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{"created":"2022-01-31T14:27:46.705324+00:00","id":"lit32814","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heymans, G.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 34: 15-28","fulltext":[{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":",15\nUntersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\nVon\nG. Heymaxs.\nDritter Artikel.1\nY. Die Verdr\u00e4ngung yon Schallempfindungen durch elektrische\nHautempfindungen.\nBereits in meinem ersten Artikel (diese Zeitschr. 21, S. 324\u2014325) habe ich ausdr\u00fccklich darauf hingewiesen, dafs die psychische Hemmung in dem von mir bezeichneten Sinne, wenn sie als eine allgemeine und einheitliche Tatsache gelten soll, sich nicht nur zwischen gleichartigen, sondern auch zwischen disparaten Empfindungen feststellen lassen mufs. Ich bezweifelte aber damals, ob solches bei Festhaltung der von mir gew\u00e4hlten Versuchsmethode (nach welcher die Versuchsperson ihre Aufmerksamkeit m\u00f6glichst auf die passive, zu hemmende Empfindung fixiert) tunlich sei, da doch hierbei die Hemmungswirksamkeit auf ein Minimum herabgedr\u00fcckt wird, von welchem kaum zu erwarten ist, dafs es sich der quantitativen Abstufung, vielleicht selbst nicht, dafs es sich der sicheren Konstatierung zug\u00e4nglich erweisen wT\u00fcrde. Ich glaubte demnach, entscheidende Ergebnisse \u00fcber die Hemmungsverh\u00e4ltnisse zwischen disparaten Empfindungen nur von einer ver\u00e4nderten Versuchseinrichtung, wobei in irgendwelcher Weise daf\u00fcr gesorgt w\u00fcrde, dafs die Versuchsperson ihre Aufmerksamkeit der hemmenden statt der zu hemmenden Empfindung zugewandt erhielte, erhoffen zu d\u00fcrfen. Den Plan einer solchen Versuchseinrichtung habe ich seitdem auch stets im Auge behalten; derselbe st\u00f6fst aber in der Ausf\u00fchrung auf mannigfache Schwierigkeiten, mit R\u00fccksicht auf welche es noch wohl einige Zeit dauern wird, bis ich mit irgend-\n1 S. diese Zeitschrift 21, S. 321\u2014359; 26, S. 305\u2014382.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nGr. Heymans.\nwie zuverl\u00e4ssigen Resultaten werde hervortreten k\u00f6nnen. In Erwartung dessen habe ich nun aber doch versuchen wollen, ob nicht auch auf dem alten Wege dem neuen Problem irgendwie beizukommen sei; und dabei haben sich, wenn auch bis dahin nur f\u00fcr Einen besonders geeigneten Fall, Resultate ergeben, welche, wie ich glaube, die G\u00fcltigkeit des Hemmungsgesetzes f\u00fcr Verh\u00e4ltnisse zwischen disparaten Empfindungen wenigstens im Prinzip vollkommen sicherstellen.\nAllerdings ergaben meine ersten Versuche keine brauchbaren Resultate. Dieselben fanden in der Weise statt, dafs Schwellenbestimmungen f\u00fcr Druck- und f\u00fcr Lichtreize (mittels der von Wiersma in dieser Zeitsehr. 26, S. 174 und 187\u2014188 beschriebenen Apparate) einmal in m\u00f6glichster Stille, sodann w\u00e4hrend eines verschiedentlich starken, von der fr\u00fcher (diese Zeitschr. 