Open Access
{"created":"2022-01-31T16:35:16.892436+00:00","id":"lit32912","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heymans","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 33: 216-222","fulltext":[{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nLitera turberich t.\neinigung der verschiedenen geistigen Zust\u00e4nde anzunehmen, und eine solche ist nur m\u00f6glich, wenn dieselben als- Zust\u00e4nde eines und desselben unteilbaren Wesens gedacht werden. Die Seele ist nach Art der Atome also ein einfaches reales Wesen, das zwar infolge seiner grofsen qualitativen Verschiedenheit nicht dieselben chemischen Vorg\u00e4nge eingeht wie die Gehirnatome, aber doch mit diesen in bestimmter Wechselwirkung steht, die an sich nicht geheimnisvoller ist als die zwischen den k\u00f6rperlichen Atomen untereinander. Der Geist ist nun ein System von T\u00e4tigkeitszust\u00e4nden in diesem Seelenwesen. Indem nun mit diesen inneren Zust\u00e4nden der Seele solche des Gehirns und des \u00fcbrigen K\u00f6rpers verbunden sind, und da sich innere und \u00e4ufsere Zust\u00e4nde einander widersprechen, ist es erkl\u00e4rlich, wie die Seele durch Gehirn und Organismus zu wirken im st\u00e4nde ist.\nDiese Anschauung ist kein Dualismus im Sinne eines schroffen Gegensatzes zwischen Leib und Seele, vielmehr besteht eine durchg\u00e4ngige Wechselwirkung zwischen leiblichen und geistigen Vorg\u00e4ngen ; die alledem Gesetze von der Erhaltung der Energie unterworfen sind. Daraus folgt dann schliefslich die pers\u00f6nliche Unsterblichkeit des Geistes.\nMoskiewicz (Breslau).\nL. Busse. Geist und K\u00f6rper, Seele und Leib. Leipzig, D\u00fcrr, 1903. 488 S. Mk. 8,50.\nDas vorliegende, flott, mafsvoll und klar geschriebene, angenehm zu lesende, mit zahlreichen Literaturnachweisen versehene Buch beabsichtigt einmal allgemein \u00fcber die verschiedenen in Bezug auf die Frage des Verh\u00e4ltnisses zwischen Physischem und Psychischem vorliegenden Standpunkte zu orientieren, sodann die eigene, aus seinen fr\u00fcheren Schriften bekannte Auffassung des Verf. m\u00f6glichst sicher zu begr\u00fcnden und zu verteidigen. Zu diesem Zwecke bietet es zuerst (S. 12\u201461) eine nur als \u201eentr\u00e9e\u201c gemeinte Widerlegung des Materialismus; dann folgt (S. 62\u2014474) die \u201epi\u00e8ce de r\u00e9sistance\u201c unter dem Titel: \u201ePsychophysische Wechselwirkung oder psychophysischer Parallelismus?\u201c Der psychophysische Parallelismus wird zun\u00e4chst nach drei Gesichtspunkten eingeteilt: nach der \u201eModalit\u00e4t\u201c in empirischen und metaphysischen Parallelismus, nach der \u201eQuantit\u00e4t\u201c in partiellen und universellen Parallelismus, nach der \u201eQualit\u00e4t\u201c in materialistischen, realistisch-monistischen, idealistisch-monistischen und dualistischen Parallelismus; von diesen werden der empirische, der partielle und der materialistische Parallelismus als unechte, mit Inkonsequenzen behaftete, entweder nichtssagende oder in den reinen Materialismus verlaufende Formen ausgeschieden, und die anderen einer genaueren Pr\u00fcfung unterzogen. Als Vorteile des Parallelismus werden die vollst\u00e4ndige W\u00e4hrung der Rechte der Naturwissenschaft und die Erm\u00f6glichung einer wenigstens scheinbaren Vers\u00f6hnung von Verstand