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{"created":"2022-01-31T16:15:46.653115+00:00","id":"lit32550","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heymans, G.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 36: 321-343","fulltext":[{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"321\nEine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \u201eFausse\nReconnaissance\u201c.\nVon\nG. Hetmans.\nBekanntlich sind \u00fcber die im Titel dieses Aufsatzes genannten Erscheinungen (deren genauer\u00a9 Begriffsbestimmung S. 327\u2014328 zu finden ist, und welche hn folgenden kurz durch die Buchstaben D bzw. FR angedeutet werden sollen) schon mehrfach Untersuchungen mittels Fragebogen angesteht worden, n\u00e4mlich einmal im Jahre 1884 vonOsBORN1, und sodann 1898 von Bbbnaed-Leboy.1 Die erstere, welche ich nur aus einer Mitteilung Leroys (S. 13-\u201414) kenne, scheint nach dieser Mitteilung keine irgendwie bedeutsamen Ergebnisse ans Licht gef\u00f6rdert zu haben ; in bezug 'auf die zweite m\u00f6gen einige kurze Bemerkungen dem Berichte \u00fcber meine eigene Untersuchung, welche sich sowohl die Vorz\u00fcge Jwie die M\u00e4ngel jener zunutze machen konnte, vorangeschickt werden.\nDi\u00a9 Enqu\u00eate Leroys umfafste 36 (oder eigentlich 42) Fragen, welche sich auf folgende Punkte bezogen : Alter, Geschlecht md gesellschaftliche Stellung des Pr\u00fcflings. Vorkommen von FR bei demselben (1); besonderer Charakter dieser Erscheinung (2); Alter in welchem dieselbe zum, ersten- (3) und zum, letztenmal (4) aufgetreten ist; besonders h\u00e4ufiges Auftreten derselben zu bestimmten Zeiten (5), Qualit\u00e4t (6) und. Besonderheiten des Ged\u00e4chtnisses (7); Qualit\u00e4t desselben zu den Zeiten, als die Erscheinung am h\u00e4ufigsten auftrat (8), Vorzugs weises Auftreten der Erscheinung in ungewohnten Umst\u00e4nden (9) oder umgekehrt (10); in, grofsen Versammlungen (11) oder in der Einsamkeit (12); in Depressions-, Exaltations- oder Erm\u00fcdungszust\u00e4nden (13) ; in Zu-\n1 Osborn, Illusions of Memory, Boston 1884.\n8 Bbrnard-Leboy, L\u2019illttsion de \u2018fausse reconnaissance, Paris 1898.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 36.\t91","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322\n(?. Hermans.\nst\u00e4nden emotioneller (14) oder intellektueller Spannung (15) ; oder in allen beliebigen Umst\u00e4nden (16). Vorkommen der Erscheinung im Traum, (17); unter dem Einflufs von Toxinen (18); w\u00e4hrend Krankheit oder Rekonvaleszenz (19). Mittlere (20) und maximale Dauer der Erscheinung (21); Vorkommen von T\u00e4uschungen in bezug auf die Dauer der Erscheinung (22). Aufteeten der Erscheinung in Reihen (23). Begleitende Gef\u00fchle (24); Vorkommen \u00e4hnlicher Gef\u00fchle ohne die Erscheinung (25) ; Zeitverh\u00e4ltnis derselben zur Erscheinung (26). M\u00f6glichkeit, die Erscheinung willk\u00fcrlich hervorzurufen (27) oder zur\u00fcekzudr\u00e4ngen (28). Begleitet-sein der Erscheinung durch das Gef\u00fchl, vorherzusehen was im n\u00e4chsten Augenblicke geschehen wird (29); nachtr\u00e4gliche Best\u00e4tigung dieses Gef\u00fchls (30) ; Erleichterung des Handelns durch dieses Gef\u00fchl (31). Vorkommen der verschiedenen Grade von I) in Verbindung mit FR (32\u201434) oder ohne dieselbe (32 bis \u201434 bis). Vorkommen neurasthenischer Erscheinungen beim Pr\u00fcfling (35). Ausf\u00fchrliche Beschreibung der am klarsten erinnerten F\u00e4lle von FR (36).\nDas war im wesentlichen der Inhalt des Fragebogens, welchen Lbbqt in 1000 Exemplaren \u201enahezu \u00fcberall\u201c herumsandte, und aufserdem in einer franz\u00f6sischen und einer amerikanischen Zeitschrift zur Ver\u00f6ffentlichung brachte. Es liefen 67 Antworten ein, von denen 49 (mit 36 anderen, der \u00e4lteren Literatur entnommenen) der theoretischen Er\u00f6rterung zugrunde gelegt wurden. Das Resultat war haupts\u00e4chlich negativ. Es ergaben sich einzelne nicht uninteressante Aufschl\u00fcsse \u00fcber die Art und Weise, wie sich die betreffenden Ph\u00e4nomene in besonderen F\u00e4llen darboten; aber (abgesehen von der bekannten H\u00e4ufigkeit jener Ph\u00e4nomene in der Pubert\u00e4tszeit und kurz nachher) keine Korrelationen. Geschlecht, Rasse und gesellschaftliche Stellung \u00fcbten keinen nachweislichen Einflufs ; Gesunde zeigten die Erscheinungen nicht seltener als Neuropathen; weder an Intoxikationen, noch an Krankheit oder Rekonvaleszenz, noch an emotionellen Stimmungen schienen dieselben sich zu st\u00f6ren; und selbst die allgemein verbreitete Annahme, dafs Erschlaffung nach vorhergehender \u00dcberreizung oder \u00dcberanstrengung, Ersch\u00f6pfung, k\u00f6rperliche oder geistige Erm\u00fcdung das Auftreten derselben beg\u00fcnstigen, wurde durch die Ergebnisse der Enqu\u00eate nicht best\u00e4tigt. Brauchbares Material f\u00fcr die Begr\u00fcndung oder Widerlegung bestimmter Erkl\u00e4rungsversuche lieferte demnach diese Enqu\u00eate nicht; und der","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Bepersovmlimtim und \u201eFausse Reconnaissance*. -J28\nVerfasser mufste sich, damit begn\u00fcgen, ein physiologisch oder pathologisch bedingtes \u201eErinnerungsgef\u00fchl\u201c vorauszueetzen, dessen normales oder abnormes Auftreten, \u00e4hnlich wie dasjenige von Angstgef\u00fchlen u. dgl., sich vorl\u00e4ufig unserer Einsicht entziehe.\nSollten nun wirklich keine Mittel zu finden sein, \u00fcber dieses wenig befriedigende Resultat hinauszukommen? Um hier\u00fcber Aufschlufs zu erhalten, wollen wir uns die Fragen Lbiiovs, welche gewifs f\u00fcr einen ersten Versuch gl\u00fccklich gew\u00e4hlt und gl\u00fccklioh formuliert erscheinen, etwas sch\u00e4rfer ansehen und untersuchen, ob sie nicht dennoch den vorliegenden Mffserfolg ndtverschuldet haben m\u00f6gen. Dabei wird sich ergeben, dafs diese Fragen mindestens in zweifacher Hinsicht zu wuchtigen Bedenken Voran* lassung geben.\nErstens hat n\u00e4mlich Lbboy fast ganz (d. h. mit alleiniger Ausnahme der Fragen \u00fcber Ged\u00e4chtnis und neuropathische Konstitution) unterlassen, sich nach dem allgemeinen psychischen Habitus seiner Pr\u00fcflinge, nach ihren intellektuellen Anlagen und Temperamentseigenechaften, auf irgendwelche Weise, direkt oder indirekt, zu erkundigen. Das ist zu bedauern; denn eben hier lassen sich Korrelationen vermuten, und f\u00fcr unser Verst\u00e4ndnis der vorliegenden Erscheinungen w\u00e4re es offenbar viel wichtiger zu wissen, bei welcher Art von Menschen sie vorzugsweise auf treten, als wie lange sie dauern, oder welche Ge-f\u00fchlsreaktionen sie hervorrufen.