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{"created":"2022-01-31T15:49:45.985972+00:00","id":"lit32744","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Sternberg, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 35: 81-131","fulltext":[{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"81\nZur Physiologie des siifsen Geschmacks.\nVon\nDr. Wilhelm Sternberg, prakt. Arzt in Berlin.\nJedes neue Instrument, jeder neue Apparat, mit dem uns die rastlos fortschreitende Physik beschenkt, stellt nichts anders dar wie eine naturgem\u00e4fse Fortentwicklung und Erweiterung unserer physikalischen Sinne. \u201eJedes Beobachtungsinstrument\u201c, sagt Herbert Spencer *, \u201ejedes Gewicht, Mafs, Wage, Mikrometer, Nonius, Mikroskop, Thermometer usw. ist nur eine k\u00fcnstliche Erweiterung der Sinne.\u201c Ja, in manchen Apparaten beschert uns die moderne Physik gewissermafsen ein fehlendes Sinnesorgan, mit dem sie uns die wunderbarsten Eindr\u00fccke in ungeahnter Weise erschliefst, Wahrnehmungen, f\u00fcr welche wir ein eigenes Sinnesorgan gar nicht besitzen. Allein trotz der Erweiterung unserer physikalischen Sinne, trotz der Vertiefung der physikalischen und chemischen Forschung, trotz der gl\u00e4nzendsten Ergebnisse selbst der physikalischen Chemie, derjenigen Disziplin, welche in gl\u00fccklichster Vereinigung beider Naturwissenschaften die Beziehungen des Chemismus zu unseren Sinnen zu erforschen hat, gelingt es merkw\u00fcrdigerweise nicht, einen Sinn noch zu vervollkommnen, gerade unseren chemischen Sinn. Um so merkw\u00fcrdiger, dafs dieser unser chemische Sinn, heute auch noch \u25a0ebenso'wie ehedem, berufen erscheint, der Chemie wesentliche Dienste zu leisten. Selbst die Kenntnisse unseres chemischen Sinnes und die Wissenschaft des Chemismus der chemischen\n1 \u201ePie Erweiterung unserer Sinne\u201c, akadem. Antrittsvorlesung Prof. Otto Wuenbb 1900. Leipzig, Job. Ambrosius Barth. Herbert Spencer \u201eDie Prinzipien der Biologie.\u201c John Tyndall, Address delivered before the British Association at Belfast 1874.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nWilhelm Sternberg.\nVerbindungen, die einen ad\u00e4quaten Reiz auf unseren chemischen Sinn aus\u00fcben, haben sich noch nicht wesentlich vertieft. Denn es mangelt uns nicht allein immer noch das prinzipielle Einteilungsprinzip f\u00fcr die Objekte des Geruchssinnes, sondern auch die elementaren Fragen \u00fcber den Geschmackssinn harren noch immer ihrer endg\u00fcltigen L\u00f6sung. So kommt es, dafs dieser chemische Sinn in der Wissenschaft bisher nicht die geb\u00fchrende Behandlung findet, ja dafs man sogar zur Ansicht neigt, die Probleme des Geschmackes seien m\u00f6glicherweise objektiven Untersuchungen \u00fcberhaupt gar nicht zug\u00e4nglich. Denn in allen Sprachen finden sich die S\u00e4tze : \u201eDer Geschmack ist verschieden.\u201c \u201eDe gustibus non est disputandum.\u201c \u201eDas ist Geschmacksache.\u201c Der Spanier sagt: \u201eSobre gustos no hai nada escrito, poro hai gustos que merescu polos.\u201c (\u00dcber den Geschmack steht nichts geschrieben, es gibt jedoch Geschm\u00e4cke, die Pr\u00fcgel verdienen.)\nDiese S\u00e4tze k\u00f6nnen sich aber nur auf die \u00fcbertragene Bedeutung des Geschmackes beziehen. In \u00e4sthetischer Beziehung bezeichnet \u201eGeschmack\u201c die F\u00e4higkeit, die Sch\u00f6nheiten in Natur und Kunst zu empfinden und zu geniefsen. Insofern diese F\u00e4higkeit sich nun lediglich der Gef\u00fchlsseite des Menschen zuwendet, glaubt man wohl dem subjektiven Belieben, der subjektiven Vorliebe, dem \u201eGeschmack\u201c, gr\u00f6fseren Raum gestatten zu k\u00f6nnen. In diesem Sinne bezeichnet \u201eGeschmack\u201c die besondere Neigung, die subjektive Vorliebe f\u00fcr die Objekte; insofern l\u00e4fst sich tats\u00e4chlich nicht \u00fcber den \u201eGeschmack\u201c streiten, ebensowenig, wie \u00fcber jede andere pers\u00f6nliche Neigung. Ebenso* bedeutet \u201eGeschmack\u201c oft auch dann noch lediglich die Vorliebe f\u00fcr etwas, selbst wenn es sich gar nicht mehr um ideelle Fragen, sondern um leibliche Gen\u00fcsse der Zunge handelt. Wenn jemand einem Objekt, das den Reiz auf das Sinnesorgan der Zunge aus\u00fcbt, nicht \u201edenselben Geschmack wie die anderen abgewinnen kann\u201c, wenn er etwas nicht ebenso \u201egeschmackvoll, weniger schmackhaft findet\u201c, so bedeutet auch hier \u201eGeschmack\u201c aus-schliefslich die in mehr oder minder hohem Grade ausgesprochene Vorliebe f\u00fcr die Auswahl dieses Geschmackes, dessen Qualit\u00e4t die betreffende Versuchsperson gleichwohl genau so empfindet wie jeder andere.\nDiese scheinbare Schwierigkeit, die in der gleichzeitigen Verwendung des Wortes \u201eGeschmack\u201c gelegen ist, zur ideellen Be-","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n8$\nZeichnung und gleichzeitig f\u00fcr die tats\u00e4chliche, eigentliche Geschmacksempfindung, hat zu Mifsverstftndnissen, selbst in der Wissenschaft gef\u00fchrt. Denn in demselben Sinne, in dem der Satz \u201eDe gustibus non est disputandum\u201c 1 G\u00fcltigkeit h\u00e4tte, k\u00f6nnte man auch behaupten: \u201eDe gustu colorum non est disputandum\u201c. W\u00fcrde aber auch der Satz \u201eDe gustibus non est disputandum\u201c gar nicht ausschliefslich auf die ideelle Bedeutung beschr\u00e4nkt sein, so d\u00fcrfte er jedenfalls nicht f\u00fcr die Forschung, ganz gewifs aber nicht f\u00fcr die allerersten prinzipiellen Untersuchungen, G\u00fcltigkeit beanspruchen. Das Gegenteil ist vielmehr wissenschaftlich, zun\u00e4chst einmal, anzunehmen und so lange wenigstens festzuhalten, bis erst die Unrichtigkeit dieser Annahme erwiesen w\u00e4re.\nDer Gang der Forschung zwingt zu der Annahme des gegenteiligen Satzes, dafs n\u00e4mlich der Geschmack ein und derselben Substanz f\u00fcr den einen genau der n\u00e4mliche ist wie f\u00fcr den anderen. Der Geschmack einer bestimmten chemischen Verbindung stellt im allgemeinen durchaus eine einheitliche bestimmte, unab\u00e4nderliche objektive Qualit\u00e4t dieser Substanz dar.\nEs ist von vornherein gar nicht einzusehen, nicht einmal wahrscheinlich, dafs die Qualit\u00e4t des Geschmacks nicht ebenso wie jede andere, etwa die Qualit\u00e4t der Farbe oder F\u00e4rbung f\u00fcr jeden Normalen eine bestimmte unab\u00e4nderliche Gr\u00f6fse darstellen sollte. W\u00e4re die gegenteilige Ansicht zul\u00e4ssig, so w\u00fcrde nicht nur der Versuch einer Einteilung der chemischen Verbindungen nach ihrem Geschmack \u00fcberfl\u00fcssig und vergeblich, sondern eine derartige Einteilung f\u00fcrderhin auch unm\u00f6glich gemacht sein.\nEbensowenig wie man ehedem annehmen durfte \u201eDe coloribus non est disputandum\u201c ebensowenig darf in der Wissenschaft sich der Satz erhalten \u201eDe gustibus non est disputandum\u201c. Derselbe ist ebenso unrichtig, wie wenn man f\u00fcr den Geschmack die Farbe setzen wollte, vorausgesetzt freilich, dafs es sich nicht um einen Farbenblinden handelt.\nSo kommt es, dafs die Physiologie dem chemischen Sinn bisher auffallend wenig Interesse gewidmet hat.\nEs ist eine merkw\u00fcrdige Tatsache, dafs dasjenige Sinnesorgan, das die Physiologie erst sp\u00e4t behandelt, der Pathologie schon fr\u00fchzeitig wesentliche Dienste geleistet hat. Denn der\n1 J. M\u00fcnk.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nWilhelm Sternberg.\nGeschmack war es, und zwar der s\u00fcfse Geschmack, der die Anwesenheit des Zuckers im Urin in manchen Krankheitsf\u00e4llen verriet und sogar zur Entdeckung der Zuckerkrankheit durch den englischen Arzt1 2 gef\u00fchrt hat Da der normale Ham die drei Qualit\u00e4ten des Geschmackes : salzig, sauer und bitter, bereits in sich vereinigt, so mufste die letzte und zugleich eklatanteste, die Qualit\u00e4t des S\u00fcfsen, besonders auffallen.\nDafs der s\u00fcfse Geschmack im Harn des Zuckerkranken durch die Anwesenheit von Zucker bedingt ist, hatte Willis selber noch gar nicht einmal erkannt, sondern erst 100 Jahre sp\u00e4ter sein Landsmann Matthieus Dobson. 2 Vom Zuckergehalt des Harns hatte daher, bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts die gesamte medizinische Welt keine Ahnung, so dafs es sogar bezweifelt werden k\u00f6nnte, ob die Krankheit, die mit dem Namen \u201eDiabetes\u201c bis dahin bezeichnet wurde, \u00fcberhaupt wirklich die Zuckerharnruhr gewesen sei, wenn nicht alle \u00fcbrigen klinischen Zeichen die Tatsache sicherten.\nWenn freilich die indischen \u00c4rzte noch fr\u00fcher, schon von alters her, eine Krankheit mit honigs\u00fcfs schmeckendem Harn (Honigham, Meliturie) gekannt haben, so erkl\u00e4rt sich diese Tatsache auch aus der schon fr\u00fcher von den Indem beobachteten Erfahrung des s\u00fcfsen Hamgeschmacks. Dafs aber gerade in Indien diese Entdeckung schon fr\u00fch gemacht ist, kann nicht befremdlich erscheinen. Weist doch schon die Bezeichnung Zucker, aus dem Indischen stammend, auf Indien hin, wo schon lange vor Beginn unserer Zeitrechnung der Rohrzucker fast chemisch rein dargestellt wurde. Bei den nahen Beziehungen, die England mit Indien seit Jahrhunderten verbanden, ist m\u00f6glicherweise die Kunde davon \u00fcberhaupt erst von Indien nach England gedrungen.\nWie aber dieser Eigenschaft des s\u00fcfsen Geschmacks die Kenntnis der einen Krankheit, so ist derselben auch noch die\n1\t1674 Thomas Willis: \u201ePkarmaceutice rationalis \u00dfive diatriba de medicamentorum operationibus in corpore humano.\u201c Pars secunda. Edit, postrema emendatio. Hagae comitis 1677 sect. IV, cap. 3, pag. 206. 1. c. p. 218 . . . \u201eurinam in diabeti adeo dulcescere, eo quod salibus in sero combinatis particulae quaedam sulpbureae colliquatione solidarum partium delibatae avorescunt.\u201c (\u201eDer Harn schmeckt so wunderbar s\u00fcfs, als wenn er mit Zucker oder Honig vers\u00fcfst w\u00e4re.\u201c)\n2\tM. Dobson, Experiments and observations on the urine in the diabetes. Medic, observ. and inquiries vol. V, p. 298. London 1776.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n85\nWissenschaft einer zweiten Erkrankung und sogar die M\u00f6glichkeit, ja die einzige M\u00f6glichkeit ihrer Unterscheidung voneinander zuzuschreiben. Denn nur durch die Eigenschaft des s\u00fcfsen Geschmackes des Urins war die Trennung der Harnruhr mit dem honigs\u00fcfsen Harn (Diabetes mellitus, Meliturie) von der Harnruhr mit dem geschmacklosen Ham (Diabetes insipidus) erm\u00f6glicht Andererseits war fast volle zwei Jahrhunderte hindurch die Sicherung der Diagnose im Einzelfall von Diabetes mellitus nur durch die Geschmacksprobe erm\u00f6glicht Denn der Arzt, der die Frage entscheiden wollte, ob in dem bestimmten Falle Zuckerkrankheit vorliege oder nicht, war gezwungen, den Urin mit der Zunge zu kosten. Ebenso hatten\n\u2022\u2022\ndurch die physiologische Geschmacksprobe die \u00e4lteren Arzte (Dobson ,u. a.) die Anwesenheit des Zuckers im Blute schon l\u00e4ngst erkannt, bis es 1836 erst dem Apotheker Ambrosiani gelang, denselben auch objektiv nachzuweisen. Auch am s\u00fcfsen Geschmack des Schweifses (Autenrieth u. a.) erkannten die \u00e4lteren Arzte die Gegenwart des Zuckers, und Thomas Willis erw\u00e4hnt schon, dafs die kleienf\u00f6rmige Abschilferung der Schenkelhaut eines Kranken einen deutlich s\u00fcfsen Geschmack besafs.\nWenn freilich alle neuen diagnostischen Methoden sich besonders an den Gesichtssinn wenden, vom Augenspiegel, Mikroskop, bis zu den B\u00f6ntgenstrahlen, wenn also die ganze Erweiterung der modernen Diagnostik dahin geht, mehr und mehr das mit k\u00fcnstlichen Hilfsmitteln aller Art erweiterte Sinnesorgan des Gesichtes nutzbar zu machen, so beweist schon dieser Fortschritt der diagnostischen Verwertung unserer Sinne, vom chemischen zum physikalischen, vom gustischen zum optischen Sinn, dafs die Erweiterung beider Sinne nicht in gleichem Mafse vorgeschritten sein kann. Um so mehr liegt es nun der Physiologie ob, wenigstens unsere Kenntnisse auch dieses Sinnes zu vervollkommnen, um die Forschung und die merkw\u00fcrdigen Leistungen der anderen Sinne einzuholen.\nZu diesem Behufe d\u00fcrfte es sich empfehlen, dem Studium der Objekte nachzugehen, die eine Geschmacksempfindung erregen, dem Chemismus der Schmeckstoffe. Freilich es besteht noch vielfach die Ansicht, dafs es gar nicht einheitliche chemische Gruppen sind, welche sich durch dieselben n\u00e4mlichen Geschmacksmodalit\u00e4ten auszeichnen, dafs also die verschiedenen Qualit\u00e4ten gar nicht im Chemismus der Materie begr\u00fcndet seien. Die bisher","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nWilhelm Sternberg.\nun\u00fcberwindliche Schwierigkeit, die einzelnen Groppen nach ihren entsprechenden Geschmacksqualit\u00e4ten zu sondern, mag zur Aufstellung eines solchen Satzes vielleicht beigetragen haben. Allein kann auch die bisherige Unkenntnis der schmeckenden Prinzipien wohl die Schwierigkeit des Vorwurfs beweisen, so kann sie doch keinesfalls ausreichend sein, etwa die Unm\u00f6glichkeit zu begr\u00fcnden oder auch nur wahrscheinlich zu machen. Die Unm\u00f6glichkeit der L\u00f6sung eines Problems aus deren Schwierigkeit herzuleiten, ist unwissenschaftlich, weil es unbedingt jede weitere Forschung er\u00fcbrigen w\u00fcrde.\nDas ganze Problem besteht f\u00fcr die physiologische Erforschung des Chemismus momentan darin, den entgegengesetzten Weg jetzt zu w\u00e4hlen, den die chemische Forschung mit Hilfe des physiologischen Reagens des Geschmackes ehedem genommen hat Es gilt, die Verbindungen von gleichem Geschmack aus allen heterologen chemischen Reihen zu sammeln und dann das allen diesen Verbindungen Gemeinsame, Kommensurable zu finden, um es als Ursache der einzelnen Geschmacksqualit\u00e4t anzusehen. Es gilt daher zu allererst, die aufserordentlich zahlreichen s\u00fcfs schmeckenden Glieder heterologer Gruppen wie Saccharin, \u00c7leizucker, Leims\u00fcfs u. s. f. unter ein einheitliches Prinzip zusammenzufassen, um dasselbe als das s\u00fcfsende Prinzip anzuerkennen. Umgekehrt gilt es, das aufserordentlich grofse Gebiet der Chemie der Salze einzuengen und ihnen nur die salzig schmeckenden zu entnehmen. Gerade aus dem Grunde geh\u00f6rt das Problem der physikalischen Chemie nicht allein an.\nNun hat man bisher \u00fcberhaupt noch nirgends und noch niemals den Versuch gemacht, die Substanzen, die durch gleiche Geschmacksqualit\u00e4ten verbunden sind, zu sammeln, zusammenzustellen und zu vergleichen, um ihnen so das Gemeinsame, Kommensurable zu entnehmen.\nGerade diese Art der Betrachtung scheint mir aber nicht nur zu den allerersten und allerwichtigsten Fragen auf dem Gebiet der Physiologie dieses Sinnes zu geh\u00f6ren, sondern auch den einzig richtigen Weg f\u00fcr die Erforschung der Schmeckstoffe darzustellen. Es gilt n\u00e4mlich zu allern\u00e4chst die einfachen Fragen zu l\u00f6sen:\n1. Welchen Verbindungen ist \u00fcberhaupt der s\u00fcfse Geschmack zu eigen?\nDiese Frage habe ich mehrfach behandelt.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des silfsen Geschmacks.\n87\n2.\tWelchen Verbindungen ist \u00fcberhaupt der bittere Geschmack zu eigen?\nAuch diese Frage ist von mir mehrfach behandelt worden.\n3.\tWelchen Verbindungen ist \u00fcberhaupt der salzige Geschmack zu eigen?\nIn einer Arbeit \u201eDer salzige Geschmack und der Geschmack der Salze\u201c versuche ich, diese Frage zu behandeln.\n4.\tWelchen Verbindungen ist \u00fcberhaupt der saure Geschmack zu eigen?