und Gem\u00fct anerkannt; diesen Vorteilen wird aber ein langes S\u00fcndenregister (S. 129\u2014379) gegen\u00fcbergestellt. Was zuerst den metaphysischen Unterbau anbelangt, so seien weder die zur Erl\u00e4uterung der realistisch-monistischenAuffassung verwendeten Bilder \u00fcberzeugend, noch auch der Gedanke einer durch ein unbekanntes Drittes vermittelten, oder auch nicht vermittelten Identit\u00e4t zweier heterogener Erscheinungsreihen wirklich fafsbar. Nicht viel besser sei es um","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n217\ndie idealistisch-monistische Auffassung bestellt. Zwar sei sie von den Widerspr\u00fcchen und Unklarheiten jener frei; daf\u00fcr m\u00fcsse sie aber, da sie ja das Physische leugnet, den Gedanken eines im eigentlichen Sinne psychophysischen Parallelismus, sowie auch denjenigen einer wesentlichen Identit\u00e4t der beiden Reihen aufgeben; aufserdem kommen f\u00fcr sie die physischen Parallelerscheinungen nicht gleichzeitig mit, sondern erst nach den psychischen zur Verwirklichung, und d\u00fcrfe den ersteren keine eigene Gesetzm\u00e4fsigkeit und keine Vollst\u00e4ndigkeit zugeschrieben werden. Um diesen beiden M\u00e4ngeln abzuhelfen, sei der idealistisch - monistische Parallelismus gen\u00f6tigt, die Inhalte der sinnlichen Wahrnehmung zu verselbst\u00e4ndigen, zu objektivieren; auch in dieser verbesserten Gestalt sei aber der Parallelismus keineswegs als die notwendige Konsequenz des Idealismus anzuerkennen, da die M\u00f6glichkeit, dais die psychischen Prozesse keine sinnlichen Wahrnehmungen zu erzeugen verm\u00f6gen und demnach keine Parallelglieder besitzen, sich von vornherein nicht ausschliefsen lasse, und da bei dem psychischen Prozefs der Konstatierung einer Parallelit\u00e4t zweier Reihen doch immer das Parallelglied zu eben diesem psychischen Prozefs einstweilen fehlen, also die psychische Reihe stets einen \u00dcberschufs aufweisen m\u00fcsse. Des weiteren sei schwerlich zu leugnen, dafs, da wir doch \u00fcberall Kausalit\u00e4t annehmen, wo regelm\u00e4fsige Aufeinanderfolgen gegeben sind, die Annahme einer kausalen Wechselwirkung zwischen Physischem und Psychischem im Vergleich mit der parallelistischen jedenfalls die n\u00e4herliegende ist. Und endlich f\u00fchre der Parallelismus auf allen Gebieten zu unm\u00f6glichen Konsequenzen : wie z. B. dafs auch Beziehungenz wischen Bewufst-seinsinhalten, sowie die Einheit des Bewufstseins, physisch repr\u00e4sentiert sein m\u00fcssen; und dafs alle T\u00e4tigkeit lebendiger Organismen nach dem Muster der Reflexbewegungen zu erkl\u00e4ren sei, somit auch alles durch menschliches Handeln verursachte Geschehen von der Herrschaft psychischer Faktoren unabh\u00e4ngig gemacht werde ; diesen ungereimten Folgerungen k\u00f6nne auch der idealistische Parallelismus nicht entgehen, da ja nach Obigem auch diese Form des Parallelismus nur unter der Voraussetzung der Objektivierung und Verselbst\u00e4ndigung der physischen Erscheinungen sich durchf\u00fchren lasse, auch ohne diese Voraussetzung das Energieprinzip, den Grundsatz der geschlossenen Katurkausalit\u00e4t und die Ausschliefsung psychischer Kausalit\u00e4t nicht handhaben k\u00f6nne. Aufserdem erfordere der Parallelismus eine pluralistische und mechanische Psychologie: Ersteres wegen der atomistischen