\nNicht weniger bedeutsam scheint mir der zweite Punkt. Lbboy hat mit Recht Wert darauf gelegt zu erfahren, welche besonderen Umst\u00e4nde (gewohnte oder ungewohnte Umgebung, Einsamkeit oder Gesellschaft, Erm\u00fcdung, Depression oder Exaltation) in den einzelnen F\u00e4llen das Auftreten der Erscheinungen beg\u00fcnstigen; und er hat nun in bezug auf jeden dieser Umst\u00e4nde f\u00fcr sich seinen Pr\u00fcflingen die Frage vorgelegt, ob die Erscheinungen vorzugsweise auftraten (\u201ege produisirent de pr\u00e9f\u00e9rence\u201c), wenn der betreffende Umstand gegeben war. Von dieser Fragestellung l\u00e4fst sich aber, wenn auch vielleicht nicht von vornherein so doch nachtr\u00e4glich, leicht einsehen, dafs eie fast notwendig ihr Ziel verfehlen mufste. Nehmen wir1 einmal an, es gebe im. ganzen zehn Umst\u00e4nde, welche in gleichem Mafse das Auftreten der Erscheinungen beg\u00fcnstigen, und welche auch im Leben ungef\u00e4hr gleich h\u00e4ufig sich verwirklichen, dann wird jeder dieser\n21*","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nG. H\u00e8ymans.\nUmst\u00e4nde durchschnittlich in Vio der F\u00e4he, in welchen die Erscheinungen auftoaten, gegeben gewesen sein (oder meinetwegen, mit R\u00fccksicht auf die M\u00f6glichkeit, dais bisweilen mehrere dieser Umstande sich gleichzeitig verwirklichen, um ein Geringes \u00f6fter). Wird nun ein Pr\u00fcfling gefragt, ob die Erscheinungen \u201evorzugsweise auftraten\u201c, w\u00e4hrend der erste von jenen zehn Umst\u00e4nden gegeben war, so wird er sich etwa neunmal so vieler F\u00e4lle erinnern, in welchen die Erscheinungen ohne jenen Umstand, als in welchen sie mit demselben verbunden vorkamen, und also nach bestem Wissen und Gewissen verneinend antworten m\u00fcssen. Ebenso wird es sich in bezng auf den zweiten, und auf die acht weiteren Umst\u00e4nde verhalten; und da in dieser Weise f\u00fcr jeden einzelnen Pr\u00fcfling die Chancen, dals die Erscheinungen besonders h\u00e4ufig bei Anwesenheit je eines bestimmten Umstandes auftreten, nur gering sind, wird der Fragesteller schliefshch em Material zusammenbekommen, aus welchem er, wieder nach bestem Wissen und Gewissen, nur1 auf die vollst\u00e4ndige Irrelevanz aller jener zehn Umst\u00e4nde f\u00fcr die untersuchten Erscheinungen schliefsen kann, w\u00e4hrend doch tats\u00e4chlich diese in. keinem einzigen Fall auf getreten sind, ohne durch einen oder den anderen jener Umst\u00e4nde bedingt oder beg\u00fcnstigt zu sein.\nDamit w\u00e4ren also zwei methodisch\u00a9 Fehler angegeben, welche m. \u00c2. n. den Mifserfolg der LnEOvschen Untersuchung ganz oder zum Teil verschuldet haben k\u00f6nnen, und welche sich kurz dahin zusammenfassen lassen, dafs er \u00fcber die allgemeinen Bedingungen der vorliegenden Erscheinungen fast nichts, \u00fcber die besonderen aber in wenig zweck\u00ab m\u00e4fsiger Weise gefragt hat. Es gilt jetzt zu untersuchen, ob und wie diese Fehler sich vermeiden lassen. In bezug auf den ersten hat es damit offenbar keine Schwierigkeit: die gestellten Fragen sind einfach durch andere, auf den psychischen Habitus sich beziehende, zu erg\u00e4nzen oder zu ersetzen. Nicht ganz so leicht l\u00e4fst sich der zweit\u00a9 Fehler verbessern: hierzu, w\u00e4re n\u00f6tig zu ermitteln, nicht blofs unter welchen Umst\u00e4nden di\u00a9 Erscheinungen im allgemeinen vorzugsweise, sondern unter welchen Umst\u00e4nden jede Erscheinung im besonderen tats\u00e4chlich auf getreten ist; dies wird aber kaum jemand mit einiger Sicherheit und Genauigkeit aus der Erinnerung anzugeben imstande sein. Es bleibt demnach nur \u00fcbrig, die Erscheinungen nicht aus der Erinnerung, sondern sofort bei ihrem, Auf-","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enquete \u00fcber Uepersonalisaiion und \u201eFausse Reconnaissance325\ntreten beschreiben zu lassen,; also die Pr\u00fcflinge aufzufordern, w\u00e4hrend eines bestimmten Zeitabschnitts jeden einzelnen verkommenden Fall von Doder FR in den Fragebogen einzutragen, mit Angabe aller erw\u00fcnschten Besonderheiten \u00fcber die Umst\u00e4nde, 'unter welchen der betreffende Fall eingetreten ist. Aus einem einigermafsen umfassenden, auf diese Weise zusammengestellten Material k\u00f6nnte man hoffen, \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnisse der in Rede stehenden Erscheinungen zu den vorhergehenden oder gleichzeitigen Umst\u00e4nden, etwas genauere Ausk\u00fcnfte zu gewinnen.\nEin im vergangenen akademischen Jahre (Sept. 1,903 bis Juni 1904) von mir an, der hiesigen, Universit\u00e4t gehaltenes Kolleg \u00fcber spezielle Psychologie bot mir eine erw\u00fcnschte Gelegenheit, die im vorhergehenden er\u00f6rterten Gedanken praktisch zu erproben. Die Besucher dieses Kollegs (etwa 45 an der Zahl, unter welchen 8\u201410 Damen) waren gr\u00f6fstenteils junge Leute zwischen 20 und 25, also in den Jahren, wo di\u00a9 zu untersuchenden Erscheinungen h\u00e4ufiger als sp\u00e4ter aufzutreten pflegen; sie hatten einige \u00dcbung im psychologischen Denken und viel Interesse f\u00fcr psychologische Fragen; und es konnte nicht anders als n\u00fctzlich f\u00fcr sie sein, ein wenig systematische Selbstbeobachtung zu treiben, sich an einer geordneten Untersuchung zu, beteiligen, und dieselbe vom Anfang bis zum Ende sich entwickeln zu sehen. So entschlofs ich, mich denn, einen nach den oben angedeuteten Prinzipien eingerichteten \u201eFragebogen \u00fcber Depersonalisation und fausse reconnaissance\u201c zusammenzustellen und unter mein\u00a9 Zuh\u00f6rer zu verteilen. Dieser Fragebogen wurde auf 4 Folioseiten gedruckt, und, enthielt folgendes :\nErstens (auf S. 1) einig\u00a9 \u201eAllgemein\u00a9 Fragen\u201c \u00fcber wichtige, der Selbsterkenntnis nicht allzu unzug\u00e4nglich\u00a9, und f\u00fcrs \u00fcbrige mit R\u00fccksicht auf ihren m\u00f6glichen Zusammenhang mit den zu untersuchenden Erscheinungen ausgew\u00e4hlte individuelle Eigenschaften, des Pr\u00fcflings; mit der Anweisung, f\u00fcr jede Frage eme der durch Sperrdruck angedeuteten Antworten zu untersteeichen. Die Fragen lauteten, in wortgetreuer \u00dcbersetzung wie folgt:\n1.\tSchlafen Sie gew\u00f6hnlich gut, ziemlich gut, oder schlecht?\n2.\tF\u00fchlen Sie sich im grofsen und ganzen morgens oder","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"G. \u00eelcymans.\nabends am. meisten zur Arbeit und zur Geselligkeit disponiert ?\n3.\tInwiefern sind Sie imstande, sieh die M\u00f6bel, Gebrauchsgegenst\u00e4nde und Schmucksachen auf Ihrem. Zimmer1 bei Abwesenheit vorzustellen ? Undeutlich oder deutlich? Nur in Umrissen, oder auch in Einzelheiten und mit Farbe? Nur einzeln f\u00fcr sich, oder auch alle zusammen in Einem Bilde?\n4.\tPflegen Sie sich im allgemeinen die Sachen mehr oder weniger als andere zu. Herzen zu. nehmen?\n5.\tIst Ihre Gem\u00fctsstimmung im grofsen und ganzen gleich-m\u00e4fsig, oder zu verschiedenen Zeiten sehr ungleich?\n0,\tSind Sie fast immer mit Herz 'und Seele mit irgend etwas (sei. es Arbeit, Erholung, eigenen Gedanken oder sonst etwas) besch\u00e4ftigt, oder f\u00fchlen Sie sich oft leer uni zu nichts aufgelegt?\n7,\tArbeiten Sie regel in \u00e4f si g oder unregelm\u00e4 f s i g (bald viel mehr, bald viel weniger)?