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{"created":"2022-01-31T16:32:02.683315+00:00","id":"lit32728","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hirschlaff, L.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 35: 64-68","fulltext":[{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nLitefaturbericht.\nJulius Pikler. Bas Grundgesetz alles neuropsychischen Lebens. Zugleich eia\u00ab physiologisch-psychologische Grundlage f\u00fcr den richtigen Teil der sogenannten materialistischen Geschichtsauffassung. Leipzig, J. A. Barth, 1900. 254 8.. Mk. 8,\u2014.\t*\nJulius Pikler. Physik des Seelenlebens mit dem Ergebnisse der Wesensgleich-heit aller Bewufstseinszust&nde. Allgemeinverst\u00e4ndliehe Skizze eines Systems der Psychophysiologie und einer Kritik der herrschenden Lehre. Leipzig, J. A. Barth, 1901. 40 S. Mk. 1,20.\nIn den beiden vorliegenden Werken versucht der Verf., der als Professor der Rechtsphilosophie an der Universit\u00e4t Budapest wirkt, ein System der Psychophysiologie zu begr\u00fcnden, das alle bisher als unl\u00f6sbar geltenden Probleme des Seelenlebens auf mechanistisch - materialistischer Grundlage zu l\u00f6sen unternimmt. Dafs ihm dieser Vorsatz auch nach seiner eigenen Auffassung nicht v\u00f6llig gegl\u00fcckt ist, gibt er in der Vorrede des gr\u00f6fseren Werkes in seltener Bescheidenheit unumwunden zu: er nennt seine Ausf\u00fchrungen unklar, verworren, seine Beweisf\u00fchrung widerspruchsvoll und ohne Beweiskraft, seine Anordnungsweise h\u00f6chst fehlerhaft. Er hofft aber, dafs in seiner Theorie eine Ahnung, ein Schimmer, ein Kern einer m\u00f6glichen Wahrheit enthalten sei, dessen W\u00fcrdigung er zwar nicht von der Mitwelt, wohl aber von einer nachsichtigeren und fortgeschritteneren Nachwelt erwartet. Ob diese Erwartung hinsichtlich der Nachwelt sich realisieren m\u00f6chte, wagt Ref. nicht zu entscheiden; die Mitwelt d\u00fcrfte es im wesentlichen bei der Selbstbeurteilung des Verf.s bewenden lassen, mindestens insoweit sie in negative Form gekleidet ist. Die Schuld hieran tr\u00e4gt nicht zum wenigsten die Tatsache, dafs der Verf. trotz aller Belesenheit, die man ihm nachr\u00fchmen mufs, den Grundanschauungen der modernen Psychologie, die nach seiner Meinung aus lauter fundamentalen Irrt\u00fcmem sich zusammensetzt, ziemlich fremd und verst\u00e4ndnislos gegen\u00fcbersteht. Sonst w\u00fcrde er sicherlich die materialistische Seelenforschung, auf der er selber basiert, mit unter die fundamentalen Irrt\u00fcmer einreihen. Die moderne Psychologie ist sich wohl l\u00e4ngst dar\u00fcber einig, dafs es der Wissenschaft w\u00fcrdiger ist, auf die L\u00f6sung eines Probl\u00e8mes vorl\u00e4ufig Verzicht zu leisten, als sich zu mechanistischen \u201eErkl\u00e4rungen\u201c zu versteigen, die auf der falschen Anwendung und Verallgemeinerung naturwissenschaftlicher Begriffe beruhen und die bei konsequenter Durchf\u00fchrung den Erfahrungstatsachen unangemessen und inad\u00e4quat sind.