Zusammensetzung des der Seele entsprechenden K\u00f6rpers, das andere, weil, wie die Erscheinungen, so auch die Gesetze auf psychischem denjenigen auf physischem Gebiete parallel verlaufen m\u00fcssen. Demzufolge sei weder f\u00fcr eine substantielle Seele (welche doch erst die Einheit des Bewufstseins erm\u00f6gliche), noch f\u00fcr einheitliche Vorstellungen, noch endlich f\u00fcr Freiheit und Spontaneit\u00e4t in Denken und Wollen innerhalb der betreffenden Lehre Platz; es m\u00fcssen f\u00fcr sie die logischen und ethischen Gesetze als allen Zuf\u00e4lligkeiten des physiopsychologischen Mechanismus preisgegeben erscheinen. Damit sei aber der Parallelismus, seinem ethischen Wert nach, wieder auf die Stufe des Materialismus zur\u00fcckgedr\u00e4ngt worden; unsere Ideale k\u00f6nne derselbe nur als vor\u00fcbergehende Illusionen begreifen, und auch die Hoffnung auf eine irgendwie wertvolle","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nLiteraturberick i.\nUnsterblichkeit verm\u00f6ge er nicht zu begr\u00fcnden. \u2014 In allen diesen Punkten sei nun die Wechselwirkungslehre (S. 380\u2014474) dem Parallelismus gegen\u00fcber bei weitem im Vorteil; gegen sie lassen sich eigentlich nur die Prinzipien der geschlossenen Naturkausalit\u00e4t und der Erhaltung der Energie ausspielen. Jene geschlossene Naturkausalit\u00e4t sei aber weder eine feststehende Tatsache noch eine aufserhalb des Gebietes der anorganischen Natur wohlbegr\u00fcndete Hypothese; dafs da, wo keine psychischen Erscheinungen vorliegen, solche auch nicht in den Gang des physischen Geschehens eingreif en, k\u00f6nne doch schwerlich beweisen, dafs jene auch nicht wirken wto sie tats\u00e4chlich gegeben sind. Was sodann das Energieprinzip betrifft, so sei bei der Formulierung desselben zwischen dem \u201e\u00c4quivalenzprinzip\u201c, nach welchem bei jeder Einwirkung von K\u00f6rper auf K\u00f6rper, und dem \u201eKonstanzprinzip\u201c, nach welchem \u00fcberhaupt in der Welt die Summe der Energie erhalten bleibt, zu unterscheiden; mit diesem letzteren sei allerdings, trotz aller gegenteiligen Behauptungen, die Wechselwirkungslehre unvereinbar, aber dasselbe sei auch in keiner Weise wissenschaftlich gesichert; das erstere dagegen, welches in der Tat als empirisch erwiesen gelten d\u00fcrfe, schliefse offenbar die Wechselwirkung zwischen K\u00f6rper und Seele nicht aus. So bleiben denn schliefslich f\u00fcr die Wechselwirkungslehre nur Vorz\u00fcge, und f\u00fcr den Parallelismus nur Nachteile zur\u00fcck; und kann der Verf. mit einem Entwurf idealistisch-spiritualistischer Weltbetrachtung, welcher zwar zwischen monadologischem Spiritualismus und objektivem Idealismus die Wahl l\u00e4fst, aber jedenfalls die kausalistische Auffassung des Verh\u00e4ltnisses zwischen Leib und Seele als gesichertes Fundament voraussetzt (S. 475\u2014482) seine Arbeit beschliefsen.