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{"created":"2022-01-31T13:47:37.990770+00:00","id":"lit32879","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Abelsdorff, G.","role":"author"},{"name":"W. A. Nagel","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 34: 291-299","fulltext":[{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts zu Berlin.)\n\u2022 \u2022\nUber die Wahrnehmung der Blutbewegung in den Netzhautkapillaren.\nVon\nG. Abelsdorff und W. A. Nagel.\nBeim Blick gegen den hellen Himmel sieht man bekanntlich sehr h\u00e4ufig eine Erscheinung, die nicht wohl anders aufgefafst werden kann, wie als entoptische Wahrnehmung von Blutk\u00f6rperchen, die in den Kapillaren bestimmter Netzhautschichten zirkulieren. Es sind kleine gl\u00e4nzende Gebilde, die in nicht all-zugrofser Anzahl sich auf geschl\u00e4ngelten Bahnen durch das Gesichtsfeld bewegen, sehr \u00e4hnlich Vibrionen oder Spirillen in einem mikroskopischen Pr\u00e4parat. Die stete Unruhe der Gebilde, die zudem, wie nachher gezeigt werden wird, niemals die Stelle des deutlichsten Sehens passieren, macht es unm\u00f6glich, ihre Form genau zu beschreiben. Die Figur ist im allgemeinen l\u00e4nglich, st\u00e4bchenf\u00f6rmig, zusammengesetzt aus einem Teil, der heller als der Grund ist, und einem solchen, der dunkler als der Grund ist, auf dem die Gebilde gesehen werden. Ob dunkel oder hell voran geht, ist nicht immer sicher zu erkennen, beides scheint vorzukommen.\nDeutlicher wird die Erscheinung, wenn man gegen den blauen Himmel sieht, als wenn man auf weifse Wolken blickt. Eine Verst\u00e4rkung des Blutumlaufes, wie sie z. B. durch Bergsteigen erfolgt, oder ein Blutandrang zum Kopf, wie beim Niesen oder Pressen, l\u00e4fst die P\u00fcnktchen besonders auff\u00e4llig werden.\nWer die Erscheinung jemals aufmerksam beobachtet hat, kann nicht im Zweifel sein, dafs es sich um eine Zirkulations-","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nG. Abthdorff und W. A. Nagel.\nerscheinung in der Netzhaut handelt. Dr\u00fcckt man w\u00e4hrend der Beobachtung leise mit dem Finger von aufsen gegen das Auge, so geht die sonst ziemlich gleichm\u00e4fsige Bewegung in eine sehr deutlich pulsierende \u00fcber; ein etwas st\u00e4rkerer Druck bringt die Bewegung fast zum Stillstand, man sieht dann im Rhythmus des Pulses nur kleine unbedeutende Verschiebungen. Nach dem Aufh\u00f6ren des Druckes scheinen die K\u00f6rperchen mit erh\u00f6hter Geschwindigkeit durchs Gesichtsfeld zu eilen. Bei dem einen von uns (N.) ist die Bewegung auch ohne Druck aufs Auge zuweilen pulsierend.\nDafs es sich nicht um eine mechanische Reizung von lichtempfindlichen Elementen durch Blutzellen handelt, die sich durch die Kapillaren hindurchbewegen, geht daraus hervor, dafs die Erscheinung im Dunkeln und bei schwachem Licht v\u00f6llig fehlt und auch bei starkem Licht nur dann nachweisbar ist, wenn die Wellenl\u00e4nge des Reizlichtes zwischen ganz bestimmten Grenzen liegt.