\nDiese Frage ist die einfachste und leichteste. Alle S\u00e4uren schm ecken sauer, keine Verbindung schmeckt sauer, wenn sie nicht eine S\u00e4ure ist.\nSo grofs auch die Literatur ist, so sind diese prinzipiellsten Fragen vordem \u00fcberhaupt noch nicht einmal aufgeworfen worden. Zur Vervollst\u00e4ndigung ihrer Beantwortung d\u00fcrfte eine Sammel-forschung in der Physiologie ebenso geeignet erscheinen, wie eine derartige in der praktischen Medizin bez\u00fcglich der Influenza und des Krebses nicht ohne Einflufs geblieben ist Jedenfalls w\u00e4re man erst nach Erledigung und zwar nach einem negativen Ergebnis dieser Fragen zu der Annahme berechtigt, dafs die Verbindungen nicht nach dem Geschmack zu gruppieren seien. Von vornherein aber das anzunehmen, ist unstatthaft. Bei der L\u00f6sung dieser Fragen zeigt es Bich, dafs die Zahl der bitter schmeckenden Verbindungen eine unendlich grofse ist; ent-sprechend der Auffassung des Pessimisten, nach welcher es der Bitterkeiten mehr auf der Welt g\u00e4be als des Angenehmen. Im Vergleich zu den bitter schmeckenden Stoffen ist die Zahl der s\u00fcfs schmeckenden Verbindungen eine aufserordentlich beschr\u00e4nkte, ja m\u00f6glicherweise eine endliche, begrenzte. Schliefslich wird sich die h\u00f6chst auffallende Tatsache ergeben, die seltsamerweise bisher noch gar nicht einmal bemerkt worden ist, dafs der salzige Geschmack eine ganz aufserordentlich singul\u00e4re Eigenschaft darstellt Eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr s\u00e4mtliche diese Tatsachen wird von mir an anderer Stelle versucht werden. Aus dieser Zusammenstellung mufs sich alsdann auch ganz von selber das gemeinsame Prinzip ergeben, n\u00e4mlich das stifsende, das verbitternde, das salzende und das s\u00e4urende Prinzip.\nHaycbaft 1 war der erste, der eine Regelm\u00e4fsigkeit des Ge-\n1 \u201eThe nature of the objective cause of sensation.\u201c II Taste. Brain 1887.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nWilhelm Sternberg.\nschmacks in der chemischen Gruppierung gesucht hat und zwar f\u00fcr die anorganischen salzig und bitter schmeckenden Salze, nach dessen Vorgang ich s\u00e4mtliche s\u00fcfs und s\u00e4mtliche bitter schmeckenden Verbindungen zusammenzufassen, den ersten Versuch gemacht habe.\nWie Hjalmab \u00d6hrwall 1 \u00fcber Haycrafts Vorgehen abgeurteilt hat, geht aus seinen eigenen Worten am besten hervor: \u201eDer Versuch Haycrafts, verschiedene Geschm\u00e4cke von Metallsalzen in Zusammenhang zu bringen mit dem steigenden Atomgewicht innerhalb der Gruppen, in welche Mendelejeff die Elemente geordnet, mufs als v\u00f6llig mifslungen angesehen werden.\u201c\nEbenso urteilt Ziehen*: \u201eEine gesetzm\u00e4fsige Abh\u00e4ngigkeit der Geschmacksqualit\u00e4t von der chemischen Konstitution der schmeckenden Substanz hat sich noch nicht durchg\u00e4ngig feststellen lassen. Nur f\u00fcr die S\u00e4uren liegt sie auf der Hand. Schon der S\u00fcfsgeschmack l\u00e4fst sich bis jetzt nicht auf eine bestimmte chemische Konstitution8 beziehen, und vollends ist eine solche Zur\u00fcckf\u00fchrung f\u00fcr salzig und bitter noch ganz unm\u00f6glich.\u201c\nEbenso f\u00fchren Rudolf H\u00f6bee und Friedbich Kiesow 1 * * 4 folgendes aus: \u201eMan weifs, dafs die S\u00e4uren sauer, dafs viele Salze salzig schmecken, man weifs, dafs die Alkaloide zumeist bitter, und dafs viele Kohlenhydrate s\u00fcfs schmecken, und man darf darum vermuten, dafs die Eigenschaften, wegen deren man sie unter einem gemeinsamen Namen zusammenfafst, auch ihren Geschmack bedingen. Aber andererseits bilden manche Glieder solch einer Gruppe \u00e4hnlicher Verbindungen Ausnahmen, \u2014 wir erinnern an den bittern Geschmack der d-Mannose \u2014 oder es verursachen Substanzen die spezifische Geschmacksempfindung einer der genannten Gruppen, welche in gar keiner Beziehung zu deren Eigent\u00fcmlichkeiten stehen; bekannte Beispiele daf\u00fcr sind der s\u00fcfsschmeckende Bleizucker, das Anhydrid der Sulfamin-benzoes\u00e4ure, des sog. Saccharin.\u201c\nAn derselben Stelle bemerken die Verf. ferner: \u201eDie Existenz wenigstens einzelner Gruppen chemisch zusammengeh\u00f6riger\n1 \u201eUntersuchungen \u00fcber den Geschmackssinn.\u201c Skandinav. Archiv f\u00fcr Physiologie 1891 2, l\u00f6.\n*\tZiehen: Leitfaden der physiologischen Psychologie 1902, S. 50.\n*\tW. Stebnbebg: Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie 1898. Phys. Abt.\n*\t\u201e\u00dcber den Geschmack von Salzen und Laugen.\u201c Zeitschrift f\u00fcr physikalische Chemie 1898 XXVII, 4, 601.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie, des s\u00fc\u00dfen Geschmacks.\n89\nK\u00f6rper, die die gleiche Geschmacksempfindung verursachen\u00bb ermutigt doch zur Forschung nach anderen solchen Komplexen und nach der gemeinsamen Eigenschaft,' die die einzelnen Komponenten derselben miteinander verkn\u00fcpft\u201c Nun wiederholt aber H\u00f6bee 1 dasselbe noch einmal nach 4 Jahren sogar. \u201eEs ist ja bekannt, dafs S\u00e4uren sauer, viele Salze salzig, dafs Alkaloide bitter und dafs viele Kohlehydrate s\u00fcfs schmecken. Was liegt also n\u00e4her als die Vorstellung, dafs die chemisch \u00e4hnlichen Verbindungen mit den Geschmacksorganen im weitesten Sinne in \u00e4hnlicher Weise in Aktion treten, so dafs ein bestimmter chemischer Prozefs einer bestimmten Geschmackserregung und Geschmacksempfindung entspricht? Wenn man dann andererseits aber bemerkt, dafs Ausnahmen von dieser Regel existieren, dafs Stoffe s\u00fcfs schmecken k\u00f6nnen, die mit der chemischen Gruppe der Kohlehydrate absolut gar nichts zu tun haben, wie das z. B. mit dem Saccharin, dem Bleizucker, dem Chloroform und den Laugen der Fall ist, oder dafs es bittere Zucker gibt, wie die d-Mannose, dann wird man wieder stutzig und sucht nach einer anderen Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Zustandekommen der Geschmackserregung als der einer chemischen Reaktion des Schmeckstoffs mit einem Bestandteil des Geschmacksorganes.\u201c Wenn H\u00f6bee auch im Jahre 1902 immer noch den n\u00e4mlichen Schwierigkeiten begegnet, so darf ich mich beschr\u00e4nken, ihn auf meine Untersuchungen* 2 3 4 5 6 7 hinzuweisen, die ihm die vier Jahre v\u00f6llig entgangen sein m\u00fcssen.\n1 R\u00fcbole H\u00f6beb 1902, S. 180. \u201ePhysikalische Chemie der Zelle und der Gewebe.\u201c\n1 1. \u201eGeschmack und Chemismus.\u201c Physiol. Ges. Berlin, 9. Dezember 1898, S. 33\u201488.\n2.\t\u201eBeziehungen zwischen dem Bau der s\u00fcJfe und bitter schmeckenden Substanzen und ihrer Eigenschaft zu schmecken\u201c 1898. Engelmannb Archiv.\n3.\t\u201eGeschmack und Chemismus\u201c 1899. Zeitschrift f\u00fcr Physiologie und Psychologie der Sinnesorgane 22, 385\u2014407.\n4.\t\u201eDas salbende Prinzip\u201c 1901. Ges. deutscher Naturf. und \u00c4rzte in Hamburg.\n5.\t\u201e\u00dcber das. wirksame Prinzip in den s\u00fcfs schmeckenden Verbindungen, das dem safsen Geschmack zugrunde liegt, das sogenannte dulcigene Prinzip.\u201c PhysioL Ges. Berlin, 24. Oktober 1902, 8. 6\u20148.\n6.\t\u201eBeitr\u00e4ge zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks\u201c 5. Dezember 1902. Physiol. Ges. Berlin, S. 65\u201470.\n7.\t\u201e\u00dcber das sQfsende Prinzip\u201c 1903. Engelmakns Archiv.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nWilhelm Sternberg.\nEs er\u00fcbrigt hier, noch die Art der Untersuchungen und den Weg zu charakterisieren, an die L\u00f6sung dieser Probleme zu treten. Die Physiologie kann sich nicht mit der Angabe der physikalischen Chemie bescheiden, \u201edafs einige S\u00e4uren sauer, viele Salze salzig, Alkaloide bitter und viele Kohlehydrate s\u00fcfs schmecken.\u201c Ist es doch vielmehr die Physiologie des Geschmackes gewesen, welcher die Chemie die Bekanntschaft dieser Tatsachen, ja \u00fcberhaupt die M\u00f6glichkeit der Einteilung bis auf den heutigen Tag erst zu verdanken hat Denn auch heutzutage bedarf die Chemie dieses feinsten chemischen Reagens, wie es der Geschmackssinn darstellt, zur einfachen Diagnostik so sehr tagt\u00e4glich, dafs sie schon zwei Geschmacksqualit\u00e4ten ben\u00f6tigt, lediglich zur Charakterisierung, n\u00e4mlich zur Definition der S\u00e4uren resp. Salze. Trotz der rastlosen Fortschritte der Wissenschaft kann die Chemie die S\u00e4ure nicht anders als mit Hilfe von zwei Geschmacksqualit\u00e4ten definieren; ihre \u201esauren Eigenschaften hat die S\u00e4ure\u201c dem Verm\u00f6gen zu verdanken, \u201esalzartige\u201c Gruppen zu bilden.\nDie Physiologie ist also in solchem Mafse hier einmal der Chemie vorausgeeilt, dafs es nunmehr der physikalischen Chemie zuf\u00e4llt, die mit Hilfe der Physiologie gewonnenen Kenntnisse zu erg\u00e4nzen.\nDie Physiologie mit der Pathologie, seit jeher gewohnt, von der Chemie nur zu empfangen, ist hier einmal in der seltenen Lage, der Chemie die vielseitigen Dienste zu entlohnen. Haben doch die Geschmacksqualit\u00e4ten, und zwar s\u00e4mtliche vier ohne Ausnahme: s\u00fcfs, bitter, sauer, salzig, dem Chemiker, und sogar noch bis auf den heutigen Tag, das Prinzip f\u00fcr die Gruppierung der S\u00e4uren, der Salze, Zucker und Bitterstoffe abgegeben. Es w\u00e4re danach geradezu \u00fcberraschend, wenn die Chemie, welcher der Geschmack einst so erhebliche Dienste f\u00fcr die Gruppierung ihrer Verbindungen geleistet hat, nicht ihrerseits die Physiologie, durch die Einteilung der Verbindungen nach dem Geschmack, nunmehr entsch\u00e4digen und fr\u00fcheren Beistand entlohnen k\u00f6nnte. Hat doch Fischer noch bei dem vorgeschrittenen Standpunkt chemischer Wissenschaften den Geschmack, den bitteren Geschmack, benutzen m\u00fcssen, um zur Diagnose der Bitterstoffe zu gelangen ; erst aus dem intensiv bitteren Geschmack der Benzylglycosid-Verbindungen hat er den Schlufs ziehen k\u00f6nnen, dafs die noch wenig erforschte Gruppe der Bitterstoffe diesen","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n91\nReihen angeh\u00f6re. Ebenso benutzt der Chemiker den bitteren Geschmack als das entscheidende diagnostische Zeichen der Reinheit der synthetisch bereiteten Zucker. Der saure Geschmack kann zur Diagnose der S\u00e4uren sogar mit der Titrationsmethode konkurrieren.\n\u201eI have no doubt,\u201c sagt Kahlenberg \\ \u201ethat with cultivation of the taste for hydrogen ions, and previous elevation of the temperature of the solutions to that of the body, even more\nI fl\ndilute solutions than could be detected by the sense of taste.\n800 J\nIndeed, the experiments of Richards2 confirm this. He shows dearly that fairly accurate titrations of hydrochlorie acid can be made using the taste of the solutions to indicate the end of the reaction.\u201c\nVom s\u00fcfsen Geschmack sagt Emil Fischer8 selbst, dafs er zur Differential-Diagnose verwandt werden kann. \u00bbDer Geschmack steht bei den Aminos\u00e4uren in einer gewissen Abh\u00e4ngigkeit von der Struktur, und er kann manchmal auch zur Unterscheidung dieser sonst so \u00e4hnlichen Stoffe dienen.\u201c\n\u00dcber die Wege, zur L\u00f6sung der elementarsten Fragen zu gelangen, kann man verschiedener Ansicht sein. Der Ansicht von H\u00f6ber und Kiesow gerade diametral entgegengesetzt ist die Meinung, die ich \u00fcber die Wege habe, die einzuschlagen sind, um zur L\u00f6sung der prinzipiellsten Fragen zu gelangen. Ich finde eine gewisse Berechtigung f\u00fcr meine Annahme sowohl in der Tatsache, dafs der gegenteilige, vielfach betretene Weg nicht zur L\u00f6sung der elementarsten und daher an erster Stelle zu erledigenden Fragen gef\u00fchrt hat, als auch in der Beobachtung, dafs der von mir vorgeschlagene Weg sich gl\u00fccklicher erweist Es bedeutet geradezu eine Verkennung der Tatsachen, ebenso aber auch der Richtung, die einzuschlagen ist, wenn man die von der Chemie vorgeschriebene Einteilung der Gruppen nicht \u2022 zu verlassen unternimmt, und verwundert vor der Tatsache Halt machen will, dafs die Geschmacksqualit\u00e4t, welche doch erst die Gruppierung der chemischen Verbindungen geliefert hat, nun\n1 1898 Lo\u00fcis Kahlenberg: \u201eTh\u00a9 action of solutions on the sense of taste\u201c, S. 14. Bulletin of the University of Wisconsin.\n1 T. W. Richards: \u201eThe Relation of the Taste of Acids to their Degree of Dissociation\u201c. Amer. Chem. Journ. Feb. 1898.\n* E. Fischer, Chem. Ber. 35, S. 2662.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nWilhelm Sternberg.\ndie ganz schematische Grappeneinteilung durchbricht. Es gilt ja eben nicht, die Gruppen chemisch zusammengeh\u00f6riger Verbindungen, sondern im Gegenteil alle heterologen Reihen nach der Geschmacksqualitftt zusammenzufassen. Es bedeutet eben keine \u201eAusnahme\u201c, wenn der Geschmack, z. B. der s\u00fcfse, sich auch in chemisch nicht zusammengeh\u00f6rigen Gruppen zeigt. Die Regel, die dieser scheinbaren, nur vermeintlichen Ausnahme zugrunde liegt, zu finden, ist es eben, die das ganze Problem auBmacht\t'\nEs ist freilich bekannt, dafs die Qualit\u00e4t einer Verbindung sich auch mit ihrer Konzentration in gewissem Mafse \u00e4ndern kann. Wie bei der Qualit\u00e4t der Farbe, ist dies in gewisser Weise auch bei dem Geschmack der Fall.\nH\u00f6bee-Kiesow sagen selbst1 : \u201eAnalysiert man den Geschmack in Salzl\u00f6sungen, so f\u00e4llt einem auf, dafs erstens eine L\u00f6sung von gewisser Konzentration eine ganze Reihe von Geschmacksempfindungen ausl\u00f6sen kann, und dafs zweitens die Intensit\u00e4t und sogar die Qualit\u00e4t der Empfindungen sich \u00e4ndern kann, wenn man die Konzentration der L\u00f6sung \u00e4ndert.\u201c\nDiese Tatsache erscheint mir ausreichende Mahnung zur Vorsicht und eine Warnung zu sein, diesen Weg, zun\u00e4chst wenigstens einmal, nicht eher fortzusetzen, als bis die prinzipiellsten Fragen \u00fcber die eine Geschmacksqualit\u00e4t erforscht sind.\nEs d\u00fcrfte wohl noch gar nicht geeignet erscheinen, wenigstens zun\u00e4chst einmal, s\u00e4mtliche nur m\u00f6glichen Geschmacksqualit\u00e4ten einer und derselben Substanz mit Vor-, Bei-, Neben- und Nachgeschmack, bei allen m\u00f6glichen Konzentrationen, mit einem Mal zu analysieren, zu einer Zeit, da die wesentlichsten elementarsten Bedingungen der Geschmacksempfindung noch gar nicht erkannt sind. Ob die Laugen wirklich in irgend einer Konzentration einmal einer Versuchsperson an irgend einer umschriebenen Stelle der Mundh\u00f6hle s\u00fcfslich erscheinen, oder Aqua destillata, das kann, so interessant an sich die Beobachtung ist, nicht geeignet erscheinen, der L\u00f6sung der wesentlichsten Probleme zuzuf\u00fchren. Nicht im kleinen, sondern im Gegenteil im grofsen das Wesentliche zu suchen, erscheint mir zun\u00e4chst aussichtsvoller. Es d\u00fcrfte sich daher wohl empfehlen, die Sammlung aller m\u00f6glichen Stoffe, die einen notorischen s\u00fcfsen Geschmack\n1 H\u00f6ueh, Kiksow, S. 602.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des stiften Geschmacks.\n93\nhaben, d. h. die von jeher stets jedermann s\u00fcfs geschmeckt haben, wie die Zucker-, Beryll-, Bleisalze u.s.f. m\u00f6glichst zu vervollst\u00e4ndigen. Der gegenteilige Weg k\u00f6nnte sogar eher vom ersten Ziele ab-f\u00fchren. Denn auf diesem Wege kann man zu den widersprechendsten Angaben gelangen. Kahlenberg spricht vielen nat\u00fcrlichen notorischen S\u00fcfsstoffen jeden s\u00fcfsen Geschmack ab. Notorisch s\u00fcfs schmeckende Stoffe k\u00f6nnen in irgend einer Konzentration den diametral entgegengesetzten Geschmack, den bitteren, einmal einer Versuchsperson erregen. Tats\u00e4chlich registrieren H\u00f6ber und Kiesow, Be Cl* *-L\u00f6sung (1: 20000) schmeckte \u201eschwach bitter.