\nEs wird dem Ref., dessen Ansichten als eines Vertreters des idealistisch-monistischen Parallelismus der Verf. mehrfach seiner Kritik unterzieht, gestattet sein, in m\u00f6glichster K\u00fcrze einiges zur Verteidigung jener so scharf angegriffenen Weltanschauung beizubringen. Dazu ist aber vor allem mit Nachdruck ein fundamentales MifsVerst\u00e4ndnis zur\u00fcckzuweisen, welches einen grofsen Teil der Polemik des Verf. beherrscht: ich meine die S. 158 zuerst ausgesprochene und sp\u00e4ter wiederholt verwendete Ansicht, dafs der idealistisch-monistische Parallelismus \u201edie Inhalte unserer sinnlichen Wahrnehmungen verselbst\u00e4ndigen, objektivieren m\u00fcsse\u201c* dafs derselbe also, \u201eum den Parallelismus der Erscheinungen und der intelligibeln Vorg\u00e4nge wirklich durchf\u00fchren zu k\u00f6nnen, vergessen m\u00fcsse, dafs die Erscheinungen blofs Erscheinungen sind\u201c, und dafs er \u201esich \u2014 unter dem Vorbehalt, diese Ansicht metaphysisch durch eine idealistische zu ersetzen \u2014 auf den Boden des Realismus stellen, und den physischen Vorg\u00e4ngen den gleichen Realit\u00e4tswert zuschreiben m\u00fcsse als den psychischen.\u201c Nun d\u00fcrfte wohl nichts sicherer sein, als dafs weder Paulsen, noch Ebbinghaus, noch ich jemals daran gedacht haben, eine solche Objektivierung der Wahrnehmungsinhalte (wodurch eben der realistische Parallelismus mit Haut und Haar in den idealistischen hin\u00fcbergenommen, und aufserdem eine doppelte Wahrheit von der bedenklichsten Borte, ein metaphysischer Vorbehalt innerhalb der Metaphysik, eingef\u00fchrt sein w\u00fcrde) vorzutragen oder gutzuheifsen : das wird denn auch vom Verf. gar nicht behauptet, sondern er glaubt auf eigene Faust eine seiner Ansicht nach","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turberi cht.\n219\nnotwendige und unabweisbare Korrektur in die von ihm bek\u00e4mpfte Lehre anbringen zu d\u00fcrfen, \u2014 und verdirbt damit die ganze Geschichte. Der Grund seines Irrtums aber liegt wieder einmal in jenem alten Gespenst des \u201ewahren\u201c und \u201eechten\u201c, n\u00e4mlich spinozistischen oder neospinozistischen Parallelismus, welches schon so viele Antiparallelisten trotz besten Willens gehindert hat, sich den neueren Ansichten frei und vorurteilslos gegen\u00fcberzustellen, und dieselben so zu sehen, wie sie nun einmal sind. Man k\u00f6nnte nachgerade die Hoffnung verlieren, jemals dieses Gespenst zu verscheuchen; ich will aber noch einmal den Versuch machen. Es existieren also nach unserer Auffassung die physischen Erscheinungen ganz sicher nur als Wahrnehmungsinhalte im Bewufstsein, und nirgendwo sonst; wenn wir also sagen, dafs jedem realen (nach universell-parallelistischer Auffassung psychischen) Prozefs eine physische Erscheinung \u201eentspricht\u201c, \u201eals Parallelglied zugeordnet ist\u201c u. s. w., so meinen wir damit nicht, dafs, so oft ein realer Prozefs vorliegt, auch jedesmal eine bestimmte physische Parallelerscheinung tats\u00e4chlich irgendwie existiert; sondern wir meinen nur, dafs, so oft ein realer Prozefs vorliegt, in demselben die spezifische Bedingung gegeben ist, welche unter geeigneten, als Adaptation von Sinnesorganen wahrzunehmenden Umst\u00e4nden jene bestimmte physische Parallelerscheinung in menschlichen oder tierischen Bewufstseinen hervorrufen w\u00fcrde. Wir meinen also ein durchwegs gleichartiges Verh\u00e4ltnis wfie dasjenige, welches der Physiker im Sinne hat, wenn er jeder Wellenl\u00e4nge des Lichtes eine bestimmte Farbenempfindung zuordnet, obgleich selbstverst\u00e4ndlich jene Wellenl\u00e4ngen sich zahllose Male in der Natur verwirklichen ohne Farbenempfindungen hervorzurufen. Dasjenige was man sich bei dem