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{"created":"2022-01-31T14:24:44.606926+00:00","id":"lit32549","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Bumke","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 36: 294-299","fulltext":[{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"(Am der psychiatrischen Klinik zu Freiburg i. Br.)\nUntersuchungen \u00fcber den galvanischen Lichtreflex.* 1 *\nVon\nPrivatdozenten Dr. Rumke, Assistenten der Klinik,\nDurch die Untersuchungen von Helmholtz, Darieb, Loewbn-feld, Boche, C. F. M\u00fclleb und Nadel wissen wir, dafs durch schwache galvanische Str\u00f6me am Auge eine Lichtempfindung ausgel\u00f6st werden kann, eine Reaktion, die vielleicht infolge des Auftretens virtueller Elektroden am hinteren Augenpol, vielleicht auch aus anderen Gr\u00fcnden 3 * * * normalerweise zuerst beim Anoden-schlufs und zwar schon bei Stromst\u00e4rken zwischen Vso und ljb Milli-Amp\u00e8re auftritt.\nEtwas st\u00e4rkere Str\u00f6me haben nun, wie ich 8 im vergangenen Jahre zeigen konnte, aufs er der Empfindung eines Lichtblitzes auch einen pupillomotorischen Effekt zur Folge, \u00a9ine Wirkung, die nat\u00fcrlich bei kleinen Stromst\u00e4rken quantitativ geringf\u00fcgig und nicht intensiver ist, als die durch entsprechend kleine, normal\u00a9 optische Reize ausgel\u00f6ste Pupillenverengerung. Nun entziehen sich die durch minimale Helligkeits\u00e4nderungen veranlafsten Irisausschl\u00e4ge der direkten Beobachtung mit unbewaffnetem Auge, so deutlich sie auch mit geeigneten Vergr\u00f6fserungsapparaten\n1 Vortrag, gebalten auf der XXIX. Wanderversammlung der sttdwestdeutschen Neurologen und Irren\u00e4rzte in Baden-Baden am 29. Mai 1904.\n1 Erinnert sei daran, dafs schon Hitzig bei seinen Untersuchungen,\n\u00fcber galvanisch\u00a9 Hirnrindenreizung ein \u00dcberwiegen der Anoden*\nWirkung konstatierte, eine Tatsache, die mit dem erw\u00e4hnten Verhalten der\nNetzhaut, die genetisch, histologisch und physiologisch der grauen Rinde\nnahesteht, vielleicht in Analogie gesetzt werden d\u00fcrfte.\ns Centralbl. f. Nervenheilkunde und Peychiatrie 1903, Nr. 162.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen iiber dm galvanischen Lichtreflex.\n295\nsichtbar gemacht werden k\u00f6nnen. Da ferner schon normale Lichtreize von geringer St\u00e4rke eher wahrgenommen, als reflektorisch wirksam werden, so mutate f\u00fcr meine Zwecke eine Versuchsanordnung getroffen werden, die auch minimale Verschiebungen des Pupillenrandes mit Sicherheit zu erkennen erlaubte. Ich habe deshalb meine Versuche mit Hilfe der Zehender-WESTiENschen binokularen Lupe angestellt, die diesem Bed\u00fcrfnisse einer starken Vergr\u00f4fs\u00e8rung voll gerecht wird und \u00fcberdies gestattet, das \u00c4uge bei einer so geringen Helligkeit zu beobachten, dafs die Empfindlichkeit der Netzhaut m\u00f6glichst gesteigert und andererseits der Sphincter pupillae tunlichst _ entspannt wird.\nIm \u00fcbrigen m\u00f6chte ich \u00fcber die Methodik kurz folgendes bemerken. Am besten wird eine (80 qcm) grofse Elektrode auf dem Sternum befestigt oder der Versuchsperson in die Hand gegeben, die kleinere Reizelektrod\u00a9 dagegen (ich benutze eine mit 10 cm Durchmesser) dicht neben dem \u00c4uge anf die ScMife gesetzt oder, wenn nur die konsensuelle Reaktion gepr\u00fcft werden soll, direkt \u00fcber dem, geschlossenen, durch eine Watteschicht vor jedem Drucke gesch\u00fctzten \u00c4uge mittels eines um den Kopf gelegten Gummibandes befestigt. Dieser Unterschied in der Ver-Suchsanordnung macht es ohne weiteres begreiflich, dafs die absolut kleinsten wirksamen Reize bei der konsensuellen, nicht bei der direkten Reaktion festzustellen sind. \u2014 Die jedesmal notwendigen Stromst\u00e4rken wurden an einem EnBiaiANNschen Pr\u00e4zisionsgalvanometer, das in den Stromkreis eingeschaltet war, abgelesen.