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{"created":"2022-01-31T15:19:37.335464+00:00","id":"lit32726","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Beyer","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 35: 50-61","fulltext":[{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nBeitrag zur Frage der Parosmie.\nVon\nDr. Bitter.\nW\u00e4hrend die Physiologie des Gesichts und Geh\u00f6rs eine besonders hohe Stufe der Ausbildung erlangt haben und unsere Kenntnis dieser beiden Sinne aufserordentlich weit gediehen ist* ist der Geruchssinn bis noch vor kurzer Zeit sehr stiefm\u00fctterlicht behandelt worden. Ein Einblick in die Lehrb\u00fccher der Physiologie zeigt uns durch die K\u00fcrze dessen, was darin von ihm verhandelt wird, wie sp\u00e4rliche und wie wenig eingehende Untersuchungen f\u00fcr die Funktion dieses Sinnes vorliegen und wie wir* in betreff der einfachsten dabei in Betracht zu ziehenden Fragen. uns noch im unklaren befinden.\nDafs es sich so verh\u00e4lt, bewirken offenbar zwei Umst\u00e4nde, einmal ein grosser Mangel an Interesse f\u00fcr die Erforschung des-Geruchssinnes und dann die Schwierigkeit der Beobachtung, weil es an einer geeigneten Pr\u00fcfungsmethode gebrach.\nDer erstere, das mangelnde Interesse, ist wohl darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs der Geruchsinn den beiden anderen gegen\u00fcber f\u00fcr den Menschen so geringe Bedeutung f\u00fcr die Erkenntnis-unserer Aufsenwelt hat. Dieses leuchtet ein, wenn man \u00fcberlegt, wie tief dieser Sinn, der bei vielen S\u00e4ugetieren wom\u00f6glich Gesicht und Geh\u00f6r \u00fcbertrifft oder ihnen wenigstens gleichkommt, ihr F\u00fchrer und Berater in ihren m\u00e4chtigsten Trieben, bei uns von dieser hohen Stellung gesunken ist.\nZwar beobachtet man F\u00e4lle von hervorragender Geruchsf\u00e4higkeit auch beim Menschen, die, trotzdem sie noch weit hinter' derjenigen der osmatischen S\u00e4ugetiere zur\u00fcckbleibt, doch von solcher eminenten Sch\u00e4rfe ist, dafs sie feinste chemische Reaktionen in den Schatten stellt, gew\u00f6hnlich aber bemerkt man eine,.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Frage der Parosmie.\nbl\nwohl durch fehlende \u00dcbung oder Auch sch\u00e4digende Lebens-gewohnheiten bedingte starke Abstumpfung dieses Sinnes.\nDaher geht auch eine allm\u00e4hliche Schw\u00e4chung oder Herabsetzung der Geruchsf\u00e4higkeit als pathologische Erscheinung fast spurlos an dem Empfinden vieler Kranken vor\u00fcber und erst der durch die Beeintr\u00e4chtigung des Geruches scheinbar ver\u00e4nderte Geschmack der Speisen f\u00fchrt ihn zum Arzt. Denn auch hierbei, wie gew\u00f6hnlich im Leben, unterliegt der Mensch der T\u00e4uschung zwischen Geruch und Geschmack. Nur der pl\u00f6tzliche Verlust oder eine hochgradige pl\u00f6tzliche Sch\u00e4digung des Geruchsinnes ruft ihm die Erinnerung wach, dafs das Organ bei ihm funktionsunf\u00e4hig ist, von welchen Cloquet sagt, dafs es ist \u201eune source abondante de plaisir, un sens des sensations douces et d\u00e9licates, celui des tendres souvenirs\u201c.\nSogar der v\u00f6llige Verlust des Geruchsinnes, die entweder angeborene oder fr\u00fch acquirierte totale Anosmie ist nicht gar so selten zu beobachten, ohne dafs das betreffende Individuum sich dabei in seinen wichtigsten Lebensfunktionen hochgradig beeintr\u00e4chtigt f\u00fchlt, trotzdem doch noch der mit dem Geruchsinn so eng verkn\u00fcpfte Geschmacksinn durch den Verlust des ersteren zu einem sehr tiefen Niveau herabgedr\u00fcckt wird.