber die der Blickpunkt bei dieser Bewegung gleitet, als in der Fortsetzung der unteren L\u00fcne legend auf und lokalisieren nat\u00fcrlich dementsprechend aie Punkte seitlich, die rieh seitlich vom Fixationspunkt abbilden. Ist diese Anschauung richtig, so w\u00fcrde die obige T\u00e4uschung darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren sein, dafs wir den Blickpunkt zwar dann richtig in der gew\u00fcnschten \u00fcm\u00a9 weiter zu bewegen verm\u00f6gen, wenn es sich um die horizontale oder vertikale Richtung handelt, dafs aber bei allen schr\u00e4gen Richtungen unwillk\u00fcrliche Abweichungen der Augen eintreten, die bei manchen Versuchspersonen nach der einen Seite and bei den anderen nach der entgegengesetzten Seite stattfinden.\nUm diese Erkl\u00e4rung sicher zu Stelen, m\u00fcfste gezeigt werden,\n1 Skandinavisches Archiv f. Physiologie IS, S. 191 ff.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Gesichtswahmehmungen. IV.\n163\ndafs bei den obigen Versuchen tats\u00e4chlich die vorausgesetzten St\u00f6rungen der gleichm\u00e4fsigen Weiterbewegung der Augen ein-treten. Leider ist aber zurzeit keine Methode bekannt, die eine gen\u00fcgend genaue Bestimmung der Augenbewegungen bei den geschilderten Versuchen erm\u00f6glichen k\u00f6nnte. Auch das Verfahren, das vor kurzem verschiedene Forscher1 zur objektiven Registrierung der Augenbewegungen angewandt haben, ist nach Versuchen, die unter meiner Leitung im hiesigen Institut angestellt worden sind, mit so vielen Fehlem behaftet, dafs es zur Entscheidung der hier in Betracht kommenden Frage nicht benutzt werden kann. Dagegen liegen \u00e4ltere Untersuchungen vor, durch die die Augenbewegungen wenigstens unter so \u00e4hnlichen Umst\u00e4nden bestimmt worden sind, dafs sich Schl\u00fcsse auch f\u00fcr un sera Fall daraus ziehen lassen.\n\u00a7 2. Diese Untersuchungen sind nach zwei ganz verschiedenen Methoden von Wundt* und Lamansky8 angestellt worden.\nW\u00fcndt beschreibt seine Versuche in folgender Weise: \u201eEin Bogen Papier 'wurde in quadratische Felder geteilt, und jedes dieser wurde 'mit einer Zahl, einem Buchstaben oder einem anderen Merkpunkt versehen. Die Merkpunkte m\u00fcssen so gew\u00e4hlt werden, dafs sie bei raschem \u00dcberfliegen leicht erkannt und nachher leicht wieder aufgefunden werden k\u00f6nnen, die gleichen d\u00fcrfen daher nur in gr\u00f6feeren Abst\u00e4nden sich wiederholen. Man fixiere nun zun\u00e4chst bei geradeaus gerichteter Sehachse einen dieser Punkte, w\u00e4hrend man das Papier in einer auf der Sehachse senkrechten Ebene und in bestimmtem Abstand vom Auge h\u00e4lt; zugleich merke man sich einen anderen Punkt, den man gerade noch im indirekten Sehen beobachten kann, und auf den mim di\u00a9 Sehachse \u00fcberzuf\u00fchren gedenkt ; es ist gut diesen Punkt noch mit einem besonderen Zeichen zu versehen, damit man ihn nicht etwa verliere. Geht man nun vom ersten Fixationspunkt in, kontinuierlicher Bewegung zum zweiten \u00fcber, so ist es nach einiger \u00dcbung leicht m\u00f6glich, wenigstens einen zwischenliegenden Punkt, der mit der Sehachse \u00fcberfahren wird, wahrzunehmen ;\n1 Hub y : American Journal of Psychology 9, S. 583 ; 11, S. 283. Obschansky : Zentralblatt f. Physiologie 12, 1899, S. 785.\n* Beitr\u00e4ge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, 1862, S. 140 fl.\n\u00bb Pfl\u00fcgers Archiv 2, 8. 418.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nF. Schumann.\nmacht man daher denselben Weg in. derselben Richtung mehrmals nacheinander, so kann man leicht mehrere derartige Punkte auf finden, 'und durch Verbindung derselben erh\u00e4lt man die Kurve, welche die bis zur Fl\u00e4che des Sehfeldes verl\u00e4ngert gedachte Sehachse in diesem beschreibt.\u201c\nAus diesen Versuchen ergibt sich, dafs beim \u00dcbergange von einem Fixationspunkte zu einem, zweiten di\u00a9 Sehachse immer in gerader Richtung \u00fcbergef\u00fchrt wird, wenn die Verbindungslinie beider Punkte horizontal oder vertikal liegt. Dagegen beschreibt bei jeder schr\u00e4gen Richtung die Sehachse \u00a9ine krumme Bahn und zwar ist diese Kr\u00fcmmung bei jeder schr\u00e4g nach aufsen gerichteten Bewegung konvex nach aufsen, bei jeder Bewegung nach innen konvex nach innen. Sie nimmt ferner \u201evon der der Vertikalbewegung entsprechenden Geraden ausgehend allm\u00e4hlich zu, bis sie bei einer Bewegungsrichtung von 45\u00ae gegen den Horizont ein Maximum erreicht; von da nimmt sie wieder alb m\u00e4hlich ab, um im Horizont selber wieder in eine gerade Linie \u00fcberzugehen. Dabei ist das Verhalten vollkommen symmetrisch nach aufsen und innen von der durch die Sehachse in ihrer Anfangsstellung gelegten Vertikalebene und nach oben und unten von der durch sie in derselben Stellung gelegten Horb zontalebene\u201c. \u2014 \u201eWeiterhin liefern diese Versuche das Ergebnis, dafs die ermittelten Bewegungen der Sehachse nicht etwa an eine bestimmte Lag\u00a9 derselben gebunden sind, dafs sie nicht blofs von einer einzigen bestimmten Prim\u00e4rstellung ausgehen, sondern, in welcher Neigung zur Medianebene des Kopfes und zum Horizont sich die Sehachse auch befinden m\u00f6ge, immer haben die Linien, welche die von hier aus geschehenden Bewegungen derselben im Sehfeld\u00a9 darstellen, den gerade fixierten Punkt zum Durchschnittspunkt und geschehen, insoweit sie nicht durch den Bewegungsanfang des Augapfels beschr\u00e4nkt werden, in der Weise, dafs die Sehachse in einer durch sie und durch den vertikalen oder horizontalen Meridian des Auges gelegten Ebene mit ihrem Endpunkt im Sehfeld sich geradlinig bewegt, w\u00e4hrend sie in allen anderen Richtungen B\u00f6gen beschreibt, welche B\u00f6gen in den \u00e4ufseren der vier Quadranten, in die jene Ebenen das Sehfeld trennen, nach aufsen konvex, in den inneren Quadranten mit ihrer Konvexit\u00e4t nach innen gekehrt sind.