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{"created":"2022-01-31T16:34:02.028747+00:00","id":"lit32804","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stern, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 35: 396-399","fulltext":[{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nLiteraiurbericht.\ngrofs izt \u2014 vermittels weniger Wiederholungen im ganzen als in Gruppen, und zwar ist eine Reihe im allgemeinen um so schwerer zu erlernen, in je mehr Gruppen sie geteilt ist. \u2014 Gerade umgekehrt verh\u00e4lt es \u00abich bei den als Versuchspersonen dienenden Kindern. \u2014 Auch f\u00fcr das Wieder* erlernen nach 24 Stunden bed\u00fcrfen die im ganzen erlernten Reihen bei Erwachsenen weniger Wiederholungen als die in Gruppen erlernten; doch scheinen hier die in drei Gruppen erlernten gegen\u00fcber den in zwei Gruppen erlernten im Vorteil. Bei Kindern ist ein deutlicher Unterschied zwischen den im ganzen und den in Gruppen erlernten Reihen hier nicht zu er* kennen. \u2014 Anders bei sinnvollem Material: Hier tritt auch f\u00fcr die Kinder deutlich der Vorteil des Lernens im ganzen hervor, sowohl was die Zahl der zum erstmaligen Erlernen als auch was die Zahl der zum Wieder* erlernen erforderlichen Wiederholungen betrifft. Dem entspricht aber nicht die Dauer des Erlernens; denn diese ist h\u00e4ufig beim Lernen im ganzen und beim Wiedererlernen im ganzen erlernter Strophen gr\u00f6fser als f\u00fcr di# in Gruppen gelernten. \u2014 Ferner zeigt sich, dafs je gr\u00f6fser das zu erlernende St\u00fcck ist, desto evidenter der Vorteil des Lernens im ganzen ist.\nDafs das Lernen im ganzen sinnloser Reihen nicht auch bei B\u00e4ndern das vorteilhaftere ist, erkl\u00e4rt PentscIiew dadurch, dafs f\u00fcr Kinder daa Lernen sinnloser Stoffe \u00fcberhaupt so viel Anstrengung erfordert, dafs beim Lernen im ganzen zu leicht Erm\u00fcdung, Abnahme der Aufmerksamkeit, dadurch Verwechseln der Silben und dadurch wiederum ein Unlustgef\u00fchl eintritt, was alles beim gruppenweisen Lernen weniger der Fall ist. \u2014 Dafs das Lernen in Teilen h\u00e4ufig in k\u00fcrzerer Zeit zum Ziele f\u00fchrt, als das im ganzen, erkl\u00e4rt Verf. dadurch, dafs sich bei letzterem eine gr\u00f6fsere Erm\u00fcdung einstellt, die eine Verlangsamung des Lerntempos zur Folge hat.\nDie Vorteile des Lernens im ganzen bestehen darin, dafs gleich von vornherein nur Assoziationen gestiftet werden, die f\u00fcr das K\u00f6nnen des Ganzen erforderlich sind, ferner, dafs nicht beim Lernen efhee Abschnittes der vorige wieder teilweise in Vergessenheit ger\u00e4t, dafs das Lernen im ganzen ein sinngem\u00e4fseres und weniger mechanisches ist, als das Lernen in Teilen, schliefslich dafs die Aufmerksamkeit gleichm\u00e4fsiger verteilt wird.\nAufser diesen Hauptresultaten enth\u00e4lt die Abhandlung noch eine Menge wertvoller Nebenbeobachtungen, z. B. \u00fcber die Lern- und Ged\u00e4chtnistypen der Versuchspersonen, \u00fcber die Verteilung der Aufmerksamkeit auf die einzelnen Silben einer Reihe etc. Jedoch kann ich auf diese Resultate nicht alle einzeln eingehen.\tLiphakh (Breslau).\nJban Philippe, i* litige mentale. (\u00c9volution et Diaaolntion.) Paris, Alcan, 1903. 151 S.\nDas Leben des Vorstellungsbildes ist das Thema des PHTLiPPsschen Buches. Des Vorstellungsbildes, nicht so fern es als Erinnerung einen objektiven Tatbestand der Vergangenheit zu reproduzieren oder als Phantasiegebilde unwirkliche Wirklichkeiten zu schaffen bestimmt ist, sondern in seiner einfachen nackten, rein psychologischen Beschaffenheit. Das Leben des Vorstellungsbildes; denn dafs die Vorstellung nicht ein einfaches und starres seelisches Atom, sondern eine rastlos sich gestaltende","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur bericht.