\nSchien es dem Physiologen nicht lohnend, sich der Ergr\u00fcndung unserer Olfaktoriuserregungen zuzuwenden, so waren die Kliniker noch enthaltsamer in ihren Berichten und in den Pr\u00fcfungen der Anomalien und pathologischen Zust\u00e4nde des Geruchsinnes. woran wohl dem zweiten Umstande, dem Fehlen einer geeigneten Pr\u00fcfungsmethode die meiste Schuld beizumessen ist.\nDiesem Mangel abgeholfen zu haben ist das unstreitige Verdienst Zwaabdemakebs, der sich der Erforschung dieses Sinnes so eingehend gewidmet und in seiner \u201ePhysiologie des Geruches\u201c das schon Vorhandene gesammelt, gepr\u00fcft und geordnet, dazu die reiche Erfahrung eigener Beobachtung hinzugef\u00fcgt und schliefslich in seinem Olfaktometer ein Instrument zur exakten Pr\u00fcfung der Funktionen dieses Organs geschaffen hat.\nDamit hat er auch dem Kliniker die M\u00f6glichkeit gegeben, eine exakte Beobachtung und Beschreibung pathologischer Erscheinungen zu liefern. Und dieses ist von Wichtigkeit, weil\ngerade bei diesem Sinn, wie er mehrfach betont, die Erforschung\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nBeyei\\\npathologischer Zust\u00e4nde der physiologischen Erkenntnis sehr f\u00f6rderlich sein kann.\nVon diesem Gesichtspunkte aus will ich \u00fcber zwei F\u00e4lle berichten.\nW\u00e4hrend die F\u00e4lle von Anosmie in ihren verschiedenen Formen vielfach beobachtet, auch wohl eingehender gepr\u00fcft und beschrieben sind und die daraus, besonders aus den partiellen Defekten, f\u00fcr die Ergr\u00fcndung der spezifischen Energien des Geruchsinnes sich ergebenden Schl\u00fcsse gezogen sind, hat man den Parosmien entweder weniger Beachtung geschenkt oder sie sind, wof\u00fcr die sp\u00e4rlichen Berichte sprechen, weniger zur Beobachtung gelangt. Gemeint sind dabei nur die F\u00e4lle von subjektiven Ger\u00fcchen, welche, wie auch Zwaardemakeb hervorhebt, allein auf einer wirklichen Nervenreizung, also st\u00e4rkeren st\u00e4ndigen Erregung der betreffenden Nervenelemente und Fasern beruhen und entweder durch Geschw\u00fclste (Lues) oder Hysterie, Neurasthenie, Tabes, toxische Einfl\u00fcsse, aber auch durch Infektionskrankheiten bedingt sind.\nStreng hiervon zu sondern sind nat\u00fcrlich solche Ger\u00fcche, welche stagnierendes Sekret, Schwellungszust\u00e4nde, besonders aber Erkrankungen der Nebenh\u00f6hlen als Ursache haben. Nach Zarinkos Ansicht1 sollen alle subjektiven Ger\u00fcche hierin ihren Grund haben und larvierte objektive Kakosmien sein. Dabei schiefst er mit diesem Urteil entschieden weit \u00fcber das Ziel hinaus, indem er das allerdings h\u00e4ufige Auftreten gerade von unangenehmen subjektiven Ger\u00fcchen allein hierauf zur\u00fcckf\u00fchren will und die wahren Parosmien v\u00f6llig leugnet Dafs das Bestehen derselben fraglos ist, zeigen nicht nur mehrere schon fr\u00fcher gemachte einwandsfreie Beobachtungen, sondern auch die im folgenden zu berichtenden F\u00e4lle.\nDie Auslese der in der Literatur erw\u00e4hnten Beschreibungen von reinen Parosmien ist, wie erw\u00e4hnt, durchaus nicht ergiebig und verschiedenen Berichten haftet noch ein Mangel insofern an, als dieselben eigentlich mehr in Form von gelegentlichen Bemerkungen in Krankengeschichten Vorkommen. Diese pathologischen Zust\u00e4nde erweckten wohl das Interesse des Arztes, liefsen ihn aber dieselben aus Mangel an einer geeigneten Methode zur eingehenden Untersuchung nur als Curiosa betrachten.