\u201c\n\u201eMan kann sich die Bewegungen der Sehachse durch die","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der 0esichtmvahrnehmungen. ZT\n165\nFig. 2 versinnlichen, in welcher rings um den Fixationspunkt die verschiedenen Wege gezeichnet sind, die sie von ihm aus im Sehfelde nehmen kann. Diese Figur ist nicht fest, sondern sie wandert gewissermafsen mit der Sehachse herum; sobald dieselbe auf irgend einer der Linien zu einem neuen Fixationspunkt \u00fcbergegangen ist, so ist dieser auch zu einem neuen Bewegungsmittelpunkte geworden, von dem die Bewegungen wieder in gleicher Weise ausgehen.44\nAls Wunbt dann sp\u00e4ter eine gr\u00f6fsere Anzahl von Versuchspersonen heranzog, fand er, dafs \u00f6fter auch die umgekehrte Kr\u00fcmmung der Bogenlinien vorkommt (vgl. a. a. O. S. 202).\nNach einer ganz anderen Methode ist dann sp\u00e4ter Lamansky vorgegangen und trotzdem zu ganz \u00e4hnlichen Resultaten gelangt. Bei seinen Versuchen safs die Versuchsperson im Dunkelzimmer vor einem Schirm und fixierte einen darin angebrachten kleinen schmalen Spalt, der von hinten gut beleuchtet wurde. Vor dem Spalt rotierte eine Pappscheibe, deren Rand schmale, gleich grof\u00dfe und gleich weit voneinander entfernte Einschnitte enthielt, so dafs das Auge des Beobachters von sehr rasch aufeinander folgenden momentanen Lichtblitzen getroffen wurde. Da die Anzahl der Intermissionen in der Sekunde sehr betr\u00e4chtlich war, so schien bei ruhig gehaltenem Auge der Spalt gleichm\u00e4fsig beleuchtet, w\u00e4hrend bei Augenbewegungen die einzelnen Licht-blitze isoliert zur Beobachtung gelangten, weil sie nebeneinander liegende Stellen der Netzhaut reizten. Indem nun Lamansky zuerst den Spalt fixierte und dann die Augen in horizontaler oder vertikaler oder schr\u00e4ger Richtung zu einem markierten Punkte \u00fcberspringen liefs, erhielt er eine Reihe nebeneinander liegender Nachbilder. Es erforderte nun, selbst wenn Spalt und Marke in einer Horizontalen lagen, einige \u00dcbung, \u201eum die Nachbilder in eine gerade Linie zu bekommen\u201c, da sie anfangs kleine \u201eBogen\u201c bildeten. Bei schr\u00e4gen Augenbewegungen bildeten die Nachbilder immer \u201ekrumme Linien, welche f\u00fcr alle schr\u00e4gen Bewegungen nach innen konkav nach innen, f\u00fcr alle schr\u00e4gen Bewegungen nach aufsen konkav nach aufsen\u201c waren.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"160\nF. Schumann.\nBiese Ergebnisse stimmen mit den von Wundt erhaltenen darin \u00fcberein, dais die Sehachse bei Bewegungen in schr\u00e4ger Richtung jedenfalls immer Bogen beschreibt. Dagegen Schemen zun\u00e4chst zwei nicht unwesentliche Unterschiede zwischen den Ergebnissen beider Forscher vorhanden zu sein. Erstens erw\u00e4hnt n\u00e4mlich Lamansky, dafs die Abweichungen von der Geraden Immer in ein und derselben Richtung stattfanden. Dies ist indessen wohl nur darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dais Lamakskt sehr wenige Versuchspersonen gepr\u00fcft hat. Denn bei einer Nachpr\u00fcfung der Versuche mit einer gr\u00f6fseren Anzahl von Personen konnte ich leicht konstatieren, dafs bei einem Teil der Beobachter die Bogen entgegengesetzt gekr\u00fcmmt waren als bei dem andern und ferner konnte ich konstatieren, dafs auch ein und dieselbe Versuchsperson zu verschiedenen Zeiten die Bogen nach verschiedenen Seiten gekr\u00fcmmt sah. Zweitens scheint es auf den ersten B\u00fcck, als ob hinsichtlich der Bewegungen in vertikaler und horizontaler Richtung die beiden Methoden etwas verschiedene Ergebnisse lieferten. Man hat jedoch zu ber\u00fccksichtigen, dafs aus der Form der Linien, die die Nachbilder bei Versuchen nach Lamanskys Methode zeigen, nicht ohne weiteres auf die Bahn der Sehachse (Gesichtslinie) geschlossen werden kann. Denn auch dann, wenn die Sehachse eine ebene Bahn durchmifst, k\u00f6nnen sich die Nachbilder doch in einer krummen Bahn anordnen, sobald das Auge w\u00e4hrend der Bewegung eine Rollung um die Gesichtslinie erf\u00e4hrt.1 Da nun solche Rollungen immer ein treten, sobald der Anfangs- und der Endpunkt der Bewegung nicht in einer durch di\u00a9 Prim\u00e4rstellung der Gesichts-lime gehenden Ebene liegen, so werden die schwachen Kr\u00fcmmungen, die die Nachbilder auch bei Bewegungen der Gesichtslinie in horizontaler und vertikaler Richtung zeigen, auf solch\u00a9 Rollungen zur\u00fcckzuf\u00fchren sein,.\n\u00a7 3. Die Versuche von Wundt und Lamansky st\u00fctzen demnach in durchaus befriedigender Weise die Voraussetzung, dafs wir nur in horizontaler und vertikaler Richtung den Blickpunkt in einer gew\u00fcnschten geraden Linie weiter wandern lassen k\u00f6nnen, dafs dagegen bei allen schr\u00e4gen Richtungen Abweichungen von der Geraden auf treten, die bei einem Teil der Versuchspersonen\n1 Diesen Gesichtspunkt hat schon Hutnro (vgl. Hebhanks Handbuch der Physiologie III, 1, S. 450) hervorgehoben..","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Gesichtsicahmehmungen. IV.\n167\nnach der einen Seite, bei den \u00fcbrigen aber nach der entgegengesetzten Seite stattfinden.\nNun sind aber noch einige bei der geschilderten T\u00e4uschung auftretende Erscheinungen zu erw\u00e4hnen:\nLiegen zun\u00e4chst die beiden kleinen zu beurteilenden Linien in einer Horizontalen oder Vertikalen, so tritt bei vielen Personen unwillk\u00fcrlich eine subjektive Verbindungslinie auf, die bei einigen Beobachtern etwas heller, bei anderen etwas dunkler als der Untergrund ist. DaTs solche subjektive Linien bei k\u00fcrzerer Entfernung der objektiven Linien voneinander von vielen Personen bemerkt werden, habe ich schon in Abhandlung 1 (\u00a7 3) hervorgehoben. Seitdem habe ich aber noch mehrere Versuchspersonen gefunden, welche sie noch deutlich konstatieren k\u00f6nnen, wenn die kleinen objektiven Linien 20 cm und mehr voneinander entfernt sind. Ich selbst vermag bei so grofsen Entfernungen zwar keine subjektiven Linien zu konstatieren, wohl aber hebe ich \u00f6fters bei dem Suchen nach der Fortsetzung der einen objektiven Linie einen ca. 1/s cm breiten horizontalen bzw. vertikalen Streifen aus dem Untergrund heraus, der etwas heller ist als die Umgebung, aber keine scharfen Konturen hat. Es ist nun leicht m\u00f6glich, dais diese subjektiven Linien bzw. Streifen die Sch\u00e4tzung der Fortsetzung einer vertikalen oder horizontalen Linie erleichtern, da sie im allgemeinen (ohne \u00dcbung) nur bei diesen beiden Lagen auftreten.