\nRuete1 2 scheint der erste gewesen zu sein, der die Beobachtung machte, dafs das Zirkulationsph\u00e4nomen in blauem Lichte besonders gut sichtbar ist. Wenigstens bildet er es nach einer Beobachtung ab, welche \u201emit Hilfe eines blauen Glases, durch welches l\u00e4ngere Zeit gegen den Himmel geschaut wurde, gezeichnet\u201c ist. Auch Rood * sah die Erscheinung am besten beim Blick durch blaues Glas. Dem einen von uns (N.) war es aufgefallen, dafs nicht jedes blaue Lichtfilter die Erscheinung beobachten l\u00e4fst, sondern nur ein solches, das vorzugsweise die indigoblauen und violetten Strahlen durchl\u00e4fst, w\u00e4hrend die Beobachtung im Cyanblau seltsamerweise ganz unm\u00f6glich ist\nWir unternahmen nun gemeinschaftliche Untersuchungen, bei denen wir uns die Aufgabe stellten, die Bedingungen f\u00fcr die Wahrnehmung jenes Zirkulationsph\u00e4nomens noch weiter klar zu legen und wom\u00f6glich sein Zustandekommen zu erkl\u00e4ren.\nZwei Erkl\u00e4rungsm\u00f6glichkeiten konnten unseres Erachtens in Frage kommen: es kann eine Schattenerscheinung sein, \u00e4hnlich der P\u00fcRKiNjEschen Aderfigur, bedingt durch Lichtabsorption in den Blutk\u00f6rperchen; oder es kann eine Erscheinung der\n1\tTh. Ruete : Bildliche Darstellung der Krankheiten des menschlichen Auges. Leipzig 1854. 8. 56 u. Tabula VIII, Fig. V.\n2\tSillimans Journal of Science 30, S. 264\u2014265, 385\u2014386. 1860.","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wahrnehmung der Blutbewegung in den Netzhautkapillaren. 293\nLichtbrechung sein, indem die Blutk\u00f6rperchen, die roten oder die weifsen, in irgend welcher Weise linsenartig wirken und das Licht auf die perzipierende Schicht konzentrieren.\nGegen die letztere Annahme sprach vor allem die Schwierigkeit, sich die Blutk\u00f6rperchen in dieser Weise linsenartig wirkend zu denken.1\nGegen die Auffassung der Erscheinung als Absorptionsph\u00e4nomen sprach f\u00fcr uns zun\u00e4chst folgende \u00dcberlegung. Als lichtabsorbierende Elemente konnten nat\u00fcrlich nur die \u201eroten\u201c K\u00f6rperchen in Betracht kommen. Da diese im Spektrum am st\u00e4rksten das Blau und Violett absorbieren, war es wohl erkl\u00e4rlich, dafs diese Lichter das Ph\u00e4nomen so deutlich erkennen liefsen. Da das H\u00e4moglobin aber auch das Gelbgr\u00fcn erheblich absorbiert, sollte man erwarten, dafs die K\u00f6rperchen auch bei Erleuchtung des Auges mit diesem Licht wenigstens einiger-mafsen sichtbar w\u00fcrden. Dieser Nachweis gelang uns jedoch anfangs trotz zahlreicher Versuche mit den verschiedensten Lichtfiltern und mit homogenen Spektrallichtern nicht, und wir kamen daher zu dem Schl\u00fcsse, dafs die Auffassung des Ph\u00e4nomens als Absorptionserscheinung wenig Wahrscheinlichkeit habe. In diesem Stadium der Versuche berichtete der eine von uns (A.) der Berliner physiologischen Gesellschaft (in der Sitzung vom 5. Dezember 1902) \u00fcber unsere Untersuchungen. Der Zufall wollte es, dafs es uns unmittelbar danach gelang, durch Verwendung zweckm\u00e4fsigerer Versuchsanordnungen doch zu zeigen, dafs auch gelbgr\u00fcnes Licht die Blutk\u00f6rperchen erkennen l\u00e4fst, wenn auch nicht so deutlich, wie das violettblaue Licht Da auch eine ganze Reihe anderer Beobachter unseren Befund best\u00e4tigten, halten wir es f\u00fcr erwiesen, dafs das Ph\u00e4nomen durch partielle Absorption gewisser Lichtsorten im H\u00e4moglobin der roten Blutk\u00f6rperchen zustande kommt.