\n1 Kakosmia eubjectiva Festschrift des \u00e4rztlichen Vereins zu Hamburg 1896,","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Frage der Parosmie.\n53\nBerichte liegen vor von Baumgart, Grazzi, Noquet, Onodi, Reuter und Zwaardemakeb. Schliefsen wir aus den von diesen Autoren, namentlich den drei ersteren erw\u00e4hnten subjektiven Ger\u00fcchen die als faulig bezeichneten aus, da sie ja doch vielleicht durch irgend einen pathologischen Zustand des Zuleitungsapparates h\u00e4tten bedingt sein k\u00f6nnen, und nehmen wir nur solche an, welche irgend einer der ZwAARDEMAKERsehen Klassen entsprechen, so ergibt sich folgende schon von Zwaardemakeb aufgestellte und hier erweiterte Zusammenstellung.\n1.\t\u00c4therische und\n2.\tAromatische Ger\u00fcche \u2014 keine Parosmie, doch Reseda-Vanilledefekt.\n3.\tBalsamische Ger\u00fcche \u2014 Jononparosmie (Reuter)*\n4.\tAmber, Moschusger\u00fcche \u2014 Moschusparosmie (Onodi).\n5.\tAllyl - Cacodylger\u00fcche \u2014 Knoblauch-, .Schwefelwasserstoff-Parosmie (Onodi), Erm\u00fcdungs - Anosmie.\n6.\tBrenzliche Ger\u00fcche \u2014 gebranntes Haar-, Teer-, Pech-parosmie (Reutfr, Onodi).\n7.\tCaprylger\u00fcche \u2014 Urin-Parosmie (Onodi).\n8.\tWiderliche Ger\u00fcche \u2014 keine Parosmie.\n9.\tEkelhafte Ger\u00fcche \u2014 Leichenparosmie (Baumgart), f a u 1 iga Parosmie (Grazzi, Noquet, Onodi).\nIn K\u00fcrze m\u00f6gen hier die von mir beobachteten beiden F\u00e4lle beschrieben werden.\nBeiden gemeinsam ist das Auftreten der Geruchsanomalie nach Influenza, bei der, wie auch von anderer Seite vielfach bemerkt wird, der zuerst auftretende Nasenkatarrh gew\u00f6hnlich eine Erkrankung des Riechepithels zu verursachen scheint.\nFrL G., Lehrerin, die nach ihrer Angabe vor der Erkrankung \u00fcber ein ausgezeichnet funktionierendes Geruchsorgan verf\u00fcgt hatte, da sie den Kiefernduft eines von ihrer Wohnung fast 2 km entfernten W\u00e4ldchens bei st\u00e4rkerer Luftbewegung regel-m&fsig gerochen hatte, berichtet, dafs sie nach einer Erkrankung unter allen Symptomen einer heftigen Influenza, in der Rekonvaleszenz eine starke Beeintr\u00e4chtigung ihres Geruchsorganes bemerkt habe. Zun\u00e4chst habe sie der eigenartige Geschmack der Speisen stutzig gemacht, dann sei auf einmal ein ganz besonderer Geruch auf getreten, der viele \u00c4hnlichkeit mit dem Dufte frischen Heus hatte, dessen Charakter sich dann schnell in hohem Mafge entwickelte und zu einer solchen Intensit\u00e4t des wahren Heu-","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nBeyer.\ngeniches anwuchs, dafs er alle anderen Ger\u00fcche v\u00f6llig verdeckte. Fast ein halbes Jahr dauerte die Empfindung desselben, um dann einem fauligen Ger\u00fcche zu weichen, der nur von kurzer Dauer war und den dann wieder ein solcher brenzlichen Charakters abl\u00f6ste, der in geringem Mafse auch noch zur Zeit der Untersuchung vorhanden war.