\u201c1\n0,1 % KCl-L\u00f6sung \u201es\u00fcfs\u201c *,\n0,3 \u00b0/0 \u201edeutlich salzig\u201c 3,\n1: 20 000 BeClj-L\u00f6sung \u201eschwach bitter\u201c,\n1:17 500 \u201edeutlich s\u00fcfs\u201c,\n0,1 \u00b0/0 NaBr-L\u00f6sung \u201edeutlich s\u00fcfs\u201c4.\n\u201e0,3 s\u00fcfs,\n0,2 etwas s\u00fcfs,\n0,4 deutlich salzig.\u201c\nSo wertvoll also diese Untersuchungen an sich sind, so wenig sind sie zur Zeit geeignet, zur L\u00f6sung der fundamentalsten Fragen zu verhelfen.\nBei der Unsicherheit der Geschmacksempfindung, bei der aufserordentlichen Armut der Sprache f\u00fcr die Qualit\u00e4ten, die hier zwar noch nicht den Grad erreicht, wie beim Geruchssinn, sind Geschmackspr\u00fcfungen mit so aufserordentlichen Verd\u00fcnnungen (molekulare Konzentr. Mg. Cla 0,0175 NaBr 0,022 usw.) nicht so ergiebig, die gegenteilige Methode aber oft sogar das Erfordernis.\t.\nEs ist z. B. bekannt, dafs Sublimat HgCla ein recht heftiges Gift ist, aus dem Grunde, weil es recht l\u00f6slich ist. In doppeltem Mafse ist daher die Ausnahme h\u00f6chst auffallend, die dieses Gift von der Regel macht, dafs n\u00e4mlich alle Gifte sich durch Geruch und Geschmack, und zwar auch schon in \u00fcblem Sinne, bemerkbar machen. Die Tatsache, dafs Hg Cla das einzige Gift ist, das geschmacklos ist, macht dieses heftigste Gift zugleich zum ge-\n1 S. 609.\n*\tH\u00f6bkb, S. 607 R.\n8 S. 609.\n*\tS. 608.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nWilhelm Sternberg.\nf\u00e4hrlichsten. Offenbar tritt Geschmacklosigkeit schon in einer Verd\u00fcnnung auf, die gef\u00e4hrlich werden kann, und es w\u00e4re die Erfahrung wohl wesentlich, ob der Geschmack nicht doch auch in der konzentrierten L\u00f6sung hervortritt. Dieselbe Erfahrung hat man mit dem Gifte der Blaus\u00e4ure HCN gemacht. Allgemein wurde fr\u00fcher der Geschmack dieser giftigen S\u00e4ure nicht als bitter, sondern lediglich \u201ean den Geruch der bittern Mandeln erinnernd\u201c registriert. Allein der Geschmack ist auch tats\u00e4chlich ein intensiv bittrer. Hier zeigt sich also die Notwendigkeit der gegens\u00e4tzlichen Geschmackspr\u00fcfung, die Notwendigkeit, bisher als geschmacklos angenommene Substanzen sogar bei m\u00f6glichst starken Konzentrationen zu pr\u00fcfen.\nGr\u00fctzner1 schl\u00e4gt vor, man m\u00fcsse beim Vergleiche durchaus gleichprozentige, ja sogar \u00e4quimolekulare L\u00f6sungen heranziehen. Ich halte im Gegenteil es nicht f\u00fcr empfehlenswert, wenigstens zun\u00e4chst einmal, zur ersten L\u00f6sung der fundamentalsten Fragen, sowohl den Vergleich ein und derselben Substanz hinsichtlich der Intensit\u00e4t bei verschiedener Konzentration als auch den Vergleich gleichprozentiger oder \u00e4quimolekularer L\u00f6sungen verschiedener Substanzen heranzuziehen.\nEs erscheint der Weg aussichtsvoller, \u00fcberhaupt die Intensit\u00e4t der Geschmacksqualit\u00e4ten absichtlich zu vernachl\u00e4ssigen und die Extensit\u00e4t ins Auge zu fassen, die Sammlung aller nur m\u00f6glichen Substanzen, die ein und derselbe Geschmack verbindet, mehr und mehr zu vervollst\u00e4ndigen.\nDiesen Weg habe ich auch bei den Untersuchungen \u00fcber den salzigen Geschmack eingeschlagen.2 Das schmeckende Moment, das Prinzip, das in den Schmeckstoffen die Geschmacksqualit\u00e4t bedingt, ist nicht aufzufinden durch Vergleich der verschiedenen Grade jeder einzelnen Qualit\u00e4t, sondern durch Vergleich aller Verbindungen von einer Geschmacksqualit\u00e4t Deshalb ist zun\u00e4chst die Frage aufzustellen: Welche K\u00f6rper schmecken \u00fcberhaupt s\u00fcfs ? Daraus ergibt sich noch eine weitere Regel f\u00fcr diese Untersuchung.\n1 P. Gr\u00fctzner 1894 Pfl\u00fcgers Archiv 58, 69\u2014104, 98 C. Schmeck-versuche \u201e\u00dcber die chemische Reizung sensibler Nerven.\u201c Deutsch, med. Wochenschr. 1893, S. 1369, Nr. 52. \u201e\u00dcber die Bestimmung der Giftigkeit verschiedener Stoffe.\u201c\n8 Engelmann: Arch. f. Physiol. \u201eDer salzige Geschmack und der Geschmack der Salze.\u201c","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des mfsm Geschmacks.\n95\nDie meisten Untersuchungen erfolgen dermafsen, dafs die. Beobachtung an die Frage gekn\u00fcpft wird. \u201eWie schmeckt der K\u00f6rper?\u201c Es lassen sich aber weit sichere Resultate erzielen\u00bb wenn man die Fragestellung modifiziert, dermafsen, dafs man die Fragestellung beschr\u00e4nkt:\na)\t\u201eSchmeckt diese Verbindung neben anderen Geschm\u00e4cken, die aber alle momentan zu vernachl\u00e4ssigen sind, auch noch deutlich und rein s\u00fcfs? Ja? oder Nein?\u201c\nb)\t\u201eSchmeckt diese Verbindung neben anderen Geschm\u00e4cken, die momentan zu vernachl\u00e4ssigen sind, auch noch deutlich und rein bitter? Ja? Nein?\u201c\nc)\t..Schmeckt diese Verbindung neben anderen Geschm\u00e4cken, die momentan zu vernachl\u00e4ssigen sind, auch noch deutlich und rein salzig? Ja? Nein?\u201c\nd)\t\u201eSchmeckt diese Verbindung neben anderen Geschm\u00e4cken, die momentan zu vernachl\u00e4ssigen sind, auch noch deutlich und rein sauer? Ja? Nein?\u201c\nDirekt vermieden m\u00fcssen dabei die Bezeichnungen wie \u201es\u00fcfs-lich\u201c, \u201ebitterlich\u201c sein, denn sie sind oft lediglich Verlegenheitsbehelfe und k\u00f6nnen leicht zu Irrt\u00fcmern f\u00fchren.\nSo mag sich auch wohl mancher Widerspruch in der Beurteilung des Geschmacks einer Substanz durch verschiedene Personen erkl\u00e4ren; der eine erkl\u00e4rt f\u00fcr \u201edeutlich und unverkennbar s\u00fcfs\u201c, was der andere sogar mit \u201ebitter\u201c bezeichnet.\nEs ist ganz erstaunlich zu sehen, wie verschieden der Geschmack ein und derselben Substanz von verschiedenen Autoren sogar aufgefafst und beschrieben ist. Es trifft sich gar nicht so selten in der Literatur, dafs ein Autor eben dieselbe Substanz \u201eentschieden und rein s\u00fcfs\u201c empfindet, deren Geschmack der andere f\u00fcr bitter erkl\u00e4rt.\nEs ist seltsam, wie gerade der s\u00fcfse Geschmack einer Substanz am leichtesten von allen Geschm\u00e4cken im allgemeinen von jedermann erkannt wird. Um so seltsamer ist die so h\u00e4ufig wiederholte Beobachtung, dafs in der Wissenschaft die Autoren gerade diese eklatanteste Geschmacksqualit\u00e4t manchen Substanzen zuerteilen, die durchaus nicht allgemein als s\u00fcfs schmeckend bezeichnet werden k\u00f6nnen.\nKahlekbebg 1 gibt an : \u201eSolutions of sodium acetate of the\n1 1898. Louis Kahl-knbero: \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c S. 21. Bulletin of the University of Wisconsin.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nWilhelm Sternberg.\nft\tfi\tfi\nstrengths -Tnij-, and -^-t\u2014 were distinctly tasted but in no JO u /8\t0 /4\ncase reported as salty. The taste was variously described as smooth, sweetish, faintly alkaline etc.\u201c\n\u201eThe ions S04 and CHa - COO have but very little taste; the effect of the latter seems to be a trifle sweet.\u201c 1\nIn der Tat sind viele Versuchspersonen, bei Schwierigkeiten in der Beurteilung des Geschmackes einer Substanz, keiner anderen Geschmacksqualit\u00e4t gegen\u00fcber so freigebig. Um so gr\u00f6fsere Vorsicht ist darum aber auch geboten bei der Beurteilung und Sammlung gerade der s\u00fcfs schmeckenden Verbindungen. So widersprechen sich in der Literatur die Angaben \u00fcber den s\u00fcfsen Geschmack von ferrum lacticum, ferrum sulfur., KOH, Kalkwasser, Pyrogallol, Aqua destillata u. a. m. KMn04 schmeckt \u201eentschieden s\u00fcfs\u201c nach Oehrwall, \u201ebitter\u201c nach Rollet. Nun stellt aber die Qualit\u00e4t eines Geschmackes einer Verbindung eine unab\u00e4nderliche Gr\u00f6fse dar. Daher mufs sogar die Zunge f\u00fcr die Untersuchungen vor den definitiven Versuchen auch erst einge\u00fcbt werden, wie etwa das Auge bei Untersuchungen einer optisch wirksamen Substanz. Der Geschmack ist zudem oft nur schwer zu empfinden, schwerer noch zu beschreiben und zu analysieren. Allein f\u00fcr jede Verbindung stellt er eine ganz bestimmte Qualit\u00e4t dar. Weder durch Verd\u00fcnnung noch durch Konzentration kann eine Geschmacksqualit\u00e4t einfach in die andere \u00fcbergef\u00fchrt werden. Freilich l\u00e4fst sich durch Verd\u00fcnnung einer, zugleich mehrere Geschmacksqualit\u00e4ten besitzenden, Verbindung die eine Qualit\u00e4t eher ausl\u00f6schen als die andere, ein Weg, den in gl\u00fccklichster Weise Richards zuerst gew\u00e4hlt hat, den Geschmack einer Verbindung zu analysieren; freilich kann man bei entsprechender Konzentration auch den sauren Geschmack einer Verbindung nicht mehr empfinden, weil an seine Stelle schon die Atzwirkung getreten ist, ein ander Mal bei entsprechender Verd\u00fcnnung wiederum der saure Geschmack noch nicht als sauer erkannt werden kann, sondern erst nur noch als herb empfunden wird. Der Geschmack \u00abin und derselben Verbindung ist jedoch im allgemeinen stets derselbe unab\u00e4nderliche und kann nur differieren in der Intensit\u00e4t Ein Molek\u00fcl einfacher Zusammensetzung kann auch wohl zwei Geschmacksqualit\u00e4ten kombinieren, ja sogar die beiden diametral\n1 ibidem S. 30, \u00a7 6.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des siifsm Geschmacks.\n97\nentgegengesetztesten \u201es\u00fcfs\u201c und \u201ebitter\u201c, wie Dulcamorin, Magnesium-Salicy lat, Chininum salicylic., Chininum saccharinic. u. a. Dabei ist allerdings noch die Frage zu entscheiden, ob es wohl in diesem Molek\u00fcl ein und dasselbe Atom oder gar ein und dasselbe Atom als Ion ist, das die beiden Geschmacksqualit\u00e4ten bedingen sollte.\nSo verlockend und aussichtsvoll es auch erscheinen m\u00f6chte, beim Erforschen der Ursache einer Qualit\u00e4t zum Vergleich der Materie die Intensit\u00e4t derselben Qualit\u00e4t mither\u00e0nzuziehen, so halte ich es doch geradezu f\u00fcr einen wertvollen Kunstgriff, die Intensit\u00e4t bei Geschmackspr\u00fcfungen zun\u00e4chst durchaus zu vernachl\u00e4ssigen. Nicht allein, dafs gerade beim Geschmackssinn mancherlei1, selbst physikalische, Momente die Intensit\u00e4t gewaltig beeinflussen k\u00f6nnen, haben die Erfahrungen in dieser Beziehung stets gelehrt, dafs die quantitative Betrachtungsweise nicht zur L\u00f6sung des Problems f\u00fchrt, sondern eher vom Ziele ablenken k\u00f6nnte. Denn nur so ist das Ergebnis der wertvollen Untersuchungen8 anzusehen, welche in dieser Beziehung \u00fcber die einfachste Qualit\u00e4t, den sauren Geschmack, angestellt sind. So sagt Louis Kahuenbebg * * : \u201ethe sour taste of acetic acid solutions has been found to be more intense than it ought to be according to the degree of dissociation of the substance. No explanation of this phenomenon has thus far been attempted.\u201c\nDiese Untersuchungen \u00fcber die Intensit\u00e4t des sauren Ge-\n1 Z\u00fcntz: Verhandl. d. Berl. Physiol. Ges.\n*\tCoara 1888: Archives de Biologie Tome VIII, 1888, 121\u2014139. \u201eAction des acides sur le go\u00fbt.\u201c\nTh. W. Richards 1898: Amer. chem. Journ. 20 (121\u2014126). \u201eDie Beziehungen zwischen dem Geschmack der S\u00e4uren und ihrem Dissoziationsgrade.\u201c\nTheodore William Richards 1900: Joum. Phys. Chem. 4, 207\u2014211. \u201eBeziehungen zwischen dem Geschmack von S\u00e4uren und ihrem Dissoziationsgrade II.\u201c\nKahlenberg 1898: Amer. Chem. Journ. 20, 121\u2014126. Bull. Univ. of Wisconsin II, 11\u201431. \u201eDie Wirkungen der L\u00f6sungen auf die Geschmacksempfindung.\u201c\nJ. H. Kastle, 1898: Amer. Chem. Joum. 20, 466\u2014471. \u201e\u00dcber den Geschmack und die Acidit\u00e4t der S\u00e4uren.\u201c\nL. Kahlenberg : \u201eThe relation of the taste of acid salts to their degree of dissociation.\u201c Journ. of physical Chem. 4, 1, S. 33. 1900: Joum. Phys. Chem. 4, 533-537.\n*\tLouis Kahlenberg, 1898: S. 29, \u00a7 3. \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c Bulletin of the University of Wisconsin.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nWilhelm Sternberg.\nschmacks waren nicht imstande, das Problem zu l\u00f6sen, sondern waren nur geeignet, zu den bisherigen Fragen noch neue hinzuzuf\u00fcgen. Denn s\u00e4mtliche Beobachtungen stimmen in der einen Tatsache \u00fcberein, dafs die Variation in der Intensit\u00e4t der sauren Geschmacksempfindung viel geringer ist als die in der Konzentration der Wasserstoff Ionen in den verschiedenen L\u00f6sungen.\nDieser Widerspruch f\u00fchrte sogar zu der Annahme, dafs die einwertigen Anionen ebenfalls sauer schmecken m\u00fcfsten. Ist aber eine solche Annahme vom Standpunkte der Dissoziationstheorie schon durchaus unbefriedigend, so ist dieselbe auch vom Standpunkt der Physiologie durchaus nicht zu akzeptieren, im Sinne wissenschaftlicher Forschung aber \u00fcberhaupt nicht als Erkl\u00e4rung der Frage anzusehen. Wohin dieser Weg noch f\u00fchrt, ersieht man aus den Untersuchungen von H\u00f6ber und Kiesow \\ welche auf die n\u00e4mliche Weise andere Geschmacksqualit\u00e4ten untersucht haben. Denn dieselben gelangen auf diesem Wege zum n\u00e4mlichen Schlufs, allein sie sind gezwungen, eben denselben Anionen sogar auch noch die salzige Geschmacksempfindung beizulegen. So gelangt man zu dem h\u00f6chst widersprechenden Resultate, dafs ein und derselbe Bestandteil in einer Verbindung, der negative, zwei Geschmacksqualit\u00e4ten zu gleicher Zeit in sich vereinigt. Das ist aber um so auffallender, als man so zur Annahme gedr\u00e4ngt wurde, dafs in den einen Verbindungen eben derselbe Bestandteil einmal die eine, die saure, Geschmacksqualit\u00e4t bedinge, in den anderen Verbindungen wiederum den anderen Geschmack verursache, den salzigen.1 2 Dazu kommt, dafs gerade dieser Teil des Molek\u00fcls die Anionen sind, denen ich nach meinen Betrachtungen jeden Beitrag am Geschmack absprechen zu m\u00fcssen glaubte.\nDiesen Widerspruch erkennen H\u00f6ber und Kiesow auch an, erkl\u00e4ren ihn aber nicht.\n\u201eLocis Kahlenbergs Resultate (Bull, of the Univers, of Wisconsin) stehen mit den unsrigen in den meisten Punkten in Widerspruch. Worauf die verschiedenen Resultate zur\u00fcckzuf\u00fchren sind, verm\u00f6gen wir ohne Kenntnis der Originalarbeit\n1\tRudolf H\u00f6ber und Friedrich Kiesow 18U8: Zeitschrift f\u00fcr physikal. Chemie, 601\u2014616. \u201e\u00dcber den Geschmack von Salzen und Laugen.\u201c\n2\t\u201eWir k\u00f6nnen den Schlufs ziehen, dafs die Anionen die salzige Geschmacksempfindung verursachen.\u201c S. 605. H\u00f6ber und Kiesow.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fc\u00dfen Geschmacks.\n99\nnicht zu sagen.\u201c 1 \u2014 \u201eDie weitere Eigent\u00fcmlichkeit, die der eine von uns (Klesow) beobachtete, dafs n\u00e4mlich verschiedene Laugen bei gewisser Verd\u00fcnnung s\u00fcfs schmecken, zusammen mit der Erfahrung, dafs Stoffe, die chemisch als S\u00e4uren charakterisiert sind, auch sauer schmecken, f\u00fchrte uns zu der Vermutung, dafs eventuell die in der L\u00f6sung vorhandenen elektrisch neutralen Molek\u00fcle, die Kationen und Anionen alle eine verschiedene Geschmacksempfindung verursachen m\u00f6chten.\u201c 2 * \u2014\n\u201eEs treten also neben dem Salzgeschmack stets noch eine Reihe anderer Geschmacksarten auf, die wir auf die Anw\u00e9s\u00e8nheit der Kationen und der indissoziierten Molek\u00fcle zur\u00fcckzuf\u00fchren geneigt sind.