21, S. 351) beschriebenen Holzrolle mit Wellenpapierstreifen hervorgebrachten Ger\u00e4usches vorgenommen wurden ; eine etwaige hemmende Wirksamkeit dieses Ger\u00e4usches m\u00fcfste sich dann in einer entsprechenden Steigerung jener Schwellenwerte zeigen. Sie zeigte sich auch in der Tat; jedoch, meiner Erwartung entsprechend, in so geringem Grade, dafs es nicht m\u00f6glich erschien, ohne eine allzu zeitraubende H\u00e4ufung der Versuche die quantitativen Verh\u00e4ltnisse, auf welche es ankam, aus den Wahrnehmungsfehlern abzusondern; auch erkl\u00e4rten die Versuchspersonen \u00fcbereinstimmend, bei der angestrengten Fixierung des Passivreizes von dem st\u00f6renden Ger\u00e4usch kaum noch etwas zu bemerken. Es stellte sich also heraus, dafs jenes Ger\u00e4usch nur dann, wenn es (wie bei meinen fr\u00fcheren Versuchen) durch die auf gleichartige Eindr\u00fccke gerichtete Aufmerksamkeit verst\u00e4rkt wird, eine mefsbare Hemmurigswirkung auf diese aus\u00fcben kann ; und es erschien als angezeigt, bei weiteren Versuchen entweder viel st\u00e4rkere Ger\u00e4usche, oder aber andere kontinuierliche Empfindungen, welche mehr als Ger\u00e4usche das Bewufstsein in Anspruch nehmen, als hemmende Faktoren zu verwenden. Ich entschied mich zun\u00e4chst f\u00fcr das Letztere, und richtete meine Untersuchung auf die Frage, ob sich eine Hemmung von Schall- durch faradische Hautempfind\u00fcngen feststellen und messen l\u00e4fst.\nAn den betreffenden Versuche beteiligten sich Dr. Wiersma, Professor der Psychiatrie an der hiesigen Universit\u00e4t, dem ich f\u00fcr seine freundliche Mitwirkung hierbei meinen verbindlichsten Dank ausspreche, und ich selbst. Als Passivreiz diente das","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\n17\nTicken einer Remontoiruhr ; die Aktivreize wurden von einem Induktionsapparate geliefert, dessen Elektroden durch kleine Metallplatten mit dem in zwei w\u00fcrfelf\u00f6rmigen Glassch\u00e4lchen enthaltenen Wasser verbunden waren, in welches die Versuchsperson die vorderen Gelenke des Zeige- und Mittelfingers hineintauchte. Die Stromst\u00e4rke wurde durch Aus- und Einschieben \u25a0der sekund\u00e4ren Rolle variiert, und mittels des neuen GiLTAYschen Elektrodynamometers zur Messung faradischer Str\u00f6me quantitativ bestimmt; zur Verwendung gelangten Wechselstr\u00f6me von 0,1, 0,2, 0,3, 0,4 und 0,5 M.-A. (welchen also, bei konstantem Widerstande R, elektrische Energien von 0,01 R, 0,04 R, 0,09 R, 0,16 R und 0,25 R entsprachen) ; von diesen war der erstere wenig mehr -als merklich, w\u00e4hrend der letztere ungef\u00e4hr die Grenze be-zeichnete, bei welcher die entsprechenden Empfindungen nicht blofs unangenehm, sondern positiv schmerzlich zu werden anfingen. Die Versuche fanden in einem sehr ruhigen, an den Garten stofsenden Zimmer des hiesigen botanischen Laboratoriums, welches mir von meinem Freunde Prof. Moll bereitwilligst zur Verf\u00fcgung gestellt wurde, statt; das Induktorium, welches die Wechselstr\u00f6me lieferte, war in einem anderen Zimmer aufgestellt, und konnte also durch sein Ger\u00e4usch nicht st\u00f6ren. Es wurden die Versuche stets zur gleichen Tageszeit, n\u00e4mlich Nachmittags 3 Uhr, vorgenommen.