\n8,\tIst im grofsen und ganzen die gesellschaftliche Unterhaltung f\u00fcr Sie ein Genufs oder eine Arbeit?\n9,\tDringt, wenn Sie in irgend einer Besch\u00e4ftigung vertieft sind, eine von anderen an Sie gerichtete Frage dennoch sofort zu Ihnen durch, oder mufs man 'die Frage bisweilen ein oder mehrmals wiederholen? Haben Sie dabei wohl mal das Gef\u00fchl, aufzuschrecken?\n10,\tWelche Studienf\u00e4cher machten Ihnen auf der Mittelschule mehr M\u00fche, die mathematischen oder die sprachwissenschaftlichen?\n11.\tHaben Sie oft, selten oder nie den Eindruck, da\u00a3s ein bestimmtes, keines1wegs ungew\u00f6hnliches Wort (oder Eigenname) Ihnen momentan sonderbar, fremdartig, wie ein Laut oder Buchstabenkomplex, ohne Sinn erscheint?\nSodann kamen (auf S. 2\u20143) eine Anzahl \u201eBesondere Fragen44, welche f\u00fcr jeden einzelnen, w\u00e4hrend des halben Jahres vom 17. Nov, 1903 bis 17. Mai .1904 eintretenden Fall gesondert beantwortet werden mufsten. Dieselben betrafen:\n1,\tTageszeit des Eintretens: morgens, bei Tage, in der D\u00e4mmerung, abends (bei k\u00fcnstlicher Beleuchtung), bei oder nach dem Zubettegehen.","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \u201eFamse Reconnaissance^. 327\n\u00bbm\t^\n2.\tAufsere Umst\u00e4nde: gewohnte oder ungewohnte Umgebung; Einsamkeit mit interessanter, langweiliger oder keiner Besch\u00e4ftigung ; enger Familien- oder Freundeskreis; fremder Besuch; gr\u00f6fsere Gesellschaft ; Fest- oder Feierlichkeit ; Versammlung, Schule oder Kolleg; Klub ; Theater oder Konzerteaal; w\u00e4hrend einer ernsthaften Diskussion, einer angenehmen Unterhaltung oder einer langweiligen Unterhaltung; w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling selbst am Wort war, einem anderen zuh\u00f6rte, oder au\u00dferhalb der Unterhaltung stand.\n3.\tGem\u00fctslage: m\u00fcde, schlaff und matt; deprimiert, schwerm\u00fctig; pr\u00e4okkupiert (etwa durch ein bevorstehendes Examen, einen zu haltenden Vortrag usw.); aufgeweckt und frisch.\n4.\tAntezedentien: hatte der Pr\u00fcfling kurz vorher sich k\u00f6rperlich stark angestrengt (mit Rudern, Fufstour, Radfahrt usw.); sich vertieft in einen fesselnden Roman, Reisebeschreibung oder Theaterauff\u00fchrung; eich vertieft in interessante wissenschaftliche Fragen ; sich gezwungen zu nichtinteressantem (etwa Examen-) Studium ; allerhand wenig zusammenh\u00e4ngende Arbeiten besorgt (Aufr\u00e4umen, Einpacken u. dgl.); sehr reichlich gespeist; mehr als gew\u00f6hnlich alkoholische Getr\u00e4nke zu sich genommen?\nEndlich enthielt der Fragebogen (auf S. 4) noch eine \u201eErl\u00e4uterung\u201c; n\u00e4mlich zuerst die folgenden Begriffsbestimmungen der in Rede stehenden Erscheinungen:\nUnter Depersonalisation ist ein momentan sich ein-stellender, meistens auch schnell vor\u00fcbergehender Zustand zu verstehen, w\u00e4hrend dessen alles, was wir wahrnehmen, uns fremd, neu, eher Traum als Wirklichkeit zu sein scheint ; die Menschen, mit welchen wir uns unterhalten, auf uns den Eindruck machen, blofse Maschinen zu sein; auch die eigene Stimme uns fremd, wie diejenige eines anderen, in die Ohren klingt; und wir im allgemeinen das Gef\u00fchl haben, nicht selbst zu handeln und zu reden, sondern nur als m\u00fcfsige Zuschauer unser Handeln und Reden zu beobachten.\nUnter \u201efausse reconnaissance\u201c versteht man einen ebenso schnell auftretenden und wieder vergehen den Zustand, w\u00e4hrend dessen wir das Gef\u00fchl haben, die","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"828\nG. Heymans.\nSituation., welche wir in diesem. Augenblicke erleben, schon einmal, in einer weiten Vergangenheit, genau so, bis in alle Einzelheiten, erlebt zu haben (\u201ea feeling, that comes over us occasionaly, of what we are saying and doing having been said and done before, in a remote time, \u2014 of our having been surrounded, dim ages ago, by the same faces, objects and circumstances.\u201c Dickens, Copperfield).\nund sodann eine eingehende, durch ein fingiertes Beispiel verdeutlichte Anweisung \u00fcber die Technik des von den Pr\u00fcflingen ve.rlan.gten Verfahrens. Dabei ganz besonders di\u00a9 Vorschrift, Fragen, in bezug auf deren richtig\u00a9 Beantwortung der Pr\u00fcfling irgendwie zweifelt, lieber unbeantwortet zu lassen ; und endlich die Bitte, auch wenn sich w\u00e4hrend der f\u00fcr die Unter Buchung bestimmten Zeit keine Erscheinungen darbieten sollten, dennoch die allgemeinen Fragen zu beantworten, und den Bogen nach. Ablauf jener Zeit einzuiiefem.\nDie Verteilung dieses Fragebogens unter meine Zuh\u00f6rer fand am 17. November 1903 statt. Die Erscheinungen der D und FR waren kurz vorher im Kolleg besprochen worden; ich hatte mich aber absichtlich darauf beschr\u00e4nkt, den tats\u00e4chlichen Inhalt derselben m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig klar zu machen, und auf die Gefahr mehr oder weniger naheliegender Verwechslungen (etwa der D mit einfachem. Zerstreutsein oder Duseln, der FR mit Zweifeln an der Authentizit\u00e4t einer Erinnerung) aufmerksam zu machen. \u00dcber di\u00a9 vorliegenden. Erkl\u00e4rungsversuche hatte ich nur in den allgemeinsten Umrissen gesprochen, und meine eigenen Vermutungen in bezug auf sie ganz zur\u00fcckgehalten.\nDie Anzahl der am 17. Mal. 1904 oder kurz nachher eingelieferten Fragebogen betrug 42 ; nicht mehr1 als acht derselben enthielten Angaben \u00fcber w\u00e4hrend des verflossenen halben Jahres erlebte Fille; von den betreffenden acht Personen, hatten .zwei je einmal einen. Fall von, D, drei, je einmal einen Fall von FR, einer zweimal einen. Fall von. FR, und zwei je viermal einen Fall von FR beobachtet. Die Gesamtzahl der vorliegenden einzelnen F\u00e4lle betr\u00e4gt also 15. Aufserdem wurde aber noch von 14 Pr\u00fcflingen ausdr\u00fccklich angegeben, dafs sie, wenn, auch nicht im letzten Halbjahr, so doch fr\u00fcher mehr oder weniger oft die betreffenden Erscheinungen \u00a9riebt hatten; von allen 22","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \u201eWamse Reconnaissance^. 329\nkannten f\u00fcnf nur D, neun nur FR, die \u00fcbrigen acht beide Erscheinungen. Umgekehrt erkl\u00e4rten neun Personen ebenso bestimmt, niemals Erfahrungen in bezug auf eine der beiden Erscheinungen gemacht zu haben. Leider fehlte die Gelegenheit,\nTabelle I.\nNimmer der Frage\t1 '\tAntworten t\tsicher\tD oder FR fraglich\tsicher nicht\n1\tgut\t15\t\u00df\t8\n\t, ziemlich, gut\t5\t5\t1\n\tschlecht\t2\t0\t0\n\t(nicht beantwortet\t0\t0\t0)\n2\tmorgens\t3\t1\t1\n\tabends\t8\t2\t4\n\t(nicht beantwortet\t11\t8\t4)\n3\t' undeutlich\t!\t9\t4\t3\n\tdeutlich\t12\t7\t5\n\t(nicht beantwortet\t1\t0\ti)\n4\tmehr\t!