\u201c \u2014\n\u201eFassen wir unsere Resultate der Geschmacksanalyse von Salzl\u00f6sungen zusammen, so k\u00f6nnen wir den Satz aufstellen, dafs sich der Geschmack eines jeden Salzes additiv zusammensetzt aus dem Geschmack der Ionen, vielleicht auch der elektrisch neutralen Molek\u00fcle desselben.\u201c4 \u2014\nWenn die Untersuchungen \u00fcber die Frage, ob die Anionen oder Kationen oder schliefslich die neutralen Molek\u00fcle es sind, die eine Geschmacksqualit\u00e4t bedingen, zu dem Schl\u00fcsse f\u00fchren, dafs m\u00f6glicherweise jeder dieser drei Bestandteile die eine Geschmacksqualit\u00e4t hervorrufen kann, ja dafs sogar ein und derselbe der genannten drei Teile in verschiedenen Verbindungen verschiedenen Geschmack hervorbringt, so ist das Ergebnis nicht als eine L\u00f6sung der Probleme anzusehen.\nBei unseren geringen Kenntnissen der schmeckenden Prinzipien \u00fcberhaupt kann das Ergebnis nicht \u00fcberraschen, da diese Art eine Gleichung mit drei Unbekannten darstellt.\nGeeigneter d\u00fcrfte daher folgende gegens\u00e4tzliche Betrachtung erscheinen.\nWenn eine Verbindung nicht einen einzigen Geschmack rein besitzt, so mag die eine Geschmacksqualit\u00e4t zun\u00e4chst bei der Beurteilung auszuschalten sein.\nHatte ich unter den mineralischen Salzen, welche fast durchg\u00e4ngig nicht einen einzigen Geschmack rein besitzen, zun\u00e4chst\n1 611 und 612: II\u00f6ber und Iviesow.\na Rudolf H\u00f6ber und Friedeich Kiesow: \u201e\u00dcber den Geschmack von Balzen und Laugen.\u201c Zeitschrift f\u00fcr physikalische Chemie 1898, S. 602.\ns S. 608.\n* S. 611.\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nWilhelm Sternberg.\nden salzigen Geschmack eliminiert, um die Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit ihres bitteren Geschmacks zu erforschen, so ist nach L\u00f6sung dieser Frage nun die Eigenschaft des bitteren Geschmacks bei der Beurteilung des Geschmackes zu eliminieren, um Gesetzm\u00e4\u00dfigkeiten des salzigen Geschmacks zu ersehen.\nAuf andere Weise l\u00e4\u00dft sich noch durch allm\u00e4hliche Verd\u00fcnnung eine Geschmacksqualit\u00e4t von mehreren Qualit\u00e4ten eher ausl\u00f6schen, die Mehrzahl der verschiedenen Geschmacksqualit\u00e4ten gewisserma\u00dfen einzeln filtrieren. So ist die wichtige Frage zu l\u00f6sen : Wann, bei welcher Konzentration, in welchem Dissoziationszustand h\u00f6rt der salzige resp. bittere Geschmack der Salzl\u00f6sungen KCl, KBr, KI und NaBr, Nal, auf?\nH\u00f6ber und Kiesow haben zwar gezeigt, da\u00df die verschiedenen einwertigen Salze hei ann\u00e4hernd gleicher molekularer Konzentration anfangen, salzig zu schmecken.1 Allein ob die elektrisch neutralen Molek\u00fcle oder die Ionen den Salzgeschmack verursachen, ist nicht erwiesen.\nWas ferner die Intensit\u00e4t der S\u00fc\u00dfkraft in der Zuckerreihe betrifft, so sieht Kahlenberg * * eine gesetzm\u00e4\u00dfige Beziehung zwischen ihr und der Diffusionsgeschwindigkeit\n\u201eThe aldehyde groups occuring in sugars, seem to render them more capable of permeating membranes, and probably they also modify the compounds so that in their action on the nerve they increase the sweetish taste, which on the whole is characteristic of the alcohols containing several hydroxyl groups. The intensity of the tastes of the polyatomic alcohols and the sugars is then in general such as one would expect viewing the matter in the light of Overtons work.\u201c\n\u201eThe intensity of the taste of solutions of substances containing amido-acid, acid-amido, alcoholic hydroxyl, and aldehyde groups was investigated, aut it was found that the results obtained are in general such as one would expect viewing the matter simply in the light of Overtons 8 determinations of\n1 8. 604. H\u00f6ber - Kiksow.\n*\t1898, Louis Kahlenberg : \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c S. 27. Bulletin of the University of Wisconsin.\n*\tErnst Overton: \u201e\u00dcber die osmotischen Eigenschaften der Zelle in ihrer Bedeutung f\u00fcr die Toxikologie und Pharmakologie mit besonderer Ber\u00fccksichtigung der Ammoniake und Alkaloide.\u201c Zeitschr. f. physik. Chemie 22, 189, 1897.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n101\nthe relative readiness with which these substances permeate plant and animal membranes.\u201c 1\nAllein eine solche Annahme erkl\u00e4rt nicht die Tatsache, daf\u00bb die S\u00fcfskraft des Rohrzuckers bedeutend gr\u00f6sser ist als die de\u00bb Milchzuckers, im Gregenteil, sie l\u00e4fst diese Tatsache um so auffallender erscheinen.\nDafs \u00fcberdies auch physikalische Gr\u00f6fsen die Intensit\u00e4t einer Qualit\u00e4t wesentlich beeinflussen und damit die Untersuchungen \u00fcber Zusammenhang des Chemismus mit einer Sinnesqualit\u00e4t dermafsen erschweren, dafs die Intensit\u00e4tsuntersuchungen jedenfalls sich als unfruchtbarsten Ausgangspunkt derartiger Studien erweisen, hat sich aus mannigfachen Beobachtungen dieser Art auf dem Gebiet des chemischen Farbensinnes ergeben.\nDie Anordnung, die Dichte hat einen so aufserordentlichen Einflufs auf die Farbe, dafs sie die gr\u00f6fsten T\u00e4uschungen veranlassen kann; alle Farben von L\u00f6sungen treten deutlicher f\u00fcr unser Auge hervor, je d\u00fcnner die L\u00f6sungen sind. Auch das L\u00f6sungsmittel, selber f\u00fcr sich ungef\u00e4rbt, kann eine grofse Rolle spielen. Dieselbe chemische Verbindung, das Element, Jod, erscheint in \u00e4therischer L\u00f6sung braun, violett in Schwefelkohlenstoff, wiederum anders gef\u00e4rbt in Chloroform. Silber erfreut in elementarem Zustande durch seine helle klare Farbe das Auge, so dafs man es als Material w\u00e4hlt zur Herstellung augenscheinlich gef\u00e4lliger Gegenst\u00e4nde, in gepulvertem Zustand erscheint es dunkelschwarz.\nDie Erscheinung der Fluoreszenz zeigt am klarsten, in wie verschiedener F\u00e4rbung unserem Auge dieselbe chemische Verbindung erscheinen kann.\nInstruktiv und beweisend in dieser Beziehung ist der Weg, den die Wissenschaft der physikalischen Chemie in der Erforschung des Zusammenhangs des Chemismus mit der Polarisationserscheinung genommen hat Nicht die Untersuchungen \u00fcber Drehrichtung und Drehkraft n\u00e4mlich waren es etwa, die zu den gl\u00e4nzenden Erkenntnissen des Chemismus f\u00fchrten, der die Qualit\u00e4t der Polarisation bedingt; dies war so wenig der Fall, dafs die Wissenschaft auch heute noch nicht einmal, trotz der bestgegr\u00fcndeten Erforschung des Zusammenhangs vom Chemis-\n1 \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c 1898. S. 31, \u00a7 9. Louis Kahlenberg: Bulletin of the University of Wisconsin.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nWilhelm Sternberg.\nmus mit dieser Qualit\u00e4t, die Bedingungen der Intensit\u00e4t oder gar der Drehrichtung zu erkl\u00e4ren vermag.\nWie sehr sich aber auch diese Qualit\u00e4t hinsichtlich ihrer Intensit\u00e4t durch die verschiedensten Momente ver\u00e4ndern l\u00e4fst, zeigt das Ph\u00e4nomen der Multirotation. Daher halte ich auch Untersuchungen \u00fcber Intensit\u00e4t der Geschmacksempfindungen, zun\u00e4chst noch, f\u00fcr wenig fruchtbar, solange wenigstens nicht einmal erst die fundamentalsten Fragen \u00fcber Chemismus und Geschmacksqualit\u00e4t gel\u00f6st sind. Erst dann, wann diese grunds\u00e4tzlichen Fragen gel\u00f6st sind, kann man mit Sicherheit an die Untersuchung \u00fcber die Intensit\u00e4ten der Geschmacksqualit\u00e4ten treten. Es d\u00fcrfte sich daher wohl verlohnen, den von mir vorgeschlagenen Weg fortzusetzen, die Reihe der s\u00fcfs, bitter schmeckenden Verbindungen m\u00f6glichst \u00fcberall zu vervollst\u00e4ndigen und zu kontrollieren, um zum Ziele zu gelangen.\nAus mehrfach dargelegten Gr\u00fcnden erschien es ratsam, zu allern\u00e4chst die s\u00fcfsschmeckenden Verbindungen zu sammeln, mit Hilfe des s\u00fcfsenden Prinzipes alsdann s\u00e4mtlich bitter schmeckenden Verbindungen zu pr\u00fcfen. Da der salzige Geschmack meist mit dem bitteren kombiniert ist,, empfiehlt es sich schliefslich, das den bitteren Geschmack bedingende Moment bei diesen Betrachtungen auszuschalten, um so die Grunds\u00e4tze f\u00fcr den salzigen Geschmack zu erkennen.\nDie Frage ist von mir wiederholt er\u00f6rtert worden, was das Gemeinsamem Bleizucker, dem Anhydrid, der Sulfaminbenzoes\u00e4ure, das sog. Sacharin, sowie in Chloroform, in den \u00fcbrigen S\u00fcfsstoffen darstellt, die in gar keiner chemischen Beziehung zu den nat\u00fcrlichen S\u00fcfsstoffen, den Zuckern, stehen. Wenn diese Stoffe s\u00fcfs schmecken k\u00f6nnen, die mit der chemischen Gruppe der Kohlehydrate absolut gar nichts zu tun haben, so bedeutet dies keinesfalls, wie H\u00f6ber meint, eine Ausnahme von der Regel. Das Problem besteht lediglich darin, in dieser vermeintlichen Ausnahme die Regel zu finden.\nEs gilt eben die Untersuchung nicht auf die chemisch zusammengeh\u00f6rigen K\u00f6rper allein zu beschr\u00e4nken, sondern im Gegenteil die Pr\u00fcfung auf alle heterologen Reihen auszudehnen.\nDabei ist freilich stets auch noch zu bedenken, ob nicht in einer durch gleichen Geschmack vereinten Gruppe von Verbindungen auch tats\u00e4chlich Ausnahmen Vorkommen.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n103\nDiejenige Gruppe nun, die sich dadurch vor allen \u00fcbrigen auszeichnet, dafs sie ausnahmslos nur einen einzigen Geschmack allen ihren l\u00f6slichen Verbindungen, in reinster Form sogar, verleiht, ist die Gruppe der Zucker.\nAus diesem Grunde wird auch diese bisher ausnahmslose Eigenschaft des s\u00fcfsen Geschmacks, welche alle Zucker miteinander verbindet, ebenso wie der bittere Geschmack der Galle als vorbildliche Qualit\u00e4t, sogar vergleichsweise, gew\u00e4hlt\nNicht nur die Dichter aller Zungen 1 2 ziehen den s\u00fcfsen Geschmack des Zuckers wie den bitteren der Galle zum Vergleich heran, sondern auch der Volksmund.\nSpricht man doch sogar vom rNichtzucker\u201c ; als \u201eneutraler Nichtzucker\u201c wird in den von der Kommission f\u00fcr die Bearbeitung einer deutschen Weinstatistik ver\u00f6ffentlichten Analysen der Anteil des Mostes aufgef\u00fchrt, dessen Natur nicht bekannt ist. Der \u201eZuckerbauer1 versteht unter \u201eNichtzucker\u201c die Beimengungen, die durch die Raffinade erst entfernt werden m\u00fcssen. Die Nichtexistenz des geschmacklosen Zuckers\u201c im Harn hatte erst genauer Untersuchungen bedurft. Hatten Thenard* 1806, Chevreul 1815 und Bouchakdat 1838 die Vermutung nahegelegt, dafs im Harn des Zuckerkranken noch ein geschmackloser Zucker enthalten sei, so weist Bouchardat nach, dafs diese geschmacklose Substanz eine Verbindung von s\u00fcfsem Zucker mit mehreren anderen Stoffen sei.\nDeshalb verdient jede Mitteilung einer Ausnahme gerade aus dieser Gruppe eine um so mehr erh\u00f6hte Aufmerksamkeit\nEine solche Ausnahme aus der Reihe der \u201eS\u00fcfsstoffe\u201c par excellence, der \u201es\u00fcfsen Salze\u201c wie Marggraf sie nannte, mit denen wir t\u00e4glich die Speisen \u201eebenso gut als mit Kochsalz salzen\u201c wie Hufelakd sich ausdr\u00fcckte, bildet nach Huber der bitter schmeckende Zucker, die d-Mannose, ein echter, nicht aromatischer Zucker. Diese eine Tatsache einer solchen Ausnahme gerade in dieser Gruppe der S\u00fcfsstoffe v.aP l^oyrjv verdient daher in der Physiologie wie in der Chemie gleichermafsen eine ganz\n1\t\u201eZweideutig sind die goldenen Spr\u00fcche alle Hier dienen sie zum Zucker, dort zur Galle\nDoch Wort bleibt Wort und nie noch kams mir vor,\nDafs ein zerrifsnes Herz gesundet durch das Ohr.\u201c\n2\t\u201eNichtexistenz des geschmacklosen Zuckers\u201c Annal, d. Chemie u. Pharmacie XXXIX 1841 S. 125. Journal de Pharmacie XXVII 8. 100.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nWilhelm Sternberg.\nprinzipiell\u00a9 Beachtung; dies\u00a9 ein\u00a9 einzig\u00a9 Ausnahme ist hinreichend, einer genaueren Betrachtung gew\u00fcrdigt zu werden. Derjenige aber, der an der Erwartung festh\u00e4lt, dafs die Zusammenfassung der chemischen Verbindungen nach ihrem Geschmack Aufschlufs \u00fcber die Bedingungen der Geschmacksqualit\u00e4ten liefert, hat jedenfalls die Verpflichtung, eine solche Ausnahme des bitteren Geschmackes eines Zuckers ganz besonders in Betracht zu ziehen. Handelt es sich doch darum, ob dieser nun einmal eingeschlagene Weg als m\u00fcfsig und \u00fcberfl\u00fcssig anzusehen und somit zu verlassen ist oder ob im Gegenteil derselbe sich als fruchtbar erweist und auch diese Ausnahme gar zu erkl\u00e4ren imstande ist Darum ist die Mitteilung des bitteren Geschmackes der d-Mannose so \u00fcberraschend, dafs es sich wohl verlohnt, in der Literatur \u00fcber den Geschmack dieses Zuckers Umschau zu halten.\nBeilstein sagt aus: \u201edie d-Mannose sei s\u00fcfs und durch alle ihre Eigenschaften sei die d-Mannose der Dextrose so nah verwandt, dafs sie wohl damit verwechselt werden kann\u201c. In den Jahren 1888\u20141889 besch\u00e4ftigten sich Emil Fischee und Josef Hirschberger mit der Darstellung der ctMannose.1 Sie sagen aus, dafs d-Mannose viel schw\u00e4cher als Dextrose dreht, \u00e4ufserst l\u00f6slich ist und s\u00fcfs schmeckt, bei h\u00f6herer Temperatur sich zersetzt und Karamelgeruch entsteht Im Jahre 1889 schreibt R. Reiss.* *\n\u201eDer Sirup ist schwach gelblich gef\u00e4rbt, vollkommen klar, durchsichtig und von s\u00fcfsem Geschmack, der von einem, in allen F\u00e4llen auftretenden angenehm bitteren Nachgeschmack begleitet ist. Dieser deutet vielleicht darauf hin, dafs bevor die Spaltung der dextrinartigen Zwischenprodukte vollendet ist, bereits eine Karamelisierung des gebildeten Zuckers begonnen hat44 Die Identit\u00e4t dieses von R. Reiss aus der Steinnufs bereiteten Zuckers mit der d-Mannose ist bald nachgewiesen worden * und hat sogar zum Vorschlag seiner technischen Verwertung gef\u00fchrt4, durch Emil Fischer und Jos. Hirschberger im Jahre 1889.\n1 Ber. XXI 8. 1807. I. \u201e\u00dcber Mannose\u201c. II. \u201e\u00dcber Mannose\u201c. XXII 366. III. XXII 1155. IV. XXIT 3218.\n*\tBer. XXII 609: \u201e\u00dcber die in den Samen als Reservestoff abgelagerte Zellulose und eine daraus erhaltene neue Zuckerart, die \u2018Seminose\u2019\u201c (vorgetragen von A. Wohl). S. 610.\n*\tBer. XXII 1166.\n*\tBer. XXII 3224.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n105\n\u201eBei dem niedrigen Preise derSteinnufsabf\u00e4lle (50 Kilo 0,8\u20141,00 M.) und der grofsen Ausbeute an Zucker k\u00f6nnte man denken, das Verfahren technisch zu ben\u00fctzen. Herr Fabrikant Donath in Schm\u00f6lln (Sachsen* *Altenburg) hatte die G\u00fcte, uns mitzuteilen, dafs allein in der Gegend von Schm\u00f6lln bei der Fabrikation der Stein-nufskn\u00f6pfe 20000 Zentner dieser Abf\u00e4lle j\u00e4hrlich erhalten werden. \u2014 Da dieselben bis 83 \u00b0/0 des Zuckers liefern und derselbe voraussichtlich ebensoviel Alkohol gibt wie die Dextrose, so w\u00fcrde das Verfahren vielleicht rentabel sein.\u201c\nIm Jahre 1896 behandeln Emil Fischer und Beensch die d-Mannose \\ erw\u00e4hnen jodoch hier kein Wort \u00fcber den Geschmack. Edm. O. v. Lippmann * erw\u00e4hnt den rein s\u00fcfsen Geschmack der d-Mannose. Freilich ist erst neuerdings die d-Mannose im kristallisierten Zustand, also ganz rein erhalten worden, es hat sich ergeben, dafs sie\u00ae \u201eeinen ziemlich bitteren Geschmack hat\u201c.4 \u201eLe sucre a un go\u00fbt assez amer ; il en est de m\u00eame d\u2019un \u00e9chantillon pr\u00e9par\u00e9 par transformation de la d-glycose\u201c.6\nEs entstehen daher nun diese drei Fragen.