\nWas die weitere Einrichtung dieser Versuche betrifft, so glaubte ich anfangs, durch die vorhergegangenen Mifserfolge etwas bescheiden gestimmt, auf dem Wege direkter Schwellenbestimmungen nach der Methode der Minimal\u00e4nderungen kaum entscheidende Resultate erwarten zu d\u00fcrfen, und zog deshalb vor, mich derjenigen Methode zu bedienen, welche besonders bei Untersuchungen \u00fcber Aufmerksamkeitsschwankungen vielfache Verwendung gefunden hat, n\u00e4mlich der graphischen Registriermethode. Es wurde also die den Passivreiz liefernde Remontoir-uhr in einer konstanten Entfernung (= 1,85 M.) von den Geh\u00f6rg\u00e4ngen der Versuchsperson im Medianfeld an einem Stativ befestigt; die Versuchsperson lauschte, w\u00e4hrend die Fingerspitzen ihrer linken Hand durch Eintauchen in den Wassersch\u00e4lchen dem st\u00e4rkeren oder schw\u00e4cheren Induktionsstrom ausgesetzt waren, jedesmal w\u00e4hrend 5 Min. auf das Ticken der Uhr, und bezeichnete durch Niederdr\u00fccken oder Freigeben des Stromschl\u00fcssels mit der rechten Hand die Unmerklichkeits- und Merk-\n2\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 34.","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"IS\nG. Heywrnn\u00bb.\nlichkeitszeiten, welche dann auf einem im Nebenzimmer befindlichen Kymographen registriert worden. In dieser Weise war es m\u00f6glich, genauen Aufschlag dar\u00fcber zu erhalten, wie lange w\u00e4hrend jeder 5 Min. das Ticken wahrgenommen worden war; und eine etwaige hemmende Wirksamkeit der elektrischen Hautempfindungen mulste sich darin offenbaren, dafs jeder Steigerung der Stromst\u00e4rke auch eine Zunahme der Unmerklichkeits-zeiten entsprach.\nDas Resultat der Versuche \u00fcbertraf bei weitem meine Erwartungen : die ohne Hemmung fast durchg\u00e4ngig merkliche Schallempfindung konnte durch Einf\u00fchrung von Hemmungsreizen bis \u00fcber die H\u00e4lfte der Zeit unmerklich gemacht werden, wie in den Tab. I und H nachzusehen ist, denen die Fig. 1 und 2 entsprechen.\nTabelle I.\n(Entfernung Schallquelle 185 cm; Versuchsperson Wikbsma.)\nStromst\u00e4rke in M.A.\tElektrische Energie = i* R\tAnzahl der Versuche\tMittlere Merk li chkei tszeit w\u00e4hrend 5 Min. J in Sek.\tWahr scheinliche Fehler derselben in Sek.\n0\t0\t10\t299,0\t0,4\ncf\t0,01 R\t10\t293,9\t0,8\n0,2\t0,04 R\t10\t279,0\t|\t2,7\n0,3\t0,09 R\t10\t255,7\tJ\t2,6\n0,4\t0,16 R\t10\t199,4\t3,2\n0,5\t0,25 R\t10\t117,0\t6,9\n\t\tTabelle\tII.\t\n(Entfernung Schallquelle 185 cm; Versuchsperson Hbymaks.)\nStromst\u00e4rke in M.A.\tElektrische Energie = i* R\tAnzahl der Versuche\tMittlere Merklichkeitszeit w\u00e4hrend 5 Min. in Sek.\tWahrscheinl. Fehler derselben in Sek.\n0\t0\t10\t293,6\t1,2\n0,1\t0,01 R\t10\t286,5\t3,0\n0,2\t0,04 R\t10\t266,5\t5,5\n0,3\t0,09 R\t10\t246,8\t8,9\n0,4\t0,16 R\t10\t209,4\t14,5\n0,5\t0,25 R\t10\t142,9\t12,1","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\n19\nEntsprechende Resultate ergab eine andere Versuchsreihe, bei welcher die als Schallquelle benutzte Uhr in einer Entfernung von 2,1 M. aufgestellt, und also die Intensit\u00e4t des Ger\u00e4usches um etwa lji herabgesetzt worden war.\nTabelle III.\n(Entfernung Schallquelle 210 cm; Versuchsperson Wieksma.)\nStromst\u00e4rke\tElektrische\tAnzahl\tMittlere\tWahrscheinl.\nin M.A.