\t1\t13\t5\t4\n\tweniger\t|\ti\t3\t3\n\t(nicht beantwortet\t:\t8\t3\t2)\n5\tgleichmlMg\t7\t9\t7\n\t(sehr) ungleich\ti\t13\t1\t1\ni\t(nicht beantwortet\ti\t2\t1\ti)\n\u00df\t! besch\u00e4ftigt\t\t12\t\u00df\t7\n\u25a0\tzu nichts aufgelegt\t5\t3\t0\n\u25a0\t(nicht beantwortet\t5\t2\t2)\n7\t1\tregelmftfsig\t10\t5\t8\n1\tnnregelm\u00e4fsig\t9\t6\t0\ni\t(nicht beantwortet\t3\t0\ti)\n8\tGenufs\t5\t5\t2\n\tArbeit\t3\t3\t5\ni\t(nicht beantwortet\t8\t3\t2)\n9\tsofort durch\t'\t10\t2\t\u00df\n:\twiederholen\t10\t8\t3\ni\t(nicht beantwortet\t2\t1\t0)\n10 !\tmathematische\t.\t8\t4\t2\n\tsprachwissenschaftliche\t3\t3\t3\n\t(nicht beantwortet\t11\t4\t4)\n11\toft\t\u00df\t1\ti\t0\n\tselten.\t14\t8\ti\t5\n\tnie\t2\t1\t4 '\n\t8 , (nicht beantwortet\tj\t0\t1\t0) #","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\n&. Heymans.\nauch von den \u00fcbrigen elf Pr\u00fcflingen hierauf bez\u00fcgliche positive oder negative Angaben zu erhalten.\nQuantitativ war .also das .Resultat dieser Enqu\u00eate ein, imfstrst bescheidenes, und entsprechend gering war1 meine Hoffnung, aus demselben deutliche Fingerzeige auf irgendwelche Korrelationen am Licht ziehen zu k\u00f6nnen. Die genauere Untersuchung besch\u00e4mte jedoch meine Furcht; sie ergab \u00dcbereinstimmungen und Differenzen so eindeutiger Art, dafs es kaum angehen d\u00fcrfte, daf\u00fcr den Zufall, und nicht vielmehr die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, mit welcher meine Berichterstatter sich ihrer Aufgabe unterzogen haben, verantwortlich zu machen. Dieselben sollen im folgenden zusammengestellt werden.\nWas zun\u00e4chst die allgemeinen Fragen anbelangt, so verteilen sich s\u00e4mtliche auf dieselben gegebene Antworten \u00fcber die Personen, bei welchen sicher, fraglich und sicher nicht die Erscheinungen D oder FR auf getreten sind, so wie in Tabelle 1 (S. 329) angegeben ist.\nEin Blick in diese Tabelle l\u00e4fst sofort nicht weniger als vier Korrelationen vermuten, n\u00e4mlich solche zwischen dem Vorkommen von D oder FR einerseits, und der st\u00e4rkeren Emotionalit\u00e4t (Frage 4), der ungleichen Gem\u00fctslage (Frage 5), dem \u00d6fters-zu-nichts-aufgelegtsein (Frage 6) und dem unregelm\u00e4fsigen Arbeiten (Frage 7) andererseits. Von den mit D oder FR behafteten Personen rechnet sich nur einer zu denjenigen, welche weniger als andere sich die Sachen zu Herzen zu nehmen pflegen, in der entgegengesetzten Gruppe sind dagegen die mehr und die weniger Empfindlichen ziemlich gleichm\u00e4fsig vertreten; von den Pr\u00fcflingen, welche jene Erscheinungen \u00fcberhaupt nicht kennen, leidet nur einer unter einer ungleichm\u00e4fsigen Gem\u00fctsstimmung, und ist kein einziger \u00f6fters zu nichts aufgelegt oder unregei-m\u00e4fsig im Arbeiten; von denjenigen dagegen, bei welchen die Erscheinungen Vorkommen, haben ein bis zwei Drittel angegeben, dafs es sich bei ihnen so verhalte.1 Oder in Prozenten:\n1 Bei diesen und den sp\u00e4ter mitgeteilten Vergleichszahlen ist von den, F\u00e4llen, wo die betreffenden Fragen von den Pr\u00fcflingen unbeantwortet ge* lassen wurden, abgesehen, da diese ein\u00a9 sichere Deutung nicht zulassen.","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \u201eFausse Reconnaissance\u201c. 331\nTabelle II.\nNnrnmer der Frage\tAntworten\tD oder FR\t\n\t\tsicher\tsicher nicht\n*\tmehr\t93\t57\n\tweniger\t7\t43\n5\tgleichm\u00e4\u00dfig\t35\t88\n\t(sehr) ungleich\t65\t12\n6\tbesch\u00e4ftigt\t71\t100\n\tzu nichts aufgelegt\t29\t0\n7\tregelm\u00e4fsig\t53\t100\n\tnnregelm\u00e4fsig\t47\t0\nDiese Zahlen w\u00fcrden, wenn sie aus einem umfassenderen Tatsachenmaterial gewonnen w\u00e4ren, beweisend sein; jetzt k\u00f6nnen sie allerdings, mit R\u00fccksicht auf die geringe Anzahl der vorliegenden F\u00e4lle, jede f\u00fcr sich betrachtet nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit begr\u00fcnden. Diese Wahrscheinlichkeit l\u00e4fst sich aber durch einige naheliegende Erw\u00e4gungen bedeutend verst\u00e4rken. Erstens bilden diese Temperamentseigenschaften, welche jede f\u00fcr sich mit dem Vorkommen von D oder FR in Korrelation zu stehen scheinen, offenbar miteinander eine zusammengeh\u00f6rige Gruppe; und kann es demnach kaum dem Zufall zu verdanken sein, dafs, eben in bezug auf sie, merkliche Differenzen zwischen den mit D oder .FR Behafteten und Nichtbehafteten sich feststellen lassen. Und zweitens sind diese Temperamentseigenschaften eben diejenigen, welche im Pubert\u00e4tsalter frequenter und st\u00e4rker als in anderen Lebensaltern hervorzutreten pflegen, deren gem\u00e4fsigte Formen also f\u00fcr die normale, sowie deren \u00fcbertrieben\u00a9 Formen f\u00fcr di\u00a9 krankhaft\u00a9 Pubert\u00e4tsentwick-lung geradem charakteristisch sind, Nun ist aber bekannt\u00bb und bat auch die LEROYsche Enqu\u00eate best\u00e4tigt\u00bb dafs in diesem Pubert\u00e4tsalter die Erscheinungen der D und FR weitaus am, h\u00e4ufigsten auftreten; womit also f\u00fcr die Annahme\u00bb dafs jene Eigenschaften zu diesen Erscheinungen pr\u00e4disponieren, - eine neue St\u00fctze gewonnen ist. Weitere Gr\u00fcnde, welche geeignet sind\u00bb die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme noch mehr zu erh\u00f6hen, werden wir im folgenden kennen lernen,\nNeben den besprochenen ist noch auf zwei andere vermutliche Korrelationen hinzuweisen. Eine derselben, welche wohl","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nG. Heymans.\nmit den. vorigen Zusammenhang!, ergibt sieh ans den Antworten, auf die 10. Frage : die 'mit D oder FR behafteten Personen haben im grofsen und ganzen mehr Schwierigkeiten mit den. mathematischen, die mit jenen Erscheinungen nicht behafteten Personen dagegen mehr Schwierigkeiten mit den sprachwissenschaftlichen Schulf\u00e4chern gehabt, wie aus den folgenden, wieder in Prozente umgerechneten Zahlen hervorgeht:\nTabelle HL\nNummer\tAntworten\tD oder FR\t\nder Frage\t\tsicher\tsicher nicht\n10 i\tmathematische\t73\t40\n1 I 1\tsprachwissenschaftliche j\t27\tec\nDie andere, welche sowoM f\u00fcr die Best\u00e4tigung der bis dahin festgestellten Korrelationen, wie f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der vorliegenden Erscheinungen \u00fcberhaupt von grofser Bedeutung ist, betrifft die Beziehungen zwischen dem Vorkommen von D oder tM einerseits, und der H\u00e4ufigkeit der Erfahrung, dafs ein bekanntes Wort einem momentan sonderbar, fremdartig, sinnlos anmutet, andererseits. Hier liegen die Verh\u00e4ltnisse, auf Prozente reduziert, wie folgt:\nTabelle IV.\nNummer der Frage\tAntworten\tD oder WM sicher j sicher nicht\t\n,11\toft\t27\t0\n\tselten\t64\t56\ni 1 i\tnie\t3\t44\nSchliefslich best\u00e4tigen sich nun diese und, die im, vorhergehenden festgestellten Korrelationen, wechselseitig noch dadurch, dafs, in gleichem Mafse wie das Vorkommen von D und FRy auch die H\u00e4ufigkeit des Fremdfindens eines bekannten Wortes rieh vorzugsweise mit st\u00e4rkerer Emotionalit\u00e4t, ungleicher Ge-m\u00fctslage, Ofters-zu-nichts-aufgelegtsein, unregelm\u00e4lsigem Arbeiten","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqmte \u00fcber Depersonalisation und \u201eFausse Reconnaissanceu. 