\nIm einzelnen teilen wir \u00fcber unsere Versuche noch folgendes mit\nUm mit spektralem Lichte arbeiten zu k\u00f6nnen, bedarf es eines Apparates, der ein sehr intensives Spektrum liefert. Wird\n1 Am ehesten k\u00f6nnte man noch annehmen, dafs die auf der Kante stehenden Blutk\u00f6rperchen wie Zylinderlinsen (genauer wie torische Linsen) wirkten, und einen leuchtenden Streifen erzeugten. Wie Landois (Lehrbuch der Physiologie, 6. Au\u00fc., S. 882) sich die roten Blutk\u00f6rperchen als \u201elichtsammelnde Konkavscheibchen\u201c denkt, ist uns nicht klar geworden.","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nG. Abelsdorff und W. A. Nagel.\nvor das dispergierende Prisma eine Linse von 30\u201440 cm Brennweite gestellt und in deren Brennpunkt ein nicht zu enger Okularspalt, so erblickt man durch diesen die Linse mit monochromatischem Licht erf\u00fcllt, wenn das Prisma von der R\u00fcckseite her von einem parallelstrahligen Lichtb\u00fcndel getroffen wird. Auf der Linse sieht man nun das Gewimmel der Blutk\u00f6rperchen ausgezeichnet, wenn sie mit indigoblauem oder violettem Lichte erf\u00fcllt ist Im Cyanblau und Blaugr\u00fcn sieht man gar nichts davon, im Gelbgr\u00fcn und Gr\u00fcngelb tritt die Erscheinung wieder auf, um im Orange und Rot unter allen Umst\u00e4nden zu verschwinden.\nZur Demonstration des h\u00fcbschen Bildes geeigneter ist die Verwendung von Lichtfiltem, z. B. eines tiefdunkelblauen Kobaltglases oder einer L\u00f6sung von Kupferammoniak. Am besten erleuchtet man eine Mattglasscheibe recht intensiv durch eine Bogenlampe und betrachtet sie durch das Lichtfilter. Die K\u00f6rperchen sehen dann, auf die nahe Fl\u00e4che projiziert, recht grofs aus. Auch der Unge\u00fcbte sieht sie leicht. Noch klarer und brillanter wird die Erscheinung, wenn man aufser der Kupferl\u00f6sung noch eine d\u00fcnne L\u00f6sung von Kaliumpermanganat in den Gang der Lichtstrahlen bringt, wodurch aus dem Lichtergemisch das Cyanblau v\u00f6llig entfernt wird.\nNach dem von dem einen von uns (N.)1 angegebenen Verfahren kann man nun auch leicht ein Lichtfilter hersteilen, welches das Cyanblau des Spektrums fast ungeschw\u00e4cht hin-durchl\u00e4fst, alles \u00fcbrige aber absorbiert. Man l\u00f6st Methylgr\u00fcn in solcher Konzentration, dafs vom Blau gerade das Cyanblau durchgelassen wird, setzt dann etwas Kupferacetat und Essigs\u00e4ure zu, um das vom Methylgr\u00fcn durch gelassene Rot zu beseitigen und l\u00f6scht in dem nun \u00fcbrig gebliebenen Gemisch von gr\u00fcnen und blauen Strahlen die ersteren dadurch, dafs man hinter den Absorptionstrog mit der Methylgr\u00fcnl\u00f6sung noch einen zweiten mit einer ganz d\u00fcnnen, blafsroten Kaliumpermanganatl\u00f6sung stellt.