\nDie Rhinoscopia anterior ergab nur einen leichten Nasenkatarrh mit geringer Schwellung und R\u00f6tung der unteren Muscheln und Schleimabsonderung. Unterer und mittlerer Nasengang, sowie Eingang zur Riechspalte frei und bei Rhinoscopia posterior normales Verhalten des Cavum pharyngonas&le. Atemflecke symmetrisch, doch etwas verkleinert\nEine Messung mit dem Olfaktometer ergab eine hochgradige Herabsetzung der Olfaktus beiderseits f\u00fcr Kautschuk. Da es haupts\u00e4chlich darauf ankam, zu pr\u00fcfen, welche Stoffe \u00fcberhaupt unver\u00e4ndert, welche abgeschw\u00e4cht und welche gar nicht gerochen wurden, und da ferner der nie zu vermeidende \u00dcbelstand hinzukam, dafs auch diese Patientin, wie die meisten f\u00fcr gew\u00f6hnlich, f\u00fcr wissenschaftliche, einige Zeit in Anspruch nehmende Untersuchung sehr selten freie Zeit finden, so wurde nur nach der von Fr\u00f6hlich ge\u00fcbten Methode gepr\u00fcft, allerdings ohne Verd\u00fcnnung der Riechstoffe.\nDie kleinen den Duftstoff enthaltenden Fl\u00e4schchen wurden in Mundh\u00f6he, w\u00e4hrend der Patient ruhig atmete, nicht zu langsam den Nasen\u00f6ffnungen zugef\u00fchrt Wurde der Charakter des Duftstoffes nicht erkannt, so folgte die Pr\u00fcfung nochmals in gr\u00f6fserer N\u00e4he des Inspirationsstromes. F\u00fchrte diese Art auch nicht zum Ziele, so durften mehrere tiefe Inspirationsz\u00fcge hintereinander beim Zuf\u00fchren des Fl\u00e4schchens gemacht werden und war auch dieses ergebnislos, so wurde die Pr\u00fcfung der Patientin selbst \u00fcberlassen.\nEine Erleichterung zum Erkennen des Riechstoffes wurde noch insofern gew\u00e4hrt, als die Patientin mit der Art desselben, falls sie ihn nicht sofort erkannte, vertraut gemacht wurde. Dadurch erwuchs zugleich der Vorteil, dafs trotz der vielen, zur Vermeidung der Erm\u00fcdung des Perzeptionsorganes und zum Ausschalten von Kompensationen, n\u00f6tigen Pausen, eine gr\u00f6fsere Anzahl von Untersuchungen erm\u00f6glicht wurde. Auf Vermeidung von Luftstr\u00f6mungen, sowie gr\u00fcndlicher Entfernung aller Riechpartikelchen von den H\u00e4nden des Pr\u00fcfenden wurde peinlich ge-","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Fragt der Paroemie.\n\u201855\nachtet. Wenn auch bei wissenschaftlichen Berichten Angaben 'des Patienten vermieden werden m\u00fcssen, so ist man doch in \u2022solchen F\u00e4llen wie diesen hier, darauf angewiesen, auf dieselben nicht ganz zu verzichten, da es einmal unm\u00f6glich ist, die Unmenge aller Riechk\u00f6rper durchzugehen und dann die Pr\u00fcfung verschiedener Stoffe von Ort und Jahreszeit abh\u00e4ngig ist Das M&fs f\u00fcr die Annahme der Richtigkeit der eigenen Beobachtung liegt dabei nat\u00fcrlich haupts\u00e4chlich in dem Bildungsgrade und der Intelligenz des gepr\u00fcften Patienten.\nEine Zusammenstellung der Ergebnisse der Pr\u00fcfung im Verein mit den Angaben der Patientin, die allerdings nur in beschr\u00e4nktem Mafse in Anrechnung gebracht wurden, wird die \u00dcbersicht erleichtern.\nDie hinter den Stoffen zugeftigten Zahlen geben die entsprechenden Klassen der Zwaakdemakebsehen Klassifikation an; P bedeutet Pr\u00fcfung und A Angabe der Patientin.\nGerochen wurden:\nUngeschw\u00e4cht\nVeilchen mb P Vanillin III c P Heliotropin HI c P Moschustinktur IV b P Fischger\u00fcche Vb A Wanzengeruch VIII A\nGerochen wurden: Gar nicht\nS\u00e4mtliche Obst- u. Fruchtger\u00fcche\nErdbeeren I a A Pfirsiche la A Birnen la A Aprikosen la A Amylacetat la P Terpentin II a P fikatol IX P sowie Petroleum VI A\nAbgeschw\u00e4cht\nKampfer II a P Ylang-Ylang Ilia J Flieder III a P Kumarin HIc P K\u00e4se VII P Kautschuk V P\nPervers\nHimbeer\u00e4ther la (unangenehm, \u00fcbel) P Jodoform I (nicht unangenehm, nicht wie Jodoform) P\nSalizylaMehyd He (wie Zichorie) P Rosen II d (widerlich) A Bergamott\u00f6l Hd (schlecht) P Tee IHb (widerlich) A Kaffee Via (eklig) A u. P Guajacol Via (wie Vanille) P Naphthalin VI b (streng, nicht wie Naphthalin) P Xylol VI b (wie Benzin) P Asphalt (ekelerregend) A Reine Luft (wie Rauch) A Von Nachger\u00fcchen machte sich nur ein fast zwei Tage haftender strenger Erdgeruch nach einer kurzen Arbeitszeit an Blument\u00f6pfen geltend.