Worte \u201edie Natur\u201c vorzustellen oder in begrifflicher Zusammenfassung zu denken pflegt, n\u00e4mlich die Gesamtheit der \u00fcberhaupt m\u00f6glichen physischen Erscheinungen (meine \u201esekund\u00e4re Reihe\u201c) ist also nach dieser Auffassung ein reines Gedankending; dessen Inhalte jedoch deshalb f\u00fcr uns von unvergleichlicher Bedeutung sind, wreil sie das einzige sind, was wir als Vertretung der uns direkt unzug\u00e4nglichen Aufsenwelt besitzen. \u2014 Diese Gedanken scheinen mir \u00e4ufserst einfach und durchsichtig; wer sich aber wirklich einmal in dieselben hineingedacht hat, dem wTerden weitaus die meisten der stets wfieder gegen den idealistisch-monistischen Parallelismus erhobenen Einw\u00e4nde kaum mehr ernste Schwierigkeiten bereiten.\nWir wollen, dieses nachzuweisen, die oben referierten Einw\u00e4nde Busses zum Schlufs noch einmal einzeln durchnehmen. \u201eEinen eigentlich psychophysischen Parallelismus kann die idealistisch-monistische Theorie nicht anerkennen.\u201c Das ist sehliefslieh Wortfrage: die Theorie nimmt an und kann annehmen, dafs allen psychischen Prozessen physische Erscheinungen im oben festgestellten Sinne entsprechen. \u2014 \u201eAuch die Identit\u00e4t der beiden Reihen mufs sie aufgeben.\u201c Gewifs: eine solche hat aber auch nicht sie, sondern nur der \u00e4ltere Monismus behauptet. \u2014 \u201eSie mufs die physischen Erscheinungen zeitlich nach den entsprechenden psychischen eintreten lassen.\u201c Allerdings, sofern sich dieselben n\u00e4mlich verwirklichen; das kann ihr aber nicht hindern, in Gedanken jedem psychischen Prozefs diejenige physische Erscheinung zuzuordnen, welche er eben unter geeigneten Umst\u00e4nden hervorrufen w\u00fcrde. \u2014 \u201eSie darf den physischen Er-","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nLiteratur bericht.\nscheinungen keinen geschlossenen Zusammenhang und keine Gesetzlichkeit zuschreiben.\u201c Sicher nicht den in der tats\u00e4chlichen Wahrnehmung gegebenen physischen Erscheinungen; darf sie aber auch nicht annehmen, dafs, wenn einmal f\u00fcr eine beliebige Reihe realer Prozesse die geeigneten Adaptationsbedingungen durchg\u00e4ngig verwirklicht w\u00e4ren, die resultierenden Wahrnehmungsinhalte eine geschlossene und gesetzlich zusammenh\u00e4ngende Reihe darstellen w\u00fcrden? Mehr als dieses hat sie aber niemals behauptet. \u2014 \u201eAber der Parallelismus ist doch keine notwendige Konsequenz des Idealismus.\u201c Freilich nicht: der Parallelismus ist nur eine in den Rahmen des Idealismus vortrefflich passende, \u00fcbrigens aber durch die Tatsachen zu beglaubigende und teilweise schon beglaubigte Hypothese. \u2014 \u201eIst es nicht denkbar, dafs die psychischen Prozesse keine sinnlichen Wahrnehmungen zu erzeugen verm\u00f6gen, und demnach keine physischen Parallelglieder besitzen?