\n1.\tWie ist denn nun tats\u00e4chlich der Geschmack der d-Mannose \u00fcberhaupt? Wie ist dieser interessante Widerspruch in der Ansicht der Autoren \u00fcber den Geschmack zu erkl\u00e4ren?\n2.\tWie ist der bittere Geschmack dieses nat\u00fcrlichen Zuckers zu erkl\u00e4ren?\n3.\tWeiche allgemeinen Schl\u00fcsse sind aus dem Geschmack dieses Kristallzuckers zu ziehen?\nIst damit wirklich ein f\u00fcr allemal bewiesen, dafs, da nicht einmal die gew\u00f6hnlichen Zucker, die S\u00fcfsstoffe par excellence, ein einheitlicher Geschmack verbindet, nach Geschmacksqualit\u00e4ten die chemischen Gruppen nicht zusammenzufassen sind ? Gen\u00fcgt diese eine Tatsache die bisherige Annahme vom schmeckenden stLfeenden Prinzip umzustofsen?\nDer bittere Geschmack eines Zuckers ist nicht beispiellos. Denn bitter schmecken von den Zuckern:\n1 \u201e\u00dcber die beiden optisch isomeren Methyl Mannoside.\u201c Ber. XXIX 2927.\n*\tBraunschweig 1895 8. 931 \u201eChemie der Zuckerarten\u201c.\n8 Ber. XXIX, IV R. 425.\n*\t1896 Rec. d tr. ch. d. P. B. Tome XIV, 329 und 1896 Tome XV S. 221 \u201eSur la d-mannose cristallis\u00e9e\u201c par M. W. Albs&da van Ekenstb\u00efn.\nB S. 222. Recueils des travaux chimiques des Pays-Bas XIV und XV, 221-224. 1896.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nWilhelm Sternberg.\n1.\tDie aromatischen Zucker und die Glykoside, denen die Bitterstoffe nahe zu stehen scheinen, und\n2.\tdie k\u00fcnstlichen Zucker.\nFreilich die nat\u00fcrlichen, nicht aromatischen Zucker schmecken s\u00e4mtlich, ohne Ausnahme, s\u00fcfs. Wie die Glykosen, schmecken auch die Methylglykoside s\u00fcfs. Setzt man jedoch statt des positiven Alkylradikals den negativen Phenolrest ein, so hat zwar die Verbindung auch noch die Eigenschaft, zu schmecken, sie schmeckt aber nicht mehr s\u00fcfs, sondern intensiv bitter.\nC6 H1:l O\u00f6 \u2666 CH8 Methylglykosid schmeckt s\u00fcfs aber C6 Hu O0 \u2022 C6H5 Phenylglykosid schmeckt bitter.\nDie Kenntnis des bitteren Geschmackes dieser Substanz verdanke ich der Liebensw\u00fcrdigkeit von Herrn Jos. Fischer, ich hatte f\u00e4lschlich angegeben, dafs in der Literatur \u00fcber die Bitterkeit keine Angabe existiert. Durch Herrn Prof. Lippmann bin ich belehrt worden, dafs auch die Angabe des bitteren Geschmackes von Phenolglykosid (Glykosido-Phenol) bereits von Lippmanh gemacht ist.\nCH3 \u2014 OH (OH) \u2014 CH2 (OH) 1,2 \u2014 Didydropropan schmeckt s\u00fcfs C6H& \u2014 CH (OH) \u2014 CH2 (OH) Phenyl\u00e4thylenglykol1 schmeckt bitter. OHg \u2014 CH (OH) \u2014 CH (OH) \u2014 CH2 OH) Butenylglyz\u00e8rin schmeckt s\u00fcfs\nC6H5-CH (OH) \u2014CH (CH) \u2014CH2 (OH) Phenylglyzerin s.Phen-propylalkohol s. Styzerin schmeckt bitter.2\nOb freilich die aromatischen Zucker wie die leicht l\u00f6sliche Phenyltetrose alle schmecken, ist in der Literatur3 nicht angegeben; jedenfalls scheinen sie nicht s\u00fcfs zu schmecken. Phenyltriose schmeckt intensiv bitter.4 Nun sind aber die nat\u00fcrlichen Glykoside zum grofsen Teil Phenolderivate; daher kommt es, dafs die Mehrzahl der Glykoside bitter schmecken.\nDen aromatischen Zuckern scheinen die echten Bitterstoffe nahe zu stehen.\nCH3 \u2014 C\u00dfHnO(i Methylglykosid schmeckt s\u00fcfs,\nC6H5 \u2022 CH2 \u2014 C\u00f6Hjj Oe Benzylglykose intensiv bitter.\nDeshalb meint auch Fischer, dafs manche der nat\u00fcrlichen, noch\n1\tTh. Zincke, Ann. 1883. Bd. CCXVI. S. 293.\n2\tGrimaux, Journ. 1863, S. 401).\n3\tCem. Ber. XXV, S. 2559, Bd. 29, S. 212. Neue Zeitschrift f\u00fcr R\u00fcben-zu ckerinditstrie.\n4\tBericht der chemischen Gesellschaft Oktober 1898.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des siifsen Geschmacks.\n107\nnicht n\u00e4her erforschten Bitterstoffe wohl in diese Kategorie von Verbindungen hineingeh\u00f6ren.1\nDer aufserordentlichen Liebensw\u00fcrdigkeit von Herrn Prof. Ekenstein, f\u00fcr die ich auch hier gern Veranlassung nehme meinen besten Dank auszusprechen, habe ich eine Geschmacksprobe der kristallisierten d-Mannose zu verdanken (6. XL 01). Die Kristalle waren zweimal aus Methylalkohol umkristallisiert.\nMit einer grofsen Reihe von Versuchspersonen stellte ich nun unter allen Kautelen Schmeckversuche mit diesem ersten Kristallzucker an. Ich w\u00e4hlte dazu notorische Feinschmecker von Fach aus, K\u00f6che und K\u00f6chinnen, die ein gutes und nat\u00fcrliches Gebifs besitzen und nicht Raucher sind, die mit einer grofsen Feinheit der Zunge eine solche des Urteils verbanden. S\u00e4mtliche Personen stimmten ausnahmslos in ihren Urteilen \u00fcberein. Der Geschmack der d Mannose ist ein rein s\u00fcfser, derselbe ist unverkennbar, deutlich und intensiv, aber mit einem ebenso deutlichen und noch l\u00e4nger anhaltendem bitteren Nachgeschmack.\nEs fragte sich, ob der bittere Nachgeschmack nicht vielleicht in gr\u00f6fserer Verd\u00fcnnung verschwindet. Ich l\u00f6se einige Kristalle zum Sirup auf, um mich dar\u00fcber zu unterrichten, ob der Geschmack der konzentrierten L\u00f6sung etwa von dem des festen Aggregatzustandes hinsichtlich seiner Intensit\u00e4t oder gar Qualit\u00e4t variiert. Ist es doch bekannt, dafs Milchzucker trocken auf die Zunge gebracht, viel weniger s\u00fcfst als in sirup\u00f6ser konzentrierter Form. Dabei darf noch daran erinnert werden, dafs der Milchzucker sich schon dadurch wesentlich vom Rohrzucker unterscheidet, dafs der Milchzucker CjoH^Ojj. sehr viel weniger s\u00fcfst als der Rohrzucker C^H^O,,. Denn w\u00e4hlt man eine 5 \u201c/0 ige L\u00f6sung von Rohr- und Milchzucker, so schmeckt die Rohrzuckerl\u00f6sung viel mehr s\u00fcfs, was deutlich genug f\u00fcr die Abh\u00e4ngigkeit der S\u00fcfse von der Konstitution der Substanz spricht. Oftmals begegnet man noch der irrigen Angabe, dafs die geringere S\u00fcfse des Milchzuckers durch seine geringere L\u00f6slichkeit bedingt ist. Die geringere S\u00fcfs-kraft ist aber eine besondere Qualit\u00e4t des Milchzuckers und in der Natur des Stoffes gelegen. Die S\u00fcfse des Milchzuckers ist aber so deutlich und so unverkennbar, dafs die Angabe von Loris Kahlexbekg besonderes Interesse erfordert.\n1 \u201e\u00dcber die Glykoside der Alkohole\u201c 1883. Ber. XXVI, S. 2400 und Neue Zeitschrift f\u00fcr R\u00fcbenzucker industrie 31, S. 66.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nWilhelm Sternberg.\n\u201eTurning1 now to the sugars, arabinose, laevulose, d-glucose, and galactose were reported to be sweet, as were also maltose (malt sugar) and saccharose (cane sugar), while lactose (milk sugar) and xylose were found to have little on no taste.\u201c\nXylose2 (Holzzucker C4HB \u2022 (OH)4 \u2014 COH) ist ebenfalls ein s\u00fcfs schmeckender Sirup.\nDiese Angaben sind daher ebenso geeignet, die Schwierigkeit der endg\u00fcltigen allgemeinen Festlegung der Geschmacksqualit\u00e4t einer Substanz zu beweisen, wie sie die Forderung einer solchen geradezu als n\u00f6tig erscheinen lassen.\nZur Geschmackspr\u00fcfung der d-Mannose in verschiedenen Konzentrationen forderten auch die auf dem Gebiete des Geruchssinns gemachten Erfahrungen auf.\nDenn abgesehen nat\u00fcrlich von der Fl\u00fcchtigkeit und der Natur der chemischen Verbindung h\u00e4ngt die Intensit\u00e4t des Riechstoffes neben der Konzentration ganz vornehmlich von der Verteilung ab. Manche Riechstoffe zeigen in konzentrierter Form gar keinen intensiven Geruch oder aber gar einen unangenehmen, wie es ganz bekannt ist vom Moschusgeruch, w\u00e4hrend sie in d\u00fcnnen L\u00f6sungen, besonders aber in fein zerst\u00e4ubter Form erst den Geruch und zwar in ganz anderer Art, jedenfalls oft in sehr angenehmer Weise hervortreten lassen.\nAllein der bittere Geschmack der d-Mannose tritt auch in den verschiedensten L\u00f6sungen nicht zur\u00fcck.\nAus der Tatsache der gleichzeitigen Anwesenheit des s\u00fcfsen Geschmackes der d-Mannose geht jedenfalls hervor, dafs auch dieser Zucker bez\u00fcglich seines Geschmackes nicht als eine Ausnahme aus der Reihe unserer nat\u00fcrlichen S\u00fcfsstoffe zu betrachten ist.\nWie die ersten Darsteller den Geschmack der d-Mannose als einen s\u00fcfsen charakterisieren, in der Annahme, dafs die gleichzeitige Bitterkeit nicht der d-Mannose, sondern den begleitenden Verunreinigungen zukomme, so unterl\u00e4sst Ekenstein andererseits, den gleichzeitigen s\u00fcfsen Beigeschmack des Kristallzuckers zu registrieren und bezeichnet ihn lediglich als bitteren Geschmack.\n1 Louis Kahlenbhbo 1898: \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c S. 27. Bulletin of the University of Wisconsin.\n* W. E. Stone und D. Lotz \u201e\u00fcber Xylose aus Maiskolben\u201c 1891. Chem. Ber. XXIV 8. 1658. Chem. Labor. Purdue University, La Fayette, Indiana, U. S. A.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n109\nGanz besondere Bedeutung ist nun aber diesem bitteren Geschmack auch deshalb noch beizulegen, als er einer optischaktiven Verbindung zukommt Dadurch gewinnt dies Moment noch an prinzipiellem Interesse.\nAuf den sauren Geschmack der S\u00e4uren ist die stereogeometrische Konfiguration ohne Einflufs, so weit es sich nicht um die etwa durch die geometrische Stellung der einzelnen Atome zueinander im Molek\u00fcl bedingte \u00c4nderung der St\u00e4rke der S\u00e4uren handelt\nF\u00fcr den bitteren Geschmack kommen in dieser Hinsicht die Alkaloide in Betracht, deren Spiegelbilder nicht bekannt sind.\nDer salzige Geschmack f\u00e4llt in dieser Beziehung ebenfalls aus, da er ohne Ausnahme f\u00fcr das Mineralreich reserviert bleibt\nWas den Einflufs der stereogeometrischen Konfiguration auf den s\u00fcfsen Geschmack betrifft, so ist es auffallend, dafs die Zunge so vortrefflich mathematisch unterrichtet ist, verm\u00f6ge des Geschmackes sehr wohl die h\u00f6heren von den niederen Gliedern homologer Reihen zu unterscheiden imstande ist und noch viel mehr als arithmetisch auch planimetrisch zu trennen vermag. Darum ist es um so auffallender, dafs die Zunge dennoch f\u00fcr die Geometrie im Raume, die Stereogeometrie, absolut nicht bef\u00e4higt ist, Unterschiede herauszuschmecken.\nEs ist sogar in mehr als in einer Hinsicht auffallend, dafs die molekulare Geometrie gar keine Unterschiede in dem Geschmack schafft,, um so mehr als sie ja alle anderen Eigenschaften der Materie ver\u00e4ndert. Nicht allein, die beiden Spiegelbilder behalten jedesmal den s\u00fcfsen Geschmack bei, es konservieren sich vollends s\u00e4mtliche stereoisomeren Gruppen sogar noch die Eigenschaft zu s\u00fcfsen, so dafs die Zunge gar nicht \u00fcber die mannigfache Geometrie der einzelnen Atome im Raume innerhalb des asymmetrischen Molek\u00fcls uns informieren kann. Diese Eigenschaft ist gerade entgegengesetzt der F\u00e4higkeit der Zucker, mit Hefen zu verg\u00e4hren.\nDie Hefe macht n\u00e4mlich weniger Unterschiede in der arithmetischen Reihe der Zucker, sehr wohl aber im geometrischen Bau der Zucker. Daher unterscheiden sich auch die vier bekannten der acht theoretisch m\u00f6glichen Pentosen, ebenso die zehn heutzutage darstellbaren Hexosen von den 16 voraus-","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"no\nWilhelm Sternberg.\ngesagten nicht im Geschmack, sie schmecken alle s\u00fcfs; aber wesentlich differieren sie in ihrer F\u00e4higkeit, zu verg\u00e4hren odef\u201c dem Stoffwechsel zu unterliegen. Ebensowenig die chemische Wissenschaft an der Existenz der noch fehlenden Stereoisomeren zu zweifeln hat, ebensowenig darf die Physiologie f\u00fcglich eine Ver\u00e4nderung in ihrer Geschmacksmodalit\u00e4t annehmen. Die Physiologie mufs vielmehr mit demselben Rechte, mit dem die Chemie ihre Existenz beansprucht, es als ebenso sicher voraussetzen, dafs von den 25 \u2014 32 stereoisomeren Heptosen auch die noch nicht dargestellten 26 und von den 128 Xonosen auch die noch nicht bekannten 126 s\u00fcfs schmecken.\nFreilich Piutti 1 und Pasteur\u20191 2, E. Fischer3 * 5 und Landolt stehen auf dem Standpunkte, dafs die Drehrichtung und die stereogeometrische Konfiguration ein und derselben Verbindung wie in der G\u00e4hrung und dem ihr so \u00e4hnlichen Prozesse, dem Stoffwechsel, so auch im Bereiche des Geschmackes Unterschiede schaffen kann.\nSo sagt Fischer 4 : \u201e\u00dcbertr\u00e4gt man die stereochemischen Betrachtungen auf die chemischen Vorg\u00e4nge im h\u00f6her entwickelten Organismus, so gelangt man zu der Vorstellung, dafs allgemein f\u00fcr die Verwandlungen, bei welchen die Proteinstoffe als wirksame Massen fungieren, wie das zweifellos in dem Protoplasma der Fall ist, die Konfiguration des Molek\u00fcls h\u00e4ufig eine ebenso grofse Rolle spielt, wie seine Struktur. Man kann deshalb gar nicht mehr \u00fcberrascht sein, wenn von zwei stereoisomeren Substanzen die eine kr\u00e4ftig auf unsere Sinnesorgane, wie Geschmack oder Geruch, oder auf das Zentralnervensystem reagiert, w\u00e4hrend die andere ganz indifferent ist, oder doch nur eine ganz abgeschw\u00e4chte Reaktion hervorruft. Man wird es ebenso begreiflich finden, dafs die drei stereoisomeren Weins\u00e4uren5 im Leibe des Hundes in verschiedenen Graden verbrannt werden, dafs ferner von zwei ganz nahe verwandten Zuckerarten die eine \u00fcberaus leicht im Organismus oxydiert oder als Glykogen aufgespeichert wird, wie der Traubenzucker,\n1\tPiutti : Compt. rend. 1886. T. CHI, S. 134; T. XVIII, S. 477.\n2\tPasteur: ebenda T. CIII, S. 138.\n3\tE. Fischer: Zeitschr. f. phys. Chemie 1898 26, 84 u. Zeitschr. 42, S. 5.\n* \u201eBedeutung der Stereochemie f\u00fcr die Physiologie.\u201c Zeitschr. f.\nphysioloy. Chemie 26. 1898. S. 84.\n5 Brion: Zeitschr. f phys. Chemie 25, S. 283.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des h\u00fcfsen Geschmacks.\n111\nw\u00e4hrend die so nahe verwandte Xylose nur unvollkommen ausgenutzt werden kann.\u201c\nGest\u00fctzt auf die Verschiedenheit im Geschmack des Aspara-gins, dessen dextrogyre Modifikation s\u00fcfs schmeckt, w\u00e4hrend der optische Antipode geschmacklos ist, machen die Chemiker noch allgemein die ganz willk\u00fcrliche Annahme, dafs dem physiologischen Vorg\u00e4nge des Geschmackes eine Bevorzugung der einen aktiven Modifikation zugrunde liege, \u00e4hnlich wie dem Vorg\u00e4nge durch Einwirkung von Fermenten.\nDiese Annahme ist aber durch keine weitere Tatsache gest\u00fctzt. Man gelangte zu derselben durch die einzige, bisher noch nicht einmal nachgepr\u00fcfte Ausnahme, die in dem verschiedenen Geschmack der enantiomorphen Modifikationen des Asparagins gelegen ist. Ebenso sagen R. H\u00f6ber und Fr. Kiesow :1\n\u201eUnd umgekehrt k\u00f6nnen zwei K\u00f6rper verschieden schmecken, selbst wenn sie fast vollkommen identisch sind ; das rechtsdrehende und das linksdrehende Asparagin unterscheiden sich durch keine einzige physikalische oder chemische Eigenschaft von einander, aufser durch ihre entgegengesetzte optische Aktivit\u00e4t und doch schmeckt, wie Piutti entdeckte, die d-Form s\u00fcfs, die 1-Form fade. Wir stehen hier, wie in anderen F\u00e4llen, noch vor vollkommenen R\u00e4tseln.\u201c\nZum Schl\u00fcsse2 ihrer Untersuchungen erw\u00e4hnen sie nochmals diese eine vermeintliche Ausnahme aus der aufserordent-lich zahlreichen, bisher ausnahmslosen Gruppe der optisch wirksamen Verbindungen, die alle den n\u00e4mlichen Geschmack behalten, lediglich um aus ihr den allgemeinsten Schlufs zu ziehen.