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{"created":"2022-01-31T16:37:43.293946+00:00","id":"lit32816","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Strong, C. A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 34: 48-51","fulltext":[{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nLeib und Seele.\nEine Auseinandersetzung mit Professor Stumpf.\nVon\nC. A. Strong,\nProfessor der Psychologie an der Columbia University.\nIn der neuen Auflage seiner Rede \u00fcber \u201eLeib und Seele*4 (Leipzig 1903) wiederholt Professor Stumpf seine Bemerkung von der \u201egrofsen T\u00e4uschung der Panpsychisten, als ob das R\u00e4tsel des Zusammenhangs von Physischem mit Psychischem durch Ausdehnung auf die ganze Welt geringer w\u00fcrde\u201c (20), und erkl\u00e4rt weiter: \u201eWas es dabei noch heifsen soll, dafs das eine nur die Kehrseite oder Innenseite des anderen darstelle, hat noch niemand anders als durch Gleichnisse zu erl\u00e4utern gewufst\u201c (16\\ Ich glaube nicht, dafs diese Behauptung sich der Ausf\u00fchrung der panpsychistischen Theorie gegen\u00fcber aufrecht erhalten l\u00e4fst, wie ich sie in meinem Buche \u201eWhy the Mind has & Body\u201c (New York 1903) versucht habe. Im Gegenteil meine ich dort eine ganz klare und man k\u00f6nnte fast sagen naturwissenschaftliche Erkl\u00e4rung des Wesens und des Ursprungs des Zweiseitenverh\u00e4ltnisses gegeben zu haben. Da ich mich aber etwas kurz gefafst habe und meine Erkl\u00e4rung bei manchen Lesern nicht volles Verst\u00e4ndnis gefunden zu haben scheint, wird es vielleicht von Interesse sein, wenn ich sie noch einmal in Form einer Auseinandersetzung mit Professor Stumpf res\u00fcmiere.\nNach dem Panpsychismus besteht die Welt aus Seelen und weniger entwickelten Formen seelischen Lebens, welche in \u00e4hnlicher Weise geordnet sind, wie in der physischen Welt die Gehirnprozesse und die anderen Formen des Physischen. \u2014 Also, entgegnet Professor Stumpf, die physische eine zweite Welt neben der psychischen! \u2014 Nicht doch, antworte ich, denn","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Leib und Seele.\n49\ndie physische Welt existiert nur als Wahrnehmungszustand in den Seelen. \u2014 Also als blofse Erscheinung, erwidert Professor Stumpf; aber Erscheinungen sind doch etwas; und der Gegensatz von Erscheinung und Ding-an-sich ist eine immer noch bleibende Zweiheit. \u201eWarum mufs denn das Wesen der Dinge \u00fcberhaupt erscheinen und so verschieden von sich selbst erscheinen?\u201c (31.)\nDas ist unzweifelhaft die Grundfrage; aber ich meine, sie klar beantworten zu k\u00f6nnen. Man gebe mir nur zu, dafs das Wesen der Dinge erscheint \u2014 und durch die Erscheinung einigermafsen erkannt werden kann (was ich Kap. X\u2014XII meines Buches ausf\u00fchrlich bewiesen und was Professor Stumpf selbst S. 28 anzunehmen scheint) \u2014 und ich bin im st\u00e4nde zu erkl\u00e4ren, warum.\nZuerst die n\u00f6tigen Pr\u00e4missen:\n1.\tdie verschiedenen Formen seelischen Lebens, welche als physisch erscheinen, bilden nicht nur unter sich eine geordnete Welt, sondern die Teile dieser Welt wirken aufeinander, und ihre Kausalverh\u00e4ltnisse offenbaren sich in den Kausalverh\u00e4ltnissen physischer Dinge;\n2.\tes folgt daraus, dafs die grofsen Entwicklungsgesetze (Kampf ums Dasein, Selektion) nicht blofs f\u00fcr die physische Welt Geltung haben, sondern vielmehr urspr\u00fcnglich f\u00fcr die psychische, dafs in dieser Welt ein grofses Drama der Entwicklung vor sich geht\nSoweit die Pr\u00e4missen. Jetzt die Anwendung : Unser Bewufst-\u25a0sein ist der Gipfelpunkt einer langen Reihe von Entwicklungen in der psychischen Welt; es haben sich gebildet, was man als psychische Organismen bezeichnen kann, von denen unser Be-wufstsein gleichsam der Kern ist ; diese Organismen werden allm\u00e4hlich durch Entwicklungsprozesse mit F\u00e4higkeiten ausgestattet, welche ihnen im Kampf ums Dasein n\u00fctzen ; von diesen F\u00e4higkeiten ist die Wahrnehmung eine. Der Wahrnehmungszustand wird im bewufsten Kern eines psychischen Organismus hervorgerufen durch Einwirkungen der (psychischen!) Umgebung, in \u00e4hnlicher Weise wie im physischen Organismus durch Einwirkung der physischen Umgebung Gehirnzust\u00e4nde hervorgerufen werden. (Der mit der Wahrnehmung verbundene Gehirnzustand spiegelt bekanntlich die physische Umgebung\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 34.