\n397\nund entwickelnde seelische Zelle sei, die in ihrem Leben die Aktivit\u00e4t des geistigen Lebens \u00fcberhaupt im kleinen wiederspiegelt, ist der Grundgedanke, der sich durch das Buch sieht- Der sonst meist angewandten psychischen Anatomie, die nur den Kadaver der Vorstellungen seziert, will Ph. die physiologisch-organische Darstellung des Vorstellungslebens ' gegen\u00fcber-gestellt wissen.\nDie Betrachtung des Buches beschr\u00e4nkt sich auf das optische Vor-stellungsbild. Die drei Kapitel des Buches behandeln : die Zusammensetzung der Vorstellungsbilder, die Verschmelzung der Vorstellungsbilder, die Entwicklung der Vorstellungsbilder. Jedem Kapitel sind Berichte \u00fcber Beobachtungen und Versuche angeh\u00e4ngt, die an Erwachsenen und Kindern angestellt worden sind.\nDer im ersten Kapitel gegebenen Analyse des Vorstellungsb\u00fcdes liegt folgender einfache, an Facmraa erinnernde Versuch zugrunde. Ph. forderte einige Herren auf: \u201eSuchen Sie sich 1. eine beliebige, Ihnen gut bekannte Druokseite eines Buches, 2. die Notre - Dame - Kirche recht lebhaft vorzu-stellen und beschreiben Sie, was Sie hierbei im Bewufstsein erleben.\u201c Daa so gewonnene Material erm\u00f6glicht zun\u00e4chst, unter den Elementen, die ein Vorstellungsbild zusammensetzen, eine Zweiteilung vorzunehmen: Kern\u00ab \u00ablamente und Randelemente. \u201eLes uns forment le corps m\u00eame de l\u2019image, le noyau central o\u00f9 elle s\u2019est pr\u00e9par\u00e9e, d\u2019o\u00f9 elle est n\u00e9e, et par lequel elle rit; ils sont sa nature propre. Les autres ao\u00fbt comme des v\u00eatements, ses accessoires devenus n\u00e9cessaires, qui l\u2019habillent, la compl\u00e8tent et la pr\u00e9parent k son r\u00f4le dans ce monde d'images, o\u00f9 elle va circuler et \u00e2gir\u201c (S. 25). Jede Grappe zerf\u00e4llt wieder in je drei Unterabteilungen.\nDie Betrachtung schreitet nun von der Peripherie zum Zentrum vor. Die \u00e4ufserlichste Beziehung haben die rein logisch abstrakten Elemente, denen jede Spur von Anschaulichkeit fehlt. Beispiel: \u201eAn der und der Stelle der Bnchseite mu/s die Unterschrift des Verf. stehen. Ich sehe sie zwar nicht, aber ich weifs, dale immer am Schlufs eines solchen Artikels der Verfassers-name steht.\u201c Es folgt eine zweite Sph\u00e4re von Elementen, die ebenfalls durchaus als anderswoher genommene Erg\u00e4nzungen bewufst empfunden werden ; aber diese Erg\u00e4nzungen sind bereits konkreter Natur. Beispiel: \u201eWenn ich die Notre \u2022 Dame - Kirche vorstelle, schiebt sich, um das nicht mehr vorstellbare Portal zu ersetzen, ohne mein Zutun ein irgend wo anders gesehenes Portal dazwischen.\u201c Die Demarkationslinie zu den Kernelementen bildet dann eine Sph\u00e4re von rein negativen Elementen : die Konstatierungen von L\u00fccken, die aber nun nicht mehr, weder logisch noch anschaulich, aus-gef\u00fcllt werden. \u201eIch sehe wohl, was sich \u00fcber der grofsen Rosette der Eaaaade befindet, aber nichts, was rechts und links davon ist.\u201c\nNunmehr erst kommen wir zu den eigentlichen Bildelementen, die wirklich aus der fr\u00fcheren Wahrnehmung stammen. Von diesen stellt sich zuerst ein schematischer Gesamteindruck ein, eine Art Silhouette des Geb\u00e4udes oder des sonstigen vorgestellten Gegenstandes, in der nur die grofsen Hauptz\u00fcge erkennbar sind. Dann finden sich, als zweite Schicht von Vor-sAehungselementen, Details ein, fragmentarisch \u00fcber das Ganse verstreut, von L\u00fccken unterbrochen, bald auftauchend, bald verschwindend, aber auch diese noch ziemlich verschwommen, und gerade, wenn man sie mit","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398\nLiteraturberich t.