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{"created":"2022-01-31T16:34:51.500213+00:00","id":"lit32786","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Abraham, Otto","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 35: 290-292","fulltext":[{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nLiteraturberich t.\nJedenfalls d\u00fcrfte die peinliche Analyse des Bewufstseinsinhaltes der unter dem Einfl\u00fcsse der Suggestion stehenden Personen eine grofse Hauptsache sein. Eine so einfache Suggestion, wie sie Gent gab, wird vielleicht bei dem einen diese, bei dem anderen jene assoziative Vorg\u00e4nge im Bewu\u00dftsein ausl\u00f6sen, die sich dann in der Volumkurve wieder verschieden \u00e4ufsem. \u2014 Selbst bei dem Gef\u00fchl der Beruhigung kam der Verf. ohne Suggestion nicht zum Ziel. Die Suggestion war hier: \u201eArmvolumen soll sinken !\u201c Es sank \u201enicht sofort zu Beginn der Suggestion, sondern allm\u00e4hlich unter Herabminderung der Pulsh\u00f6he unter Pulsverl\u00e4ngerung.\u201c Dabei wurde die Atmung innerhalb der Reizphase langsamer und flacher. Der Verf. schliefst aus diesen Ver\u00e4nderungen, \u201edafs die physiologischen Symptome der Beruhigung denen der Erregung im wesentlichen entgegengesetzt sind, ein Hinweis darauf, dafs man es bei diesen Gef\u00fchlen wiederum mit einem Gegensatzpaare zu tun hat.\u201c Der Verf. f\u00e4hrt fort: \u201ees w\u00fcrde dadurch die WuiroTBche Lehre von der Dreidimensionalit\u00e4t des Gef\u00fchlssystems eine weitere St\u00fctze halten.\u201c Was oben bemerkt wurde, gilt auch hier. Soweit ich sehe, arbeitete der Verf. in beiden F\u00e4llen mit je einer Versuchsperson.\nDer Verf. behandelt dann weiter auch die Affekte und sucht die Volum-kurven zu bestimmen unter dem Einfl\u00fcsse exzitierender und lustvoller Affekte, sowie die unter dem Einfl\u00fcsse exzitierender und deprimierender Unlustaffekte.\nDurch die eingef\u00fcgten Bemerkungen soll die fleifsige Arbeit in keiner Weise untersch\u00e4tzt werden, zumal sich der Verf. mit der Aufgabe be-scheidet, nur an der L\u00f6sung dieser Fragen mithelfen zu wollen. Ob man aber mit dieser ganzen Methode nicht bereits einen falschen Weg betreten hat und mehr von ihr verlangt, als sie zu leisten vermag, wird die Folgezeit lehren. Die Unsicherheit und Mehrdeutigkeit der erzielten Resultat\u00bb sind ein bedeutsames Zeichen.\nDer Abhandlung sind verschiedene Tafeln beigegeben; ein zweiter Teil der Arbeit wird in Aussicht gestellt.\tKiesow (Turin).\nR. Wallaschek. Anf\u00e4nge der Tonkunst. Leipzig, Barth, 1903. IX u. 849 S.\nMk. 9,00.\nDas Buch ist die deutsche, in manchen Kapiteln etwas ver\u00e4nderte Ausgabe der 1893 in London erschienenen \u201ePrimitive Music\u201c. Die \u00dcberschrift des ethnolog. Werkes zeigt bereits den Standpunkt des Verf., dafs er di\u00bb Musik der sog. Naturv\u00f6lker den fr\u00fcheren Stadien unserer eigenen Musik gleichstellt. Dieser Gedanke darf wohl vorl\u00e4ufig nur hypothetisch ausgedr\u00fcckt werden, denn erstens steht noch nicht fest, ob der Ursprung der Musik, die Eizelle, \u00fcberall gleichartig ist, zweitens k\u00f6nnen selbst bei gleichem Ursprung Verh\u00e4ltnisse auf die Entwicklung einwirken, die zu ganz anderen, miteinander kaum vergleichbaren, Endstadien f\u00fchren. \u2014 An einer grofsen Anzahl von Beispielen weist Verf. nach, dafs der Hauptbestandteil der primitiven Musik der Takt ist, w\u00e4hrend Melodie und Harmonie nur von untergeordneter Bedeutung sind. Besonders die innige Verbindung der Musik und des Tanzes mache dies deutlich, bei welchem