\nVersuchen wir nunmehr, den Gedankengang des Verf.s in seinen Hauptz\u00fcgen zu skizzieren. Als Grundproblem des neuralen Lebens bezeichnet P. die Frage : warum l\u00f6sen verschiedene Reize verschiedene Muskelbewegungen auB? Auf den Bewufstseinsverlauf \u00fcbertragen, w\u00fcrde das gleiche Problem lauten : warum erwecken gewisse Bewufstseinszust\u00e4nde gewisse andere Bewufstseinszust\u00e4nde? Zur L\u00f6sung dieses Probl\u00e8mes geht P. von der Analyse der Reflexbewegungen aus und stellt fest, dafs das \u00fcbliche Schema der Reflexvorg\u00e4nge, wonach dieselben in einen zentripetalen sensorischen und einen zentrifugalen motorischen Anteil zerfallen, unvollst\u00e4ndig ist ; denn zu diesen Anteilen kommt als wichtigster hinzu die R\u00fcckwirkung der Muskelbewegung auf das Nervensystem. Vorausgesetzt, dafs jeder Reiz eine, wenn auch noch so schwache Bewegung in allen Teilen","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich t.\n65\n\u2022des K\u00f6rpers hervorruft, so folgt aus dem Prinzip der r\u00fcckwirkenden Arbeit \u2022die Bevorzugung gewisser spezieller Bewegungen gewisser Organe gegen\u00fcber allen anderen Bewegungen dieser und anderer Organe, und zwar durch die Annahme eines verschiedenen neuralen Widerstandes gegen die R\u00fcckwirkung verschiedener Organe. Dieser Widerstand r\u00fchrt aber her von der ateten vegetativen Lebensbewegung des Organismus, die durch die Einwirkung gewisser steter Reize \u2014 Luft, Licht, W\u00e4rme, Nahrung, Gravitation \u2014 w\u00e4hrend des ganzen Lebens unterhalten wird. Die von den \u00e4ufseren tempor\u00e4ren \u2014 Tast-, Licht-, Schall- etc. \u2014 Reizen hervorgerufenen neuralen Bewegungen, ebenso wie die von den tempor\u00e4ren inneren \u2014 Hunger-, Durst-, Erm\u00fcdungs- etc. \u2014 Reizen erzeugten neuralen Bewegungen, treten .zu diesen von Anfang an und stets vorhandenen inneren neuralen Bewegungen hinzu und liefern eine neurale Bewegungsresultante, deren Richtung w\u00e4hrend des Lebens stets durch das \u00dcberwiegen der steten inneren neuralen Bewegungen bestimmt wird, w\u00e4hrend die tempor\u00e4ren Reize nur eine verh\u00e4ltnism\u00e4fsig geringe Beeintr\u00e4chtigung oder F\u00f6rderung \u2022dieser, Resultante erzeugen. Je mehr die neurale R\u00fcckwirkung eines Reizes der steten vegetativen Bewegungsresultante gleichgerichtet ist und dieselbe unterst\u00fctzt, desto eher wird dieser Reiz imstande sein, zweckm\u00e4fsige Bewegungen hervorzurufen, d. h. solche Bewegungen, welche der Erhaltung des Lebens, der steten vegetativen Lebensbewegung f\u00f6rderlich sind. Auch in der anorganischen Nat\\ir finden wir \u00fcbrigens dieselbe \u201eZweckm\u00e4fsigkeit\u201c -zugunsten der schon vorhandenen Bewegungen, so zwar dafs diese die neu hinzukommenden Bewegungen derselben Richtung l\u00e4nger in derselben Richtung erhalten und dadurch dauernde und sichtbare Wirkungen in dieser Richtung erm\u00f6glichen, vgl. die Erscheinung der Tr\u00e4gheit. Indessen be-achr\u00e4nkt sich diese Theorie nicht allein auf die Erkl\u00e4rung der Auswahl und Zweckm\u00e4fsigkeit der Reflexbewegungen, sondern sie dient auch zur L\u00f6sung aller anderen psychologischen Probleme. So sind z. B. Lust und Unlust nach P. nichts anderes als Verst\u00e4rkungs- oder Beseitigungsbewegungen, welche die