\nIn dieser Weise wurden bisher 29 Gesunde und 87 Kranke, jeder zu wiederholten Malen, untersucht und an, ihnen folgendes festgesteUt. Normalerweise sind, wenn der Strom von, der Schl\u00e4fe her durch das Auge geleitet wird, Stromst\u00e4rken von, durchschnittlich 2,4 Milliamp\u00e8re \u2014\u25a0 die \u00e4ufsersten Grenzwerte waren, 0,7 und 5,0 Milliamp\u00e8re \u25a0\u2014 erforderlich, um durch jeden Anoden-schlufs ein\u00a9 deutliche, aktiv\u00a9 Verengerung der gleichseitigen und der kontralateralen Pupille um 1\u20142 Millimeter auszul\u00f6sen, eine Bewegung, die ihrem zeitlichen Verlauf nach vollkommen analog ist dem durch eine geringf\u00fcgig\u00a9 und kurzdauernde Helligkeitasteigerung bewirkten Irisausschlage. Auch die dieser prim\u00e4ren Bewegung sekund\u00e4r folgend\u00a9 Erweiterung verl\u00e4uft genau so, als wenn der Lichtreflex in der gew\u00f6hnlichen Weise ausgel\u00f6st gewesen w\u00e4re.","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nBumke.\nN\u00e4chst dem AnodenscMufs ist zuerst wirksam die Kathoden\u00ab \u00d6ffnung, w\u00e4hrend Anoden\u00f6ffnung und Kathodenschluls meist erst bei sehr viel st\u00e4rkeren Str\u00f6men die Pupille sichtbar beeinflussen. Eine anscheinend sehr schnell eintretende Erm\u00fcdung der den Reflex vermittelnden Apparate macht \u00fcbrigens auch bei der gew\u00f6hnlichen Reizung durch Anodenschlufs oft schon nach der vierten oder f\u00fcnften Schliefsung des Stromes eine Erh\u00f6hung der Stromst\u00e4rke erforderlich. L\u00e4nger dauernde Kathodenschliefsung schien zuweilen eine Erholung, Anodenschlufs eine nachhaltigere Ersch\u00f6pfung zu bewirken. Danach w\u00fcrde der AnodenscMufs auch in dieser Beziehung einer l\u00e4nger dauernden, intensiveren Belichtung, also einer Erm\u00fcdung der Retina, Kathodenschlufs der durch Dunkel adaptation erzielten Erholung entsprechen. Ob im \u00fcbrigen die galvanische Reflexempfindlichkeit durch die Helloder Dunkeladaptation des Auges wirklich beeinflufst wird, kann ich heute noch nicht sagen; notwendig ist es nicht, denn wir wissen durch die Untersuchungen von M\u00fclleb und durch die neueste Arbeit von Nagel, dafs f\u00fcr die galvanische Lichtempfindlichkeit diese Analogie zur Erregbarkeit durch den ad\u00e4quaten (Lieht-)Reiz nicht vorhanden ist.\nJedenfalls aber besteht eine innige Beziehung zwischen dem optischen und dem pupillomotorischen Effekt des galvanischen Reizes derart, dafs die sensorische Wirkung, die subjektive Lichtempfindung dem motorischen Erfolge, soweit er wenigstens wahrnehmbar wird, vorangeht. Wie grofs der Unterschied in der Empfindlichkeit beider Reaktionen ist, darauf werden wir nachher noch einzugehen haben.\nIch habe nun zun\u00e4chst versucht, den galvanischen Lichtreflex f\u00fcr die Entscheidung der Frage zu verwerten, ob und welche Unterschiede zwischen der direkten und der konsensuellen Lichtreakttion bestehen. Die Frage ist bekanntlich immer noch nicht definitiv entschieden; von klinischer Seite ist zwar immer wieder darauf aufmerksam gemacht worden, dafs bei ungleicher Belichtung beider Augen auch ganz gesunde Menschen differente Pupillen haben k\u00f6nnen ; gleichwohl wird von anderen aus theoretischen Gr\u00fcnden die Gleichheit des direkten und des konsensuellen Lichtreflexes auch heute noch behauptet. \u2014 Nun hat neuerdings Fuchs mit Hilfe der photographischen Methode festgestellt, dafs in der Tat bei manchen Individuen die Endgr\u00f6fse und die mittlere Geschwindigkeit der indirekten Reaktion hinter der der","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen i\u00e8er dm galvanischen Lichtreflex.