\tEnergie\tder\tMerklichkeitszeit\tFehler\n= %\t\u2014 i2 R\tVersuche\tw\u00e4hrend 5 Min.\tderselben\n\t\t\tin Sek.\tin Sek.\n0\t0\t10\t294,2\t0,8\n0,1\t0,01 R\t10\t285,1\t1,6\n0,2\t0,04 R\t10\t272,0\t1,5\n0,3\t0,09 R\t10\t237,5\t3,7\n0,4\t0,16 R\t10\t176,9\t8,4\n0,5\t0,25 R\t10\t69,6\t10,4\nTabelle IV.\n(Entfernung Schallquelle 210 cm; Versuchsperson Hbymans.)\nStromst\u00e4rke in M.A. = i\tElektrische Energie = i2 R\tAnzahl der Versuche\t1 Mittlere Merklichkeitszeit w\u00e4hrend 5 Min. in Sek.\tWahrscheinl. Fehler derselben in Sek.\n0\t0\t10\t285,7\t3,5\n0,1\t0,01 R\t10\t278,0\t5,0\n0,2\t0,04 R\t10\t265,1\t4,2\n0,3\t0,09 R\t10\t227,6\t7,4\n0,4\t0,16 R\t10\t156,2\t13,8\n0,5\t0,25 R\t10\t73,4\t9,6\nDurch diese beiden Versuchsreihen war nun wenigstens die Tatsache einer mit der Intensit\u00e4t des Hemmungsreizes zunehmenden Verdr\u00e4ngung von Schallempfindungen durch elektrische Hautempfindungen aufser Zweifel gestellt worden ; aufser-dem lassen die Mafse, in welchen einerseits die elektrischen Energien anwachsen, andererseits die Merklichkeitszeiten der Schallempfindung abnehmen, einen durchgehenden und ausgesprochenen Parallelismus nicht verkennen. Dagegen lehren die vorhegenden Zahlen \u00fcber die quantitativen Beziehungen\nzwischen dem Aktivreiz und der entsprechenden Erh\u00f6hung\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nGr. Heymans.\n\u00e7ler Schwelle f\u00fcr den Passivreiz, auf welche es f\u00fcr die Pr\u00fcfung des Hemmungsgesetzes ankommt, in direkter Weise nichts N\u00e4heres; ob in indirekter Weise mehr, blieb zu untersuchen. Zu dieser Untersuchung schienen sich die von G. E.\n0 ooir O.Ot R\n0.09R\t016 R\nFig. 1. (Wiersma, Merklichkeitszeiten.)\n016 R\n0.09R\n0 OMR OjOtR\nFig. 2. (Hetmans, Merklichkeitszeiten.)\nM\u00fclleb in seinem Artikel \u201e\u00fcber die Mafsbestimmungen des Ortsinnes der Haut mittels der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle\u201c 1 vorgeschlagenen Formeln ohne weiteres darzu-\n1 Pfl\u00fcg er 8 Archiv 19, S. 191 ff.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\n21\nbieten: denn erstens ist wohl anzunehmen, dafs die Variierung der Reizschwelle durch wechselnde Umst\u00e4nde \u00e4hnlicher Natur bestimmt wird wie die Variierung der Raumschwelle, und zweitens l\u00e4fst sich die von mir verwendete graphische Registriermethode einfach als eine Methode fortlaufender Schwellenbestimmung mit konstanten Reizen betrachten, welche sich als solche vollst\u00e4ndig der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle unterordnen l\u00e4fst Ich hatte also, schien es, nichts weiter zu tun als in den M\u00fcLLEaschen Formeln:\nund\nr\nn\n1\n2\n+\n-l-t\nVn J\nP\u2014S)h \u2014 I*\ne dt\nr\nn\n1_\nVn\n(8 - D) h\n^ e 0dt\nf\u00fcr das jemalige Verh\u00e4ltnis zwischen Merklichkeitszeit und\nVersuchszeit, und f\u00fcr D die bei den betreffenden Versuchen verwendete Schallintensit\u00e4t einzusetzen, um ohne weiteres die jeweilig vorliegenden Schwellenwerte berechnen zu k\u00f6nnen. Doch ergab diese Berechnung keineswegs klare und eindeutige\nY\nResultate. Zwar fand sich f\u00fcr die kleineren Betr\u00e4ge von \u2014\n(also etwa f\u00fcr diejenigen, welche mit Stromst\u00e4rken von 0,3 bis 0,5 