stete vegetative Bewegungsresultante in f\u00f6rderndem oder hemmendem Sinne beeinflussen; gef\u00fchlsneutrale Seelenvorg\u00e4nge gibt es nach ihm nicht. Ferner gilt die Theorie nicht nur f\u00fcr diejenigen Bewegungen, die ihre zweckm\u00e4fsige Wirkung sofort bei Beginn der Ausf\u00fchrung aus\u00fcben, sondern auch f\u00fcr diejenigen, bei denen dies erst nach ^g\u00e4nzlicher Vollendung der Fall ist. Doch ist zur Erkl\u00e4rung solcher end-zweckm\u00e4fsigen Bewegungen die Tatsache heranzuziehen, dafs w\u00e4hrend des Wachlebens stets ein \u00dcberschufs von neuraler Bewegungsenergie vorhanden ist \u00fcber diejenige, die die geringste, stete, vegetative Lebensbewegung erh\u00e4lt. Es ist dies der Reservefonds des extravegetativen, tempor\u00e4ren Leb\u00e8ns, durch dessen Bet\u00e4tigung wir die Wirkungen unserer Bewegungen, die Wirkungen der Dinge der Aufsenwelt aufeinander und auf unseren K\u00f6rper kennen lernen.\nDas neurale Korrelat der Vorstellungen, das wir gewohnt sind, als \u25a0Spuren oder Dispositionen zu bezeichnen, nennt P. hysteretische Bewegungen. Die Tatsache, dafs gewisse Reize gewisse Vorstellungen erzeugen, erkl\u00e4rt sich ihm daraus, dafs die den betreffenden Vorstellungen Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nLiteraturbericht.\nentsprechenden hysteretischen neuralen Bewegungen der steten neuralen* Bewegungsreeultante gleichgerichtet sind. Die auf die Zukunft bez\u00fcgliche F\u00e4rbung der Vorstellungen entsteht durch die Sich-Erhaltung und An-kftmpfung der steten neuralen Bewegungsresultante gegen\u00fcber der vorhandenen prim\u00e4ren, tats\u00e4chlichen Beeintr\u00e4chtigung. Jeder Beiz initiiert eine allgemeine Innervierung der Hysteresen aller unserer Erfahrungen, unserer ganzen Lebensgeschichte. Eine sogenannte Assozi\u00e4tion ist nicht\u00bb weiter als eine Auswahl aus der allgemeinen Hysterese, ebenso wie der sogenannte Reflex eine Auswahl aus der allgemeinen extraneuralen Bewegung bedeutet (s. oben). Die Bolle der hysteretischen Bewegung im gesamten Bewegungsverlaufe besteht in der Schaffung eines neuralen Bewegungszustandes, zu welchem eine beginnende extraneurale Innervation gleich auf eine die stete neurale Bewegungsresultante unterst\u00fctzende Weise hinzutreten kann. Dem auf Wahrheit ausgehenden Denken entspricht neural derselbe mechanische Vorgang, welcher auch der Auswahl zweck-m\u00e4fsiger Handlungen entspricht, n\u00e4mlich, dafs inmitten von Ans\u00e4tzen zu allen Bewegungsarten diejenigen kr\u00e4ftiger ausgef\u00fchrt werden, welche einer schon vorhandenen Bewegung gleichgerichtet sind, w\u00e4hrend alle ihr wider-streitenden erfolgreichen Widerstand erleiden.\nNachdem noch das Wollen, sowie die zwecklosen und unn\u00fctzen Bewegungen und die Vorstellungen zweckwidrigen Inhaltes in gleicher Weise wie alle \u00fcbrigen Erscheinungen mit der Theorie in Einklang gebracht worden sind, formuliert P. das Grundgesetz des neuro-psychischen Lebens wie folgt: \u201eDie infolge einer einwirkenden Ver\u00e4nderung eintretende tempor\u00e4re neurale und extraneurale Bewegung nimmt einen solchen Verlauf, welcher die stete, w\u00e4hrend