\nSind ferner die kurzen Linien nur soweit voneinander entfernt, wie dies in Fig. 1 der Fall ist, so tritt eine T\u00e4uschung nicht mehr allgemein auf. Wundt behauptet zwar, dafs die Fortsetzung der unteren Linie auch in diesem Falle oberhalb der oberen, und Bubmesteb, dafs sie unterhalb derselben sich fortsetze, aber Bxix und andere haben gar keine T\u00e4uschung. Ich selbst habe bei genauem Zusehen auch keine T\u00e4uschung und vor allem nicht, wenn ich beide Linien als ein simultanes Ganzes im Bewufstsein hervortreten lasse. In diesem Falle bin ich mir, solange das simultane Hervortreten andauert, in jedem Augenblicke bewufst, dafs die beiden Linien in einer Geraden liegen. Bei sehr fl\u00fcchtigem Hinsehen werden dagegen die Linien sukzessiv erfafst, der Blick wandert von der einen zur anderen, und dabei unterliege ich wohl gelegentlich einer geringen T\u00e4uschung. Es ist m\u00f6glich, dafs auch in diesen F\u00e4llen eine unwillk\u00fcrliche Abweichung der Augen in Frage kommt, zumal da allgemein jede","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nF. Schumann.\nT\u00e4uschung aufh\u00f6rt, sobald das Blatt so gedreht wird, dafs die Linien horizontal oder vertikal zu liegen kommen,\n\u00a7 4. Erhebliche T\u00e4uschungen treten jedoch ein, wenn die Meinen schr\u00e4gen Linien zwar auch in geringer Entfernung voneinander, aber nicht isoliert, sondern in Verbindung mit anderen Linien gegeben sind. Da in. allen diesen F\u00e4hen die T\u00e4uschung verschwindet, sobald wir die beiden zu beurteilenden Linien als ein einheitliches Ganzes gleichzeitig vor den anderen im Bewufstsein hervortreten lassen, so ist offenbar ein sukzessives Erfassen der beiden Linien durch die Aufmerksamkeit und damit ein Wandern des Blicks von der ebnen Linie zur anderen Bedingung f\u00fcr den Eintritt der T\u00e4uschung, Hier k\u00f6nnen wir nun nicht mehr physiologische Faktoren f\u00fcr eine Ablenkung der Augenbewegungen verantwortlich machen, wohl aber kann ein psychischer Faktor seine Hand im Spiele haben. Bekanntlich ist immer eine Tendenz vorhanden, einem zun\u00e4chst indirekt gesehenen Objekte den B\u00fcck zuzuwenden, sobald dieses Objekt aus irgend einem Grunde die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Haben wir daher von den beiden schr\u00e4gen Linien zun\u00e4chst etwa die untere mit den Augen durchlaufen und suchen dann den Blick in derselben Richtung weiter zu bewegen, so k\u00f6nnen zu den motorischen Impulsen, welche, isoliert auftretend, die Bewegung in dieser Richtung tadellos ausf\u00fchren w\u00fcrden, noch ander\u00a9 Impulse hinzukommen und eine Ablenkung bewirken, wenn zugleich \u00a9in indirekt gesehenes Objekt die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen sucht.\nMit Hilfe dieses Gesichtspunktes lassen sich leicht ein\u00a9 Reihe von bekannten T\u00e4uschungen erkl\u00e4ren. Zieht man z. B. \u00fcber der oberen nnd unter der unteren der beiden schr\u00e4gen Linien jedesmal\neine andere gleiche und parallele Linie dazu (vgl, Fig. 3), so scheint nun die untere der zu beurteilenden Limen bei Fig g\t\u201egedankenlosem I )ar\u00fcberhinwegblicken\u201c\nh\u00e4ufig zwischen dem oberen Parallelenpaar sich fortzusetzen. Haben wir hier die untere Linie durchlaufen, so wird sich das obere Parallelenpaar als \u00a9in einheitliches Ganzes unserer Aufmerksamkeit aufdr\u00e4ngen und es werden deshalb zu den motorischen Impulsen, welch\u00a9 die Augen in der Richtung der unteren Linie weiter zu drehen suchen, noch andere Impulse Mnzutreten, welche den Blickpunkt mitten auf das","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4gt zur Analyse der GencMswahrnehmungen. IV.\n169\nParallelenpaar zuzuf\u00fchren streben, Die gleiche Erkl\u00e4rung kommt auch in Beteacht f\u00fcr die bekannte T\u00e4uschung in. Fig. 4, wo jede gerade Bggrenzungslinie mitten auf den ihm zugekehrten Kreisbogen des gegen\u00fcberliegenden Viereckes zuzulaufen scheint, Viele Personen, die gewohnt sind, genau zuzusehen, haben beide T\u00e4uschungen nicht; auch kann sie, wie schon am Anfang dieses Paragraphen erw\u00e4hnt, ein jeder dadurch beseitigen, dafs er die zu beurteilenden Linien als ein einheitliches Ganzes gleichzeitig vor den .anderen im Bewufstsein hervortreten l\u00e4fst. Denn dann wirkt eben vom indirekten Sehen aus nur die zu beurteilende\n/\n/\nLinie auf die Bewegung des Auges ein,\nUnter einer Reihe weiterer bekannter T\u00e4uschungen, die sich in gleicher Weise erkl\u00e4ren lassen, w\u00e4hl\u00a9 ich noch di\u00a9 Fig, 5 als Beispiel ans. 'Hier scheint bei gedankenlosem Dar\u00fcberhinwegblicken eine tiefer liegend\u00a9 Lame immer unterhalb jeder h\u00f6her liegenden sich fortzusetzen. Soweit nun die Versuchspersonen die Fortsetzung dadurch zu finden suchen, dafs sie mit dem Fkationspunkt den Linien entlang gehen und dann die Augen in derselben Richtung weiter zu drehen suchen, wird eine Ablenkung dieser Bewegung von der beabsichtigten Richtung nach unten dadurch zustande kommen k\u00f6nnen, dafs der zun\u00e4chst gelegene Teil der benachbarten Senkrechten sich der Aufmerksamkeit aufzudr\u00e4ngen sucht in dem Momente, in dem der B\u00fcck eine schr\u00e4ge Linie zu verlassen kn Begriff steht. Es treten dadurch noch Impulse auf, welche den Fixationspunkt auf dem k\u00fcrzesten Wege der Senkrechten zuzuf\u00fchren suchen. Auch diese T\u00e4uschung tritt nicht allgemein bei allen Versuchspersonen auf und kann ebenfalls leicht beseitigt werden.\nIch m\u00f6chte aber dahingestellt sein lassen, ob immer eine Ablenkung der Augen bei den in diesem Paragraphen besprochenen Erscheinungen die Ursache der T\u00e4uschungen ist. Ich halte es vielmehr f\u00fcr wahrscheinlich, dafs die Richtung der in Gedanken konstruierten Fortsetzung einer Linie auch noch in anderer Weise beeinflufst werden kann, und ich werde unten in\nFig. 5.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nF. Schumann.