M.A. gewonnen waren) bei beiden Versuchspersonen eine sehr befriedigende Proportionalit\u00e4t zwischen Intensit\u00e4t des Aktivreizes und Erh\u00f6hung der Passivreizschwelle; die den h\u00f6heren\nBetr\u00e4gen von entsprechenden kleineren Schwellenwerte lagen\neinander aber zu nahe und liefen durcheinander, dergestalt, dafs in einzelnen F\u00e4llen einer Verst\u00e4rkung des Aktivreizes, trotzdem dieselbe in beiden Versuchsreihen eine bedeutende Abnahme der Merklichkeitszeiten mit sich f\u00fchrte, dennoch im Rechnungsresultate eine Erniedrigung der Schwelle entsprach. Die M\u00f6glichkeit solcher ungereimter Ergebnisse war offenbar in der geringen Zahl der Versuche und dem entsprechend hohen Betrage der wahrscheinlichen Fehler begr\u00fcndet ; es stellte sich aber alsbald heraus, dafs sich zuverl\u00e4ssigere Zahlen nur","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nG. Heymans.\ndurch eine H\u00e4ufung der Versuche, wozu die Zeit mir fehlte, w\u00fcrden gewinnen lassen. Unter solchen Umst\u00e4nden schien es angezeigt, von der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle nicht mehr zu fragen, als sie bequem leisten konnte und bereits geleistet hatte, n\u00e4mlich den Beweis, dafs unter den vorliegenden Umst\u00e4nden unzweideutige Hemmungswirkungen tats\u00e4chlich und regelm\u00e4fsig auftreten ; dagegen die exakte Messung dieser He mm un gs Wirkungen nach einer anderen, weniger zeitraubenden, vielleicht auch sichereren Methode, derjenigen der Minimal\u00e4nderungen, zu versuchen. Umsomehr schien sich dieser Weg zu empfehlen, als die bisherigen Versuche zwar nur unsicher mefsbare, jedoch jedenfalls sehr regelm\u00e4fsige und bedeutende Unterschiede in den Merklichkeitsverh\u00e4ltnissen bei verschiedenen Hemmungsreizen ans Licht gef\u00f6rdert hatten; demzufolge mein fr\u00fcherer Zweifel an die M\u00f6glichkeit, die Hemmungswirkungen auf direktem Wege zu messen, sich als unbegr\u00fcndet heraus-gestellt hatte.\nDie betreffende Untersuchung fand in folgender Weise statt. Vor der mit fixiertem Kopfe und geschlossenen Augen sitzenden Versuchsperson war in Stimh\u00f6he und in der Medianebene ein horizontaler Stab mit Zentimetereinteilung von 3 m L\u00e4nge angebracht; an diesem Stabe f\u00fchrte der Versuchsleiter die oben erw\u00e4hnte Remontoiruhr langsam hin und her, w\u00e4hrend die linke Hand der Versuchsperson, genau so wie fr\u00fcher, den zwischen 0 und 0,5 M.A. wechselnden elektrischen Hautreizen sich aussetzte. Das Verfahren war ein durchaus unwissentliches. Bei jedem Versuche wurde viermal die obere, und viermal die untere Reizschwelle bestimmt; da mit jeder Intensit\u00e4t des Aktivreizes sechsmal experimentiert wurde, konnten also den einzelnen Schwellenbestimmungen je 24 Merklichkeits- und 24 Unmerk-lichkeitsurteile zugrunde gelegt werden. Die Resultate dieser Untersuchung sind in den Tab. V und VI zusammengestellt worden ; als Einheit f\u00fcr die Berechnung der Schallreizintensit\u00e4ten diente das Ger\u00e4usch der in einer Entfernung von 10 m tickende Uhr. Die Hemmungskoeffizienten und die berechneten Reizschwellen sind in durchwegs gleicher Weise wie fr\u00fcher ermittelt worden.