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nC. A. Strong.\ngleichsam wieder.) Die Wahrnehmungsf\u00e4higkeit ist durch psychische Entwicklungsprozesse \u00e4hnlich entstanden, wie in der physischen Welt die F\u00e4higkeit, Gehimzust\u00e4nde zu haben, durch physische Entwicklungsprozesse entstanden ist Also mit einem Wort: Die Wahrnehmung ist eine notwendige Resultante des in der psychischen Welt vor sich gehenden Kampfes ums Dasein.\nNun endlich die Antwort auf unsere Frage und zugleich, wie ich meine, die endg\u00fcltige Beseitigung des Dualismus ; Durch diese so entstandene Wahrnehmungsf\u00e4higkeit wird die allein wirkliche psychische Welt notwendig anscheinend verdoppelt.\nWas mich von der Wahrheit dieser Theorie \u00fcberzeugt, ist die zwanglose Weise, wie sie das Zusammensein von Leib und Seele wenigstens in seinen grofsen Umrissen erkl\u00e4rt, so dafs alles dabei klappt. Ich verhehle mir nicht, dafs der Panpsychismus grofse Schwierigkeiten hat; man sehe meine Liste durch S. 353\u2014355. \u00dcbrigens h\u00e4ngt meine Theorie durchaus nicht notwendig mit dem Panpsychismus zusammen, sondern liefse sich leicht auf die Professor Stumpf mehr zusagende Ansicht \u00fcbertragen, dafs das hinter den meisten physischen Prozessen liegende Wirkliche eher physisch sei. Wesentlich bleibt ihr nur die Annahme, dafs das hinter dem Gehirnprozesse Liegende das Be-wufstsein sei.\nEs wird dem Leser vielleicht aufgefallen sein, in wie vielen Punkten meine Lehre mit der von Professor Stumpf vertretenen zusammentrifft. Ich glaube nicht, dafs die Kluft zwischen den beiden eine grofse ist. Nur eine kleine \u00c4nderung der Lehre Professor Stumpfs \u2014 indem er annimmt, das hinter dem Gehirn-prozefs Liegende sei nicht etwas dem Bewufstsein Fremdes, sondern das Bewufstsein selbst \u2014 und unsere Ansichten fallen zusammen. Ich m\u00f6chte darauf aufmerksam machen, dafs es durch diese \u00c4nderung m\u00f6glich w\u00fcrde, die beiden von Professor Stumpf empfohlenen Auswege gegen\u00fcber der Erhaltung der Energie, welche sich jetzt ausschliefsen, miteinander zu vereinigen. Das Bewufstsein bliebe ein Entwicklungsprodukt aus der als die physische erscheinenden wirklichen Welt, mit der es eine best\u00e4ndige Wechselwirkung unterhielte; da aber das Bewufstsein sich im Gehirnprozesse, das \u00fcbrige Wirkliche sich in den nicht-zerebralen Prozessen offenbarte, k\u00f6nnte die gesamte physische","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Leib und Seele.\n\u00d6l\nWelt dem Energiegesetz unterworfen sein, ohne dafs das Bewusstsein seine Wirkungsf\u00e4higkeit verl\u00f6re.\nMit anderen Worten h\u00e4tten wir durch diese Annahme eine Vers\u00f6hnung zwischen der Wechselwirkungslehre und dem Parallelismus zu st\u00e4nde gebracht; und das w\u00e4re ihr zweiter Vorteil, neben dem ersten, dafs sie das Zusammensein von Leib und Seele erkl\u00e4rt Wenn irgend eine andere Theorie solche Vorteile versprechen kann, haben ihre Anh\u00e4nger es bis jetzt \u25a0verschwiegen.\n(Eingegangen am 31. Oktober 1903.)\n4*","page":51}],"identifier":"lit32816","issued":"1904","language":"de","pages":"48-51","startpages":"48","title":"Leib und Seele: Eine Auseinandersetzung mit Professor Stumpf","type":"Journal Article","volume":"34"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:37:43.293951+00:00"}