\n| 10 nachweisen, dafe ta bestimmten F\u00e4llen tats\u00e4chlich die Beeinflussung in anderer Weise sfattfindet. Um. aber jene andere Ursache der Ablenkung aufzuzeigen, mufe ich erst auf eine besondere, bei geometrischen Figuren sich zeigende Eigenschaft n\u00e4her eingehen.\nIL\n\u00a7 5. In Fig. 6 sind zwei gleiche parallele Kreisbogen gezeichnet. Genau genommen darf man hier allerdings nicht von parallelen Kreisbogen reden, da parallel\u00a9 Linien sich in. der Endlichkeit nicht schneiden, wenn man sie auch noch so sehr verl\u00e4ngert, w\u00e4hrend die 'beiden Kreisbogen schon nach einer kleinen Verl\u00e4ngerung aufeinander stofsen. Will man sich ganz korrekt ausdr\u00fceken, so raufs man sagen : Von den beiden gleichen Kreisbogen kann der obere (bzw. untere) mit dem unteren (bzw. oberen) zur Deckung gebracht werden, wenn er parallel mit sich selbst senkrecht nach unten (bzw. oben) verschoben wird. Die beiden Kreisbogen haben aber mit zwei parallelen, horizontalen Linien (vgl. Fig. 7) die Eigenschaft gemeinsam, dafe je zwei senkrecht untereinander liegende Punkte \u00fcberall gleichen Abstand haben. Nun k\u00f6nnen 'wir bei Linien zum Urtel, \u201eparallel\u201c aal doppeltem Wege gelangen, wie Witasek (diese Zeitschrift 19, S. 37) richtig bemerkt hat. In dem einen Falle ziehen wir etwa in Gedanken senkrechte Verbindungslinien an verschiedenen Stellen und vergleichen diese untereinander. Verfahren wir in gleicher Weise bei den beiden hier in Frage stehenden Kreisbogen, so verbinden wir die beiderseitigen Endpunkte durch subjektive Linien miteinander und vergleichen diese untereinander und mit dem Abstande der mittleren Tele beider Bogen. Da wir nun dabei leicht durch das Augenmafs konstatieren k\u00f6nnen, d&Ts die Abst\u00e4nde an allen 3 Punkten gleich sind, so kann dieser Umstand leicht alle Versuchspersonen, welche die genaue Definition des Begriffs \u201eparallele. Linien\u201c nicht kennen bzw. ach im Augenblick nicht an sie erinnern, veranlassen, auch die Kreisbogen als parallel zu bezeichnen. Zweitens kann man aber bei so kurzen Parallelen, wie sie in Fig. 7 gezeichnet sind, auch noch ohne einen besonderen Vergleichungsvorgang, nur auf Grund einer Gestaltqualit\u00e4t zum Urteil parallel gelangen (z. B. bei momentaner Beleuchtung). Wenn wir nun auch zurzeit noch nichts N\u00e4heres \u00fcber diese Gestaltqualit\u00e4t wissen, so wird doch jedenfalls","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Gcnchtmcahmehmungen. TV.\n171\nder \u00fcberall gleiche Abstand der parallelen geraden Linien f\u00fcr di\u00a9 Gestaltqualit\u00e4t bestimmend sein, da ja dieselben geraden .Linien eine andere Gestaltqualit\u00e4t geben m\u00fcssen, sobald sie konvergieren bzw. divergieren. Wir werden daher annehmen d\u00fcrfen, dafs bei den Kreisbogen der \u00fcberall gleiche Abstand Bankrecht untereinader liegender Punkte eine mindestens \u00e4hnliche Gestaltqualit\u00e4t bedingt, welche zur Bezeichnung \u201eparallel\u201c Veranlassung gibt.\nDie \u00c4hnhehkeit der Kreisbogen mit Parallelen h\u00f6rt aber sofort auf, sobald wir sie verl\u00e4ngern. Dann erhalten wir auf den ersten Blick den Eindruck, da\u00a3s die Linien nach beiden Seiten konvergieren, und es wird niemand mehr glauben, dafs tats\u00e4chlich der untere Bogen durch ParaMelverscMebung mit dem oberen zur Deckung gebracht werden k\u00f6rne.1 Wollen wir m diesem Falle che Abst\u00e4nde an verschiedenen Stehen miteinander vergleichen, so spielen zwar in, der Mitte noch die Distanzen senfaeeht untereinander liegender Punkte eine Rohe in. 'unserem Bewu\u00dftsein, seitw\u00e4rts dagegen nicht mehr. Wenn wir z. B, den Abstand der Kreislinien beim Punkte a in Fig. 8\nFig. 6.\n7.\n1 Au\u00dferdem scheint noch der obere Kreisbogen starker gekr\u00fcmmt als der untere entsprechend der von Blix (a. a. O. S. 213 f.) gefundenen Tatsache, dafs allgemein ein Kreissegment um so flacher erscheint, je k\u00fcrzer \u00ae\u00a7 Ist","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nF. Schumann.\ngenauer aufzufaasen suchen, so ziehen 'wir etwa in Gedanken, eine schr\u00e4ge Um\u00a9 von a nach at. Obwohl zahlreiche gerade Linien von a nach den verschiedensten .Punkten der oberen Kreislinie gezogen werden k\u00f6nnen, wird es uns doch ziemlich leicht gerade die Unie aax zu finden, Auch erkennen wir auf den ersten. B\u00fcck, dafs Linien .anderer Richtung, wie z. B. a\\ und aht den Abstand im Punkte a nicht repr\u00e4sentieren; und vor allem wurde ich nie daran denken, a mit dem senkrecht \u00fcber ihm befindlichen Punkte c zu verbinden. Je n\u00e4her nun der Punkt a der Mitte hegt, desto steiler fallen die den Abstand repr\u00e4sentierenden Linien aus, und je n\u00e4her dem Side, desto schr\u00e4ger. Bezeichnen wir ferner zwei solche Punkte wie a und au die wir beim genauen Auffassen des Abstandes an einer bestimmten Stelle in Gedanken durch Linien verbinden, als einander zugeordnete Punkte, so k\u00f6nnen wir sagen: Bei den beiden Kreisbogen sind die einander zugeordneten Punkte in der Mitte am weitesten voneinander entfernt und nach beiden Seiten hin n\u00e4hern sie sich einander immer mehr. Wenn wir demnach die Abst\u00e4nde der beiden Kreislinien an verschiedenen Stellen miteinander vergleichen, so i\u00dft es ganz Har, dafs wir \u00a9ine Verringerung der Abst\u00e4nde von der Mitte nach beiden Seiten hin erkennen m\u00fcssen und dafs wir deshalb keine \u00c4hnlichkeit mit paraleien Limen konstatieren k\u00f6nnen, sondern nur mit konvergenten.\nNun glaube ich aber wieder nicht, dafs bei so grofsen Unterschieden \u00a9ine Vergleichung von gedachten Ihnen an verschiedenen Stelen erforderlich ist. Es wird vielmehr, auch bei momentaner Beleuchtung, auf den ersten B\u00fcck und ohne jedes Auftreten gedachter Linien sofort erkannt, dafs die Kreislinien von der Mitte nach beiden Seiten hin sich kontinuierlich einander n\u00e4hern. Und wir werden anzunehmen haben, dafs auch Mer eine Gestaltqualit\u00e4t das Urtel bedingt wie bei den kurzen paralelen Linien. F\u00fcr diese Gestaltqu&Ht\u00e4t d\u00fcrften dann aber ebenfalls die Distanzen der einander zugeordneten Punkte m&fsgebend sein.