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\n23\nTabelle V. (Versuchsperson Wibrsma.)\nElektrische Energie = i* R\tMittlere Entfernung der Uhr in cm\tMittlere Reiz- schwelle\tWahr- scheinlicher Fehler derselben\tHemmungs- koef\u00e4zient\t\t\tBerechnete Reiz- schwelle\n0\t205\t24\t0,2\t\t\t\t22\n0,01 R\t190\t28\t0,3\t\t\t\t25\n0,04 R\t176\t32\t0,4\t\t2,7\t<\t\t33\n0,09 R\t155\t42\t0,4\t\t\t\t46\n0,16 R\t131\t58\t1,4\t\t\t\t65\n0,25 R\t103\t94\t1,9\t\t\t\t90\nTabelle VI.\n(Versuchsperson Hbymans.)\nElektrische Energie = i* R\tMittlere Entfernung der Uhr in cm\tMittlere Reiz- schwelle\n0\t197\t26\n0,01 R\t186\t29\n0,04 R\t176\t32\n0,09 R\t150\t44\n0,16 R\t124\t65\n0,25 R\t107\t87\nWahr-\nscheinlicher\nFehler\nderselben\n0,6\n0,6\n0,7\n1,0\n1,6\n3,0\nHemmungs-\nkoeffizient\n2,5\nBerechnete\nReiz-\nschwelle\n24\n27\n34\n47\n64\n87\nDiese Zahlen sind, wie ich glaube, entscheidend. Wenn in \u00abmer graphischen Darstellung (Fig. 3 und 4) die elektrischen Energien als Abszissen, die zugeh\u00f6rigen mittleren Reizschwellen als Ordinaten verzeichnet werden, so verteilen sich die Endpunkte dieser Ordinaten abwechselnd zu beiden Seiten einer geraden, die Ordinatenachse schneidenden und vom Schnittpunkte an schr\u00e4g emporsteigenden Linie; die experimentell ermittelten Reizschwellen r sind also, in befriedigender Ann\u00e4herung, eine lineare Funktion der elektrischen Energien bezw. der denselben proportionalen Werte i-; und die Berechnung ergibt, dafs diese Funktion f\u00fcr die beiden Versuchspersonen folgende Formen annehmen mufs:\nf\u00fcr Wiersma: r = 22 + 2,7 i~ f\u00fcr Heymans: r = 24 + 2,5 i2","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nGr. Heymans.\nDie Werte dieser Funktionen f\u00fcr die verwendeten Betr\u00e4ge von i2 sind in den letzten Kolumnen der Tab. V und VI an-\n\u00d4 OM\nFig. 4. (Heymans; Methode der Minimal\u00e4nderungen.)\ngegeben; wie man sieht, weichen sie nur wenig und in wechselnder Richtung von den Beobachtungsergebnissen ab. Die","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\n25\nHemmung von Schallempfindungen durch elektrische Hautempfindungen findet also nach dem fr\u00fcher auf gestellten, f\u00fcr Beziehungen zwischen gleichart igen Empfindungen bereits mannigfach erprobten Hemmungsgesetze statt.\nEs ist jedoch \u00fcber die vorliegenden Differenzen zwischen den experimentell ermittelten und den berechneten Reizschwellen noch ein weiteres zu bemerken. Aus den Tabellen und Figuren ist n\u00e4mlich sofort ersichtlich, erstens, dafs diese Differenzen in ihrem Verlauf eine bestimmte, und zwar f\u00fcr beide Versuchspersonen die n\u00e4mliche, Periodizit\u00e4t aufweisen, indem sie f\u00fcr die kleineren Betr\u00e4ge von i~ positiv, f\u00fcr die n\u00e4chstgr\u00f6fseren negativ, f\u00fcr die noch gr\u00f6fseren wieder positiv ausfallen, demzufolge denn die Kurven der mittleren Reizschwellen etwa wie schwache aber ziemlich regelm\u00e4fsige Schlangenlinien aussehen w\u00fcrden jzweitens, dafs die Betr\u00e4ge der Differenzen fast durchgehend diejenigen der wahrscheinlichen Fehler bedeutend \u00fcbersteigen. Diese beiden Tatsachen weisen \u00fcbereinstimmend