\nder Aufmerksamkeit sch\u00e4rfer erfassen will, zerfliefsend \u2014 etwa vergleich' bar jenen Wahrnehmungselementen, die mit den Seitenteilen der Netzhaut gesehen werden. Die dritte Schicht endlich, zugleich die d\u00fcnnste, stellt das dar, was man fr\u00fcher f\u00e4lschlicherweise f\u00fcr das Wesen des ganzen Er* innerungsbildes gehalten hat, ein Abbild des Wahrnehmungsbildes. Nur einige wenige Elemente werden wirklich innerlich \u201egesehen\u201c, treten mit fast gleicher Deutlichkeit vor das innere Gesichtsfeld, wie fixierte Wahrnehmungsobjekte vor das \u00e4ufsere. Hier und nur hier bei diesen seltenen Elementen ist der Vorstellungsprozefs eine Art Erneuerung oder Wiederholung des fr\u00fcheren Wahrnehmungsprozesses. Sie bilden das Keimplasma, durch welches das Vorstellungsbild seine Individualit\u00e4t erh\u00e4lt und an welches sich die wechselnden akzessorischen Elemente heften, um dem Vorstellungsbilde die zu den geistigen Operationen n\u00f6tige Beweglichkeit zu leihen. Schon hieraus geht hervor, daTs man die nicht-sinnliche, nur schematische oder symbolische Beschaffenheit so vieler Elemente nicht als ein Manko ansehen darf; die stark visualisierten Bestandteile sind eben durch ihre Lebhaftigkeit und Unwillk\u00fcrlichkeit zugleich eine stark wuchtende Masse, die, wenn sie das gesamte Vorstellnngsbild ausf\u00fcllen w\u00fcrde, dieses untauglich machen w\u00fcrde zu den zahllosen Verrichtungen, die es im Leben zu vollziehen hat. Es h\u00e4tte nahegelegen, hier auf den Umstand hinzuweisen, dafs in der Tat Menschen mit starker Visualisation, z. B. K\u00fcnstler, so sehr am sinnlichen Einzelbild haften, dafs diesen die Verwertung ihrer Vorstellungen zu logisch \u25a0 abstrakten Operationen betr\u00e4chtlich erschwert ist. \u2014 Merkw\u00fcrdig ist ferner die Irrationalit\u00e4t in der Auslese dieser wirklich visualisierten Elemente. So sah eine Versuchsperson in dem Vorstellungsbild einer Textseite aus Vergil im allgemeinen nur die Silhouette und die kompakte Masse der Linien und der gr\u00f6fseren Abs\u00e4tze, aufserdem aber drei an ganz verschiedenen Stellen stehende unzusammenh\u00e4ngende und durchaus nicht irgendwie auffallende Worte. Ph. h\u00e4tte hier auf die ganz \u00e4hnliche Irrationalit\u00e4t hinweisen k\u00f6nnen, die bei der Auslese des ja auch visuell so starken Vorstellungsmaterials unserer Tr\u00e4ume statt hat; sicherlich besteht zwischen beiden ein Zusammenhang.\nKap. II. Nicht jede Wahrnehmung hinterl\u00e4fst ein isolierbares Vor* steUungsbild, vielmehr steht der ungeheueren F\u00fclle der Wahrnehmungen eine nur beschr\u00e4nkte Anzahl von Bildern gegen\u00fcber. Um \u00fcber die hier stattfindende Verschmelzung (Fusion) der Vorstellungsbilder AufschluTs an erhalten, gibt P. seinen Versuchspersonen auf, festzustellen, wieviel Einzel-- bilder sie von bestimmten Objekten, z. B.: \u201eVenus von Milo\u201c, \u201egrofses gedrucktes A\u201c, \u201eAntlitz der Mutter\u201c in sich vorfinden. An den Ergebnissen ist bemerkenswert zun\u00e4chst die geringe Anzahl von Bildern \u2014 am h\u00e4ufigsten kommen die Zahlen 3 und 4 vor \u2014, sodann die Tatsache, dafs Anzahl der Wahrnehmungen und Anzahl der Vorstellungsbilder umgekehrt proportional sind: je h\u00e4ufiger die Wahrnehmungen werden, um so weniger einzelne Vorstellungsbilder werden innerlich rekonstruierbar; von der Venus von Milo viel mehr als vom grofs gedruckten A, oder von einer Stecknadel. \u201eLa r\u00e9p\u00e9tition ne multiplie pas les images, elle les g\u00e9n\u00e9ralise\u201c (S. 67). Hiermit h\u00e4ngt die weitere Tatsache zusammen, dafs auch die Anschaulichkeit der Bilder eine umgekehrte Funktion der Eindrucksh\u00e4ufigkeit