\n\u00a7 6, Einige weitere Beispiele m\u00f6gen noch deutiicher veranschaulichen, was ich unter Zuordnung von Punkten verstehe. In Fig. 9 habe ich drei Paar Paralelen nebeneinander gezeichnet, von denen zwei Paar schr\u00e4g gelagert sind, w\u00e4hrend die anderen senkrecht stehen. Versteht man unter dem Abstand zweier Parallelen, wie \u00fcblich, die L\u00e4nge einer senkrechten Verbindungslinie , so haben aie drei Paare gleichen Abstand. Fordert","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge mr Analyse der Gesichtswahmehmungen. IV.\n173\nmm nun \u00a9ine gr\u00f6lser\u00a9 Reihe von Versuchspersonen auf, den Abstand der beiden senkrecht stehenden Parallelen mit dem, Abstande der kurzen schr\u00e4gen zu vergleichen, so werden 'viele den Abstand der letzteren f\u00fcr bedeutend gr\u00f6feer halten. Dia Erkl\u00e4rung dieser T\u00e4uschung ergibt sich aus folgendem Tatbest\u00e4nde. Wollen wir bei den kurzen schr\u00e4gen Parallelen durch Vergleichung mehrerer gedachter Verbindungslinien feststellen, ob eie auch genau parallel sind, so ziehen wir die Verbindungslinien unwillk\u00fcrlich zwischen Punkten, die auf derselben Horizontalen liegen, so dafs also hier je zwei, auf derselben Horizontalen liegend\u00a9 Punkte einander zugeordnet sind. Leicht treten vor allem subjektive Verbindungslinien der Endpunkte auf, wenn man die beiden Parallelen mit ihrem Zwischenraum als ein einheitliches Ganzes au.ffa.fst. Wir haben dann den Eindruck eines horizontalen Streifens mit schr\u00e4gen Seiten und die subjektiven Grenzlinien repr\u00e4sentieren dem unmittelbaren Ein-drucke nach die eine Dimension des Streifens. Das Analoge gilt dann auch f\u00fcr die einheitliche Auffassung der senkrecht stehenden Parallelen. Dafs bei diesen letzteren aber die horizontalen Verbindungslinien, die hier auch den eigentlichen Abstand repr\u00e4sentieren, bedeutend kleiner sind, erkennen wir nat\u00fcrlich auf den ersten Blick, Alle Versuchspersonen nun, welche nicht","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nF. Schumann.\ngenau wissen bzw. sich im Augenblick nicht damn erinnern, was eigentlich unter Abstand von Parallelen zu verstehen ist, vergleichen unwillk\u00fcrlich die horizontalen Dimensionen der beiden Streifen, wenn man sie auffordert, den Abstand der Parallelen zu vergleichen. Es ist daher ganz erkl\u00e4rlich, dafs sie einer T\u00e4uschung verfallen. Diejenigen Personen dagegen, die \u00fcber den Begriff \u201eAbstand zweier Parallelen\u201c genauer orientiert sind, werden auch bei den kurzen schr\u00e4gen Parallelen in Gedanken eine senkrechte Verbindungslinie herzustellen suchen, indem sie etwa den oberen Endpunkt der linken Linien, mit dem unteren der rechten in Gedanken verbinden.\nBei den l\u00e4ngeren schr\u00e4gen Parallelen (Fig. 9) sind dagegen nicht mehr bei allen Versuchspersonen je zwei auf derselben Horizontalen liegende Punkte einander zugeordnet; hier ziehen vielmehr auch viele Laien sofort zur genauen Bestimmung des Abstandes in Gedanken eine senkrechte VerbindungsMme. Daher untersch\u00e4tzen denn auch die betreffenden den Abstand der l\u00e4ngeren schr\u00e4gen Parallelen gegen\u00fcber demjenigen der k\u00fcrzeren.\nMit den eben angef\u00fchrten Erscheinungen stehen dann noch einige weitere T\u00e4uschungen in Zusammenhang, denen nicht nur Laien verfallen.\nIn Fig. 10 wird di\u00a9 von schr\u00e4gen parallelen Linien era-gefafste Horizontale gegen\u00fcber der von zwei senkrechten Linien eingefafeten, untersch\u00e4tzt. Ich vermag nun richer zu konstatieren, dafs von mir di\u00a9 schr\u00e4gen Parallelen immer unwillk\u00fcrlich in der Weis\u00a9 aufgefafst werden, dafs in der N\u00e4h\u00a9 der Horizontalen je zwei auf einer senkrechten Verbindungslinie liegende Punkte einander zugeordnet sind, dafs ich mir also des senfaechten Abstandes der Parallelen unmittelbar bewufst bin. Ich glaube ferner\nFig. 10.\nsicher beobachten zu k\u00f6nnen, dafs beim \u00dcbergang des Blickes von links nach rechts nur der gr\u00f6fsere Abstand der senkrecht","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der GcHchtswahrnekmungen. IV.\n175\nstehenden Parallelen auff\u00e4llt, d. h. dafs die f\u00fcr eine gr\u00f6fsere Distanz charakteristischen Nebeneindr\u00fccke (insbesondere der Eindruck der Ausdehnung und das Hervortreten des Zwischenraums m Bewufstsein) sich geltend machen. Diese Nebeneindr\u00fccke werden daher dadurch bedingt sein, dafs ich beim \u00dcbergang des B\u00fccke von der linken Horizontalen rar rechten auch auf den kleineren Abstand der schr\u00e4gen Paraleien innerlich vorbereitet bin. Da sich der Eindruck der Ausdehnung \u00fcber die graze, zwischen den senkrechten Parallelen liegende Fliehe erstreckt, so trifft er auch die zu beurteilende Horizontale und die Tendenz zum Urteil, \u201egr\u00f6fser\u201c ist dadurch erH\u00e4rt. \u2019 Lasse ich die zu beurteilenden Horizontalen im Bewufstsein hervortreten, so f\u00e4llt 'die T\u00e4uschung fort, und auch die Nebeneindr\u00fccke sind nicht mehr zu 'beobachten.\nEine weiter\u00a9 hierher geh\u00f6rige T\u00e4uschung zeigt Fig. 11. Obwohl Mer die Mittellinien der s\u00e4mtlichen schr\u00e4gen Linienz\u00fcge tats\u00e4chlich einander genau paralei sind, scheinen sie doch bei ungezwungener Beobachtung abwechselnd zu divergieren und zu konvergieren. Die Ursache liegt in folgendem,: W\u00e4hrend im allgemeinen bei Parallelen die Zuordnung der Punkte \u00fcberall in gleichm\u00e4\u00dfiger Weise stattfindet, indem immer entweder Je zwei auf derselben Horizontalen liegende Punkte oder je zwei auf derselben, Vertikalen hegende usw. einander zugeordnet werden, ist bei, den mittleren Abschnitten in Fig. 11, die Zuordnung in der\nFig. 11.\nFig. 12.","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nF. Schumann.