aller Ver\u00e4nderung vor sich gehende, vegetative neurale und extraneurale Lebensbewegung unterst\u00fctzt, und zwar nimmt sie diesen Verlauf infolge des Widerstandes, weichen diese stete Bewegung inmitten einer allgemeinen Innervation allen anderen Bewegungen entgegensetzt.4\nEs folgen dieser Ableitung des Grundgesetzes noch einige Erl\u00e4uterungen und Erg\u00e4nzungen, die zum Verst\u00e4ndnis des Ganzen unbedingt erforderlich sind. Zuerst eine Analyse der Langeweile, die mit einer Erkl\u00e4rung des Wesens des Sch\u00f6nen schliefst, wonach das Sch\u00f6ne in einer Unterst\u00fctzung der steten Lebensbewegung oder neuralen Bewegungsresultante durch die sonst zur\u00fcckgesetzten Kan\u00e4le der h\u00f6heren Sinne und des Denkorganes besteht; und zwar ist diese Unterst\u00fctzung eine zerstreuende, eine eben angemessene Anwendung des im wachen Zustande stets vorhandenen Energie\u00fcberschusses. Es k\u00f6nnte auch anders sein, sagt P. \u2014 Neben der Zweck-m\u00e4fsigkeit, die P. als Ausdruck eines fundamentalen mechanischen Gesetzes des neuralen Bewegungsverlaufes nachgewiesen hat, ist die Erscheinung der Gew\u00f6hnung von prinzipieller Bedeutung f\u00fcr das neuro - psychische Leben, obwohl sie die zweckm\u00e4fsige Kichtung des neuro-psychischen Lebens auf Selbsterhaltung gegen beeintr\u00e4chtigende Ver\u00e4nderungen nicht zu erkl\u00e4ren vermag.\nIm Zusatz I wird die Lehre von der Lokalisation der psychischen Er^ scheinungen \u2014 z. T. mit recht gl\u00fccklichen Gr\u00fcnden, die auf die stets vernachl\u00e4ssigte Bedeutung des Funktionellen gegen\u00fcber dem Materiellen hin--","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"l\u00c0teraturbericht\n67\nweisen \u2014 bestritten und die Identit\u00e4t des Sitzes und die teilweise Identit\u00e4t des Bewegungskorrelativs aller Bewufstseinszust\u00e4nde behauptet. Jeder Bewufstseinszustand hat dieselbe Tatsache zum materiellen Korrelativ, n\u00e4mlich die \u00c4nderung einer steten, urspr\u00fcnglichen Bewegung derselben Nervenstoffteile, welche \u00c4nderung bei verschiedenen Bewufstseinszust\u00e4nden nur nach Gr\u00f6fsenbestimmungen und Richtung variieren kann.\nDer Zusatz II besagt, dafs der erkennende, intellektuelle, substantielle Inhalt unserer BewufstBeinszust\u00e4nde f\u00fcr unser ganzes psychisches Leben absolut gleichg\u00fcltig ist.\nIm letzten Zusatze endlich wird die n\u00e4here Natur der neuralen Bewegung noch einmal genauer festgestellt als die Tatsache, dafs die Molek\u00fcle der organischen Substanz unter dem Wechsel der verschiedensten Einwirkungen die verschiedensten \u00c4nderungen erleiden und dabei doch ihre fortw\u00e4hrende Dissimilations* und Assimilationsbewegung fortsetzen k\u00f6nnen. Diese Totalauffassung zeigt nach P. eine unverkennbare \u00c4hnlichkeit mit der Erscheinung der galvanischen Induktion im Sinne des LsNzschen Gesetzes.