\u201c Gewifs ist das denkbar, und zwar nicht nur von den psychischen, sondern von allen \u00fcberhaupt denkbaren realen Prozessen; es wnrd aber speziell f\u00fcr die ersteren unwahrscheinlich durch dasjenige, was Anatomie, Physiologie und Pathologie uns \u00fcber den engen Zusammenhang zwischen Bewufstseinsprozessen und Gehirnerscheinungen lehren (und wovon merkw\u00fcrdigerweise in diesem ganzen, dem Zusammenhang zwischen Leib und Seele gewidmeten Buche nirgends die Rede ist). F\u00e4nde sich aber zu irgendwelchem realen Prozefs die zugeh\u00f6rige physische Erscheinung nicht, so w\u00e4re dennoch die Naturwissenschaft berechtigt und verpflichtet, entweder eine physische Hypothese oder ein durch Beziehungen zu anschliefsenden physischen Erscheinungen definierter Begriff in die L\u00fccke eintreten zu lassen; wie sie es denn auch tats\u00e4chlich \u00fcberall (z. B. mit dem Begriffe der Schwerkraft) macht. Doch w\u00fcrde es uns zu weit f\u00fchren, diesen Gedanken- hier weiter auszuarbeiten. \u2014 \u201eHie Konstatierung des Parallelverlaufs w\u00fcrde immer einen \u00dcberschufs auf der psychischen Seite zur\u00fccklassen.\u201c Das heilst: Es w\u00fcrde in jedem Augenblick die Zahl der vollzogenen psychischen Prozesse eins mehr betragen als die Zahl der tats\u00e4chlich wahrgenommenen Gehirnerscheinungen; aber nach obigem behauptet der idealistisch-monistische Parallelismus auch gar nicht, dafs jeder psychische Prozefs tats\u00e4chlich eine Wahrnehmung veranlasse. \u2014 \u201eWarum d\u00fcrfen wir nicht, hier wie \u00fcberall, aus der regelm\u00e4fsigen Verbindung physischer und psychischer Erscheinungen auf ein direktes Kausalverh\u00e4ltnis zwischen denselben schliefsen?\u201c Unter anderem deshalb nicht, weil wie alle aus guten Gr\u00fcnden annehmen, dafs die physischen Erscheinungen (z. B. die Gesichtswahrnehmung einer in meine Haut eindringenden Nadelspitze) sehr vermittelte Wirkungen unbekannter Realen sind, und wir also nur ein solches unbekanntes Reale, nicht aber jene Gesichts Wahrnehmung, als die Ursache des nachfolgenden Schmerzes bezeichnen d\u00fcrfen. Nach der idealistisch-monistischen Theorie ist aber jenes unbekannte Reale selbst ein Psychisches, und als solches durch verschiedene Vermittlung, aber stets nach psychischen Gesetzen, Ursache jener Gesichtswahrnehmung und jenes Schmerzes; und sind des weiteren allen dreien m\u00f6gliche physische Erscheinungen zugeordnet, welche unter sich naturgesetzlich Zusammenh\u00e4ngen. \u2014 \u201eAber f\u00fcr Beziehungen zwischen Bewufstseinsinhalten, sowie f\u00fcr die Einheit des Bewufstseins kann es doch keine physischen Parallel-","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n221\nglieder geben!\u201c Warum nicht? Der Yerf. gesteht ja selbst zu, dafs es f\u00fcr den Parallelismus \u201evollst\u00e4ndig gen\u00fcgt, wenn jeder (Empfindung oder Vorstellung) ein irgendwie beschaffener, aber durchaus bestimmter physiologischer Vorgang entspricht, und den Verschiedenheiten auf psychischer Seite auch Verschiedenheiten der physiologischen Prozesse parallel gehen\u201c (S. 213); in diesem Sinne k\u00f6nnen aber auch physiologische Beziehungen den psychischen entsprechen. \u2014 \u201eDer Parallelismus unterwirft alles Handeln dem physiologischen Mechanismus.\u201c Keineswegs, sondern genau das Umgekehrte: der physiologische Mechanismus ist eben nichts w'eiter als die unter gewissen Bedingungen eintretende Abspiegelung der psychischen Faktoren, welche dem Handeln zu Grunde liegen. \u2014 \u201eAber wo bleibt denn, wenn die physischen Erscheinungen nicht objektiviert werden, das Energieprinzip?