\nN\u00e4he der divergierenden Ansatzst\u00fccke eine andere als in der N\u00e4he der konvergierenden. An der Seite, wo divergierende Ansatzst\u00fccke sich befinden, spielen die Distanzen der senkrecht untereinander liegenden Punkte eine Rolle im Bewufstsein, w\u00e4hrend an der anderen Seite eine Zuordnung je zweier Punkte stattfindet, deren Distanz den senkrechten Abstand der Parallelen repr\u00e4sentiert. Wenn wir demnach die Abst\u00e4nde zweier Parallelen an. den beiden Enden miteinander vergleichen wollen, so dr\u00e4ngen sich verschieden grofse Distanzen dem Bewufstsein auf und bedingen das falsche Urteil. L\u00e4fst man dagegen zwei (oder event, s\u00e4mtliche) Mittellinien im Bewufstsein isoliert von ihren Ans\u00e4tzen hervortreten, so findet eine ganz gleichm\u00e4fsige Zuordnung von Punkten statt, und die T\u00e4uschung verschwindet.\nIn Fig. 12 bestehen die Ansatzst\u00fccke der parallelen Mittellinien aus gekr\u00fcmmten Linien. Hier ist nun die Ungleichm\u00e4fsig-keit der Zuordnung noch gr\u00f6fser und dementsprechend ist auch die T\u00e4uschung ausgepr\u00e4gter.\n\u00a7 7. Eine verschiedene Zuordnung von Punkten kommt weiter auch bei dem Unterschiede zwischen dem auf der Seite und dem auf der Spitze stehenden Quadrate in Betracht, der schon in Abhandlung 1 ber\u00fchrt worden ist (diese Zeitschr. 28, S. 18). ln Fig. 13 ist das auf der Basis stehende Quadrat dem unmittelbaren Eindr\u00fccke nach \u00fcberall gleich breit, w\u00e4hrend das auf der Spitze stehende (Fig. 14) von der Mitte nach oben und unten sich kontinuierlich verengt. Will ich die Breite des letzteren etwa im Punkte a genau auffassen, so ziehe ich in Gedanken eine horizontale Linie von a nach und man kann sagen, dafs allgemein je zwei auf derselben Horizontalen liegende Punkte einander zugeordnet sind. Will ich ferner die zweite Dimension des Objektes (die H\u00f6he) im Punkte a bestimmen, so ziehe ich in Gedanken eine senk-\nFig. 13.\nFig. 14.\ni","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Gesichtswahmehmungen. IV.\n177\nrechte Verbindungslinie nach dem, unterhalb gelegenen Punkte nf, so dafs auch a und aa, oder algemein je zwei senkrecht unteremander liegende Punkte einander zugeordnet sind. F\u00fcr gew\u00f6hnlich tritt aber erfahrungsm\u00e4fsig die horizontale Zuordnung mehr hervor. Die Figur ist gleichsam zusammengesetzt aus lauter horizontalen Punktdistanzen, die von der Mitte nach oben und unten immer Meiner werden. Wenn ich aber einerseits die beiden .Huken und andererseits isoliert davon die beiden rechten Grenzlinien der Figur willk\u00fcrlich zusammenfasse, so ist die Figur dem unmittelbaren Eindr\u00fccke nach eher aus lauter vertikalen Punktdistanzen zusammengesetzt, die von der Mitte nach beiden Seiten abnehmen. Dagegen ist das auf der Seite stehende Quadrat gleichsam aus lauter gleichgrofsen horizontalen bzw. vertikalen Punktdistanzen aufgebaut.\nZieh\u00a9 ich im Innern des auf der Spitze stehenden Quadrats Linien, welche einer Seite parallel sind (vgl. Fig. 15), so wird dadurch die Zuordnung der auf derselben Horizontalen liegenden Punkte gest\u00f6rt und die Figur erh\u00e4lt die \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c des auf der Seite stehenden Quadrats. Lasse ich aber die Grenz-linien vor den anderen im Bewufst-mm hervortreten, so ist wieder die gew\u00f6hnliche Zuordn,ung vorhanden.\n----------- Fig. 15.\nIch, weifs sehr wohl, dafs die vorstehenden, Betrachtungen keineswegs gen\u00fcgen, um den Begriff der gegenseitigen Zuordnung von Punkten zu ersch\u00f6pfen. Eine eingehendere Er\u00f6rterung dieses Ph\u00e4nomens soi, an anderer Stelle erfolgen. F\u00fcr die Betrachtungen des n\u00e4chsten Abschnittes gen\u00fcgt die Tatsache, dafs eine starke Tendenz besteht, einander zugeordnete Punkte in Gedanken durch Linien zu, verbinden.\nIII.\n\u00a7 8. Kehren wir nun zur Betrachtung der T\u00e4uschungen zur\u00fcck, die bei der Beurteilung zweier kleiner, in einer Geraden legenden Linien auftreten, wenn sie nicht isoliert, sondern in Verbindung mit anderen Linien der Beobachtung dar-\nZeitachrift ftr Psychologie 56.\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nF. Schumann.\ngeboten werden. Zun\u00e4chst kombinieren wir mit jeder der beiden Linien eine andere, gleich lange in der Weise, dafs zwei spitze Winkel entstehen, deren Scheitelpunkte einander zugekehrt\nsind (vgl. Fig. 16), Jetzt scheint i leicht bei einem \u201egedankenlosen.\n/ Dar\u00fcberhinwegbhcken\u201c die untere / schr\u00e4ge Linie erheblich oberhalb der / oberen schr\u00e4gen sich fortzusetzen.\n/ Der Grund ist einfach darin zu suchen,, /\tdafs bei der gew\u00f6hnlichen einheit-\nf\tliehen Auffassung zweier zu einem\nWinkel vereinter Linien die Richtung der Mittellinie (der Linie, welche den Winkel halbiert) sich leicht unserem Bewufstsein aufdr\u00e4ngt. Verschiedene Versuchspersonen gaben mir von selbst an, dafs sie die beiden Winkel unwillk\u00fcrlich als Spitzen zweier Pfeile auffafsten und dafs sie sich dabei der Richtung1 dieser Pfeile unmittelbar bewufst seien. Suchen wir nun bei einer solchen Auffassung die Fortsetzung des einen Schenkels, so dr\u00e4ngt sich uns statt dessen unwillk\u00fcrlich die Richtung der Mittellinie auf, die nach oben von der gesuchten Richtung ab weicht. Bei jedem genaueren Zusehen lassen wir aber den zu beurteilenden Schenkel vor dem mit ihm verbundenen hervortreten, und dann spielt die Richtung der Mittellinie kein\u00a9 Rolle mehr im Bewufstsein und eine T\u00e4uschung tritt nicht ein. So haben denn auch viele Personen, die gewohnt sind genau zuzusehen, die T\u00e4uschung \u00fcberhaupt nicht.\nF\u00fcllen wir den Winkelraum einheitlich schwarz aus und erzeugen auf diese Weise zwei schwarze gleichschenklige Dreiecke (vgl. Fig. 17), so ist die T\u00e4uschung schon weniger leicht zu beseitigen und tritt auch bei einigen Versuchspersonen auf, die bei den Winkeln nichts davon bemerken k\u00f6rnen. Dies liegt daran, dafs die beiden gleich langen Grenzlinien, jedes Dreiecks einheitlicher verkn\u00fcpft sind als die Schenkel dieses Winkels und dafs wir infolgedessen weniger leicht die zu beurteilende Grenz-","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Oesichtewahmehmungeti. IV.\n179\nlinie unwillk\u00fcrlich vor der anderen im Bewufstsein hervortreten\nFig. 17.\nlassen. Dafs hier \u201edie Richtung der ganzen Winkelspitze einen Einflnfs auf die Sch\u00e4tzung der Richtung der Schenkel \u00fcbt\u201c, hat schon Brentano richtig bemerkt (diese Zeitschr. 