\n\u201eWir k\u00f6nnen uns diese Reaktion als einen einfachen chemischen Prozefs vorstellen, durch den auch so wunderbare Erscheinungen, wie die des s\u00fcfsen Geschmacks der d-Form, des faden Geschmacks der 1-Form des Asparagins erkl\u00e4rbar werden; denn schon Pasteur machte zur Erkl\u00e4rung derselben die Annahme, dafs durch Reaktion der beiden optischen Antipoden mit einer optisch aktiven Verbindung innerhalb des Schmeckorgans zwei verse hiedeneVerbindungen von verschiedenen physikalischen und chemischen Eigenschaften entstehen k\u00f6nnten, wie etwa durch Behandlung der Traubens\u00e4ure, die in w\u00e4sseriger\n1\tZeitschr. f. physikal. Chemie, S. 601.\n2\tZeitschr. f. physikal. Chemie, S. 615\u2014616.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nWilhelm Sternberg.\nL\u00f6sung eine Mischung gleicher Mengen von r- und l-Weins&ure darstellt, mit aktivem Cinchonin zwei Salze entstehen von so verschiedener L\u00f6slichkeit, dafs man sie durch fraktionierte Kristallisation voneinander trennen kann. Noch weiter lassen sich indessen die Konsequenzen aus den bisherigen Kenntnissen nicht ziehen; warum Verbindungen, die durch ihre Struktur auch nicht im mindesten miteinander verwandt sind, doch die gleiche Geschmacksqualit\u00e4t erzeugen k\u00f6nnen, dar\u00fcber k\u00f6nnen wir gar nichts aussagen.\u201c\nKahlenbeeq 1 gibt vom Geschmack des Asparagin folgendes an:\n\u201e Asparagin C*Hg \u2022 NH2 * CONH2 \u2022 COOH which dissolves easily in water, is almost perfectly tasteless even in its stronger solutions.\u201c\nFreilich ist nicht ersichtlich, ob er die levogyre oder dextrogyre Form meint.\nAllein die Physiologie kann die Voraussetzung einer etwaigen fermentartigen Bevorzugung der einen Form f\u00fcr den Sinnesreiz \u2022des Geschmackes nach Art derjenigen f\u00fcr den Stoffwechsel nicht akzeptieren. Mit dieser Annahme liefse sich wohl auch gar nicht die Tatsache vereinbaren, dafs die Geschmacksempfindung so aufserordentlich schnell auf die Applikation des Reizes folgt. Der chemische Stoffwechsel und der chemische Sinn, der dem physiologischen Vorgang des Stoffwechsels vorsteht, verhalten sich eben hierin prinzipiell verschieden. Wie der y*d-Trauben-zucker s\u00fcfs schmeckt, schmeckt auch der %.1-Traubenzueker s\u00fc\u00fcs, ja selbst der y* Vi-Traubenzucker; der Geschmack dieser verschiedenen Formen ist eben nicht verschieden. Dennoch k\u00f6nnen sich alle drei Formen im normalen und auch im pathologisch ver\u00e4nderten Stoffwechsel verschieden verhalten, so zwar, dafs es gar nicht ausgeschlossen erscheinen d\u00fcrfte, dafs dem Zuckerkranken, f\u00fcr den y'd-Traubenzucker ein Gift bedeutet, dereinst im ** V - Traubenzucker oder gar im \\1-Traubenzucker ein Nahrungs- und Genufsmittel, ja ein Heilmittel ersteht.\nH\u00f6chst auffallend ist ferner die bisher ganz beispiellose Erscheinung, dafs die eine aktive Form die Qualit\u00e4t des Geschmackes der anderen Form nicht nur hinsichtlich der Intensit\u00e4t oder hinsichtlich der Modalit\u00e4t ver\u00e4ndert, sondern sogar vollst\u00e4ndig verliert, eine Beobachtung, die man bisher noch niemals, \u00fcberhaupt bei keinerlei Qualit\u00e4t der Antipoden, gemacht hat.\n1 Louis Kahlenberg 1898: \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c S. 26. Bulletin of the University of Wisconsin.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n113\nDazu kommt \u00fcberdies noch ein weiteres beispielloses Moment. Nicht einmal mehr die inaktive Form erinnert irgendwie an 'diese gustische Qualit\u00e4t, die doch die eine Aktive tats\u00e4chlich haben soll. Auch daf\u00fcr l\u00e4fst sich kein weiteres Beispiel, \u00fcberhaupt in irgend einer Qualit\u00e4t von Antipoden, angeben.\nGanz besonders aber spricht noch die Erfahrung, die man in so \u00fcberreichem Mafse in dieser Beziehung gesammelt hat, gegen diese Annahme. Denn aufser Asparagin schmecken von den bisher dargestellten, \u00fcberaus zahlreichen Verbindungen die enantiomorphen Modifikationen, wenigstens was die Qualit\u00e4t .anlangt, gleich; was die Intensit\u00e4t betrifft, so liegen keine Unter-\u00abuchungen vor. Noch niemals hat es sich ereignet, dais so regel-tn&fsig auch die Spiegelbilder in jedem einzelnen Falle in der einen Eigenschaft, n\u00e4mlich in ihrer F\u00e4higkeit der G\u00e4hrung, voneinander differieren, sich je die Geschmacksqualit\u00e4t der einen gegen\u00fcber der anderen Modifikation ge\u00e4ndert h\u00e4tte.\nNach den bisherigen Erfahrungen kann man also behaupten, dafs, mit Ausnahme des s\u00fcfsen Geschmackes von Asparagin, die Stereochemie keinerlei \u00c4nderung in den Qualit\u00e4ten des Geschm&ek-\u00abinns veranlagst.\n:\tF \u00fcr den Geruchsinn ist die F rage der stereogeometrischen\n.Beeinflussung bereits aufgeworfen worden.\nTiemann spricht schon 1 die Vermutung aus, dafs die aktiven Verbindungen intensiver riechen als die racemischen.\nFeed. Tiemann und R. Schmidt sagt* *: \u201eDie von uns anges teilten Riechproben deuten darauf hin, dafs die optisch aktiven Verbindungen der Terpengruppe allgemein etwas st\u00e4rker als ihre Tacemischen Modifikationen auf die Geruchsnerven einwirken.\u201c\nWeiter sagen die Autoren8: \u201eWir haben in einer fr\u00fcheren Mitteilung (Ber. XXIX, 694) schon einmal betont, dafs die optisch aktiven organischen Verbindungen zuweilen einen besonders Ausgepr\u00e4gten und h\u00e4ufig st\u00e4rkeren Geruch als die entsprechenden racemischen zeigen. Das gilt auch vom Rhodinol (1-Zitronellol), \u2022welches angenehm s\u00fcfslich und rosenartig riecht\n<310H20O = (CH3)2C = CH \u2022 CH2 \u2022 CH, \u25a0 C(CH3)H \u2022 CH, \u2022 CH2(OH)\n1 Ber. XXVIII, 2117, 1895.\n* \u201e\u00dcber Homolinalol* Ber. XXIX, 694, 1896.\n8 Ferd. T\u0153mann und R. Schmidt : \u201e\u00dcber die Verbindungen der Zitronellol-jeihe\u201c 1896, Ber. XXIX, 928.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\n\u00ea\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nWilhelm Sternberg.\nAuf alle F\u00e4lle schafft die stereogeometrische Konfiguration\nauch f\u00fcr die physiologische Qualit\u00e4t des Geruchsinns,' wenn \u00fcber-\n\u2022\u2022\nhaupt wesentliche \u00c4nderungen, so doch nur bez\u00fcglich der Intensit\u00e4t, jedoch niemals auch bez\u00fcglich der Modalit\u00e4t.\nEs lag daher nahe, nachzuforschen, ob nicht im Laufe der neueren Zeit dennoch Verschiedenheiten im Geschmacke enan-tiomorpher Verbindungen hervorgetreten seien.\nWas zun\u00e4chst Mannit betrifft, so ist eine Nachpr\u00fcfung seines-Geschmacks um so mehr angezeigt, als Louis Kahlenberg1 bei seinen Versuchen kaum einen s\u00fcfsen Geschmack wahrnehm en konnte.\n\u201eGreat interest attaches to the polyatomic alcohols. Of these ethyleneglycol having two hydroxyl groups and glycerine with three hydroxyl groups have a sweet taste that can readily be detected in strong solutions. Erythrite with four hydroxyl groups and mannite with six are practically tasteless; only in very-strong solutions were these substances found to be sweet.\u201c\nWas Erythrit (Erythroglucin, Phyzit) betrifft, so ist dieser vierwertige Alkohol\nOH* \u2022 (OH) \u2014 [CH \u2022 (OH)]t \u2014 CH* . (OH) in Wasser leicht l\u00f6slich und besitzt gleich allen meistwertigen Alkoholen einen deutlichen s\u00fcfsen Geschmack.\nMannit existiert nun,\nCH* \u2022 (OH) - [CH \u2022 (OH)]4 \u2014 CH* . (OH) in drei Modifikationen, die sich lediglich in den optischen Qualit\u00e4ten unterscheiden: Rechts- oder \\d-Mannit, Links- oder /1-Mannit und die Vereinigung beider, inaktiver [d +1 \u2022] \\/-Mannit.\nWas den \\d-Maniiit betrifft, so ist dies der gew\u00f6hnliche Mannit, der ziemlich verbreitet im Pflanzenreiche ist, am meisten enthalten in der Manna, dem eingedickten Safte der Manna Esche (Frainus ornus), der durch Einschnitte in den Baum erhalten wird. Die Manna, welche den Juden nach ihrer Auswanderung aus \u00c4gypten als Brot diente, fliefst, (nach Ehbenbero 1823), aus den Zweigen von Tammarix gallica var. manifera Ehbekb\u00bb (2. B. Moses, 16, V., 14, 21, 31; 4. B. Moses, II, V, 7.) Sie enth\u00e4lt nach Mitscherlich einen schleimigen Zucker, aber keinen\n1 Louis Kahlenberg 1898: \u201eThe action of solutions on the sense of taste.\u201c S. 27. Bulletin of the University of Wisconsin.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n11b\nMannit. Die den Juden vom Himmel gefallene Manna r\u00fchrt von der Mannaflechte her (Sphaerothallia esculenta Nees ab Ehrenb.), die bei massenhafter Anh\u00e4ufung einen wahren Manna-regen entstehen l\u00e4fst.\nNun hat aber Louis Kahlenberg nicht angegeben, welche von diesen drei Formen er untersucht hat, so dafs man zu der Annahme gedr\u00e4ngt ist, dafs es sich um den gew\u00f6hnlichen Mannit, also um die y* *d-Form handelt. Dieser Zucker schmeckt aber gerade sehr s\u00fcfs, wie dies auch in der Literatur angegeben ist.\nWas den \\1-Mannit betrifft, so gibt Emil Fischer1 an:\n\u201el-Mannit.14\n\u201eDer 1-Mannit ist dem gew\u00f6hnlichen Mannit wiederum sehr \u00e4hnlich, l\u00f6st sich sehr leicht in Wasser. Er schmeckt s\u00fcfs.\u201c Wie Emil Fischer ausf\u00fchrt, hat schon Kiliani h\u00f6chstwahrscheinlich das Produkt in H\u00e4nden gehabt, es aber f\u00fcr gew\u00f6hnlichen Mannit gehalten.\n\u201eDie Substanz\u201c, so beschreibt Kiliani2 sie, \u201ehat schwach s\u00fcfsen Geschmack, besitzt also alle Eigenschaften des Mannits.\u201c\nSehliefslich der inaktive Mannit, y* % [d + 1]-Mannit ist identisch mit dem synthetisch dargestellten o-Akrit\nSchon der erste Darsteller dieses K\u00f6rpers \u00e4ufsert sich folgender-mafsen8 :\n\u201eDer Zucker, Akrose, zeigt die gr\u00f6fste \u00c4hnlichkeit mit den nat\u00fcrlichen Zuckerarten. Er schmeckt s\u00fcfs.\u201c\n\u201eDas Reduktionsprodukt ist eine Verbindung von der Formel\n__ _ ' _ \u2022\u2022\nC6H1406, welche grofse \u00c4hnlichkeit mit dem Mannit hat. Das Pr\u00e4parat ist in Wasser sehr leicht l\u00f6slich und schmeckt s\u00fcfs. Wir halten die Substanz, welche wir Akrit nennen, vorl\u00e4ufig f\u00fcr die optisch inaktive Form des Mannits.\u201c\nWeiterhin gibt Emil Fischer an:\n\u201ei-Mannit (a-Akrit).\u201c\n\u201eDer i-Mannit ist identisch mit dem a-Akrit; ich habe bei\n1 Emil Fischer 1890: \u201eSynthese der Mannose und L\u00e4vulose.\u201c Chem. Ber. XXIII, S. 376.\nEmil Fischer und Josef Herschberger 1888: \u201e\u00dcber Mannose\u201c geben nichts hinsichtlich des Geschmackes von Mannit an. Chem. Ber. XXI, 1888. \u201eMannit aus Mannose\u201c.\n*\tHeinrich Kiliani 1887 : \u201e\u00dcber das Doppellakton der Metazuckersfture.\u201c Chem. Ber. XX, S. 271\u00f6.\n*\tEmil Fischer und Julius Tafel: \u201eSynthetische Versuche in der Zuckergruppe III.\u201c Chem. Ber. XXII, S. 100.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nWilhdm Sternberg.\neinem genauen Vergleich des Pr\u00e4parates mit dem i-Mannit keinen Unterschied bemerken k\u00f6nnen. Der letzte Zweifel an der Identit\u00e4t schwindet endlich durch die Verwandlung des a-Akrits in i-Mannose. Ich werde k\u00fcnftig f\u00fcr die Verbindung nur den Namen i-Mannit gebrauchen.\u201c 1\nWas nun den Zucker selbst betrifft, so ist der Geschmack \u25bcon d-Mannose s\u00fcfs und bitter.\n1-Mannose ist sehr leicht l\u00f6slich, ganz rein nicht zu erhalten, \u2022ans Mangel an reinem Material ist auch die Drehung dieses Zuckers gar nicht bestimmt worden.2 * * * 6 Er schmeckt auch s\u00fcfs. Der Liebensw\u00fcrdigkeit von Herrn Geheimrat Fischeb habe ich eine Geschmacksprobe (3. Juli 1902) zu verdanken, wof\u00fcr ich auch an dieser Stelle noch meinen Dank ausspreche. Der Geschmack ist deutlich s\u00fcfs, begleitet aber von einem bitteren Geschmack. Freilich ist der Zucker nicht rein erhalten, kristallisiert ist es \u00fcberhaupt noch gar nicht gelungen, ihn darzustellen.\nJedenfalls w\u00fcrde es sehr interessant sein, den Geschmack der kristallisierten 1-Mannose kennen zu lernen. i-Mannose ist ein farbloser Sirup.*\nIn diesem Fall ergibt sich also auch kein Geschmacksunterschied in den beiden enantiomorphen stereogeometrischen Verbindungen. Mit zwingender Notwendigkeit ist man zu der Annahme gedr\u00e4ngt, dafs s\u00fcfs und bitter nicht etwa solche Eigenschaften sind wie positiv und negativ oder wie rechts und links.\nEs ist Ch. Tanket 4 gelungen, die verschiedenen Arten ein und derselben Verbindung, die durch Multirotation voneinander differieren, f\u00fcr sich zu isolieren ; die verschiedenen Modifikationen der Glykose hat er je nach dem Grade ihrer konstanten Drehung mit a-, \u00df-, y-Glykose bezeichnet ; in der Literatur hat er gar keine Angabe \u00fcber den Geschmack dieser verschiedenen Arten der Glykose gemacht. Auf eine briefliche Anfrage erhielt ich die AntwortB, dafs der Geschmack f\u00fcr alle die verschiedenen\n1 Emil Fischeb 1890: \u201eSynthese der Mannose und L\u00e4vulose.\u201c Chem.\nBer. XXIII, S. 384.\n8 Ber. XXIII, S. 373.\n* Ber. XXIII, S. 381.\n*\u25a0 Ch. Tanket: Bulletin de la soci\u00e9t\u00e9 chimique de Paris 1895, S. 12S; 1896, S. 349.\n6 12. November 1901 : \u201eQuant \u00e0 la saveur des sucres que j'ai \u00e9tudi\u00e9s, je vous r\u00e9pondrai qu\u2019elle est la m\u00eame pour les diverses modifications d'un sucre donn\u00e9.\u201c F\u00fcr die Liebensw\u00fcrdigkeit spreche ich meinen Dank aus.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fc\u00dfen Geschmacks.\n117\nModifikationen des einen Zuckers derselbe bleibt Vier Jahre nach der Geschmackspr\u00fcfung der d-Mannose von E. Fischer hatte ich nochmals Gelegenheit nehmen d\u00fcrfen, das Pr\u00e4parat zu pr\u00fcfen. An den Wandungen des Gef\u00e4fses hatten sich einige Kristalle angesetzt Auch diese selbst hatten noch neben dem s\u00fclsen zugleich den deutlich bitteren Bei- und Nachgeschmack. Das n\u00e4mliche war der Fall bei der Geschmackspr\u00fcfung einiger Kristalle der 1-Mannose. \u2014\nWie ist nun der bittere Bei- und Nachgeschmack dieses Zuckers zu erkl\u00e4ren?\nNeuerdings ist es C. Ne\u00fcbebg1 gelungen, auch i-Mannose kristallisiert zu erhalten, und es war auffallend, dafs der Geschmack ein rein s\u00fcfser war.\n\u201eAn der w\u00e4sserigen L\u00f6sung der i-Mannose ist uns der s\u00fcfse Geschmack aufgefallen, w\u00e4hrend der von d-Mannose als zugleich bitter bezeichnet wird. Von vornherein war anzunehmen, dafs diese Verschiedenheit durch eine gr\u00f6fsere Reinheit unseres Zuckers bedingt sei, indem die Formaldehydspaltung des Manno8ehydrazons nach Rufe und Ollendorff* ein Arbeiten bei niederer Temperatur gestattet, als das Sieden mit Wasser und Benzaldehyd. Bei h\u00f6herer Temperatur entstehen aber bekanntlich leicht bitter schmeckende Produkte aus den Zuckerarten.\nImmerhin war im Hinblick auf die alte Angabe von Piutti \u00fcber den verschiedenen Geschmack der stereoisomeren Asparagine an eine Beeinflussung des Geschmackes von i-Mannose durch die Gegenwart von 1-Mannose zu denken. Doch ein Versuch mit d-Mannose lehrte uns, dafs bei gleicher Behandlung auch dieser Zucker seinen bitteren Beigeschmack verliert\nWir wollen nicht unerw\u00e4hnt lassen, dafs wir 1-Mannose nicht kristallisiert erhalten, aber angesichts der Kostbarkeit des Materials den einen darauf gerichteten Versuch nicht wiederholt haben.\u201c\nEine Geschmackspr\u00fcfung* * 8, die ich vorgenommen hatte (7. Dezember 1902), bewies tats\u00e4chlich, dafs der bittere Geschmack dieser Pr\u00e4parate verschwunden war. Mir selber erschien die\n1 C. Ne\u00fcbbbo und P. Mates: \u201e\u00dcber kristallisierte i-Mannose\u201c 1903.