\nDer zweite Fall betrifft einen Tapezierer, welcher gleichfalls seinen Angaben gem\u00e4fs einen sehr feinen Geruchsinn besessen","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nBeyer.\nhatte. Nach einer heftigen Influenza, derentwegen er l\u00e4ngere Zeit zu Bett gelegen hatte, bemerkte er pl\u00f6tzlich eines Tages-das Auftreten eines sehr starken Kaffeegeruches, nach dessen Ursprung er sich \u00fcberall vergebens umschaute. Es roch ihm dann alles danach, die Luft, die Kleider und Gebrauchsgegenst\u00e4nde, alles hatte den Geruch von frischgekochtem Kaffee und dieser Geruch verblieb nun dauernd und zwar in wechselnder St\u00e4rke, je nach dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Je trockener das Wetter war, desto schw\u00e4cher versp\u00fcrte er denselben, um dann bei Regen und feuchter Witterung um so mehr von ihm bel\u00e4stigt zu werden. Ja auch bei den Speisen machte er sich geltend und zwar wiederum derart, dafs alle kalten, trockenen viel weniger den Beigeschmack des Kaffees hatten, w\u00e4hrend warme, rauchende Speisen entweder ganz und gar ver\u00e4ndert oder. durch die Beimischung des subjektiven Geruches zr\u00e7 ihrem spezifischen Ger\u00fcche widerlich erschienen. Auch hier ergab die Rhinoscopia anterior nur einen geringf\u00fcgigen Nasenkatarrh mit allerdings etwas st\u00e4rkerer Hyper\u00e4mie und Schwellung der unteren Nasenmuscheln, besonders rechterseits. Eine kleine Spina am Septum verlegte in nur geringem Mafse das Lumen des unteren Nasenganges derselben Seite und liefs den antero-medialen Atemfleck st\u00e4rker verkleinert erscheinen, als auf der weiteren, durchg\u00e4ngigeren linken Nasenseite. Die Rhinoscopia posterior zeigte die Choanen beiderseits frei und normales Verhalten des Cavum pharyngonasale. Die Geschmackspr\u00fcfung ergab eine Herabsetzung f\u00fcr den bitteren Geschmack, sonst nur eine leichte St\u00f6rung.\nDas Resultat der in gleicher Weise, wie vorher beschrieben* gehandhabten Untersuchung m\u00f6ge gleichfalls in Tabellenform wiedergegeben werden.\nUngeschw\u00e4cht gerochen wurden:\nS\u00e4mtliche Obst- und Frucht-\nKampfer Il a P Nelken\u00f6l II b P Pfefferminz\u00f6l II c P Vanillin III c Kautschuk Va P Fischger\u00f6che V b A Phenylsenf\u00f6l V b P Kreolin VI b P Naphthol VI b P Benzol VI b P\nger\u00f6che:\nErdbeeren I a A Ananas la A Kirschen la A Wein la A Himbeer\u00e4ther la P Amylacetat la P \u00c4ther la P","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Frage der Parogih ie.\n57\nAbgeschw\u00e4cht gerochen wurden:\nTerpentin II a P Tct. Valeriana II c P Bergamott\u00f6l II d P Nitrobenzol Ile P Salizylaldehyd Ile P\nJasmin lila P Ylang-Ylang lila P Flieder Ilia P Viola III b P Reseda III b P Kumarin III c P Moschus IV\nSchwefel kohlensto ff Va P Kautschuk Va P Ichthyol Va P Guajakol VI a P 1 Skatol IX P\ni\nI Aasgeruch IX A\nGar nicht gerochen wurde:\nK\u00e4se Vila P Kapronsfture Vila P\nPervers :\nAnis II c (wie Ananas)\nAsa foetida Va (angenehm)\nLavendel II c (wie Seife)\nKaffee Via (widerlich scharf)\nTabak Via (deutlich wie Kaffee)\nNikotin Via (Kaffeegeruch)\nBrennendes Streichh\u00f6lzchen (widerlich mit Kaffeegeruchbeimischung).