338\nund Schwierigkeiten mit den mathematischen Stadien verbunden erweist; 'wie dies die beiden folgenden Tabellen, einmal in absoluten und sodann, in Prozentzahlen, zur Darstellung bringen:\nTabelle V. (Absolute Zahlen.)\nHammer der Frage\tAntworten\tFremdfinc oft\tlen eines bei (Frage 11) selten\tl Wortes nie\n4\t, mehr\t6\t13\t3\n\tI weniger\t0\t4\t3\n\t(nicht beantwortet\ti\t2\t10\ti)\n6\tgleichm\u00e4fsig\t2\t14\t6\n\t(\u00abehr) imgleich\t4\t10\t1\n\t(nicht beantwortet\t1\t3\t0)\n6\tbesch\u00e4ftigt\t3\t17\t4\n\tto nichts aufgelegt\t3\t5\t0\n\t(nicht beantwortet\t1\t5\t3)\n7\tregelm\u00e4fsig\t2\t13\t7\n\tunregelm\u00e4\u00dfig\t3\t12\t0\n\t(nicht beantwortet\t2\t2\t0)\n10\t' mathematische\t3\t10\t1\n\tsprachwissenschaftliche\t0\t6\t3\n\t(nicht beantwortet\t4\t12\t3)\nTabelle VI. (Prozentzahlen).\nHummer der Frage\tAntworten\tFremdlnd oft\tlen eines bei (Frage 11) selten\ti. Wortes nie\n4\tmehr\t! 100\t76\t50\n\tweniger\t0\t24\t50\n5\tgleichm\u00e4fsig\t33\t58\t86\n\t(sehr) ungleich\t67\t42\t14\n6\tbesch\u00e4ftigt\t50\t77\t100\n\tzu nichts aufgelegt\t50\t23\t0\n7\tregelm\u00e4fsig\t40\t52\t100\n\tunregelm\u00e4fsig\t60\t48\t0\n10\tmathematische\t100'\t67\t25\n1\tsprachwissenschaftliche\t0\t33\t75\nZusammenfassend gelangen wir also zu folgendem vorl\u00e4ufigem Ergebnis: Es gibt einen Menschentypus, bei welchem","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nG.\nsowohl die Erscheinungen der Depersonalisation und der \u201efausse reconnaissance4 wie die Erscheinung des Fremdfindens eines bekannten Wortes merklich h\u00e4ufiger \u2014, und es gibt einen entgegengesetzten Menschentypus, bei welchem alle diese Erscheinungen merklich weniger h\u00e4ufig als im Durchschnitt verkommen. Jener erstere Typus ist durch st\u00e4rkere Emotionalit\u00e4t, ungleich\u00a9 Gem\u00fctslag\u00ae, zeitweiliges Zu- nicht s- auf gelegtsein, unregelm\u00e4lsiges Arbeiten und geringer\u00a9 Beanlagung zu mathematischen Studien, jener zweite durch geringere Emotionalit\u00e4t, gleichm\u00e4fsige Gem\u00fctslage, Stets-zu-etwas-anfgelegtsein, regelm\u00e4fsiges Arbeiten und geringere Beanlagung zu sprachwissenschaftlichen Studien gekennzeichnet. Selbstverst\u00e4ndlich k\u00f6nnen einzelne dieser Merkmale fehlen (und fehlen tats\u00e4chlich fast immer einzelne dieser Merkmale), ohne die Zugeh\u00f6rigkeit zur entsprechenden Gruppe aufzuheben; je vollst\u00e4ndiger aber die Merkmale der einen oder der anderen Gruppe bei einem Menschen vertreten sind, um so gr\u00f6fser ist auch die Wahrscheinlichkeit, dafs derselbe die genannten Erscheinungen aus eigener Erfahrung kennen, bzw. nicht kennen wird.\nWir wenden uns jetzt den Antworten auf' (Me \u201ebesonderen Fragen\u201c zu, und bringen zuerst den aus diesen Antworten hervorgehenden nackten Tatbestand vollst\u00e4ndig zur Darstellung. Es kamen also vom 17. November 1903 bis zum 17. Mai 1904 folgend\u00a9 F\u00e4lle von D oder FR bei meinen Pr\u00fcflingen vor:\n1.\tEin Fall von D, abends, auf der Strafse, w\u00e4hrend dei Pr\u00fcfling einem anderen zuh\u00f6rte, 'und nachdem er sich zu nichtinteressanten Studien gezwungen hatte.\n2.\tEin Fall von D, abends, in gewohnter Umgebung, in greiserer Gesellschaft, in Klub, Theater- oder Konzertsaal, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling selbst das Wort hatte, und nachdem er sich zu nichtinteressanten Studien gezwungen hatte.\n3.\tEin Fall von FR, abends, in der Einsamkeit, ohne Besch\u00e4ftigung, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling sich im h\u00f6chsten Grade erm\u00fcdet f\u00fchlte, nach einem Tage von auJser* gew\u00f6hnlicher k\u00f6rperlicher uni geistiger Anstrengung.\n4.\tEin Fall von FR% bei Tage, In, gewohnter Umgebung, im","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \u201eFausse M\u00e9connaissanceu. 335\nFamilien- oder Freundeskreise, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling selbst das Wort 'hatte, und nachdem {er sich zu nicht-interessanten Studien gezwungen hatte.\n5.\tMn Fall von FR, abends, in ungewohnter Umgebung, in, Versammlung, Schule oder Kolleg, w\u00e4hrend einer angenehmen Unterhaltung, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling einem, anderen zuh\u00f6rte, in pr\u00e4okkupierter Stimmung, nach schwerer k\u00f6rperlicher Anstrengung.\n6.\tEin -Fall von FR, abends, im Familien- oder Freundeskreise, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling einem anderen zuh\u00f6rte, sich matt und schlaff f\u00fchlte, und nachdem, er mehr als ge-' wohnlich alkoholische Getr\u00e4nke zu sich genommen hatte.\n7.\tEin Fall von FR, abends, im Familien- oder Freundeskreise, w\u00e4hrend einer angenehmen, Unterhaltung, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling einem anderen zuh\u00f6rte, w\u00e4hrend er sich aufgeweckt und frisch f\u00fchlte, und, nachdem er sich in interessante wissenschaftliche Fragen vertieft hatte.\n8.\tEin, Fall von, FR, abends, in. gewohnter Umgebung, in\nder Einsamkeit, w\u00e4hrend einer langweiligen Besch\u00e4ftigung, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling sich matt und schlaff f\u00fchlte, und nachdem er allerhand wenig zusammenh\u00e4ngende Arbeiten besorgt hatte.\t1\n9.\tEin Fall von FR, abends, in, gewohnter Umgebung, im Familien* oder Freundeskreise, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling aufserhalb der Unterhaltung stand, sich matt und schlaff f\u00fchlte, und nachdem er allerhand wenig zusammenh\u00e4ngend\u00a9 Arbeiten, besorgt hatte.\n10.\tEin, Fall von FR, abends, in gewohnter Umgebung, in der Einsamkeit, w\u00e4hrend einer langweiligen Besch\u00e4ftigung, und. w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling sich matt und schlaff f\u00fchlte,.\n11.\tEin, Fall, von FR, bei Tage, in, gewohnter Umgebung, im Familien- oder Freundeskreise, w\u00e4hrend, der Pr\u00fcfling einem, anderen zuh\u00f6rte, sich kaum erm\u00fcdet f\u00fchlte, und nachdem er allerhand wenig zusammenh\u00e4ngende Arbeiten besorgt hatte.\n12.\tEin Fall von FR, abends, in, gewohnter Umgebung, im Familien- oder Freundeskreise, w\u00e4hrend einer angenehmen Unterhaltung, w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling einem anderen zuh\u00f6rte und sich matt und, schlaff f\u00fchlte, nachdem, er aller-","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nO. Heymans.\nhand wenig zusammenh\u00e4ngende Arbeiten besorgt\u00bb und mehr als gew\u00f6hnlich alkoholische Getr\u00e4nke zu sich genommen hatte,\n13.\tEin Fall von FR, bei Tage\u00bb in gewohnter Umgebung\u00bb in Versammlung\u00bb Schule oder Kolleg\u00bb w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling einem anderen zuh\u00f6rte, sich aufgeweckt und frisch f\u00fchlte\u00bb und nachdem er sich zu nichtinteressanten Studien gezwungen hatte.\n14.