ist \u201eCe sont","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n399\ng\u00e9n\u00e9ralement les plus rares images, qui restent les plus concr\u00e8tes (S. 73). Darum sind z. B. auch die lebhaften Vorstellungsbilder des m\u00fctterlichen Antlitzes nicht diejenigen, die es in den allt\u00e4glichen, sich stetig wieder* holenden Situationen, sondern diejenigen, die es bei einer besonderen Gelegenheit, beim Wiedersehen nach einer Beise, bei grofser Freude oder grofser Trauer zeigen. Der allm\u00e4hliche Fortgang dieser Funktionen wird dann besprochen: vom einzelnen konkreten Bilde nach einmaliger Wahrnehmung, durch eine Mehrzahl von Bildern, die miteinander zu verschmelzen streben, nach mehreren distinkten Wahrnehmungen, bis zum einzelnen abstrakten Bilde nach unz\u00e4hligen Wahrnehmungen, einem Bilde, das kaum mehr visuelle Elemente enth\u00e4lt, sondern nur noch ein Symbol, vielleicht nur ein Wort fttr das Gemeinte ist.\nKap. III. Aber auch das durch eine einzelne Wahrnehmung hervorgerufene Vorstellung8bild lebt ein eigenes Leben. Der Versuch bestand darin, dafs Ph. einige Objekte (eine Krawattennadel, eine kleine japanische Maske usw.), bei verbundenen Augen betasten liefs, und aufgab, das durch die Betastung entstandene optische Vorstellungsbild nachzuzeichnen. Diese Zeichnungen mufsten in mehrmonatlichen Zeit&bst\u00e4nden mehrere Male aus dem Ged\u00e4chtnis wiederholt werden. Wenn auch der Versuch methodologisch nicht einwandfrei ist, da er durch die \u00dcberleitung der taktilen Vorstellungen zu den optischen und durch die verschiedene Handfertigkeit der Zeichnenden kompliziert wird, so l\u00e4fst er doch das Hauptresultat: eine fortlaufende Ver\u00e4nderung des Vorstellungebildes, deutlich erkennen. Auch in diesen Ver\u00e4nderungsprozessen konnte Ph. verschiedene Typen unterscheiden. Das Bild kann erstens verschwinden, entweder durch allm\u00e4hliche Abschw\u00e4chung und Aufl\u00f6sung der einzelnen Elemente, oder durch Verwirrung und Durcheinandergeraten der Elemente. Es kann sich zweitens transformieren, indem es an Stelle verschwundener Teile andere auf nimmt und so zwar eine konkrete und scharfe Vorstellung bleibt, aber zugleich eine immer falschere Vorstellung wird. Es kann sich drittens generalisieren, d. h. alles Differenzierende mehr und mehr abstreifen und sich dem allgemeinen Typusbilde n\u00e4hern. So wurde die Vorstellung der japanischen Maske immer unjapanischer, immer europ\u00e4ischer. Dafs sich diese letzte Untersuchung in wichtigen Punkten mit unseren neueren Erinnerungsversuchen ber\u00fchrt, braucht nicht erst hervorgehoben zu werden.\nW. Stehn (Breslau).\nC. M. Hitchcock. The Psychology of Expectation. Psych. Rev. Mon. Sup. 5 (3), Whole Nr. 20. 78 S. 1903.\nVerf. beginnt mit einer historischen \u00dcbersicht der Theorien der \u201eErwartung\u201c bei verschiedenen \u00e4lteren und neueren Psychologen. Sodann werden die m\u00f6glichen Modifikationen der Erwartung unterschieden. Erwartung kann intensiv oder schwach sein, bestimmt oder unbestimmt, unmittelbar oder mittelbar. Mittelbare Erwartung ist entweder reproduktiv oder, konstruktiv. Die Empfindungsbestandteile der Erwartung werden dann beschrieben. Die Struktur des Erwartungsprozesses wird einer sorgf\u00e4ltigen Analyse unterzogen. Der Erwartungsprozefs wird mit dem Ge-d\u00e4chtnisprozefs verglichen. Der Unterschied besteht in einer verschiedenen","page":399}],"identifier":"lit32804","issued":"1904","language":"de","pages":"396-399","startpages":"396","title":"Jean Philippe: L'image mentale. (\u00c9volution et Dissolution.) Paris, Alcan, 1903. 151 S.","type":"Journal Article","volume":"35"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:02.028753+00:00"}