\nNach Strychnineinblasung trat st\u00e4rkere Sekretion ein und es steigerte sich beim Einatmen der subjektive Geruch bedeutend.\nSoweit die Untersuchungen, aus welchen einige Schl\u00fcsse abzuleiten wir versuchen wollen. Vorerst m\u00f6ge noch eine \u00dcbersichtszusammenstellung der Beobachtungen folgen.\nF\u00fcr den ersten Fall ergab sich Anosmie und Abschw\u00e4chung <ier Geruchsf\u00e4higkeit f\u00fcr die ersten drei Klassen, welche Zwaardemakeb unter der Rubrik der Nahrungsger\u00fcche zusammen-fafst, volle Intensit\u00e4t f\u00fcr die vierte, f\u00fcnfte und achte Klasse. Pervers gerochen wurde die sechste, abgeschw\u00e4cht die siebente und gar nicht die neunte Klasse.\nBeim zweiten Falle fanden wir ungeschw\u00e4chte Intensit\u00e4t nur f\u00fcr die erste und f\u00fcnfte Klasse sowie f\u00fcr die der Klasse und dem Charakter des subjektiven Geruches entsprechenden Vertreter und f\u00fcr einzelne Stoffe der zweiten Klasse. F\u00fcr alle \u00fcbrigen Abschw\u00e4chung und v\u00f6lligen Defekt f\u00fcr die siebente Klasse.\nGehen wir von der ZwAARDEMAKEEschen Lokalisationshypothese aus, welche bekanntlich annimmt, dafs wir uns in der ,Regio olfactoria parallel mit der Atemstrombahn die Geruchs-","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nBeyer.\nklassen, senkrecht zu derselben die homologen Reihen nach der Gr\u00f6fse der Diffusionskoeffizienten der Riechgase angeordnet denken m\u00fcssen, und sehen wir zu, ob wir die von uns beobachteten Erscheinungen mit ihr in Einklang zu bringen verm\u00f6gen.\nZun\u00e4chst d\u00fcrfen wir die Stadien der beiden Erkrankungen nicht auf dieselbe Stufe stellen. Denn, w\u00e4hrend bei dem ersten Fall die Hauptaffektion sieb schon voll entwickelt hatte, d. h. die Sch\u00e4digung des betreffenden Teils des Riechepithels eingetreten war, befanden sich ira zweiten Falle die entsprechenden Riechelemente infolge der Intoxikation noch im Stadium der gesteigerten Reizung, das sich hier ganz besonders entwickelt und verl\u00e4ngert hatte. Daher dort nach Ablauf des Reizzustandes \u2014 der Zeit des intensiven Heugeruches \u2014 die schon ausgebildete partielle Anosmie, hier dagegen eine hochgradige partielle Hyperosmie mit den daraus resultierenden Erscheinungen.\nIn betreff der Erkrankung des Riechepithels k\u00f6nnen wir wohl hier ein Analogon mit den bei Influenza so oft zu beobachtenden Neuralgien und nerv\u00f6sen Nachkrankheiten ziehen.\nDann m\u00fcssen wir auch auf Grund dieser Ergebnisse der Hypothese folgend schliefsen, dafs sich das erste Mal der Prozefs in den vorderen Abschnitten der Riechschleimhaut, dort, wo die \u25a0dem Heugeruch verwandten Ger\u00fcche ihre Energiezone haben, entwickelt hatte. Gem\u00e4fs der Dauer des Prozesses hatte sich die hochgradige Sch\u00e4digung der betreffenden Nervenelemente und dadurch die Anosmie und nebenher die Abschw\u00e4chung des Geruchsverm\u00f6gens ausgebildet. Der \u00fcbrige Abschnitt war von der Affektion frei geblieben, daher die intakte Perzeption der anderen Klassen. Dafs der Skatolgeruch auch nicht empfunden wurde, welcher nach Zwaakdemakeb am weitesten nach hinten lokalisiert ist, liefse