\n297\ndirekten zur\u00fcckbleibt. Bei der gr\u00f6fseren Mehrzahl aber bestand dieser Unterschied nicht. Ob da, wo eine Differenz gefunden wurde, pathologische Ursachen daf\u00fcr angeschuldigt werden mufsten, konnte F. nicht entscheiden.\nDer scheinbar einfachste Weg zur L\u00f6sung dieser Frage w\u00e4re nun der, die Reizschwellen f\u00fcr die direkte und die indirekte Reaktion festzustellen; das ist aber deshalb fast unm\u00f6glich, weil es kaum gelingen kann, die minimal kleinen, punktf\u00f6rmigen Lichtquellen, die hierbei in Frage kommen, in zwei aufeinander folgenden Versuchen jedesmal auf dieselbe Stelle der Netzhaut zu werfen. 1st aber das nicht der Fall, so k\u00f6nnen auch die an beiden \u00c4ugen konstatierten Irisbewegungen nicht miteinander verglichen werden.\nAnders liegen die Ding\u00a9 f\u00fcr den galvanischen Reiz; bei seiner Anwendung k\u00f6nnen wir im allgemeinen darauf rechnen, dafs die Gesamtmenge der die Netzhaut passierenden Stromschleifen sich in zwei aufeinander folgenden Versuchen nicht \u00e4ndern, die nacheinander am rechten und am linken Auge konstatierte Pupillenverengerung also auf denselben Reiz zu beziehen sein wird.\nDas Resultat dieser Untersuchungen ist nun ebensowenig eindeutig, wie das in ganz anderer Weise gewonnene von Fuchs: es gibt Individuen, bei denen der Reflex an dem direkt gereizten Auge fr\u00fcher eintritt, als an dem anderen, bei einer etwas gr\u00f6fseren Anzahl dagegen ist ein solcher Unterschied, auch mit dieser Methode, nicht festzustellen.\nDann habe ich die galvanische Licht- und Reflexempindiich-keit des menschlichen Auges bei Untersuchungen benutzt, die im Verhalten der Pupille in Ersch\u00f6pfungszust\u00e4nden betrafen. Di\u00a9 Veranlassung dazu gab die bekannte Tatsache, dafs di\u00a9 Pupille bei hochgradiger M\u00fcdigkeit, im Hungerzustande und ebenso bei manchen an\u00e4mischen Kranken \u2014\u25a0 darauf hat schon Kussmaul aufmerksam gemacht \u2014 oft auffallend weit werden Etwas N\u00e4heres \u00fcber die H\u00e4ufigkeit, den Grad und die Ursache dieser St\u00f6rung ist bisher nicht bekannt, und doch w\u00e4re es bei der grofsen Bedeutung jedes k\u00f6rperlichen Zeichens gerade bei frisch aufgenommenen Kranken w\u00fcnschenswert, zu wissen, ob nicht z. B. weite, schlecht auf Licht reagierende Pupillen auch einmal einfach durch l\u00e4ngere Abstinenz des Patienten veranlafst sein k\u00f6nnen.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nBumke.\nNun sind die M\u00f6glichkeiten \u00fcber die Beeinflussung der Pupille durch ersch\u00f6pfende Momente im weitesten Sinne ins Klare zu kommen, recht beschr\u00e4nkt; das Tierexperiment versagt hier wie \u00fcberall, wo ruhige Lage des Bulbus und stets gleichbleibende Akkomodation bei vergleichenden Untersuchungen unbedingt gew\u00e4hrleistet sein m\u00fcssen.\nDeshalb habe ich versucht, die g\u00fcnstige Gelegenheit, die in psychiatrischen Anstalten die Nachtwachen des Pflegepersonals f\u00fcr Untersuchungen \u00fcber den Einflufs der Erm\u00fcdung bieten, f\u00fcr mein\u00a9 Zwack\u00a9 zu benutzen. \u2014 Denn dafs \u00a9in\u00a9 Nachtwache ein\u00a9 erhebliche Ersch\u00f6pfung verursacht, ist ohne weiteres klar.\nEs wurden insgesamt 104 Einzelbeobachtungen an 13 gesunden Personen vorgenommen, und zwar abwechselnd nach je einer normal durchschlafenen oder durch wachten Nacht.