6, S. 6f.).\nDie so\u00e9ben besprochene T\u00e4uschung hat mit allen folgenden erstens den Umstand gemein, dafs \u201enicht die auf der Zeichnung sichtbare Linie sondern ihre gedachte Fortsetzung, die Richtung der Verl\u00e4ngerung der Linie abgelenkt erscheint\u201c, wie schon Blix (Skandinav. Archiv f. Physiol. 18, S. 221 f.) f\u00fcr einige der T\u00e4uschungen betont hat. Zweitens kommt bei ihnen allen die Ablenkung dadurch zustande, dafs eine andere Richtung im Bewufstsein eine grofse Rolle spielt und sich der Aufmerksamkeit aufzudr\u00e4ngen sucht.\n\u00a7 9. In Fig. 16 habe ich die beiden Schenkel, welche die Auffassung der Richtung st\u00f6ren, absichtlich parallel gezeichnet, um durch Verl\u00e4ngerung dieser Schenkel einen \u00dcbergang zu der bekannten PoGGENDORirschen T\u00e4uschung (vgl. Fig. 18) zu erhalten. Durch die Verl\u00e4ngerung wird erzielt, dafe nun eine T\u00e4uschung in entgegengesetztem Sinne stattfindet, da die untere Bchr\u00e4ge Linie erheblich unterhalb der oberen sich fortzusetzen scheint. Zugleich verm\u00f6gen jetzt die meisten Versuchspersonen selbst bei genauerer Beobachtung nicht zu einer richtigen Anschauung zu gelangen.\nVerschiedene Forscher haben sich bekanntlich schon mit Erkl\u00e4rungsversuchen dieser T\u00e4uschung besch\u00e4ftigt und selbst quantitative Untersuchungen \u00fcber .ihre Gr\u00f6fse unter verschiedenen Umst\u00e4nden angestellt, aber trotz-\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nF. Schumann.\ndem hat man die wichtige Tatsache \u00fcbersehen, dafs es eine be* stimmte Auffassung der Figur gibt, bei der man den. unmittelbaren Eindruck hat, dafs die beiden St\u00fccke der Transversalen auch wirklich in einer Geraden liegen. Man braucht n\u00e4mlich wieder nur die beiden Linien willk\u00fcrlich oder unwillk\u00fcrlich im Bewu\u00dftsein gleichzeitig hervortreten zu lassen, so dafs sie ein einheitliches simultanes Ganzes bilden. Aufserdem k\u00f6nnen auch diejenigen Versuchspersonen, welche leicht subjektive Linien hervorzurufen verm\u00f6gen, die T\u00e4uschung dadurch beseitigen, dafs sie das fehlende St\u00fcck der Transversalen durch eine subjektive Linie erg\u00e4nzen. Da es demnach von der Art der Auffassung abh\u00e4ngt, ob wir einen richtigen oder falschen unmittelbaren Eindruck von der Richtung der beiden schr\u00e4gen Linien erhalten, so haben wir einen Zusammenhang der T\u00e4uschung mit einer bestimmten Art der Auffassung anzunehmen. Wir m\u00fcssen uns deshalb diese Auffassung n\u00e4her ansehen, die bei den meisten Versuchspersonen sich immer zun\u00e4chst unwillk\u00fcrlich einzustellen pflegt. Es l\u00e4fst sich nun leicht durch Selbstbeobachtung konstatieren, dafs man gew\u00f6hnlich die beiden schr\u00e4gen Linien sukzessiv auffafst, indem man zuerst der unteren die Aufmerksamkeit zuwendet und dann die Fortsetzung dieser Linie nach oben sucht (seltener umgekehrt). Dabei hat man dann meistens den deutlichen Eindruck, dafs dies\u00a9 Fortsetzung ein wenig unterhalb der oberen schr\u00e4gen Linde zu suchen sei. Es liegt nun zun\u00e4chst nahe, auch Mer zum Zwecke der Erkl\u00e4rung an \u00a9ine Ablenkung der Augen zu denken, welche bei dem Versuch, die Augen in der Richtung der unteren Linie weiter zu bewegen, \u00a9intritt. Und in der Tat lassen sich Augenbewegungen in schr\u00e4ger Richtung bei den, di\u00a9 Figur auffassenden Personen leicht konstatieren, wenn man sie so setzt, dafs die Augen gut beleuchtet sind. Auch w\u00fcrde sich wohl ein. Grund, f\u00fcr die Abweichung der Augen nach unten, angeben lassen. Da indessen die T\u00e4uschung auch dann, weiter besteht, wenn di\u00a9 Augenbewegung g\u00e4nzlich fortf\u00e4llt, kann ein\u00a9 solche Erkl\u00e4rung nicht in Frag\u00a9 kommen. Fixiere ich. z. B. fest den, Punkt, in welchem di\u00a9 untere schr\u00e4ge Linie die eine Parallele schneidet, und suche mir dabei di\u00a9 Fortsetzung dieser Linie, so habe ich doch, die T\u00e4uschung sehr stark. Und das gleiche gilt, wenn ich bei einer ganz kurz dauernden, jede Augenbewegung ausschhefsenden Exposition (z. B. 0,01 Sek.) die Figur beteachte,","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der G esichUtwahmehmungen. IV.\n181\nvorausgesetzt dafs ich nicht auch bei einer solchen kurzen Exposition die beiden St\u00fccke der Transversalen als ein simultanes Ganzes gleichzeitig mit der Aufmerksamkeit erfasse,1 Es wird also bei dem Versuche, die Richtung der unteren Linie weiter ii verfolgen, eine Ablenkung stattfinden, und es liegt nahe, dies mit der .in. \u00a7 5 er\u00f6rterten Tendenz, zugeordnete Punkte in Gedanken zu verbinden, in Zusammenhang zu bringen.\nUnd in der Tat lassen sich durch diese Annahme die Erscheinungen erkl\u00e4ren, die bei einer Reihe von Variationen der Figur eintreten.\nEinmal kommt hier die schon, von B\u00fcbmesteb (diese Zeitsehrt 12, S. 890) gefundene Tatsache in Betracht, dafs die T\u00e4uschung um so geringer wird, je l\u00e4nger die St\u00fccke der Transversalen genommen werden. W\u00e4hrend n\u00e4mlich in, dem F\u00e4he, wo die Teile der Transversalen ganz kurz gezeichnet sind, die Parallelen, und die zwischen ihnen herrschende Richtung im Bewufstsein ganz dominieren, treten die Ted\u00a9 der Transversalen, je l\u00e4nger sie sind, um so mehr spontan hervor und, bestimmen dadurch immer mehr die Richtung der gedachten Fortsetzung. L\u00e4ngere St\u00fccke k\u00f6nnen au\u00dferdem willk\u00fcrlich leichter als \u00a9in, einheitliches Ganzes vollst\u00e4ndig herausgehoben werden, wodurch, dann die T\u00e4uschung ganz zum. Verschwinden, gebracht wird.\nSodann hat B\u00fcbmesteb noch weiter gefunden, dafs die T\u00e4uschung um so gr\u00f6fser wird, je spitzer der Winkel ist, unter dem die Transversale die Parallelen, schneidet. Auch diese Tatsache ist sofort verst\u00e4ndlich, da die in Gedanken, zu konstruierende Fortsetzung um so l\u00e4nger wird, je spitzer der Winkel ist. Der gleiche Gesichtspunkt kommt auch zur Erkl\u00e4rung der Tatsache in Betracht, dafs die T\u00e4uschung um so gr\u00f6fser, je breiter der Zwischenraum zwischen den Parallelen.