sich durch einen besonderen Entz\u00fcndungs-prozefs in diesem Teile erkl\u00e4ren. Vielleicht findet dieses aber besser seine Begr\u00fcndung darin, dafs ja der Abflufs der pathologischen Sekrete \u00fcber ihn nach den Choanen zu zu erfolgen pflegt und daher eine Alteration seiner Nervenelemente sehr leicht resultieren kann, denn auch im zweiten Falle finden wir eine st\u00e4rkere Abschw\u00e4chung f\u00fcr den pr\u00e4gnantesten der Ger\u00fcche. Man k\u00f6nnte schliefslich auch daran denken, dafs eine Kompensation statt* gefunden habe, da der Duft des Steinklees zur Verdeckung des","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Frage der Parosmie.\n59\nF\u00e4kaigestankes bekannt und dieser Geruch dem Heugeruch nahe verwandt ist\nInwiefern bei den perversen Gerucheempfindungen Mischungen durch Irradiationen von Geruchsreizen im Spiele waren, l\u00e4fst sich, da man nur den Angaben der Patientin folgen konnte, nicht erschliefsen. Sicher aber ist es, dafs der ver\u00e4nderte Geschmack des Tees und Kaffees allein auf den sp\u00e4ter auf-getretenen brenzlichen Geruch, der ja auch der reinen Luft beigemischt empfunden wurde, zur\u00fcckzuf\u00fchren ist.\nInteressant ist ferner die Angabe der beim Abklingen des pathologischen Prozesses successive erschienenen verschiedenen Klassenger\u00fcche, ebenso wie es Rollet 1 an sich selbst nach seiner experimentell erzeugten AuoBmie beobachtet und berichtet hat. Allerdings zeigte sich hier ein Unterschied insofern, als zuerst der faulige Geruch auftrat, den Rollet erst sp\u00e4ter erscheinen sah und dann der brenzliche, welchen er eher bemerkt hatte. Jedenfalls ist es f\u00fcr die Anschauung der spezifischen Energien des Geruchssinnes wertvoll, dafs sich bei der pathologischen Form in der allm\u00e4hlichen R\u00fcckkehr zur Norm, der wiederkehrenden Funktionsf\u00e4higkeit der Nervenelemente, ungef\u00e4hr dieselben spezifischen Ger\u00fcche ergaben, wie bei der k\u00fcnstlichen Anosmie. Der Reihenfolge in dem Wiedererscheinen der Ger\u00fcche darf man nicht so grofse Bedeutung zumessen, da man doch nur Annahmen \u00fcber den Ort der Affektion hegen kann, vielmehr auf den Gesamtcharakter derselben Wert legen, falls dieser sich den Grundregeln der Zwa\u00e0rdem a K\u00fcsschen Klassifikation ein-f\u00fcgen l\u00e4fst\nNun zum zweiten Falle. Hier m\u00fcssen wir den Krankheitsherd gerade umgekehrt in die mehr nach hinten gelegenen Abschnitte verlegen und, wie schon betont, f\u00fcr die affizierten Nervenfasern das Stadium der gesteigerten Reizung annehmen. Daher die intakte Geruchsperzeption der der Reizungszone entsprechenden sechsten Klasse und dasselbe Resultat f\u00fcr die Stoffe der ersten und einzelne der zweiten Klasse, da die von der Sch\u00e4digung freigebliebenen, die nicht erkrankten Nervenelemente des vorderen TeilB der Riechschleimhaut, die Ausl\u00f6sung der sie treffenden ad\u00e4quaten Reize normaliter erf\u00fcllen konnten. Dafs dabei einzelne Stoffe wieder erkannt, andere nur abgeschw\u00e4cht\n1 Pfl\u00fcgers Archiv 74.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nBeyer.\nempfunden wurden, ist nicht auffallend, da es ja wahrscheinlich ist, dafs auch aufserhalb der nach den Zonen der betreffenden Geruchsqualit\u00e4ten angeordneten Elemente, andere derselben bestimmten geruchgebenden Atomgruppe entsprechende sich verteilt vorfinden d\u00fcrften. Sicher hat man hierbei auch auf die Kenntnis der Geruchstoffe R\u00fccksicht zu nehmen.