\tEin Fall von FR\u00bb abends\u00bb in gewohnter Umgebung\u00bb im Familien- oder Freundeskreise\u00bb w\u00e4hrend einer angenehmen Unterhaltung\u00bb w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling gleichzeitig selbst das Wort hatte und einem anderen zuh\u00f6rte\u00bb w\u00e4hrend er sich aufgeweckt und frisch f\u00fchlte\u00bb und nachdem er sich zu nichtinteressanten Studien gezwungen hatte,\n15.\tEin Fall von FR, bei Tage\u00bb in gewohnter Umgebung\u00bb in Versammlung\u00bb Schule oder Kolleg\u00bb w\u00e4hrend der .Pr\u00fcfling einem anderen zuh\u00f6rte\u00bb und sich matt und schlaff f\u00fchlte.\nAn diesen 15 F\u00e4llen (von welchen 6\u20147, 8\u201411 und 12\u201415 je einem Berichterstatter angeh\u00f6ren) ist nun Verschiedenes bemerkenswert. Erstens\u00bb dafs von denselben nicht weniger als 11 zur Abendzeit\u00bb und nur 4 bei Tage stattfanden. Sodann\u00bb dafs von den 12 F\u00e4llen, welche eintraten w\u00e4hrend der Pr\u00fcfling mit anderen zusammen war\u00bb nur 2 in einen Augenblick fallen, wo er selbst das Wort hatte\u00bb dagegen 9 in einen solchen, wo er entweder anderen zuh\u00f6rte oder aufserhalb der Unterhaltung stand, und 1 in einen Zeitpunkt\u00bb wo er gleichzeitig redete und zuh\u00f6rte. Des weiteren\u00bb dafs zur1 Zeit des Eintretens der Erscheinung der Pr\u00fcfling sich in 7 F\u00e4llen schlaff, matt\u00bb erm\u00fcdet, einmal* selbst im h\u00f6chsten Grade erm\u00fcdet\u00bb aufserdem noch in einem Fall pr\u00e4okkupiert\u00bb und, nur in 3 F\u00e4llen aufgeweckt und frisch f\u00fchlte. Und endlich\u00bb dafs dem Eintreten der Erscheinung 5 mal nichtinteressante erzwungen\u00a9 Studien\u00bb 4 mal allerhand wenig zusammenh\u00e4ngende Arbeiten\u00bb je 2 mal schwere k\u00f6rperliche oder geistige Anstrengungen oder Alkoholgebrauch, und blofs einmal fesselnde Arbeit oder Lekt\u00fcre vorangegangen sind. \u2014 Es ist nun leicht einzusehen dafs\u00bb genau so wie die fr\u00fcher besprochenen allgemeinen, auch die jetzt erw\u00e4hnten besonderen Verh\u00e4ltnisse, welch\u00a9 das Auftreten der Erscheinungen zu beg\u00fcnstigen scheinen\u00bb unter sich wieder etwas Gemeinsames haben: sie sind nftm-","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Bepersmaltmi\u00eem und \u201eFausse Reconnaissance11. 337\nlieh s\u00e4mtlich entweder Zeichen oder Bedingungen einer zeitweiligen Herabsetzung der psychischen Energie. Era teres gilt offenbar1 von den in der Mehrzahl der F\u00e4lle angegebenen schw\u00e4cheren oder st\u00e4rkeren Gef\u00fchlen, der Erm\u00fcdung, der Schlaffheit und Mattigkeit; das zweite nicht nur von den nichtinteressanten Studien, den zahlreichen wenig zusammenh\u00e4ngenden Arbeiten, den k\u00f6rperlichen Anetrengimgen und: dem \u00fcbergew\u00f6hnlichen Alkoholgebrauch, sondern auch von der Pr\u00e4okkupation, welche dem augenblicklichen Wahrnehmungs-inhalte einen Teil der psychischen Energie entzieht1, von der Abendzeit, wo jedenfalls ein geringeres, sei es auch bei einigen. Personen \u00a9in besser verf\u00fcgbares Mafs von psychischer Energie vorliegt wie morgens, und von der Stellung des Zuh\u00f6renden im Vergleiche mit derjenigen des Redenden, von welchen die erste, als die mehr passive, durchschnittlich eine geringer\u00a9 Inanspruchnahme der psychischen Energie erfordert als die zweite. Wir haben also als allgemeines Ergebnis der auf die besonderen Fragen gegebenen Antworten di\u00a9 Erkenntnis zu verzeichnen, dafs in, allen einschl\u00e4gigen F\u00e4llen ohne Ausnahme Umstande, in den meisten aber mehrere und bedeutsame Umst\u00e4nde protokolliert wurden, welche auf eine zeitweilige Herabsetzung der psychischen Energie, also auf \u00a9ine momentane Erschlaffung oder Einsenkung der Aufmerksamkeit, entweder direkt hinweisen, oder aber eine solche indirekt wahrscheinlich machen. Nehmen wir aber auf Grund dieses Ergebnisses an, dafs wirklich diese momentane Erschlaffung\n1 Pers\u00f6nlich erinnere ich mich an einen sehr deutlich ausgesprochenen Fall, von D, welcher eintrat, .als ich einmal, mit drei Kollegen zusammen, war, von denen zwei einen mich im h\u00f6chsten Grade interessierenden Gegenstand besprachen, und der dritte gleichzeitig mit mir eine gleichg\u00fcltig\u00a9 Unterhaltung f\u00fchrte. Wahrend ich die Bemerkungen des letzteren pflichtschuldigst beantwortete, zugleich aber mit neun Zehntel meiner Seele bei dem, Gespr\u00e4che der beiden anderen war, hatte ich in ganz auffallendem Mafs\u00a9 den Eindruck, mich, selbst wie einen. Fremden reden, zu h\u00f6ren, ohne dabei irgendwie aktiv beteiligt zu sein. Dem, entspricht m, dafs ich mir jetzt (nach zwei Jahren) noch deutlich vergegenw\u00e4rtige, wer jene beiden anderen waren, wie sie .saften und (fast w\u00f6rtlich) was sie sagten, w\u00e4hrend ich nicht nur \u00fcber den Gegenstand meiner Unterhaltung mit dem Dritten, sondera auch \u00fcber di\u00a9 Frage, wer dieser Dritte war, mich absolut an nichts mehr erinnern kann.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 36.\n22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nG. Heymans.\nder Aufmerksamkeit das Auftreten der Erscheinungen bedingt bzw. beg\u00fcnstigt, so erkl\u00e4rt sich daraus zugleich di\u00a9 auffallend\u00a9 Tatsache, dafs so viele meiner Berichterstatter, denen sonst diese Erscheinungen oder eine derselben durchwegs gel\u00e4ufig waren, w\u00e4hrend des f\u00fcr die Beantwortung des Fragebogens festgestellten halben Jahres keinen einzigen Fall zu verzeichnen hatten: es konnte n\u00e4mlich, so oft ein Fall im, Begriff war eimutreten, der Gedanke an den Fragebogen leicht ein\u00a9 Verst\u00e4rkung der Aufmerksamkeitsfunktion herbeif\u00fchren, wodurch eben \u00a9in\u00a9 g\u00fcnstig\u00a9 Bedingung aufgehoben, und die sich ank\u00fcndigende Erscheinung sofort wieder verscheucht wurde. In der Tat haben zwei meiner Berichterstatter ihren Mitteilungen spontan die Angabe hinzugef\u00fcgt, dafs es sich bei ihnen so verhalten habe.1\nF\u00fcr die Erkl\u00e4rung der vorliegenden Erscheinungen ist vor allem der Umstand von Bedeutung, dafs nach obigem D und FR einerseits, das momentane Fremdfinden eines bekannten Wortes andererseits, unverkennbar zusammengeh\u00f6ren, und demnach auch einen gemeinsamen Erkl\u00e4rungsgrund beanspruchen. Damit ist aber \u00fcber mehrere, besonders zur Erkl\u00e4rung der FR\naufgestellten Theorien das Urteil bereits gesprochen: die be-\n__ \u2022 \u2022\ntreffende Erscheinung kann weder auf zuf\u00e4llige \u00dcbereinstimmung zwischen jetziger Erfahrung und, fr\u00fcheren Erfahrungen, Tr\u00e4umen oder Phantasievorstellungen, noch auf Doppelwahrnehmungen, oder versp\u00e4teten Wahrnehmungen beruhen, weil nach diesen Annahmen durchaus nicht einzusehen w\u00e4re, warum die n\u00e4mlichen Personen, bei welchen, jene Erscheinungen Vorkommen, auch \u00f6fter als andere f\u00fcr einen Augenblick ein bekanntes Wort\n1 Der eine schreibt: \u201eDi\u00a9 Erscheinung FR kam fr\u00fcher des \u00f6fteren bei mir vor, aber eben in den letzten Monaten trat sie seltener ein; zwar glaubte ich mehrfach einen Anfang davon zu sp\u00fcren, jedoch so unbestimmt und schwach, dafs ich mich nicht berechtigt fand, den, Fall als eineu solchen zu verzeichnen. Die Ursache jener geringeren Deutlichkeit liegt vermutlich in der Tatsache, dafs ich mehr meine Aufmerksamkeit auf die Erscheinung richtete, w\u00e4hrend fr\u00fchere F\u00e4lle nur in der Erinnerung hingen blieben.