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{"created":"2022-01-31T16:35:00.075725+00:00","id":"lit32880","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Cohn, J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 34: 300-302","fulltext":[{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nLiteraturbericht.\nGustav Bpillbb. The Hind of Min. A Text-Book of Psychology. London, Sonnenschein & Co ; New York, Macmillan; 1902. XIV u. 652 S.\nNicht ein Lehrbuch dessen, was andere gefunden haben, will der Verf. bieten, vielmehr ist er \u00fcberzeugt, dafs es eine ernst zu nehmende wissenschaftliche Psychologie vor ihm noch gar nicht gegeben hat, dafs er sie erst erzeugen muJCs. Dabei betrachtet er die Psychologie als Grundlage der gesamten Philosophie, sein Standpunkt ist also psychologiatisch ; ferner ist er entschiedener Empirist und Positivist und will \u2014 nach der Vorrede \u2014 jede Spekulation und Hypothese aus de/ Psychologie ausschliefsen (cf. auch S. 10\u201414). Alle bisher verwendeten Grundbegriffe der Psychologie sind unwissenschaftlich d. h. nicht durch systematische unvoreingenommene Erfahrung gewonnen (8. 3\u201410). Die Selbstbeobachtung (\u201eintrospection\u201c) ist das Hauptforschungsmittel der Psychologie (S. 14/15). Der ge\u00fcbte Psychologe vermag selbst in leidenschaftlichen Zust\u00e4nden exakte Selbstbeobachtung zu \u00fcben (S. 20\u201423). Diese Selbstbeobachtung soll systematisch betrieben werden, so dafs wir die zu beobachtenden Zust\u00e4nde experimentell herbeif\u00fchren (34 ff.). Was man dagegen meist als experimentelle Psychologie bezeichnet, verachtet der Verf. als \u201equantitative Psychologie\u201c (31 ff.).\nNach diesem Programm liest man das Buch mit einer Mischung von Spannung und Furcht. Man erwartet, entweder geniale Enth\u00fcllungen oder unerh\u00f6rten Unsinn darin zu finden. Tats\u00e4chlich ist weder das eine noch das andere der Fall. Vielmehr \u00fcbersch\u00e4tzt der Verf. ganz augenscheinlich die Originalit\u00e4t seines Buches. Methodisch und in den Grundfragen erinnert er \u00fcberall an die sensualistisch-positivistischen Lehren Machs, den er auch wiederholt zitiert. Nur fehlt der kritische Zug, der Mach auszeichnet Sachlich ist Spillers Psychologie biologisch orientiert. Dies ergibt sich schon aus der Definition der Psychologie S. 38: \u201ePsychologie handelt von der Natur und Befriedigung der besonderen (distinctive) Bed\u00fcrfnisse, welche mit dem Zentralnervensystem verbunden sind und zwar handelt sie davon in systematischer Verbindung mit den Systemen von Gesichtseindr\u00fccken, T\u00f6nen, Ger\u00fcchen etc., die sich zusammen mit ihnen entwickeln, d. h. Psychologie handelt von den Bed\u00fcrfnissen, welche aus den Beziehungen der verschiedenen Systeme im Organismus und aus der Beziehung des Organismus zu seiner Umgebung entspringen.\u201c Der eigene K\u00f6rper ebenso wie die K\u00f6rper der Umgebung sind ja f\u00fcr den extremen Sensualismus nur Systeme von Empfindungen. Da danach alles Physische so gut wie alles Psychische aus Empfindungen besteht, so ist diese Ein-","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nbOl\nteiltrag hinf\u00e4llig und es entsteht ein v\u00f6lliger Monismus (cf. bes. \u00a7 200, S. 370). Dieser Monismus vollendet Bich dadurch, dafs nach Splllbr alle Empfindungen bei geeigneter Abschw\u00e4chung in dieselbe Art unbestimmter Empfindungen, die er \u201eGef\u00fchle\u201c (\u201efeelings\u201c) nennt, \u00fcbergehen. Er sucht das