\nFerner l\u00e4fst sich auch die Zunahme der T\u00e4uschung bei der BELBOBUFschen Modifikation (Fig. 19) der PoooEBnoRFFsehen Figur leicht erkl\u00e4ren. Bei dieser ist das obere St\u00fcck der Transversalen um seinen Schnittpunkt mit der Parallelen schr\u00e4g nach unten gedreht. Hier f\u00e4llt die Direktive weg, die sonst das obere St\u00fcck der Transversalen vom indirekten Sehen aus beim Suchen nach der Fortsetzung erteilt, da der Schnittpunkt im indirekten Sehen\n1 Bei einer Exposition von 0,01 Sek. m\u00fcssen die Linien der Figur dicker gezeichnet werden, da sie sonst nicht erkannt werden.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nF. Schumann.\nnicht erkennbar ist. Wird er Jedoch durch eine Meine schwane Kreisfl\u00e4che bezeichnet\u00bb so ist sofort die T\u00e4uschung geringer.\nAufserdem kommt aber wohl bei dieser DELBOEiTFschen Modifikation der Figur noch ein anderer Faktor in Betracht, der im n\u00e4chsten Paragraphen er\u00f6rtert werden soll.\nBesonders scheint mir aber f\u00fcr die Richtigkeit meiner Erkl\u00e4rung die Tatsache zu sprechen, dafs die T\u00e4uschung auch dann auftritt, wenn man die Parallelen fortl\u00e4fst und an ihr\u00a9 Stelle eil anderes geometrisches Gebilde setzt\u00bb welches mit den Parallelen nur das Ph\u00e4nomen der gegenseitigen Zuordnung von Punkten gemein hat\u00bb wie z. B. die beiden Kreisbogen in Fig. 20.\nMg. 20.\nNun will ich aber keineswegs behaupten\u00bb dafs di\u00a9 Zu- oder Abnahme der T\u00e4uschung bei allen Variationen der Figur aus-schliefslich mit der gegenseitigen Zuordnung von Punkten zu-","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Qesichtswahrnehmtmgen. IV.\t183\nsammenhinge. So haben wir ja auch schon oben gesehen, dafs die T\u00e4uschung ganz verschwindet, sobald die beiden Teile der Transversalen als einheitliches simultanes Ganzes aufgefafst werden. Infolgedessen m\u00fcssen nun auch alle Bedingungen, welche die simultane einheitliche Auffassung beg\u00fcnstigen, zugleich bewirken, dafs die T\u00e4uschung leichter aufh\u00f6rt. Das ist in der Tat auch der Fall.\nSo kann man z. B. einmal die einheitliche simultane Auffassung und damit die Beseitigung der T\u00e4uchung leichter erzielen, wenn die Teile der Transversalen dicker gezeichnet\nFig. 21.\nwerden als die parallelen Linien. Zweitens geh\u00f6ren hierher einige Beobachtungen von Filehne (Zeitschr. f. Psychol 17) \u00fcber das Verschwinden der T\u00e4uschung unter bestimmten Umst\u00e4nden. Wenn er z. B. (vgl. Fig. 21) aus den beiden Parallelen eine S\u00e4ule macht und aus der Transversalen ein hinter der S\u00e4ule her gezogenes Seil, an welchem zwei M\u00e4nner ziehen, so ist dadurch nat\u00fcrlich eine starke Tendenz zur einheitlichen Auffassung gegeben. Die Tendenz ist jedoch nicht so stark, dafs die beiden","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nF. Schumann.\nTeile des Seiles immer und von allen Versuchspersonen unwillk\u00fcrlich als ein einheitliches simultanes Ganzes aufgef&lst w\u00fcrden, vielmehr kommt es auch hier bei vielen Versuchspersonen zu einer sukzessiven Auffassung des Seiles und dam bleibt die T\u00e4uschung bestehen,\nDrittens h\u00f6rt die T\u00e4uschung leicht auf, wenn die Fig. 18 so gedreht wird, dafs die Transversale horizontal oder vertikal zu liegen kommt. Denn auch in diesen F\u00e4llen tritt die Transversale leichter als simultanes Ganzes hervor, weil allgemein horizontale und vertikale Linien eine Tendenz haben vor schr\u00e4gen Linien hervorzutreten. Es ist indessen dies nicht der einzige hier wirkende Faktor, vielmehr ist noch zu ber\u00fccksichtigen, dafs nach \u00a7 3 zwei kleine in einer Geraden liegende Linien allgemein leichter durch eine subjektive Linie verbunden werden, wenn die Gerade horizontal oder vertikal, als wenn sie schr\u00e4g gerichtet ist.\nAufserdem d\u00fcrfte noch der eine oder andere Faktor beim Zustandekommen der FoooBNDOEirschen T\u00e4uschung im Spiele\nsein. So finden wir in Fig. 22 die gleiche Richtungs-t\u00e4uschxmg, wenn auch in erheblich geringerem Mafse, obwohl hier von einer Zuordnung von Punkten nicht die Rede sein kann. Mit Sicherheit vermag ich den hier wirkenden Faktor noch nicht aufzuzeigen und unterlasse ich es daher, n\u00e4her auf diesen Punkt einzugehen.\n\u00a7 10. Das Hervortreten einer anderen Richtung als der beabsichtigten wird endlich auch die Ursache f\u00fcr eine letzte Gruppe von Richtungst\u00e4uschungen sein.\nFig. 23 zeigt eine vertikale Linie (ssx) und zwei auf sie zuf\u00fchrende schr\u00e4ge (aat und bbx). Betrachte ich Mer zun\u00e4chst die Linie aax, so wird es mir viel schwerer ihre Fortsetzung bis zur Vertikalen in Gedanken zu verfolgen als etwa vom Punkte a aus ein Loth auf ssx zu f\u00e4llen. Und wenn ich nicht das Loth wirklich in Gedanken ziehe, so dr\u00e4ngt sich doch die entsprechende Distanz leicht spontan auf. Mit diesem Auffallen des n\u00e4chsten Weges zur Linie ss, wird es zu-sammenh\u00e4ngen, dafs viele Versuchspersonen den Punkt, in dem die Fortsetzung von aoj die Vertikale schneidet, zu tief angeben. Und ebenso wird dann auch die fr\u00fcher in \u00a7 4 (Fig. 5) er\u00f6rterte T\u00e4uschung hiermit Zusammenh\u00e4ngen.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Qemehtswahrnehmungm. IV.\n185\n9\nBetrachten wir zweitens In Fig. 24 die .Unie bbtJ so tritt leicht eine subjektive Verbindungslinie bt b\u00b1 auf, w\u00e4hrend 'wieder die eigentliche Fortsetzung von bbt schwerer zu finden ist. Aul dieser Neigung, naheliegende Endpunkte von Linien zu verbinden, wird endlich die bekannte Richtungst\u00e4uschung in Fig. 25 zurtek-zuf\u00fchren sein.\nd\nFig. 24.\n(Eingegangen am 12. Mai 1904.)","page":185}],"identifier":"lit32543","issued":"1904","language":"de","pages":"161-185","startpages":"161","title":"Beitr\u00e4ge zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen. Vierte Abhandlung: Zur Sch\u00e4tzung der Richtung","type":"Journal Article","volume":"36"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:01.890123+00:00"}