\nDiese kurze Skizze des P.schen Gedankenganges ist nat\u00fcrlich nur ein schwacher Abglanz des reichen Inhaltes, den P. seinen geduldigen Lesern vorsetzt Ber\u00fchrt er doch in diesen beiden Arbeiten fast s\u00e4mtliche Probleme der modernen Erkenntnistheorie und Psychologie, indem er zu deren L\u00f6sung die stereotype Formel von der steten vegetativen Lebensbewegung und ihren hemmenden und f\u00f6rdernden Bewegungsans\u00e4tzen und Bewegungen in Bereitschaft h\u00e4lt. So seltsam dieses Verfahren im Beginne anspricht und so monoton sich die Beweisf\u00fchrung dadurch gestaltet, so l\u00e4fst sich doch nicht verkennen, dafs in der ganzen Darstellung eine gewaltige, z. T. durchaus originelle Geisteskraft steckt, die mit bewundernswertem dialektischen Scharfsinn allen naheliegenden Einwendungen und Schwierigkeiten der Beweisf\u00fchrung nachsp\u00fcrt und sie zu widerlegen bzw. zu beseitigen sucht. Freilich scheut der Verf. hierbei vor den gewagtesten Konsequenzen nicht zur\u00fcck. Er schreibt nicht nur der organischen, sondern auch der gesamten anorganischen Welt Bewufstsein zu; er betrachtet die stete vegetative Lebensbewegung als das ausw\u00e4hlende Ich, das Subjekt, das in und \u00fcber allen Seelenerscheinungen waltet und das der Psychologie schon so viel unfruchtbares Kopfzerbrechen bereitet hat; er erkl\u00e4rt das gesamte psychische Leben f\u00fcr eine unwichtige Episode des vegetativen Lebens u. dgl. m. Trotz alledem h\u00e4lt es schwer, den Verf. in den Einzelheiten seiner Darstellung zu widerlegen, da er selbst in allerhand versteckten Fufsnoten und Anmerkungen allen m\u00f6glichen Angriffen zuvorgekommen ist und alle dem Leser etwa aufstofsenden Schwierigkeiten im Sinne seiner Theorie zu \u00fcberwinden versucht hat. Nur einige prinzipielle Einwendungen lassen sich hervorheben, auf die der Verf. die Antwort schuldig bleiben d\u00fcrfte. Zu allererst seine gesamte mechanistischmaterialistische Auffassung des Seelenlebens, die alle Unterschiede der Bewufstseinsvorg\u00e4nge auf quantitative Verschiedenheiten zur\u00fcckf\u00fchrt. Wie kann die verschiedene Gr\u00f6lse oder Richtung der molekularen Schwingungen des Nervensystems zur Erkl\u00e4rung der unleugbar gegebenen qualitativen Verschiedenheiten in unseren Seelenerscheinungen herangezogen werden?\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nLiteraturbericht\nWelchen Sinn hat die Behauptung, dafa die Empfindung Rot und Blau, oder die Empfindung Rot und der Ton cl, oder die Vorstellung eines Baumes und der Willensvorgang, der zum Erheben eines Armes f\u00fchrt, lediglich auf das Bewufstwerden quantitativer Unterschiede der neuralen Prozesse zur\u00fcckzuf\u00fchren seien? Welche Berechtigung hat die Annahme, dais wir in der Lust das Verh\u00e4ltnis des Gleichgerichtetseins \u2018der durch den Reiz hervorgerufenen neuralen Bewegung mit der steten vegetativen Lebensbewegung direkt f\u00fchlen (sc. dieses Verh\u00e4ltnis ist f\u00fcr P. nicht die Ursache der Lust, wie auch die neuere Psychologie im allgemeinen annimmt, sondern das Wesen derselben), w\u00e4hrend in Wirklichkeit doch kein Mensch derartige komplizierte theoretische Verh\u00e4ltnisse als solche f\u00fchlt, ja sehr viele sie nicht einmal als wahr anerkennen, selbst wenn sie ihnen mit P.scher Dialektik nahegelegt werden? Wie reimt sich ferner die psychologische Tatsache der Willensfreiheit mit der Auffassung zusammen, wonach