der Takt stets sehr scharf durch H\u00e4ndeklatschen oder Schlaginstrumente-","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n291\nmarkiert wird, Gesang, der eich in bestimmten festen Tonh\u00f6hen bewege, nur vereinzelt gefunden wird. Die urspr\u00fcnglichen Tanze sind szenische Darstellungen der Jagd, des Krieges und der Arbeit, verbreitet sind auch musikalische Tierpantomimen. Bei einzelnen V\u00f6lkern treten einzelne Darsteller aus dem Chor heraus und erkl\u00e4ren das Sujet des Tanzes mit erh\u00f6hter melodischer Stimme. So entwickelt sich Oper und Drama. Die Frauen sind vielfach den M\u00e4nnern im Tanz und Gesang \u00fcberlegen, bei vielen Volksst\u00e4mmen werden T\u00e4nze \u00fcberhaupt nur von Frauen ausgef\u00fchrt. Zuweilen bilden sich aus dem Chore Berufss\u00e4nger und Komponisten aus, die wie die Sykophanten Ges\u00e4nge zum Lobe des H\u00e4uptlings oder desjenigen, der sie bezahlt, zu singen haben; sie sind ebenso gesucht wie verachtet. \u00a3s scheint im Gesang das Prinzip zu bestehen \u201eje lauter desto sch\u00f6ner\u201c. Vielleicht findet in der Kraftanstrengung des S\u00e4ngers auch die \u00fcberm\u00e4fsig hohe Stimmlage der Naturv\u00f6lker, die schon zur Annahme phylogenetischer Kehlkopfver\u00e4nderung Anlafs gegeben hat, ihre einfache Erkl\u00e4rung.\nIn der Entwicklung der Tonkunst zeigt sich, dafs zwar erst der (rebranch von Musikinstrumenten die Bestimmtheit eines melodi\u00f6sen Gerippes gibt, dafs aber die Weiterbildung der Musik nicht von der Instrumental-, sondern der Vokalmusik ausgeht. Dementsprechend besagt das \u00fcberraschend hohe Alter von Instrumenten nicht viel \u00fcber das Stadium der Musikentwicklung. Das \u00e4lteste Instrument ist wahrscheinlich die Knochenpfeife der J\u00e4ger, die schon zur Zeit des irischen Elchs im Gebrauch stand ; nach dieser entwickelte sich das Gong oder die t\u00f6nende Steinplatte. Die \u00e4ltesten Streichinstrumente bestanden aus H\u00f6lzern, welche durch Reibung zum T\u00f6nen gebracht wurden ; dieses Prinzip der Tonerzeugung wurde erst sp\u00e4ter auf Saiteninstrumente \u00fcbertragen. Die Trommel ist zwar das verbreitetste Instrument der Naturv\u00f6lker, aber nicht von so hohem Alter, wie vielfach angenommen wird.\nDas Material, aus welchem Verf. diese Ergebnisse herleitet, entstammt zum gr\u00f6fsten Teil den Berichten von Forschungsreisenden. Trotz der grofsen Anzahl der Gew\u00e4hrsm\u00e4nner sind, da eine kritische Sichtung der Berichte fehlt und, wie mir von berufenster ethnologischer Seite versichert wurde, zahlreiche Fehler mitunterlaufen, die Schl\u00fcsse mit grofser Skepsis zu betrachten. Immerhin ist es m\u00f6glich, Reiseberichte f\u00fcr das Studium der praktischen Musik zu verwerten. Bedenklicher ist dies aber, wenn auch das Tonsystem aus ihnen erschlossen werden soll. So sagt Verf., dafs Volksst\u00e4mme niedrigster Kultur bereits harmonische Musik kennen (die Aschantis sollen in Terzen singen). Wenn V\u00f6lker h\u00f6herer Kultur wie die ostasiatischen unsere harmonische Musik nicht verstehen, so sei dies nicht ein Unterschied der Entwicklung sondern der Rasse. Es sei \u201eganz unm\u00f6glich, die Melodie ohne harmonischen Ver\u00e4nderungen zur h\u00f6chsten Entwicklung zu bringen\u201c, und es sei bezeichnend, \u201edafs V\u00f6lker ohne Harmoniegef\u00fchl zu keiner Entwicklung der Musik gelangten und ihre sogenannten Melodien eine m\u00fcfsige Tonspielerei geblieben sind.\u201c Dies Urteil ist vom subjektiven Standpunkt des europ\u00e4ischen Musikers gef\u00e4llt und l\u00e4uft den Tatsachen zuwider. Wie kann man beispielsweise die Musik der Chinesen und Japaner, die\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nLitera turbericht.