\nDie Ergebnisse dieser Versuchsreihe sind folgende:\nDie Pupillen aller Pfleger und Pflegerinnen waren am Morgen nach einer durchwachten Nacht (unter sonst gleichen Beobachtungs-bedingungen nat\u00fcrlich) regelm\u00e4fsig weiter als zu der gleichen Zeit an anderen Tagen und zwar um durchschnittlich 1,0\u20141,5 mm. Die Reaktion auf Licht und ebenso die bei der Konvergenz war bei der Pr\u00fcfung mit den gew\u00f6hnlichen Untersuchungsmethoden gegen die Norm, nicht ver\u00e4ndert, dagegen die Empfindlichkeit der Ms gegen\u00fcber sensiblen Reizen meist entschieden gesteigert, die \u201ePupillenunruhe\u201c vermehrt.\nDie galvanische Untersuchung nun wurde in diesen F\u00e4llen so vorgenommen, dafs die eine Netzhaut durch eine direkt \u00fcber dem Bulbus befestigte Elektrode gereizt, die Pupille des anderen Auges beobachtet wurde. Es sind dann zur Ausl\u00f6sung dieser konsensuellen Reaktion meist nur Stromst\u00e4rken zwischen 0,5 und h\u00f6chstens 4,0 Milliamp\u00e8re erforderlich.\nEs zeigte sich nun zun\u00e4chst, dafs di\u00a9 galvanische Lichtempfindlichkeit in diesen Ersch\u00f6pfungszust\u00e4nden etwas gesteigert ist. Meist konnten die einen Schliefsnngsblitz ausl\u00f6senden Str\u00f6me um einen Bruchteil kleiner gew\u00e4hlt werden als an anderen Tagen; das hat nichts Auffallendes, denn, wie wir durch die Untersuchungen von Patrick und Gilbert wissen, ist neben der Aufmerksamkeitsst\u00f6rung und der Herabsetzung der Merkf\u00e4higkeit eine Zunahme der Sehsch\u00e4rfe und unter Umst\u00e4nden das Auftreten von einfachen Gesichtst\u00e4uschungen die Folge einer","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den galvanischen Lichtreflex.\n299\ndurch Schlafentziehung herbeigef\u00fchrten Erm\u00fcdung. Die Reflex-empfindlichkeit dagegen, und das ist das Hauptresultat meiner Versuche, wird durch die gleiche Sch\u00e4dlichkeit vermindert; w\u00e4hrend normalerweise, um einen direkten oder kon-sensuellen galvanischen Lichtreflex auszul\u00f6sen, nur 11/2\u20144 mal so starke Str\u00f6me erforderlich sind, als wie um einen Lichtblitz hervorzurufen, entfernen sieh in der Erm\u00fcdung beide Reizwerte soweit von einander, dafs sich Licht und Reflex empfind-lichkeit unter diesen Umst\u00e4nden statt wie 1 zu 2 wie 1 zu 40 verhalten; das heilst, es kann bei einem. Individuum, das heute bei 0,1 Milliamp\u00e8re einen Lichtschein wahr nimmt und bei 0,2 Milliamp\u00e8re eine Irisbewegung auf weist, nach einer durchwachten Nacht der sensorisch wirksame galvanische Reiz etwa auf 0,08 Milliamp\u00e8re gesunken, der pupillomotorisch\u00a9 auf 3,2 Milliamp\u00e8re gestiegen sein.\nEine v\u00f6llig befriedigende Erkl\u00e4rung f\u00fcr diese ganz verschiedene Beeinflussung von Licht- und Reflexempfindlichkeit des Auges durch die Ersch\u00f6pfung lifst sich zurzeit wohl noch nicht geben; wir m\u00fcssen uns begn\u00fcgen, festzustellen, dafs die gleichen Momente, welche die subkortikalen Leitungswege sch\u00e4digen, die Reizbarkeit bestimmter Rinden Zentren zu erh\u00f6hen verm\u00f6gen, und d\u00fcrfen dabei noch einmal daran erinnern, dafs die reflektorische Erweiterung der Pupille, Pupillen-inruh\u00a9 und Psychoreflexe, alles ebenfalls von der Hirnrinde abh\u00e4ngige Reaktionen, bei erm\u00fcdeten Personen gleichfalls gesteigert gefunden wurden.\n\u00dcbrigens sind di\u00a9 Unterschied\u00a9 nicht immer ganz so grofs wie in, dem angef\u00fchrten Beispiele, sie finden sich aber so ge-8etzm\u00e4f\u00dfig, dafs ich eine Verwertbarkeit dieser Beobachtungen auch f\u00fcr psychopathologis eh\u00a9 Zwecke f\u00fcr m\u00f6glich halten m\u00f6chte.\n(Eingegangm am 31. Mm 1904.)","page":299}],"identifier":"lit32549","issued":"1904","language":"de","pages":"294-299","startpages":"294","title":"Untersuchungen \u00fcber den galvanischen Lichtreflex","type":"Journal Article","volume":"36"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:24:44.606932+00:00"}