\nMan kann das so gewonnene cyanblaue Licht dann dem durch Kupferammoniak und Kaliumpermanganat gewonnenen, indigoblau und violett enthaltenden an Helligkeit gleich machen (f\u00fcr den Dichromaten sogar auch fast v\u00f6llig farbengleich). Blickt\n1 Biologisches Zentralblatt 18, S. 649.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wahrnehmung der Bluibexoegung in den Netzhautkapillaren. 295\nman mm durch diese L\u00f6sungen gegen die hellerleuchtete Scheibe vor der Bogenlampe, so ergibt das Cyanblau ein absolut ruhiges Gesichtsfeld, das Violettblau l\u00e4fst die K\u00f6rperchenstr\u00f6m\u00fcng aufs Deutlichste erkennen. Auch der Farbenblinde, f\u00fcr den die beiden Lichtarten, wie erw\u00e4hnt, kaum zu unterscheiden sind, befindet sich doch hinsichtlich der Wahrnehmung des Str\u00f6mungs-Ph\u00e4nomens in der gleichen Lage, wie der Farbent\u00fcchtige.\nRote, orangefarbene und blaugr\u00fcne Erleuchtung ist in jeder Helligkeitsabstufung unwirksam. Man sieht wohl auch bei diesen Lichtern, namentlich bei sehr hellem Orange, ab und z\u00fc irgendwelche, schwer zu beschreibende Bewegungserscheinungen, aber diese sind mit den oben beschriebenen nicht identisch und leicht von ihnen zu trennen.\nDie gelbgr\u00fcnen Strahlenfilter, die wiederum ein positives Ergebnis liefern, stellt man her, indem man Kaliumbichromat und Kupferacetat in solchen Mengenverh\u00e4ltnissen l\u00f6st, dafs bei der gegebenen Schichtdicke ein bei der D-linie beginnender und bis zum Anfang des reinen Gr\u00fcns reichender Streifen im Spektroskop sichtbar ist.\nDieser Spektralbezirk entspricht in der Tat demjenigen, der vom H\u00e4moglobin absorbiert wird. Betrachtet man spektroskopisch das von einer d\u00fcnnen H\u00e4moglobinl\u00f6sung durchgelassene Licht, so sieht man, dafs bei einer Konzentration der Blutl\u00f6sung, bei der die Oxyh\u00e4moglobinstreifen nur noch ganz blafs sichtbar sind, das Indigoblau und Violett noch v\u00f6llig ausgel\u00f6scht wird, w\u00e4hrend das Cyanblau ungeschw\u00e4cht durchgeht. Diese intensive Absorption des H\u00e4moglobins f\u00fcr Indigo, Blau und Violett1 erkl\u00e4rt aufs beste das Zustandekommen der Blutk\u00f6rperchenschatten, erkl\u00e4rt auch, dafs diese Schatten im Violettblau so viel intensiver sind, als im Gelbgr\u00fcn. Andererseits steht die Durchl\u00e4ssigkeit des H\u00e4moglobin f\u00fcr Cyanblau,\n1 Es m\u00f6ge hier darauf hingewiesen werden, dafs an vielen Stellen, an welchen die Absorptionswirkung des Hb in Wort und Bild dargestellt wird, nur die Absorption im Gelbgr\u00fcn und Gr\u00fcngelb ber\u00fccksichtigt, die Unvergleichlich st\u00e4rkere Absorption im Blauviolett dagegen ganz \u00fcbersehen wird. Als Beispiele seien genannt : Ne\u00fcmbisthbs Lehrbuch der physiologischen Chemie, in dem ein sch\u00f6nes farbiges Spektrum des OHb mit zwei breiten Streifen im Gr\u00fcngelb abgebildet ist, das sich aber bis ins Violett ungeschw\u00e4cht erstreckt; denselben Fehler weisen die (nicht farbigen) Darstellungen in Landois\u2019 Lehrbuch auf ; bei einer Konzentration, die starke Streifen im Gr\u00fcngelb zeigt, keine Absorption im Violett!","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nG. Abelsdorff und TF. A. Nagel.