\nHoppe-S ey 1er s Zeitsehr. f. phys. Chemie, S. 545.\n8 Otto Ruff und Gbbhabd Ollxndobff : \u201eVerfahren f\u00fcr Reindarstellung und Trennung von Zuckern.\u201c Ber. XXXII, 8. 3234 (899).\n* F\u00fcr die liebensw\u00fcrdige \u00dcberlassung spreche ich den Herren Nbubsba und Mates meinen Dank aus.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nWilhelm Sternberg.\nd-Mannose von Ekenstein zwar s\u00fcfser, aber der bittere Geschmack fehlte g\u00e4nzlich der nach dem Ru irschen Verfahren hergestellten d-Mannose.\nDamit ist nun unstreitig bewiesen, dafs auch d-Mannose hinsichtlich des Geschmackes in keinerlei Hinsicht als eine Ausnahme zu betrachten ist. Diese Erfahrung n\u00f6tigt also auch nicht zur Aufstellung einer anderen Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Zustandekommen des s\u00fcfsen Geschmackes, sondern ist eher geeignet, eine Nachpr\u00fcfung \u00e4hnlicher vermeintlicher Ausnahmen zu veranlassen, vor allem diejenige von Asparagin.\nEine weitere Ausnahme ist hier nun noch zu erw\u00e4hnen, da sie die Zuckergruppe betrifft, die Angabe der Geschmacklosigkeit des Dulcit.\n\u201eThe taste of a sample of dulcite\u201c, sagt Louis Kahlenbebg 1, \u201ewas pronounced to be nil even in the strongest solutions, while isodulcite and sorbite were found to be slightly sweet.\u201c\nEs ist nun aber der den Zuckern so nahestehende Alkohol Dulcit, Melampyrin\nCH2 \u2022 (OH) [CH \u2022 (OH)]4 \u2022 CHa \u2022 (OH),\nwiewohl er sich in Wasser schwerer als Mannit l\u00f6st, von ent-schiedem s\u00fcfslichem Geschmack.\n\u201eNach diesen Versuchen\u201c, sagt Gilmeb2, \u201eist eine \u00dcbereinstimmung in der Zusammensetzung, den Zersetzungsprodukten und den Verbindungen des Melampyrins und des von Laubent \u201eDulcose\u201c, von Jacquelain \u201eDulcine\u201c, jetzt gew\u00f6hnlich \u201eDulcit\u201c genannten K\u00f6rpers, der einmal im Jahre 1848 in grofsen Knollen unbekannter Abkunft von Madagaskar nach Paris eingef\u00fchrt wurde, nicht zu verkennen. Hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften ist kein merklicher Unterschied beider K\u00f6rper zu bemerken. Beide bilden farblose durchsichtige Kristalle von schwach s\u00fcfsem Geschmack.\u201c\nNun ist aber an dieser Stelle noch ein besonderer Zucker zu erw\u00e4hnen, dessen abweichender Geschmack bisher in der\nV\nPhysiologie noch nicht hervorgehoben ist Rhamnose verbindet n\u00e4mlich mit dem s\u00fcfsen Geschmack zugleich den bitteren. Fischeb\n1 Louis Kahlenbebg 1898: \u201eThe action of solutions on the sense of taste,\u201c 8. 27. Bulletin of the University of Wisconsin.\n* Dr. Ludwig Gilmeb 1862: \u201e\u00dcber die Identit\u00e4t von Melampyrin und Dulcit.\u201c Liebigs Annal. 123. Auszug aus seiner Inaugural - Dissertation. T\u00fcbingen 1862.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n119\nsagt von dem Geschmack1 dieses Zuckers, dafs er \u201ezwar s\u00fcfs aber zugleich schwach bitter schmeckt\u201c.\nDie Angaben \u00fcber den Geschmack seiner Stereoisomeren sind folgende:\nIsodulcit C6H14Oa schmeckt2 sehr s\u00fcfs.\nQuercitrinzucker schmeckt sehr s\u00fcfs.\n\u201eEs ist bemerkenswert\u201c, sagen vom Quercitrinzucker die Autoren3, \u201ewie leicht und sch\u00f6n er kristallisiert. Die Kristalle krachen zwischen den Z\u00e4hnen und schmecken s\u00fcfser als Traubenzucker.\u201c\nVon C h i n o v o s e ist angegeben 4 : \u201eDer Zucker (ein Sirup) hat einen s\u00fcfsen und zugleich etwas bitteren Geschmack, er l\u00f6st sich leicht in Wasser.\u201c\nVordem hat Liebermann angegeben : \u201eDer Zucker (Hlasiwetz\u2019 sogenannter Chinovinzucker) schmeckt s\u00fcfs, aber hinterher stark bitter.\u201c 5\nDie Verschiedenheit der Substanz von den gew\u00f6hnlichen Zuckerarten, schon hinsichtlich des Geschmackes, hatte O\u00fcdemans veranlafst, ihr den Namen \u201eChinovit\u201c beizulegen, ein Vorschlag, der auch von Liebermann dann akzeptiert worden ist.\nSo gibt Liebermann an:\n\u201eChinovit. So will ich mit O\u00fcdemans den Chinovinzucker nennen, dessen hervorragende Bitterkeit mit dem bisherigen Namen in allzuschlechtem Einklang steht. CaH1204.\u201c 6\n1 Chem. Ber. XXVI, 1893, S. 2409.\n*\t0. Libbermann und O. H\u00f6bmann 1879: \u201e\u00dcber die Farbstoffe und den Glykosidzucker der Gelbbeeren.\u201c A. 196, 299 und 323. Isodulcit C0H1AOa\n\u201eAuch wir beobachteten, als wir eine alkoholische L\u00f6sung des Zuckers im Exsikkator aber HaSOA verdunsten liefsen, dafs er zu einer sehr s\u00fcfsen, amorphen glasartigen Substanz eintr\u00f6cknete.\u201c \u201eIn wenig Wasser gel\u00f6st erhielten wir ihn in Kristallen, die sp\u00e4ter immer sehr leicht und in vorz\u00fcglicher Ausbildung gewonnen werden konnten.\u201c\nW. Will 1886: \u201e\u00dcber das Naringin.\u201c Chem. Ber. XVIII, 8. 1316. Isodulcit: \u201eAuf diese Weise erh\u00e4lt man sch\u00f6ne, gl\u00e4nzende, stark s\u00fcfs schmeckende Kristalle.\u201c\n*\tHlasiwetz und Pfa\u00fcndlen 1863 : \u201e\u00dcber den Quercitrinzucker.\u201c A. 127, S. 363.\n4 E. Fische\u00bb und C. Libbbbmann 1893: \u201e\u00dcber Chinovose und Chinovit\u201c Chem. Ber. XXVI, S. 2416.\n\u00ae C. Libbebmann und T. Giesel 1883: \u201e\u00dcber Chinovin und Chino va-s\u00e4ure.\u201c Chem. Ber. XVI, S. 936.\n*\tC. Likbebmann 1884 Chem. Ber. XVII, 872 \u201e\u00dcber die Chinovingruppe.\u201c","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nWilhelm Sternberg.\nAcetylchinoyit CaH90 (0C2H30)2 ist geschmacklos; in Wasser unl\u00f6slich, zersetzt er sich in Chiuovit und Essigs\u00e4ure. \u201eDer so erhaltene Chinovit konnte auch nach acht Monaten nicht kristallisiert erhalten werden, freilich hatte er viel von seinem bitteren Geschmack verloren.\u201c 1 * *\nEmil Fischer- stellt dann schliefslich mit Liebermann fest, dafs der Chinovit isomer mit Rhamnose ist\nC\u00e4H120, = CHj[CH \u2022 (OH)]4 \u2022 COH Was die Glykoside dieses Zuckers betrifft, so schmeckt Methylrhamnosid nicht nur als Sirup8 bitter, sondern auch im kristallisierten Zustand bitter4 *, w\u00e4hrend alle \u00fcbrigen Methylglykoside s\u00fcfs schmecken, wie z. B.\ndie *\u00df Methyl -1 - Glykoside C8HnOe*CH8,\ndie ^ Methyl - d - Glykoside,\ndie *\u00df Methyl - i - Glykoside.\nEbenso schmeckt\nMethylglukoheptosid6 C7HJ807 \u2022 CH3 u. a.\ns\u00fcfs.\n\u2022\u2022\nHinwiederum beh\u00e4lt auch noch das Athylglykosid der\nRhamnose den bitteren Beigeschmack bei.\n\u201eW\u00e4hrend* die Methylderivate des Traubenzuckers und\nd-Arabinose in reinem Zustand noch s\u00fcfs sind, zeigt den bitteren\n*\u00bb ___________________\nGeschmack die Verbindung des \u00c4thylalkohols mit der Rhamnose.\u201c Vom a-\u00c4thylglykosid7 C#HnOfl \u2022 C2H5 ist angegeben, dafs er s\u00fcfs schmeckt.\n\u00c4thylrhamno9id8 \u201ewurde bisher nicht kristallisiert gewonnen\u201c, und hat \u201eeinen stark anhaltenden bitteren Geschmack\u201c. \u201eMan k\u00f6nnte vermuten\u201c, sagt Emil Fischer9, \u201edafs der letztere von einer Verunreinigung herr\u00fchre. Da aber schon die Rhamnose\n1 8. \u00ab75.\n8 Chem. Ber. XXVI, 1893, 8. 2418.\n* Ber. XXVII, S. 2410.\n4 Ber. XXVIII, S. 1169.\nB Ber. XXVIII, S. 1157.\n6\tEmil Fischer 1893. Ber. XXVI, 8. 2401.\n7\tBer. XXVIII, 1154.\n8\tEmil Fischer, Ber. XXVI, 2409 u. 2410.\n9\tBel Fischer, XXVI, 8. 2401.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n121\nselbst zwar s\u00fcfs, aber zugleich schwach bitter schmeckt, da ferner das Rhamnosid keineswegs den Eindruck eines Gemisches macht, so glaube ich, dafs die Bitterkeit der Verbindung selbst eigent\u00fcmlich ist\u201c\n\u201eDas Methylrhamnosid zeigt ganz genau dasselbe Verhalten.\u201c\nUm so auffallender mufs aber der bittere Beigeschmack: dieser Verbindungen erscheinen, da folgende Verbindungen s\u00fcfs schmecken.\nR h a m n i t1 schmeckt s\u00fcfs,\nCH, [CH \u2022 (OH)]4 \u2022 CHa \u2022 OH\nRhamnohexose 2 rein s\u00fcfs\nCH8[CH - (OH)], \u2022 COH.\n\u201eDie w\u00e4sserige L\u00f6sung schmeckt rein s\u00fcfs. Sie unterscheidet\nsich yon der Rhamnose, die wasserfreiem Sirup ist und die im\n__ \u2022 kristallisierten Zustand die wasserreichere Formel CaH140, besitzt.\u201c\nRhamnoheptose8 s\u00fcfs\nCH8[CH \u2022 (OH)], \u2022 COH.\nSie ist ein farbloser, s\u00fcfs schmeckender Sirup.\nVon Rhamnooctose ist der Geschmack nicht angegeben\nEbenso schmecken die entsprechenden Stereoisomeren rein s\u00fcfs.\nAlkohol 1 1\tRhamnit rein s\u00fcfs 1\tArabit s\u00fcfs\n\ti sifs und bitter:\t:\tsfLf\u00a7:\t\nZucker\tRhamnose CH,[CH(OH)J4COH = ch,c6h,o5\tMethylarabinosid CH, \u2022 C5H\u00ae05\n! + 1\t1 Methlrhamnosid\tAthylarabinosid C.H. C,H,0\u00bb\tj\tC,H\u00bb-C,H,0\u00bb\t\nGlucoside !\t\u00c4thylrhamnosid C,H, \u25a0 C,H,05\tPropylarabinosid\n1 1 Rhamnohexose rein s\u00fcfs 1 ;\tCH, [CHtOHj^COH\t\tMethylglukoheptosid s\u00fcfs CH, - Cl7H|,07\n\n1 Ber. XXIII, 18\u00a30, 3103 : \u201e\u00dcber C-reichere Zuckerarten aus Rhamnose.\u201c\n*\t8. 3105.\n*\t8. 3107.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nWilhelm Sternberg.\nFreilich Acetonrhamnosid1 schmeckt bitter. Aber auch Glukosediaceton schmeckt bitter und Fruktosediaceton.2\nDie bei dem Beispiel der d-Mannose gemachten Erfahrungen haben gelehrt, dafs der bittere Geschmack sich mit der Reinheit der Zuckers verliert. Es ist vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, dafs sich auch diese wenigen Ausnahmef\u00e4lle sp\u00e4ter auf diese Weise erkl\u00e4ren lassen k\u00f6nnen.\nAllein der Verschiedenheit im Geschmack einer Verbindung gegen\u00fcber ihrem Methyl - Derivat reiht sich noch eine weitere \u00e4hnliche Beobachtung an.\nDer Liebensw\u00fcrdigkeit von H. Geh. Ehrlich in Frankfurt a. M. habe ich die Kenntnis und eine Geschmacksprobe (31. M\u00e4rz 1903) von zwei ganz neuen Verbindungen zu verdanken, die H. Dr. ehern. Arthur Weinberg in Frankfurt a. M. dargestellt hat Ich nehme auch hier Gelegenheit diesen Herren meinen ehrerbietigsten Dank auszusprechen. Diese\nPr\u00e4parate sind Amidokresol\u00e4ther. Der Methyl\u00e4ther schmeckt gar\n\u2022*\nnicht s\u00fcfs, ist geschmacklos, w\u00e4hrend der entsprechende Athyl-\u00e4ther intensiv s\u00fcfs schmeckt.\nCH,\nA\nVNH*\nO-CHj a.\nnicht s\u00fcfs;\nWorauf diese Eigent\u00fcmlichkeit zu beziehen ist, l\u00e4fst sich schon aus dem Grunde nicht beurteilen, da \u00fcber die physikalischen Eigenschaften, zumal \u00fcber die L\u00f6slichkeitsverh\u00e4ltnisse beider K\u00f6rper noch nichts bekannt ist. Ehrlich ist aber geneigt, den s\u00fcfsen Geschmack auf die Gegenwart der \u00c4thylgruppe in Molek\u00fcl zu beziehen. Er findet eine St\u00fctze dieser Annahme in der Tatsache, dafs\nPhenyl - U\tgeschmacklos,\nCH,\nA.\nVNH*\nOCH,\nI\nCH,\nb.\nintensiv sQfs.\n1 Ber. XXVIII, 8. 1163.\n8 Emil Fischkb 1895. Ber. XXVIII, S. 1145. \u201e\u00dcber die Verbindungen der Zucker mit Alkoholen und Ketonen.\u201c","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n123\n+\nMethoxy - Phenyl - U\tgeschmacklos, aber\n(Anisol * Carbomid CH8)\n..\t-f-\nAthoxy - Phenyl - U\tvon s\u00fcfsem Geschmack ist.\n(p. Phenetyl- Carbamid, C8H6)\nEs ist also\nCeHa \u2014 NH \u2014 CO \u2014 NH2 geschmacklos,\nCH8 \u2022 O \u25a0 C\u201eH4 \u2014 NH \u2014 CO \u2014 NHj geschmacklos, p. C.,H8 \u2022 O \u2022 CflHj \u2014 NH \u2014 CO \u2014 NH^ von s\u00fcfsem Geschmack.\nDaher nimmt Ehelich 1 an, dafs der s\u00fcfse Geschmack \u00fcber-\n\u25a0 \u00bb\nhaupt auf eine Funktion der Athylgruppe zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Wie in vielen Beispielen die \u00c4thylgruppe in chemischen Verbindungen durch eine physiologische Wirkung, speziell durch eine pharmakologische Beeinflussung des zentralen Nervensystems bevorzugt ist, soll sich hierin auch die Wirkung auf die peripheren Nervenendigungen der Zunge kund tun.\n\u201eWir werden wohl nicht fehl gehen\u201c, sagt Ehelich, \u201ewenn wir annehmen, dafs die \u00c4thylgruppe in einem gewissen Konnex zum Nervensystem treten mufs.\u201c\nAllein die bisherigen auf diesem Gebiete gesammelten Erfahrungen haben niemals einen regelm\u00e4fsigen Unterschied im Geschmack der \u00c4thylverbindungen im Vergleich zu den \u00e4hn* liehen Verbindungen ergeben; im Gegenteil, es war regelm\u00e4fsig beiden Reihen stets die n\u00e4mliche Geschmacksqualit\u00e4t zu eigen, sogar dermafsen, dafs diese wenigen Beispiele als h\u00f6chst seltene und seltsame Ausnahmen zu gelten haben und wegen ihrer beispiellosen Erscheinung sogar aufs h\u00f6chste auffallend erscheinen m\u00fcssen. Um so befremdender mufs aber diese ihre Ausnahmestellung von der Regel angesehen werden, als dem s\u00fcfsen Geschmacke der einen Verbindung die v\u00f6llige Geschmacklosigkeit der verwandten Verbindung gegen\u00fcbersteht. Die bisherigen Beobachtungen haben stets zu der Erfahrung gef\u00fchrt, dafs geringf\u00fcgige \u00c4nderungen im Chemismus einer s\u00fcfs schmeckenden Verbindung gerade die diametral entgegengesetzte Qualit\u00e4t bedingen,\n1 P. Ehelich: \u201e\u00dcber die Beziehungen von chemischer Konstitution, Verteilung und pharmakologischer Wirkung.\u201c Vortrag im Verein f\u00fcr innere Medizin 12. Dezember 1898.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nWilhelm Sternberg.\ndie bittere. Wenn auch die s\u00fcfse und die bittere Geschmacksqualit\u00e4t nicht polare Eigenschaften darstellen, so steht doch dem s\u00fcfsenden Prinzip im Objekt das den bitteren Geschmack verursachende Prinzip in dem Objekt der chemischen Materie gegen\u00fcber; in dem Objekt entsprechen diese beiden Modalit\u00e4ten einander ebenso, und liegen die Prinzipien in demselben Mafse nahe bei einander, wie die subjektivischen Empfindungen der diametral entgegengesetzten Geschm\u00e4cke: s\u00fcfs und bitter voneinander entfernt liegen. Aus diesem Grunde kann schon der Gegen\u00fcberstellung einer Substanz von s\u00fcfsem Geschmack mit einer anderen, deren Geschmack vollst\u00e4ndig beseitigt ist, weniger das fragliche Moment hervortreten lassen als der Vergleich der s\u00fcfs schmeckenden mit der entsprechenden Verbindung von bitterem Geschmack. Aus diesem Grunde ist auch die Gegen\u00fcberstellung des s\u00fcfsen Geschmackes der einen aktiven Form von Asparagin und der anderen Form bei gleichzeitiger Annahme der Geschmacklosigkeit weniger beweisend, als vielmehr auffallend geradezu und im Gegenteil zu weiterer Nachpr\u00fcfung eher auffordernd.\nFerner hat sich aber auch aus den Betrachtungen \u00fcber die Beziehungen des Geschmackes mit dem stereogeometrischen Bau. des Molek\u00fcls ergeben, dafs sich die Einwirkung einer Verbindung auf die Geschmacksnerven sogar prinzipiell verschieden zeigen kann von der allgemeinen somatodynamen Wirkung, von dem Verhalten in Beziehung auf den Stoffwechsel oder sonstige physiologische und pharmakologische Reaktionen.\nDie Schlufsfolgerung Ehrlichs fordert zu einer Betrachtung der Beziehungen des Chemismus zur sinnlichen Geschmacksempfindung einerseits und zur somatodynamen Wirkung andererseits auf, wenn hiermit die allgemeinste Bezeichnung f\u00fcr irgend eine Wirkung auf unseren Organismus, im weitesten Sinne, in bezug auf Stoffwechsel, physiologische oder pharmakologische, toxische Beeinflussung gegeben werden kann. Zusammenhang von chemischer Konstitution und Geschmack einerseits, speziell \u00a7\u00fcfsen Geschmack, andererseits derjenige von Chemismus und somatodynamer Wirkung sind durchaus nicht identisch, gehen nicht einmal parallel einher. Deshalb kann auch nicht die Wirkung des ad\u00e4quaten Reizes auf das Sinnesorgan des Geschmackes einfach als chemische Reaktion aufgefafst werden. Der Schlufs, den Ehrlich zieht, darf daher bezweifelt werden*","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n125\nIch wenigstens glaube auch noch, aus den Tatsachen den ent* gegengesetzten Schlufs ziehen zu m\u00fcssen.