\nSehr \u00fcbereinstimmend mit der Ansicht Zwaardemakers, dafs von der Stelle eines an einer bestimmten Abteilung der Riechschleimhaut lokalisierten Maximalreizes aus eine allm\u00e4hliche Abnahme der Reizbarkeit, proportional mit der Entfernung von. dieser Stelle, auftrete, fand sich die Verteilung der Abschw\u00e4chung der Perzeption f\u00fcr einzelne Stoffe.\nDenn sowohl nach vorne wie hinten von der aftizierten Stelle aus, an welcher hier der durch die Entz\u00fcndung bewirkte Maximalreiz und der dadurch ausgel\u00f6ste starke subjektive Geruch auftrat, zeigte sich die Abnahme der Geruchsf\u00e4higkeit nach oben bis zur zweiten Klasse herauf und nach der anderen Seite sogar in dem Mafse, dafs v\u00f6llige Anosmie f\u00fcr die Nebenklasse stattfand. Es k\u00f6nnte der Abfall auch auf die schwache Empfindung des Skatolgeruches ausgedehnt werden, doch habe ich schon vorher hierf\u00fcr eine Erkl\u00e4rung zu geben versucht. Weniger waren bei diesem Fall die Perversit\u00e4ten zu bemerken, da ja der aufdringliche Kaffeegeruch die Empfindung zu sehr beherrschte und daher wohl vielfach Wettstreit eingetreten sein wird, der zugunsten des st\u00e4rkeren Reizes ausfiel.\nNoch einen Punkt m\u00f6chte ich schliefslich ber\u00fchren und zwar die Erscheinung der Steigerung des subjektiven Geruches bei feuchtem Wetter und nach Strychninei\u00fcblasung sowie die st\u00e4rkere Beimischung dieses Geruches zum Dampfe heifser Speisen.\nDa man bei gr\u00f6fserem Feuchtigkeitsgehalt der Luft und bei Zuf\u00fchrung erw\u00e4rmter Atemluft leichte Hyper\u00e4mie der Nasenschleimhaut mit gesteigerter Sekretion beobachtet, so kann man annehmen, dafs dieses auch hier der Fall gewesen sein wird und dafs die vermehrte Sekretion, die ja nach Strychninwirkung be* deutend war, eine bessere Anfeuchtung der Riechh\u00e4rchen bewirkt hat. Nun bemerkt man bei der Aufnahme \u00e4ufserer Ger\u00fcche in solchen F\u00e4llen eine bessere Perzeption derselben und so k\u00f6nnen wir schliefsen, dafs auch hierbei, vielleicht durch die gesteigert\u00bb Funktionsf\u00e4higkeit der Nervenelemente, auch der subjektive Geruch gesteigert wurde.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"61\nBeitrag zur Frage der Parosmie.\nIn dem hier Berichteten hoffe ich einiges Material beigebracht zu haben, um die ZwAARDEMAKERsche Hypothese auch von klinischer Seite zu st\u00fctzen. Von Wichtigkeit w\u00e4re es, wenn weitere klinische Berichte, fufsend auf sorgf\u00e4ltiger Pr\u00fcfung der Ausfallserscheinungen im Verein mit physiologischer Forschung diese Resultate bekr\u00e4ftigen k\u00f6nnten. Denn da die artifiziellen Anosmien nicht ohne Gefahr f\u00fcr das Perzeptionsorgan des Experimentators zu sein scheinen, werden pathologische Prozesse dieser Art viel leichtere und eingehendere Pr\u00fcfungen erm\u00f6glichen und zum weiteren Aufbau der Hypothese der spezifischen Energien des Geruchssinnes zu verwerten sein, um noch mehr Licht in die so viel des Interessanten bietenden Erscheinungen unseres Geruchsinnes zu bringen.\n(Eingegangen am 8. December 1903.)","page":61}],"identifier":"lit32726","issued":"1904","language":"de","pages":"50-61","startpages":"50","title":"Beitrag zur Frage der Parosmie","type":"Journal Article","volume":"35"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:19:37.335469+00:00"}