\nBlaugr\u00fcn, Rot und Orange im besten Einklang mit der Tatsache, dafs in diesen Lichtem die K\u00f6rperchenstr\u00f6mung nicht sichtbar ist\nRecht instruktiv erschien uns der folgende Versuch: Wir stellten wiederum zwei gleichhelle Lichtfilter her, das eine Cyan bl au, das andere Indigoblau und Violett. Alsdann bereiteten wir eine Oxyh\u00e4moglobini\u00f6sung, die in 1 cm Schichtdicke die beiden Streifen im Gr\u00fcngelb noch eben deutlich erkennen liefs. Vor die beiden Blaufilter gebracht, verdunkelte das H\u00e4moglobin das Cyanblau nur ganz wenig, das Blauviolett dagegen sehr erheblich. Vor letzterem l\u00f6schte es auch f\u00fcr unser Auge das Zirkulationsph\u00e4nomen g\u00e4nzlich aus. Dafs dies nicht von der Verdunkelung im ganzen herr\u00fchrte, sondern von der Einengung des durchgelassenen Spektralbezirks vom violetten Ende her, liels sich alsbald erkennen, als wir eine L\u00f6sung von Kaliumpermanganat herstellten, die f\u00fcr unser Auge das Blauviolett in gleichem Mafse verdunkelte, wie jene H\u00e4moglobinl\u00f6sung, jedoch vom cyanblauen Ende her (so dais also die kleinen Anteile von Cyanblau noch v\u00f6llig beseitigt wurden). Das Str\u00f6mungsph\u00e4nomen blieb hier trotz der Verdunkelung vollkommen deutlich.\nBemerkenswert ist, dafs die Gegenwart einer Lichtart, die f\u00fcr sich allein das Ph\u00e4nomen nicht zustande kommen l\u00e4fst, auch sein Zustandekommen hindert, wenn sie in einer Lichtermischung mit erheblichem Betrag beteiligt ist Dies wird recht deutlich, wenn man durch eine d\u00fcnne L\u00f6sung von Kaliumpermanganat blickt, die nur Rot (sehr hell) und Blauviolett durchl\u00e4fst: das Zirkulationsph\u00e4nomen ist nicht zu sehen. Nun braucht man nur Rot durch Vorsetzen einer L\u00f6sung von Kupferacetat auszul\u00f6schen (wodurch das Gesichtsfeld viel dunkler wird), um alsbald die K\u00f6rperchen zu Gesicht zu bekommen. Im Tageslichte sind die blauen und violetten Strahlen so stark vertreten, dafs das Ph\u00e4nomen deutlich zustande kommt. L\u00f6scht man das Violett durch eine hellgr\u00fcne L\u00f6sung von Nickelsulfat, so verschwindet das Ph\u00e4nomen.\nIn der Fovea centralis ist die Blutk\u00f6rperchenstr\u00f6mung nicht zu sehen, wie ja selbstverst\u00e4ndlich ist, wenn man diese Deutung der Bewegungserscheinung anerkennt. Zu dieser Feststellung geh\u00f6rt immerhin einige \u00dcbung. Am evidentesten fanden wir das Freibleiben der zentralen Partie bei folgender Versuchsanordnung. Man blickt monokular durch eine ammoniakalische","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber dit Wahrnehmung der Blutbewegung in den Netzhautkapillaren. 