durch geeignete Erfahrungen zu beweisen: Man senke die Augenlider, bis sie fast geschlossen sind, und sehe so auf ein umgekehrt gehaltenes Bild. Infolge des Verschwindens aller Einzelheiten ist dann die Tiefendimension verschwunden und die Dinge werden nirgend oder im Auge lokalisiert. Der Fleck (\u201eblur\u201c), welcher weder Farbe noch Form oder r\u00e4umliche Beziehung hat, erscheint eher als etwas Gef\u00fchltes denn als etwas Gesehenes (S. 53.) Wenn man diesen Versuch nachmacht, wird man leicht bemerken, dafs infolge der gezwungenen Stellung des Augenlids sich krampfartige Zuckungen in diesen einstellen, die das \u201eGef\u00fchlsartige\u201c an dem Eindruck sind.\nMan erkennt schon hier, dafs Spillbb das Wort \u201eGef\u00fchl\u201c (\u201efeeling\u201c) nicht in dem seit Tbtkks und Kant eingeb\u00fcrgerten Sinne gebraucht, der auch in England und Frankreich heute als \u00fcblich gelten kann. Nat\u00fcrlich wird es ihm dann leicht zu beweisen, dafs Lust und Unlust keine Gef\u00fchle sind. Die Originalit\u00e4t liegt hier also in einer Verwirrung einer der wenigen wohl eingef\u00fchrten Terminologien, die die Psychologie aufweisen kann. \u00dcbrigens sucht er die Bedeutung von Lust und Unlust herabzudr\u00fccken \u2014 sie seien nur nerv\u00f6Be St\u00f6rungen und keineswegs allgemein vorkommende Bestandteile des psychischen Geschehens (Kap. VI). Das psychische Geschehen ist vielmehr wesentlich Bed\u00fcrfnisbefriedigung. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch das Denken analysiert. Diese Analyse (Kap. IV) ist trotz einer gewissen Einseitigkeit wohl der wertvollste Teil des Buches und entschieden sehr beachtenswert. Insbesondere wird der Einfiufs des herrschenden Bed\u00fcrfnisses auf den Gedankenverlauf im Gegens\u00e4tze zu dem gew\u00f6hnlichen Assoziationismus betont. Recht gut wird der Anteil der fortlaufenden Assoziationen und des herrschenden Zweckes in dem Satze formuliert (S. 146): \u201eWas im Denken folgen soll, mufs an irgend einem Punkte mit einigen Teilen dessen, was ihm vorangeht, Zusammenh\u00e4ngen, w\u00e4hrend doch die Tatsache seines Folgens nur das Resultat der Existenz eines Bed\u00fcrfnisses ist, das nach Befriedigung verlangt.\u201c\nAllerdings, auch diese ganze biologisch teleologische Auffassung ist keineswegs neu \u2014 aber es bleibt n\u00fctzlich, sie durchzuf\u00fchren. Nur wird dabei sogleich auffallen, wie viel Theorie sich in die \u201eErfahrung\u201c mischt Mit der \u201eErfahrung\u201c nimmt es Sp. \u00fcberhaupt nicht so genau, wie man es nach seinen Ank\u00fcndigungen glauben m\u00f6chte. Oder wie ist etwa der Satz, den er S. 60 als \u00dcberschrift des \u00a7 22 aufstellt: \u201eAufmerksamkeit ist im normalen Wachzustand bei allen Menschen zu allen Zeiten quantitativ gleich\u201c durch Erfahrung beweisbar? Sp. f\u00fchrt nur die bekannten Tat-Bachen an, dafs Verst\u00e4rkung der Aufmerksamkeit mit Verengerung ihres Umfanges verbunden ist. Aber damit ist doch nicht gesagt, dafs ich nicht in frischem Zustand mehr und energischer aufmerksam sein kann als in erm\u00fcdetem oder dafs gar bei verschiedenen Personen diese F\u00e4higkeit gleich entwickelt ist. Wer durch die wirkliche experimentelle Psychologie geschult ist, wird \u00fcberhaupt einen derartigen Satz nicht einmal hypothetisch","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nLitera turbericht.