darauf hin, dafs jene Differenzen nicht blofs zuf\u00e4lligen Wahrnehmungsfehlern ihre Existenz verdanken, sondern dafs sich in denselben, neben jenen, auch systematische Fehler offenbaren. Welcher Art diese sind, l\u00e4fst sich wenigstens vermuten. Bei genauerem Zusehen stellt sich n\u00e4mlich heraus, dafs die Richtung der Differenzen nur im grofsen und ganzen mit der Intensit\u00e4t des Hemmungsreizes, dagegen durchgehend mit der mittleren Entfernung der Uhr in Beziehung steht: \u00fcberall wo diese Entfernung 180 bis 205 cm betr\u00e4gt, sind die Differenzen positiv; \u00fcberall, wo dieselbe 130 bis 180 cm betr\u00e4gt, sind sie negativ; und \u00fcberall, wo dieselbe 103 bis 130 cm betr\u00e4gt, sind sie wieder positiv oder = 0; und zwar verh\u00e4lt es sich so ohne jegliche Ausnahme bei beiden Versuchspersonen. Inwiefern kann nun diese Entfernung der Uhr eine systematische Fehlerquelle abgeben? Vielleicht dadurch, dafs, mit der Entfernung der Uhr vom Ohr der Versuchsperson, sich auch ihre Lage in bezug auf die Zimmerw\u00e4nde ver\u00e4ndert, und dafs bei bestimmten Lagen in bezug auf diese W\u00e4nde die von denselben zur\u00fcckgeworfenen intermittierenden Schallwellen zeitlich mit den etwas sp\u00e4ter von der Uhr ausgesandten, direkt zum Ohr gelangenden zusammenfallen, und so dieselben um ein Geringes verst\u00e4rken. Oder auch so, dafs der Versuchsleiter, welcher in mittlerer Entfernung von der Versuchsperson stand,","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nG. Heymans.\nbeim Hin- und Herbewegen der Uhr dieselbe nicht immer senkrecht zur Medianebene, sondern in den \u00e4ufsersten Stellungen etwas schief gehalten hat, wodurch dann eine kleine Herabsetzung der Schallintensit\u00e4t verschuldet sein k\u00f6nnte. Wie dem aber auch sei, die offenbare Anwesenheit einer die vorliegenden Abweichungen mitbedingenden, von der Stellung der Uhr abh\u00e4ngigen systematischen Fehlerquelle bietet eine Gew\u00e4hr daf\u00fcr, dafs unter g\u00fcnstigeren Umst\u00e4nden eine noch strengere \u00dcbereinstimmung der Versuchsergebnisse mit der Theorie sich w\u00fcrde ergeben haben.\nEs er\u00fcbrigt noch, in bezug auf die Einfl\u00fcsse der \u00dcbung bzw. Erm\u00fcdung, welche bei den vorliegenden Versuchen ans Licht getreten sind, einiges zu bemerken.\nBei den zuerst besprochenen, nach der graphischen Registriermethode angestellten Versuchen waren die betreffenden Verh\u00e4ltnisse besonders deshalb einigermafsen interessant, weil sie, verglichen mit den Resultaten fr\u00fcherer Versuche, an welchen die n\u00e4mlichen Personen unter wesentlich gleichen Umst\u00e4nden sich beteiligten, eine auffallende Ver\u00e4nderung im Verhalten einer der Versuchspersonen ans Licht f\u00f6rderten. Bei jenen fr\u00fcheren, auf die Aufmerksamkeitsschwankungen sich beziehenden Versuchen, welche im Fr\u00fchjahr 1901 stattfanden, hatte sich n\u00e4mlich ergeben, dafs w\u00e4hrend Prof. Wiersma regelm\u00e4fsig im zweiten Drittel einer Versuchszeit von 5 Min. etwas mehr, und im dritten nahezu ebensoviel wahrnahm, als im ersten Drittel, bei mir ebenso regelm\u00e4fsig die Summe der Merklichkeitszeiten vom ersten bis zum dritten