\u201c Der andere: \u201eW\u00e4hrend angestrengten Examenstudiums hatte ich fr\u00fcher oft die Erscheinung FR. Ich habe jetzt bisweilen, den Eindruck, dafs sie sich einstellen will; unter dem Einfl\u00fcsse des Fragebogens richte ich dann aber sofort meine Aufmerksamkeit auf sie, infolgedessen aie verschwindet, ehe sie sich noch vollst\u00e4ndig ausgebildet hat.\u201c","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber JJepersona lisation und r Fausse M\u00e9connaissance\u201c. 339\nals sinnlos auffassen sollten. Es fragt sich, ob eine bessere, auf alle jene Erscheinungen passende Hypothese bereits vor-geschlagen werden kann.\nZu dieser Frage ist nun zun\u00e4chst zu bemerken, dafs s\u00e4mtliche Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung \u00fcbereinstimmend, wenn auch nicht direkt auf eine bestimmte Erkl\u00e4rung, so doch auf einen Weg, welcher zur gesuchten Erkl\u00e4rung f\u00fchren kann, hin weisen. Wir haben zuerst gefunden, dafs sowohl D und FR wie das Fremdfinden eines bekannten Wortes vorzugsweise bei Personen Vorkommen, welche sich durch starke Emotionalit\u00e4t, ungleiche Gem\u00fctslage, \u00f6fteres Zu - nichts - aufgelegtsein und un-regelm\u00e4fsiges Arbeiten, also mit einem Worte durch psychisch\u00a9 Instabilit\u00e4t auszeichnen; und wir haben sp\u00e4ter gesehen, dafs bei den einzelnen F\u00e4llen von D und FR auffallend h\u00e4ufig Umst\u00e4nde gegeben sind, welche direkt oder indirekt auf eine zeitweilige Herabsetzung der psychischen Energie schliefsen lassen. Offenbar stimmen diese Ergebnisse aufs beste zusammen, denn diese zeitweiligen Herabsetzungen der psychischen Energie werden selbstverst\u00e4ndlich bei denjenigen Personen am, h\u00e4ufigsten Vorkommen, deren psychische Funktionen eben im allgemeinen zahlreichen und bedeutenden Intensit\u00e4tsschwankungen unterworfen sind. Wir d\u00fcrfen es demnach wohl f\u00fcr wahrscheinlich halten, dafs tats\u00e4chlich \u00dcberall eine negative Schwankung der Be wufstseinsintensit\u00e4t, eine Herabsetzung der psychischen Energie, eine momentane Erschlaffung der Aufmerksamkeit (oder wie man diesen Tatbestand sonst nennen will) den betreffenden Erscheinungen zugrunde liegt; und haben nur noch zu untersuchen, ob und wie sich dieser Zusammenhang verst\u00e4ndlich machen l\u00e4fst.\nIn bezug auf die Erscheinung des Fremdfindens eines bekannten Wortes hat es 'mit dieser Untersuchung offenbar keine Schwierigkeit. Die Herabsetzung der psychischen Energie bedingt eine geringere psychische, auch .assoziative Wirksamkeit der Vorstellungen; sie kann unter Umst\u00e4nden zur Folge haben, dafs ein bekanntes Wort momentan nicht die mit ihm. assoziativ verbundenen, seine \u201eBedeutung\u201c ausmachenden Vorstellungen hervorruft, und eben darum als sinnlos erscheint. Bei diesem einfachsten Fall brauchen wir uns nicht l\u00e4nger aufzuhalten.\nDie gleiche Erkl\u00e4rung gilt aber offenbar auch f\u00fcr die De-\n22*","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nG. Hey man*.\npersonalisation, welche sich von der vorigen Erscheinung nur dadurch unterscheidet, dafs nicht ein einzelnes Wort, sondern der ganze gegenw\u00e4rtige Wahmehmungsinhalt momentan fremdartig und unbekannt erscheint, und welche demnach, \u00e4hnlich wie jene, auf das Ausbleiben der Assoziationen, denen die Dinge ihre \u201eBekanntheitequalit\u00e4t\u201c verdanken, zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Auch hier\u00fcber sind weitere Auseinandersetzungen wohl kaum n\u00f6tig.\nWeniger durchsichtig scheint die Sache bei der \u201efausse reconnaissance\u201c zu sein, deren h\u00e4ufiges Zusammengehen mit der Depersonalisation selbst mehr oder weniger wie ein psychologischer \u201epuzzle\u201c sich ausnimmt. Denn w\u00e4hrend bei der letzteren Erscheinung gewohnte Gegenst\u00e4nde f\u00fcr einen Augenblick ihre Bekanntheitequalit\u00e4t verlieren, werden bei der ersteren neue, noch nicht dagewesene Situationen als bekannt aufgefafst: hier also ein Zuviel, dort dagegen ein Zuwenig des Wiedererkennens. Doch ist es vielleicht nicht ganz unm\u00f6glich, die scheinbare Kluft zu \u00fcberbr\u00fccken. Wenn n\u00e4mlich, wie die meisten Psychologen annehmen und im vorhergehenden vorausgesetzt wurde, die Be-kanntheitequalit\u00e4t, welche den gewohnten Gegenst\u00e4nden anhaftet, ganz oder zum Teil auf massenhaft sich herandr\u00e4ngenden, wenn auch nur ausnahmsweise zu klarem Bewufstsein gelangenden Assoziationen beruht, so haben wir bis dahin noch nur mit dem normalen Sachverlauf, bei welchem die Assoziationen vollst\u00e4ndig sich einstollen und das Bekanntheitegef\u00fchl sich ihnen anschliefsrt, und mit dem entgegengesetzten abnormalen, wo die Assoziationen vollst\u00e4ndig ausbleiben und Depersonalisation eintritt, gerechnet Es ist aber von vornherein zu vermuten, dafs auch Zwischenf\u00e4lle, in welchen di\u00a9 das Bekanntheitsgef\u00fchl vermittelnden Assoziationen weder vollst\u00e4ndig sich einstellen noch vollst\u00e4ndig fehlen, sondern nur mehr oder weniger leise anklingen, bisweilen (und zwar vermutlich \u00f6fter als die extrem abnormalen) Vorkommen werden. Was w\u00fcrde uns nun in einem solchen, zun\u00e4chst hypothetischen Falle, wo also unsere gewohnte Umgebung f\u00fcr einen Augenblick nur ganz leise die sonst regelm\u00e4fsig von ihr ge-weckten Assoziationen anklingen liefse, eigentlich gegeben sein.? Ich denke: genau das N\u00e4mliche, was uns etwa in denjenigen F\u00e4llen gegeben ist, wo wir nach vielen Jahren Ortschaften, Gegenst\u00e4nde oder Melodien, welche wir fr\u00fcher gekannt, jetzt aber l\u00e4ngst vergessen haben, wieder einmal zu sehen oder zu h\u00f6ren","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \u201e Fausse Reconnaissance341\nbekommen; denn, auch in diesen F\u00e4llen stellen sich die Assoziationen, weiche das Wiedererkennen bedingen, wenn \u00fcberhaupt, so doch weit sch wich er ein als diejenigen, welche ein Gegenstand aus unserer gewohnten, Umgebung hervorzurufen pflegt. Nachdem 'wir nun. aber aus solchen F\u00fcllen gelernt haben, das schw\u00e4chere Sich-Herandr\u00e4ngen der Assoziationen als Zeichen, f\u00fcr fr\u00fcher gehabte Erfahrungen, welche sich auf die n\u00e4mlichen Gegenst\u00e4nde beziehen wie die jetzigen, zu. deuten, l\u00e4fst sich, verstehen, daf\u00df wir auch in anderen F\u00e4llen, wo infolge einer momentanen Herabsetzung der psychischen Energie die gewohnte Umgebung eine bedeutend abgeschw\u00e4chte assoziative Wirksamkeit entfaltet, von dieser gewohnten Umgebung den Eindruck haben, dafs sich m ihr Erlebnisse und Situationen aus einer grauen Vorzeit identisch wiederholen. Womit denn die Verbindung zwischen der \u201efausse ,reconnaissance\u201c und den fr\u00fcher besprochenen Erscheinungen wenigstens im Prinzip hergestellt w\u00e4re.