297\nKupferl\u00f6sung nach der beleuchteten Mattscheibe, auf der man einen Fbderpunkt durch Bleistift markiert hat. Achtet man alsdann auf die P\u00fcnktchen, die am n\u00e4chsten an die Fovea herankommen, so gelingt es nach einiger \u00dcbung sehr gut, die Stellen, an denen sie soeben gesehen wurden, durch einen Bleistiftpunkt zu markieren. Wird dies rund um den Fbderpunkt sukzessive ausgef\u00fchrt, so hat man bald einen Kranz von Punkten, inner-halb dessen sich keines der gl\u00e4nzenden K\u00f6rperchen erblicken l\u00e4fst Der so zu findende freibleibende Bezirk scheint individuell etwas zu wechseln, er betr\u00e4gt bei N. 1,5\u00b0 im Durchmesser und ist hier fast genau kreisrund, bei A. querovaL\nMan kann fragen, aus welchem Grunde die beschriebene Bewegungserscheinung im Gegensatz zur PuRKiKjEschen Aderfigur und den anderen Figuren, die bei Bewegung eines Spaltes vor dem Auge entstehen1, beim einfachen ruhigen Blick gegen eine leuchtende Fl\u00e4che ohne weiteres sichtbar wird und bleibt, w\u00e4hrend jene anderen Wahrnehmungen nur bei bewegter Lichtquelle gemacht werden k\u00f6nnen. Ein Grund liegt, wie ohne weiteres klar ist, darin, dafs hier das schattenwerfende Objekt selbst in steter Bewegung ist, und dadurch die lokale Erm\u00fcdung wegf\u00e4llt, die uns .die dauernde Wahrnehmung der Aderfigur unm\u00f6glich macht.\nWir werden aber auch nicht umhin k\u00f6nnen, anzunehmen, dafs es sich in den erw\u00e4hnten drei F\u00e4llen um drei verschiedene Arten von Gef\u00e4fsen handelt, \u00fcber deren relative Tiefenlage zun\u00e4chst nur das zu sagen ist, dafs die Gef\u00e4fse, deren Inhalt man in der oben beschriebenen Weise str\u00f6men sieht, am tiefsten liegen m\u00fcssen, d. h. der Zapfenschicht am n\u00e4chsten ; die beiden anderen Gef\u00e4fsarten m\u00f6gen in gleicher Ebene miteinander liegen und nur durch die verschiedene Beleuchtungsweise in verschiedener Art sichtbar werden. Damit ein einzelnes bewegtes Blutk\u00f6rperchen, oder auch eine Gruppe zusammengeballter solcher, als schattenwerfender Gegenstand sichtbar werde, mufs es der perzipieren-den Schicht jedenfalls bedeutend n\u00e4her liegen, als ein ansehnliches Arterien- oder Venen\u00e4stchen, wie wir es in der Purkinje-\n1 Soviel uns bekannt, wird zuweilen angenommen, die Gef\u00e4fse, die bei Konzentrirung eines Lichtkegels auf die Sklera und bei Bewegung eines beleuchteten Spaltes vor dem Auge wahrgenommen werden, seien dieselben. Das ist aber, wie eine aufmerksame Vergleichung beider Bilder zeigt, entschieden nicht der Fall. Wir beabsichtigen indessen nicht, auf diese Frage hier n\u00e4her einzugehen.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nO. Abelsdorf und W. A. Nagel.\nsehen Figur zu sehen bekommen. So weit in der Tiefe liegen aber fast nur Kapillaren. Die ganze Bewegungsweise der K\u00f6rperehen erinnert auch in der Tat aufserordentlich an die Art, wie sich die Blutk\u00f6rperchen durch die Kapillaren der Froschschwimm-haut oder des Froschmesenteriums hinschl\u00e4ngeln.\nMacht man sich zum Vergleich die feineren Netzhautgef\u00e4fse \u2022\u00fcber Kapillargr\u00f6fse sichtbar, indem man vor dem Auge ein enges Diaphragma hin- und herbewegt, durch welches helles Licht einf\u00e4llt, so erkennt man leicht, dafs die Gestaltung dieser Ge-f\u00e4fse anders ist, als die Bahnen, in denen wir die K\u00f6rperchen gleiten sehen; jene verlaufen gerader, gestreckter, w\u00e4hrend diese einen ausgepr\u00e4gt geschl\u00e4ngelten Verlauf haben.