Drittel eine stetige und bedeutende Abnahme erkennen liefs.1 Statt dieser mit auffallender Konsequenz sich handhabenden, in 24 verschiedenen, auf drei Sinnesgebiete sich beziehenden Versuchsreihen fast ohne Ausnahme sich wiederholenden Differenz, fand sich nun bei den jetzigen Versuchen, dafs ich mich nahezu vollst\u00e4ndig dem WiERSMAschen TyPus an' gepafst hatte: bei einer Entfernung der Uhr von 1,85 m betrug die Summe aller U n merklichkeitszeiten im 1., 2. bzw. 3. Drittel der einzelnen Versuchszeiten f\u00fcr Wiersma 1226, 1160 bzw. 1171 Sek., f\u00fcr mich 1244, 1144 bzw. 1154 Sek.; und bei einer Entfernung der Uhr von 2,10 m erh\u00f6hten sich diese Zahlen f\u00fcr\n1 Man vergleiche die Tabellen und graphischen Darstellungen bei Wiersma, diese Zeitschrift 26, S. 179\u2014180, 184\u2014185, 190 und 195\u2014196","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung.\n27\nWiebsma auf 1663, 1474 bzw. 1509 Sek., f\u00fcr mich auf 1761, 1720 bzw. 1659 Sek. (s. Fig. 5 und 6). Zu durchwegs analogen Resultaten f\u00fchrte die Vergleichung der Ergebnisse aus den fr\u00fcheren und sp\u00e4teren in eine einst\u00fcndige Versuchszeit fallenden Versuche, sowie auch diejenige der Zahlen, welche mittels der Methode der Minimal\u00e4nderungen gewonnen waren: \u00fcberall hatte meine im Vergleiche mit Wiebsma gr\u00f6fsere Erm\u00fcdbarkeit einer gleichen\n1800\nBrtffkm* 2JOM.\n1260\nFig. 5.\tFig. 6.\nWiebsma\tHetmans\nErm\u00fcdungskurven (Summe der Unmerklichkeitszeiten w\u00e4hrend des 1., 2. und 3. Drittels eines Versuches von 5 Min.)\noder selbst geringeren den Platz ger\u00e4umt. Die Erkl\u00e4rung dieses unerwarteten Typuswechsels ist, wie ich glaube, nicht weit zu suchen. W\u00e4hrend jener fr\u00fcheren Versuche litt ich n\u00e4mlich seit mehreren Jahren an einer hartn\u00e4ckigen, aus einer Influenzaerkrankung zur\u00fcckbehaltenen Schlaflosigkeit, deren Folgen sich zwar bei meinen t\u00e4glichen Arbeiten nur sehr wenig bemerklich machten, von welcher ich aber dennoch mit Zuversicht annehme, dafs sie meine damalige \u00fcberm\u00e4fsige Erm\u00fcdbarkeit verschuldet","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nG. Hey mans.\nhat Wenigstens finde ich f\u00fcr die Tatsache, dafs in den jetzigen Versuchsergebnissen die Zeichen f\u00fcr eine solche \u00fcberm\u00e4fsige Erm\u00fcdbarkeit vollst\u00e4ndig fehlen, keinen anderen Grund als die sehr entschiedene Besserung, welche seit etwa l1/* Jahr in bezug auf jene St\u00f6rung bei mir eingetreten ist Und so findet denn das Ergebnis der Untersuchungen Wiersmas, nach welchen die Schwellenbestimmung nach der graphischen Registriermethode ein sehr brauchbares Hilfsmittel f\u00fcr die Feststellung nerv\u00f6ser und psychischer St\u00f6rungen darbietet, in den dargelegten Verh\u00e4ltnissen eine nicht uninteressante Best\u00e4tigung.\n(Eingegangen am 20. Oktober 1903.)","page":28}],"identifier":"lit32814","issued":"1904","language":"de","pages":"15-28","startpages":"15","title":"Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung: Dritter Artikel","type":"Journal Article","volume":"34"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:27:46.705329+00:00"}