\naussprechen, wenn er nicht vorher bestimmt hat, was unter \u201eQuantum\u201c von Aufmerksamkeit zu verstehen iBt. \u00c4hnliche unbewiesene und in ihrer vagen Unbestimmtheit unbeweisbare Allgemeinheiten begegnen \u00fcberall, z. B. S, 71 der Satz, dais das Gehirn weniger variiert als die Muskeln, im 9. Kap. soll bewiesen werden, dafs das Genie sich vom Durchschnittsmenschen wenig unterscheidet. Der Beweis wird so gef\u00fchrt, dafs Shakespeares Sonette mit denen seiner Vorg\u00e4nger und Zeitgenossen verglichen werden, wobei sich zeigt, dafs Shakespeare als Sonettendichter nicht sehr originell ist. Ich \u00dcberlasse speziellen Kennern jener Sonettenliteratur das Urteil \u00fcber das Spezialresultat. Hier will ich nur darauf hinweisen, dafs Herr Sp., der laute Verk\u00fcnder der reinen Empirie, einen h\u00f6chst unbestimmt gefafsten allgemeinen Satz durch ein einziges Beispiel bewiesen zu haben glaubt.\nEs ist bedauerlich, dafs die hier und da verstreuten besseren Gedanken infolge der eigensinnigen Voreingenommenheit des Verf. nicht zu guter Durchf\u00fchrung kommen. Diese theoretische Verherrlichung einer angeblich reinen Erfahrung ist mit so viel ungepr\u00fcfter, d. h. unwissenschaftlicher Theorie belastet, dafs man von ihr sagen mufs \u201espottet ihrer selbst und weifs nicht wie\u201c. Auch die grofse Gelehrsamkeit des Verf. bleibt infolge seiner Einseitigkeit steril. Fast die ganze psychologi\u00f6che Literatur ist dem Titel nach angef\u00fchrt, aus einer grofsen Reihe von Schriftstellern sind S\u00e4tze polemisch zitiert \u2014 eine wirkliche Benutzung, Durch-denkung, Weiterf\u00fchrung fremder Resultate findet sich fast nirgends.\nJ. Cohn (Freiburg i. B.).\nJoseph Petzold. Die Hotwendigkeit and Allgemeinheit des psychophysischen P&rallelismas. Archiv f\u00fcr systemat. Philosophie 8 (3), 281\u2014337. 1902.\nVorliegende Arbeit ist eine ausf\u00fchrliche Behandlung von bereits an anderen Orten niedergelegten Gedanken, mit gleichzeitiger Polemik gegen Angriffe, die die Ansichten des Verf. im Laufe der Zeit erfahren haben.\nVerf. steht auf dem Boden des Empiriokritizismus, wie er von Avenabius geschaffen worden ist. Die Grundgedanken seines Parall\u00e9lismes sind folgende:\nDer psychophysische Parallelismus ist vor allem nicht metaphysisch zu fassen, etwa in dem Sinne, dafs Leib und Seele als Akzidentien einer Substanz gefafst werden, sondern baut sich allein auf Tatsachen auf. Er besagt, dafs das psychische Leben, in allen seinen Phasen eindeutig Vor-g\u00e4ngen des Zentralnervensystems zugeordnet werden mufs, wenn es \u00fcber haupt begriffen werden will. In diesem Sinne und nur in diesem ist das Prinzip des Parallelismus allgemeing\u00fcltig, nicht auch umgekehrt, dafs auch jedem physischen Vorg\u00e4nge ein psychischer entspr\u00e4che, was das Gebiet der Erfahrung verlassen und zum metaphysischen Parallelismus \u00fcbergehen hiefse.\nEine solche eindeutige Zuordnung aller psychischen Vorg\u00e4nge an physische ist nun aber auch notwendig, will man das Leben der Seele \u00fcberhaupt verstehen. Die Naturwissenschaft l\u00e4uft schliefslich darauf hinaus, alle physischen Vorg\u00e4nge in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Unter Ablehnung des \u00fcblichen Ursachbegriffes, dafs die Ursache der","page":302}],"identifier":"lit32880","issued":"1904","language":"de","pages":"300-302","startpages":"300","title":"Gustav Spiller: The Mind of Man. A Text-Book of Psychology. London, Sonnenschein & Co; New York, Macmillan; 1902. XIV u. 552 S.","type":"Journal Article","volume":"34"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:00.075734+00:00"}