\nDie hiermit vorgeschlagene Erkl\u00e4rung, nach welcher also das momentane Ausbleiben oder abnorm schwach, Sieheinstellen der das B e k a n n t h e i t s g e f \u00fc h 1 vermittelnden Assoziationen allgemein den vorliegenden Erscheinungen zugrunde l\u00e4ge, w\u00fcrde sich nun des weiteren noch dadurch auf di\u00a9 Probe stellen lassen, dafs F\u00e4lle ausfindig gemacht w\u00fcrden, in welchen andere Ursachen als die zeitweilige Herabsetzung der psychischen Energie di\u00a9 n\u00e4mliche Wirkung des Ausbleibens oder Schw\u00e4cher-sich-einstellens der mit dem gegenw\u00e4rtigen, Wahrnehmungsinhalte verbundenen Assoziationen hervorbr\u00e4chten: w\u00e4re die Erkl\u00e4rung richtig, so initiate auch in diesen. F\u00e4llen D oder FR h\u00e4ufiger als sonst eintreten. Einen gewissermafsen hierher geh\u00f6rigen Fall haben wir nun oben (S. 337) schon, in der Pr\u00e4okkupation, dem Ein-genominensein des Bewulstseins durch Gedanken, welche weit abseits vom, Wahrnehmungsinhalte liegen, kennen gelernt: dafs Werbei h\u00e4ufig mehr oder weniger ausgesprochene D oder FR eintreten., wird jeder wissen, der, etwas nerv\u00f6s beanlagt, einmal einen \u00f6ffentlichen Vortrag, eine Festi oder Tischrede zu halten hatte, und nun, kurz vorher sich an. allerhand gleichg\u00fcltige Gespr\u00e4chen beteiligen, mufste. Doch entspricht dieser Fall nur teilweise den gestellten. Bedingungen, da bei demselben zwar gewifs nicht von einer allgemeinen Herabsetzung der psychischen Energie, wohl aber von. einer Herabsetzung der f\u00fcr den gegenw\u00e4rtigen","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nG. Heymans.\nWahrnehmungsinhalt verf\u00fcgbaren psychischen Energie die Rede sein kann, und demzufolge das Ausbleiben oder Sehw\u00e4cher-sich-einstellen der mit diesem Wahmehmungsinhalt verbundenen Assoziationen doch schliefslich in der nim\u00fcchen Weise wie fr\u00fcher zustande kommt. Interessanter 'f\u00fcr die vorliegende Frage scheint mir ein anderer Fall zu sein\u00bb welcher mir vor kurzem von einem Dozenten an der hiesigen Universit\u00e4t mit-geteilt wurde, und welchen ich auch aus eigener Erfahrung glaube best\u00e4tigen zu k\u00f6nnen. Der betreffende Herr hatte n\u00e4mlich h\u00e4ufig und nur dann f\u00fcr einen Augenblick die Erscheinung der FR bei sich beobachtet, wenn er von der Strafse her in einen mit Menschen gef\u00fcllten Salon hineintrat. In diesem Falle Hegt nun offenbar, da der Anblick jener vielen Menschen selbstverst\u00e4ndlich das Interesse reizt und die Aufmerksamkeit spannt, weder eine Herabsetzung der psychischen Energie im allgemeinen, noch eine Ablenkung derselben von dem gegenw\u00e4rtigen Wahrnehmungs-Inhalte vor; aber die Vielheit der isoliert gegebenen, nicht sofort in ihrem Zusammenhang \u00fcberschauten Gesichte- und Geh\u00f6rseindr\u00fcck\u00a9 hemmt f\u00fcr einen Augenblick die assoziative Wirksamkeit derselben, demzufolge man, denn,, wie auch, die Selbst-Wahrnehmung best\u00e4tigt, eine wenn auch, nur sehr kurze Zeit braucht, um sich in die neue Umgebung rzurechtzufindenw. Dais aber in dieser sehr kurzen Zeit leicht D- oder FR-Erscheinungen, auftreten, erkl\u00e4rt sich, nach der obigen, Theorie von selbst.\nSchliefslich ist noch zu bemerken, dafs nach jener Theorie einmal, wie schon fr\u00fcher bemerkt wurde, eine gr\u00f6&ere Frequenz von Fi? im Vergleiche mit D, sodann \u00a9in st\u00e4rkeres Hervortreten der die Erscheinungen beg\u00fcnstigenden Temperamenteeigenschaften bei den mit D, als bei den mit FR behafteten Personen zu erwarten w\u00e4re; beides, weil eben D nach der Theorie einen, extremen Grenzfall darstellt, zu welchem sich FR in allen, m\u00f6g-liehen Graden ann\u00e4hem kann. Von jenen beiden Erwartungen wird nun die erster\u00a9 durch die Ergebnisse meiner Untersuchung in befriedigender Weise best\u00e4tigt (S. 328 \u2014 329); die zweite aber nicht: vielmehr stellt sich heraus, dafs jene Eigenschaften in nahezu gleicher H\u00e4ufigkeit bei den mit D und FR, und bei den allein, mit FR behafteten, dagegen in merklich geringerer H\u00e4ufigkeit bei den allein mit D behafteten Pr\u00fcflingen vorliegen. Die geringe Anzahl der in jede dieser Gruppen fallenden Personen gestattet jedoch, wie mir scheint, nicht, diesem f\u00fcr di\u00a9","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Eine Enquete \u00fcber Depersonalisation wm\u00e4 nFamse Reconnaissance11. 343\nTheorie ung\u00fcnstigen Ergebnis eine entscheidende Bedeutung beizulegen.\nAllerdings liefse sich auch umgekehrt, wenngleich mit etwas geringerem Rechte, in. bezug auf die Gesamtzahl meiner F\u00e4lle die Frage aufwerfen, ob dieselbe nicht zu gering sei, um. der vorgeschlagenen Hypothese eine irgend, erhebliche St\u00fctze zu gew\u00e4hren. Ich f\u00fchle sehr wohl, dafs hier der schwache Punkt meiner Untersuchung liegt, und w\u00fcrde auch gewifs zur Ver\u00f6ffent-Hebung meiner Ergebnisse mich, nicht entschlossen haben, wenn dieselben nicht erstens so unerwartet gut zusammenstimmten, und wenn ich nicht zweitens die Hoffnung hegte, eben durch diese Ver\u00f6ffentlichung etwas mehr Material herbeigeschafft zu bekommen. Es w\u00fcrde mich n\u00e4mlich sehr freuen, wenn hier und da ein Kollege, Professor oder Privatdozent der Psychologie, mir gestatten wollte, ihm eine Anzahl Exemplare meines (ins Deutsche \u00fcbersetzten 'und in Einzelheiten, mit R\u00fccksicht auf die jetzt gewonnenen Ergebnisse modifizierten) Fragebogens zur Verteilung unter seine Zuh\u00f6rer zu \u00fcbermitteln. Er h\u00e4tte mir dazu nur seine Adresse, \u00fce Zeit wann, und die Anzahl in welcher er die Exemplare zu empfangen w\u00fcnscht, mitzuteilen, und sodann bei der Austeilung die Zuh\u00f6rer aufzufordern, nach Verlauf des gestellten Termins die Bogen entweder direkt oder durch seine Vermittlung an mich zur\u00fcckgehen zu lassen (Adresse: Prof. G. Heymahs, U. E. singe! 2, Groningen, Niederlande); ales Weitere werde ich gern besorgen. Vielleicht k\u00f6nnte es auf diese Weise gelingen, wenigstens einige der Fragen, welche sich auf die bei D~ und jFi?-Erscheinungen obwaltenden GesetzHchkeiten beziehen, innerhalb nicht zu langer Zeit zw definitiven Entscheidung zu bringen.\n(Eingegangen am 30, Juni 1904.)","page":343}],"identifier":"lit32550","issued":"1904","language":"de","pages":"321-343","startpages":"321","title":"Eine Enqu\u00eate \u00fcber Depersonalisation und \"Fausse Reconnaissance\"","type":"Journal Article","volume":"36"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:15:46.653120+00:00"}