\nbei diesen die gr\u00f6fste soziale Bedeutung und allgemeine Verbreitung hat, m\u00fcfsige Tonspielerei nennen ! Allerdings steht diese Musik unserem k\u00fcnstlerischen Geschmack fern, aber unser \u00e4sthetisches Gef\u00fchl ist kein Mafsstab f\u00fcr eine objektive Musikwissenschaft. Noch st\u00e4rker zeigt sich der Fehler der Subjektivit\u00e4t des Verf. in dem Kapitel Dur und Moll, in welchem viele Beispiele von Dur- und Mollmusik der Naturv\u00f6lker angef\u00fchrt werden. Nach Ansicht des Referenten sind diese von unserer harmonischen Musik hergenommenen Begriffe oft gar nicht auf exotische Musik anzuwenden; uns mag manches als dur oder moll erscheinen, was gar nicht derart intendiert ist. Sollten beispielsweise neutrale Terzen Dur- oder Mollcharakter bedingen? Allerdings erkl\u00e4rt Verf. die uns fremdartigen Intervalle folgender-mafsen : \u201eDer primitive S\u00e4nger singt, um es popul\u00e4r auszudr\u00fccken, einfach falsch, und es ist von vornherein verfehlt, dieses Falschsingen als beabsichtigte Richtigkeit aufzufassen, es als solches systematisch zu fixieren und dann vom fremden Tonsystem mit ganz anderen Intervallen zu sprechen.\u201c Ob es nicht vielmehr \u201evon vornherein verfehlt\u201c ist, an Stelle einer objektiven Untersuchung einen willk\u00fcrlich gew\u00e4hlten Mafsstab zu setzen? Wir sind jetzt mit Hilfe akustischer Messungsmethoden imstande, objektive Skalenuntersuchungen zu machen und durch kritische Betrachtung vieler Messungswerte die intendierte Skala und die Fehlerquellen zu finden. Stumpf hat seine Untersuchung \u00fcber das Tonsystem der Siamesen {Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikunssenschaft, 8), bei welcher Referent als Mitarbeiter t\u00e4tig war, in dieser Weise angestellt und Resultate erzielt von solcher inneren \u00dcbereinstimmung und andererseits von solchem Gegensatz gegen unser europ\u00e4isches Tonsystem, dafs nicht nur die Wichtigkeit der objektiven Skalenuntersuchung bewiesen wurde, sondern noch bedeutende Ausblicke f\u00fcr Psychologie und Musikwissenschaft daTgeboten wurden Auch Wallaschrk hat Messungen, aber an Museumsinstrumenten, vorgenommen (Die Entstehung der Skala, Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wiseensch. Wien, Juli 1899). Museummetrumente leiden oft durch Transport und Lagern derartig, dafs sie kaum verwertbar sind. So sind verschiedene Fehler der Wall ASCHRKschen Skalenwerte zu erkl\u00e4ren. Auch entsprechen die Instrumentalleitem nicht den praktischen Tonleitern, aus ihnen ist noch kein Schlufs zu ziehen auf die verwendeten Intervalle. Erst die Verbindung von Instrumentalmessungen mit dem Studium phono-graphischer exotischer Musik kann ein objektives Bild des TonsyBtems ergeben.\nDiese vergleichende Musikwissenschaft befindet sich allerdings noch hn Anfangsstadium. Das Werk des Verf. ist eigentlich das erste, in welchem versucht wird, einen allgemeinen \u00dcberblick zu geben und die seelische Bedeutung unserer europ\u00e4ischen Musik durch Vergleichung primitiver Stadien zu erkl\u00e4ren.\nDas Buch ist klar und spannend geschrieben, gut aUBgestattet und mit manchen instruktiven Notenbeispielen und zahlreichen guten Abbildungen versehen.\tOtto Abraham (Berlin). '","page":292}],"identifier":"lit32786","issued":"1904","language":"de","pages":"290-292","startpages":"290","title":"R. Wallaschek: Anf\u00e4nge der Tonkunst. Leipzig, Barth, 1903. 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