\nWir werden anzunehmen haben, dafs die Schattenabbildung der Blutk\u00f6rperchen nur in dem Augenblick in der f\u00fcr die Wahrnehmung gen\u00fcgenden Sch\u00e4rfe Zustandekommen, in der die K\u00f6rperchen die tiefsten Schichten der Netzhaut passieren. Mit dem Aufsteigen in h\u00f6here (innere) Schichten entschwinden sie alsbald der Wahrnehmung. Dadurch erkl\u00e4rt sich, warum man die einzelnen P\u00fcnktchen immer nur auf relativ kurze Strecken verfolgen kann.\nWir haben bisher, um die Darstellung nicht zu komplizieren, immer nur von der Schattenabbildung einzelner K\u00f6rperchen oder K\u00f6rperchengruppen gesprochen. Es w\u00e4re aber auch denkbar, dafs, was wir sich bewegen sehen, die L\u00fccke zwischen je zwei Gruppen dicht beieinanderliegender und miteinander sich fortschiebender Blutk\u00f6rperchen w\u00e4ren. Ohne eine bestimmte Ansicht \u00fcber die Richtigkeit der beiden m\u00f6glichen Annahmen auszusprechen, m\u00f6chten wir doch darauf hinweisen, dafs manches f\u00fcr die letzterw\u00e4hnte, bereits von Helmholtz1 ausgesprochene Annahme geltend gemacht werden kann. Zun\u00e4chst erscheinen die P\u00fcnktchen \u00fcberwiegend hell auf dunklem Grunde, z. B. bei Beobachtung durch blaues Glas leuchtend bl\u00e4ulichweifs auf tiefblauen Grunde.2 Obgleich ein dunkler Schatten jedes helle P\u00fcnktchen, wie oben erw\u00e4hnt, begleitet, w\u00e4re diese Erscheinung leichter erkl\u00e4rt, wenn wir ann\u00e4hmen, es seien die L\u00fccken\n1\tPhysiologische Optik. 2. Anfl., S. 198.\n2\tGelbliche, also dem Grunde komplement\u00e4re F\u00e4rbung, wie sie Rood a. a. 0. und Vierobdt (Die Wahrnehmung des Blutlaufs in deT Netshaut des eigenen Auges. Arch. f. physiolog. Reifkunde 1856) angeben, konnten wir niemals warnehmen.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wahrnehmung der Blutbewegung in den Netzhautkapillaren. 299\nzwischen mehreren Blutk\u00f6rperchen, die uns durch pl\u00f6tzliche Erhellung der dahinter liegenden Zapfen jene Lichtp\u00fcnktchen erscheinen liefsen. Auch die relativ sp\u00e4rliche Zahl der gleichzeitig sichtbaren P\u00fcnktchen k\u00f6nnte in diesem Sinne gedeutet werden. Wo sich der zusammenh\u00e4ngende Strom der Blutk\u00f6rperchen durch irgend ein Hemmnis vor\u00fcbergehend trennt, w\u00fcrde ein Lichtpunkt aufleuchten, wo sich die Reihe wieder schliefst, w\u00fcrde er verschwinden.\nGanz zwingend sind diese Gr\u00fcnde jedoch nicht und wjr m\u00f6chten daher die Frage offen lassen, ob das einzelne bewegte P\u00fcnktchen in der Zirkulationsfigur den Schatten eines oder einiger Blutk\u00f6rperchen oder die L\u00fccke zwischen gr\u00f6fseren Ketten von K\u00f6rperchen zur Anschauung bringt.\nUnsere \u00fcbrigen Ausf\u00fchrungen werden von der Art, wie man zu dieser Frage Stellung nehmen will, ohnhin nicht ber\u00fchrt.\n(Eingegangen am 2. Dezember 1903.)","page":299}],"identifier":"lit32879","issued":"1904","language":"de","pages":"291-299","startpages":"291","title":"\u00dcber die Wahrnehmung der Blutbewegung in den Netzhautkapillaren","type":"Journal Article","volume":"34"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:47:37.990776+00:00"}