\nIm allgemeinen sind es gerade die indifferenten, chemisch-und physiologisch-neutralen K\u00f6rper, die den s\u00fcfsen Geschmack besitzen. Erlangen die Verbindungen in chemischer oder in physiologischer Hinsicht durch verh\u00e4ltnism&fsig nur geringf\u00fcgige Ver\u00e4nderungen einen ausgepr\u00e4gten Charakter, so verlieren sie damit gew\u00f6hnlich den s\u00fc&en Geschmack. Ja, Gifte und spezielle Nervengifte, sowie die Heilmittel von entschiedener Wirkung, besitzen meist den diametral entgegengesetzten, den bitteren Geschmack.\nKennt doch jeder \u00e4rztliche Praktiker zur Gen\u00fcge die nicht geringen Schwierigkeiten, die lediglich wegen des Geschmackes der Heilmittel zu \u00fcberwinden sind, und die geschickten Kunstgriffe, die erforderlich sind, die Arzneien selbst dem intelligentesten Kranken beizubringen. Nicht nur in der Kinderpraxis spielt daher die Anwendung der Geschmackskorrigentien eine grofse Rolle, sondern sogar in der Veterin\u00e4rmedizin. Die Heilmittel erregen eben so ausnahmslos einen oder selbst mehrere h\u00f6chst unangenehme Geschmacksempfindungen, dafs die M\u00f6glichkeit des Naschens von Arznei seitens der Kinder1 oder gen\u00e4schiger Haustiere, wie z. B. der Katze, nicht nur jedem ausgeschlossen, sondern geradezu l\u00e4cherlich erscheinen mufs. Wenn dem Geschmack der neueren Arzneimittel, die die moderne r\u00fchrige Industrie tagt\u00e4glich so reichlich auf den Markt bringt, der Euphemismus der Chemiker die stereotype Empfehlung gibt, \u201edas neue Mittel sei fast geschmacklos\u201c, so fordert dieser Optimismus der Produzenten in demselhen Mafse wie die Feinheit, die der Geschmackssinn sich selbst in Krankheiten noch bewahrt, die Bewunderung der \u00e4rztlichen Praktiker heraus. S\u00fcfse Gifte, selbst geschmacklose Gifte geh\u00f6ren zu den gr\u00f6fsten Seltenheiten. Von den Nahrungs- und Genufsmitteln ist es sogar auffallend,\n1 Die Warnung, die Dr. Feeb-Basel gibt, ist gewifs recht selten. (Zur Bromoformbehandlung des Keuchhustens. \u2014 Von Dr. Feeb-Basel. \u2014 Korresp.-Bl. f\u00fcr Schweizer Arzte 19\u201499. Den Angeh\u00f6rigen mufs dringend eingesch\u00e4rft werden, das Bromoform aufserhalb des Bereichs der Kinder wohl verschlossen aufzubewahren. Es ereignet sich n\u00e4mlich nicht selten, dafs die Kinder das Mittel seines starken, s\u00fcfsen Geruchs wegen sehr lieben und davon zu naschen suchen. Fast s\u00e4mtliche Intoxikationen sind durch Naschen entstanden.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nWilhelm Sternberg.\ndafs die drei Klassen Eiweifs, Fett und Amylum g\u00e4nzlich des Geschmackes entbehren, um so mehr, als s\u00e4mtliche drei Reihen je einen S\u00fcfsstoff im Molek\u00fcl beherbergen, der verh\u00e4ltnism\u00e4fsig schnell durch den Stoffwechsel entbunden wird, n\u00e4mlich nebst Zucker die s\u00fcfsen Amidos\u00e4uren einmal, sowie Olstifs und schliefslich Muskelzucker.\nAm eklatantesten tritt das Verh\u00e4ltnis von chemischer Konstitution zur Einwirkung auf das Sinnesorgan des Geschmackes einerseits, auf den \u00fcbrigen K\u00f6rper andererseits, wohl bei der Betrachtung der a-, /?-, y- Aminobutters\u00e4uren hervor. Ich hatte ihren Geschmack gepr\u00fcft und ihre Wirkung1, die mich zu der Annahme f\u00fchrte, dafs die \u00df- Aminobutters\u00e4ure die Giftwirkung des Coma diabeticum bedinge. Zudem sind sie die einzigen entsprechenden Reihen, deren s\u00e4mtliche Glieder verh\u00e4ltnism\u00e4fsig leicht darzustellen sind, so dafs ihre vollst\u00e4ndige Vergleichung in beiden Beziehungen erm\u00f6glicht wurde.\nDie Verschiedenheit des Geschmackes der drei S\u00e4uren war so auffallend, dafs dieses Beispiel gerade Veranlassung zu den Betrachtungen \u00fcber Geschmack und Chemismus gab.2 *\nIn bezug auf ihren Geschmack \u00e4ufserte sich sp\u00e4ter Emil Fischer :8\n\u201eS\u00fcfs4 * schmecken alle von mir gepr\u00fcften einfachen a-Aminos\u00e4uren der aliphatischen Reihe (vgl. W. Sternberg , Chem. Zentralblatt 1899, 2, S. 58). Kostet man die festen Substanzen, so ist die Empfindung, wie leicht begreiflich, schw\u00e4cher bei den schweren l\u00f6slichen Produkten. Bekannt ist der s\u00fcfse Geschmack beim Glykokoll, Alanin, Leucin. Ich f\u00fchre dann weiter noch als von mir gepr\u00fcft an: Synthetische a - Aminobutters\u00e4ure . ..\n\u201eBei den \u00df- Aminos\u00e4uren tritt der s\u00fcfse Geschmack zur\u00fcck; denn die \u00df- Aminobutters\u00e4ure ist fast geschmacklos.\u201c\n\u201eDie einzige y-Aminos\u00e4ure, die mir zur Verf\u00fcgung stand, die y - Aminobutters\u00e4ure, ist gar nicht mehr s\u00fcfs, sondern hat nur einen schwachen, faden Geschmack.\u201c\n1\t\u201eChemisches und Experimentelles zur Lehre vom Coma diabeticum.\u201c Zeit8chr. f. klin. Medizin 1899, S. 75 ff. u. 83.\n2\t1898: \u201eBeziehungen zwischen dem chemischen Bati der s\u00fcfs und bitter schmeckenden Substanzen und ihrer Eigenschaft zu schmecken.\u201c S. 467. Engelmanns Archiv f\u00fcr Physiologie.\n8 Emil Fischer 1902. Cehm. Ber. XXXV.\n4 Emil Fischer 1902: \u201e\u00dcber eine neue Aminos\u00e4ure aus Leim.\u201c Ber.\nd. deutschen chemischen Gesellschaft XXXV, S. 2660.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fc\u00dfen Geschmacks.\n127\nNach meinen Geschmackspr\u00fcfungen ist der Geschmack der a- Aminobutters\u00e4ure s\u00fcfs1, \u00df - Aminobutters\u00e4ure bitter, y-Aminobutters\u00e4ure ist aber geschmacklos.\nIn bezug auf die physiologische Wirkung dieser S\u00e4uren ergaben die experimentellen Untersuchungen folgendes:\nDie Partialcharaktere kommen im Molek\u00fcl der /S-Amido-butters\u00e4ure zur Wirkung, den beiden entgegengesetzten Atomkomplexen im Molek\u00fcl kommen di\u00a9 beiden entgegengesetzten physiologischen Wirkungen zu : n\u00e4mlich der stark elektropositiven, stark basischen, Amidogruppe die exzitierende Wirkung des. Respirationszentrums, w\u00e4hrend die elektronegative, saure, Gruppe der Butters\u00e4ure ihre urspr\u00fcngliche narkotische Wirkung beibeh\u00e4lt.\nDiese Kombination der entgegengesetzten physiologischen Wirkungen, hervorgebracht durch die entgegengesetzten Atomkomplexe, kann nicht bei allen Amidobutters\u00e4uren eintreten, sondern mufs gerade auf die \u00df- Amidobutters\u00e4ure allein beschr\u00e4nkt bleiben; nicht die Anwesenheit der beiden Atomengruppen an sich ist es, die gen\u00fcgt, sondern die ganz bestimmte geometrische Lage derselben zu einander ist dazu erforderlich.\nIn der a - Stellung CHa\tstehen die beiden Gruppen\nCH3\nCH \u2014 (NH,)\nCOH\nzu nahe aneinander, um ihre Selbst\u00e4ndigkeit in der physiologischen Wirkung hervortreten zu lassen; sie heben sich gegenseitig auf,, was sich durch den s\u00fcfsen Geschmack offenbart. Das Prinzip der s\u00fcfsenden Eigenschaft aller s\u00fcfsenden Substanzen beruht, wie ich annehme, auf diesem Ausgleich der entgegengesetzten Gruppen; das ist der Grund, warum die S\u00fcfsmittel s\u00e4mtlich die entgegengesetzten Gruppen in der vicinalen v- Stellung, also in der o- bzw. \u00ab-Stellung haben.\nUmgekehrt kann man aus dem s\u00fcfsen Geschmack auf einen gewissen Ausgleich schliefsen, so dafs die Annahme des physiologischen Ausgleiches der einander sehr nahestehenden Gruppen wahrscheinlich ist.\n1 En\u00f6blmanns Archiv 1898 und 1899. Zeit sehr. f. klin. Medizin.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nWilhelm Sternberg.\nAuch in der y - Amidobutters\u00e4ure\nCHa \u2014 CHa\n/\t\\\nCO\tCH.,\nI\t! '\nOH\tNH,\ny \u2022 (NHt) \u2022 IV.\nstehen die Gruppen noch a$hr nahe, wie die geometrigche Betrachtung des Molek\u00fcls ergibt, und die Leichtigkeit beweist, mit \u2022der die Laktonbildung vor sich geht\nErst in der \u00df- Stellung sind die beiden Atom gruppen meist m\u00f6glich entfernt r\u00e4umlich, so dafs sie, gegenseitig am wenigsten durcheinander beeinflufst, ihre physiologischen Einzel Wirkungen zur Entfaltung bringen k\u00f6nnen; also allein der \u00df-Amidohutter-e\u00e4ure mufs diese typische physiologische Wirkung -Vorbehalten sein.\nSomit ist also\na- Aminobutters\u00e4ure ungiftig und schmeckt s\u00fcfs,\nCH3 \u2014 CH, \u2014 CH . (NH,) \u2014 COOH\n\u00df- Aminobutters\u00e4ure hingegen giftig und schmeckt bitter, wie alle Gifte,\nCH, \u2014 CH(NHa) \u2014 CH, \u2014 COOH\ny - Aminobutters\u00e4ure ungiftig und geschmacklos CH, \u2022 (NH,) \u2014 CH, \u2014 CH, - COOH.\nW\u00e4hrend die in der a- und y-Stellung amidierten Butter-s\u00e4uren ungiftig sind, ist gerade die \u00df-Stellung derart ausgezeichnet, dafs die /?-amidierte Fetts\u00e4ure der vierten Reihe ein dem Coma diabeticum \u00e4hnliches Symptomenbild hervorruft Von allen Amidobutters\u00e4uren ist also nur die eine giftig, in der die beiden ebenso in chemischer wie physiologischer Hinsicht diametral entgegengesetzten Gruppen am weitesten r\u00e4umlich voneinander entfernt sind und demzufolge am wenigsten ihre Funktionen gegenseitig beeinflussen k\u00f6nnen.\nUngiftig sind die beiden anderen S\u00e4uren, in deren Molek\u00fcl die Gruppen einander recht nahe stehen : die a- und auch die y-amidierte S\u00e4ure. Von diesen beiden ungiftigen Verbindungen schmeckt jedoch nur eine einzige, die a-Form s\u00fcfs, also diejenige Form, die im Molek\u00fcl die beiden Gruppen r\u00e4umlich am","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"A\nZur Physiologie des s\u00fc\u00dfen Geschmacks.\n129\nallern\u00e4chsten enth\u00e4lt. Im Molek\u00fcl der y- Amidobutters\u00e4ure ist die Stellung der entgegengesetzten Gruppen immerhin noch eine nahe, so nahe, dafs sie sich gegenseitig dermafsen beeinflussen, um die physiologische selbst\u00e4ndige Beeinflussung der Gruppen auf den Organismus ausschliefsen zu k\u00f6nnen. Dennoch reicht dieser gegenseitige Einflufs noch nicht hin, um den s\u00fcfsen Geschmack zu bedingen.\nDer Chemismus f\u00fcr die somatodynamen Wirkungen d. h. f\u00fcr die Wirkung auf das Sinnesorgan des Geschmackes und f\u00fcr die Wirkung auf den Organismus ist also durchaus nicht identisch. Zum Zustandekommen des s\u00fcfsen Geschmackes m\u00fcssen die Teile im Molek\u00fcl r\u00e4umlich m\u00f6glichst nahe einander gen\u00e4hert sein. Daher sind es gerade die in chemischer und physiologischer Hinsicht indifferenten K\u00f6rper, die den s\u00fcfsen Geschmack besitzen. Gerade umgekehrt m\u00fcssen zum Zustandekommen einer physiologisch-pharmakologischen Wirkung die Teile im Molek\u00fcl r\u00e4umlich m\u00f6glichst weit voneinander entfernt sein. Die die Doppelnatur bedingenden Teile von ganz entgegengesetztem Charakter besitzen alle Aminos\u00e4uren; das ist der Grund daf\u00fcr, dafs diese S\u00e4uren die einzigen S\u00e4uren sind, die nicht mehr sauer schmecken. Allein diese Doppelnatur, welche allen s\u00fcfs schmeckenden Verbindungen eigen ist, ist wohl eine, aber nicht die einzige Bedingung zum Zustandekommen des s\u00fcfsen Geschmackes. Daher schmecken von den Aminos\u00e4uren nur die a - Eormen s\u00fcfs ; selbst Methylaminobutters\u00e4ure schmeckt noch s\u00fcfs.\nEs l\u00e4fst daher der s\u00fcfse Geschmack einer Verbindung, meines Erachtens, die EHRLiCHsche Erkl\u00e4rung gar nicht zu. Die Eigenschaft des s\u00fcfsen Geschmackes einer chemischen Verbindung und jede pharmakologische Wirkung, speziell auf das Nervensystem, 8chliefsen sich sogar gew\u00f6hnlich aus. Darum kann man aus dem s\u00fcfsen Geschmack einer chemischen Verbindung meist sogar den entgegengesetzten Schlufs ziehen, n\u00e4mlich den, dafs dieser chemischen Verbindung auch eine gewisse physiologische Indifferenz eigen ist\nEs enth\u00e4lt nun vollends die Reihe der Harnstoffk\u00f6rper, die Ehrlich zum Vergleich heranzieht, auch noch einen S\u00fcfsstoff, sogar von hervorragender S\u00fcfskraft, in dem die \u00c4thylgruppen vollst\u00e4ndig fehlen, hingegen die Methylgruppen mehrfach vertreten sind.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie S\u00e4,\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nWilkdm Sternberg.\nU, zun\u00e4chst einmal selber, ist nicht geschmacklos, wie oft angegeben wird, sondern schmeckt deutlich bitter,\nNH, \u2014CO \u2014 NH*, aber \u00ab \u2014 a Dimethylharnstofi 1\nNH*\n/\nNH* \u2014 CO \u2014 N< CH,), == CO\n\\ /CH*\nN\\\nCH,\nschmeckt sehr s\u00fcfs.\nImido * Bernsteins\u00e4ure - Ester schmeckt bitter\nCOOH\nI\nCHX\n* l }nh\nCH7\nCOO \u2022 CSH\u201e\nw\u00e4hrend Imido - Succinamins\u00e4ure - \u00c4thylester\nCO - NH2\nI\nCH v\nI )nh\nCH7\nI\nCOO. CfH5\ns\u00f6ls schmeckt. W\u00e4hrend die einmalige Methylierung diesen s\u00fcfsen Geschmack nicht zum Verschwinden bringt, fuhrt die \u00c4thylierung die Geschmacklosigkeit herbei.\nErw\u00e4hnung d\u00fcrfen hier noch folgende K\u00f6rper finden: Biuret- Allophans\u00e4ure - Amid\nNH* \u2014 CO \u2014 NH \u2014 CO \u2014 NH*\nschmeckt bitter,\nMethylthiobiuret intensiv bitter\nNH(CH8) \u2022 CO \u2022 NH \u2022 CS \u2022 NH*, a - \u00c4thylthiobiuret schmeckt intensiv bitter NH(C*Ha) \u2022 CO \u2022 NH \u2022 CS \u2022 NH*\n1 Recueil des travaux chimiques des Pays Bas.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie des s\u00fcfsen Geschmacks.\n131\na - Methyl dithiobiuret\nNH(CH8) \u25a0 CS \u2022 NH - CS \u2022 NH*\nintensiv bitter.\n\u2022 \u2022\nAthylenthioharnstoff\nNH\n/ \\\nCS\\ /CaH4 NH\nschmeckt \u00e4ufserst bitter. '\nGerade diese Reihen der N-haltigen S\u00fcfsstofPe, die ich als die dritte Gruppe aller S\u00fcfsmittel aufgef\u00fchrt habe, bed\u00fcrfen jedenfalls noch so sehr der Vervollst\u00e4ndigung, dafs ein endg\u00fcltiges Urteil \u00fcber die Bedingungen der Geschmacksqualit\u00e4t schwerlich abzugeben ist\nDie Beispiele der Angaben des Geschmackes von Mannose, Rhamnoee, der Amidokresol-\u00c4ther zeigen sehr deutlich, wie eine Verallgemeinerung in dieser Beziehung leicht zu Irrt\u00fcmern f\u00fchren kann. Andererseits sind sie aber auch gerade geeignet, anzudeuten, wie f\u00f6rderlich eine m\u00f6glichst genaue und allgemeine Vervollst\u00e4ndigung der Sammlung aller speziellen Verbindungen ist, die einen ad\u00e4quaten Reiz auf das Sinnesorgan des Geschmackes aus\u00fcben, wie unbedingt n\u00f6tig dieselbe zur Gewinnung allgemeiner Gesichtspunkte ist Bei der immerhin begrenzten Zahl der s\u00fcfs schmeckenden Verbindungen mufs gerade diese Gruppe am leichtesten in dieser Hinsicht vollkommen zu vervollst\u00e4ndigen sein.\nDeshalb d\u00fcrfte sich am ehesten aus einer solchen Zusammenstellung aller mit dem s\u00fcfsen Geschmack begabten Verbindungen die L\u00f6sung einer der ersten fundamentalsten Fragen auf dem Gebiete der Physiologie des chemischen Sinnes ergeben, n\u00e4mlich die Antwort auf die Frage nach dem schmeckenden Prinzip in den chemischen Verbindungen.\n(Eingegangen am 7. Januar 1904.)\n9*","page":131}],"identifier":"lit32744","issued":"1904","language":"de","pages":"81-131","startpages":"81","title":"Zur Physiologie des s\u00fc\u00dfen Geschmacks","type":"Journal Article","volume":"35"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:49:45.985977+00:00"}