unser Nervensystem oder unser gesamter Organismus sich in einem dauernden molekularen Schwingungszustande befindet, dessen \u00c4nderungen rein mechanisch durch die tempor\u00e4ren \u00e4ufseren und inneren neuralen Bewegungen hervorgerufen werden, etwa wie die Str\u00f6mung eines Flusses durch die Differenz der Potentialniveaus? Endlich scheint mir schon der Ausgangspunkt der P.schen Beweisf\u00fchrung verungl\u00fcckt zu sein; denn die r\u00fcckwirkende Komponente des Reflexvorganges kommt doch erst nach Ausf\u00fchrung der betreffenden Reflexbewegung in Betracht, kann also zur Erkl\u00e4rung der Zweckm\u00e4fsigkeit dieser Bewegung wohl kaum herangezogen werden. Denn ohne Zuhilfenahme der gewundensten Hypothesen kann diese post festum - Zweckm\u00e4fsigkeit vielleicht bei den Willenshandlungen, keineswegs aber bei den Reflexvorg\u00e4ngen erkl\u00e4rt werden, wenn man, wie P. es tut, die darwinistischen Erkl\u00e4rungsprinzipien ablehnt.\nZum Schl\u00fcsse m\u00f6chte ich nicht unerw\u00e4hnt lassen, dafs das System des Verf.s im ganzen anmutet wie eine \u00dcbertragung des F. E. BsNSKsechen Systems in materialistische Formen, eine \u00c4hnlichkeit, die dem Verf. offenbar entgangen ist.\tL. Hirschlaff (Berlin).\nF. W. Mott. Importance of Stimulas ln Repair and Decay of the Hervons System. Joum. of Mental Science 48 (203), 667\u2014687. 1902.\nVerf. bespricht in vorliegender Arbeit einige allgemeine Fragen aus der Physiologie des Nervensystems, insbesondere die Bedeutung des Reizes f\u00fcr Assimilation und Dissimilation, De- und Regeneration im Nervensystem. Zun\u00e4chst behandelt Verf. die physiologischen und energetischen Vorg\u00e4nge, die sich abspielen, sobald ein Reiz das Nervensystem trifft. Wir haben es dann mit einem Reflexvorgang zu tun, der aufser von der Natur des Reizes, noch in hohem Mafse vom Zustande des Nervensystems abh\u00e4ngig ist. Der ausgel\u00f6ste Erregungsvorgang l\u00e4uft normalerweise in den prft-formierten, gangbarsten Wegen ab. Die Bahnungsverh\u00e4ltnisse sind jedoch ver\u00e4nderlich und zwar im besonderen abh\u00e4ngig von den energetischen Prozessen, die sich in der Hirnrinde abspielen und auf die niederen Zentren einen bahnenden oder hemmenden Einflufs aus\u00fcben k\u00f6nnen. Subjektiv spiegeln sich diese Vorg\u00e4nge als Aufmerksamkeit. Durch den erw\u00e4hnten Einflufs dieser Vorg\u00e4nge wird bewirkt, dafs derselbe Reiz einmal einen","page":68}],"identifier":"lit32728","issued":"1904","language":"de","pages":"64-68","startpages":"64","title":"Julius Pikler: Das Grundgesetz alles neuropsychischen Lebens. Zugleich eine physiologisch-psychologische Grundlage f\u00fcr den richtigenTeil der sogenannten materialistischen Geschichtsauffassung. Leipzig, J. A. Barth, 1900. 254 S. / Julius Pikler: Physik des Seelenlebens mit dem Ergebnisse der Wesensgleichheit aller Bewu\u00dftseinszust\u00e4nde. Allgemeinverst\u00e4ndliche Skizze eines Systems der Psychophysiologie und einer Kritik der herrschenden Lehre. Leipzig, J. A. Barth, 1901. 40 S.","type":"Journal Article","volume":"35"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:32:02.683321+00:00"}