\u201c Das Energieprinzip ist so zu deuten, dafs sich in der realen Welt eine bestimmte Gr\u00f6fse konstant erh\u00e4lt, welcher in den physischen Erscheinungen eben dasjenige, was als Energie gemessen wird, entspricht. \u2014 \u201eUnd die geschlossene Naturkausali\u00e4t?\u201c Die Naturgesetzlichkeit (keine wahre Kausalit\u00e4t) beruht darauf, dafs die reale Kausalit\u00e4t sich notwendig in die Erscheinungswelt abspiegelt, demzufolge denn die einzelnen uns gegebenen Bruchst\u00fccke der letzeren sich als Glieder eines umfassenden gesetzlichen Zusammenhanges auffassen lassen. \u2014 \u201eAber die Ausschliefsung der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele?\u201c Diese wird nur in dem Sinne ausgeschlossen, dafs man in einer Kausalformel nicht willk\u00fcrlich die reale Ursache oder die reale Wirkung durch die entsprechende physische Erscheinung, also durch eine unter ganz besonderen Umst\u00e4nden m\u00f6glicherweise durch dieselbe in ein menschliches Bewufstsein hervorzubringende Nebenwirkung ersetzen darf. \u2014 \u201eDer Parallelismus fordert eine pluralistische Psychologie; er kann keine substantielle Seele zulassen.\u201c Das ist unbedingt zuzugestehen; es fragt sich aber, warum, neben der Bildung sejunkter Vorstellungsgruppen in einem individuellen Bewufstsein, nicht auch die Bildung sejunkter Individualbewufstseine im Weltbewufstsein denkbar sein sollte. \u2014 \u201eEr fordert auch eine atomistische Zersplitterung aller psychischen Inhalte.\u201c Wohl kaum: es steht nichts dagegen, dafs ein unzerlegbares aber vielseitiges Reale durch, sinnliche Vermittlung die Wahrnehmung einer Vielheit erzeugen sollte. \u2014 \u201eUnd er fordert endlich eine mechanistische Auffassung des Seelenlebens, welche Freiheit und Spontaneit\u00e4t ausschliefst.\u201c Allerdings, sofern Mechanismus nichts weiter als strenge Kausalit\u00e4t, und Freiheit oder Spontaneit\u00e4t die Leugnung derselben bedeutet. \u2014 \u201eAber die parallelistische Psychologie mufs auch die Verpflichtung auf sich nehmen, zur Erkl\u00e4rung des gesamten Seelenlebens mit den Assoziationsgesetzen auszukommen.\u201c Ich sehe die Notwendigkeit nicht ein: auch die logischen Gesetze, welche Pr\u00e4missen mit Schlufsfolgerungen \u2014, auch die ethischen, welche Vorstellungen menschlichen Wollens und Handelns mit Gef\u00fchlen der Billigung oder Mifsbilligung verbinden, m\u00fcssen sich, wenn jene Pr\u00e4missen, Schlufsfolgerungen, Vorstellungen und Gef\u00fchle ihre bestimmten physischen Repr\u00e4sentanten haben, in Naturgesetzlichkeiten abspiegeln. \u2014 \u201eAber dann k\u00f6nnten doch jene logischen und ethischen, und diese Naturgesetze miteinander in Konflikt geraten.\u201c Genau so wenig, wie die an einem beliebigen Dinge, und die an seinem Schattenbilde wahr-","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nLitera turberich t.\nzunehmenden Verh\u00e4ltnisse. \u2014 \u201eEs w\u00e4ren aber doch die logischen und ethischen Gesetze von der spezifischen Kausalit\u00e4t der materiellen Gehirnprozesse abh\u00e4ngig.\u201c Kein, sondern die spezifische Kausalit\u00e4t der Gehirnprozesse von den logischen und ethischen Gesetzen. \u2014 \u201eUnsere Ideale m\u00fcssen doch als vor\u00fcbergehende Illusionen erscheinen.\u201c Warum als Illusionen und warum als vor\u00fcbergehend? K\u00f6nnten sie nicht in urspr\u00fcnglichen und ewigen Gesetzen des Psychischen begr\u00fcndet sein? \u2014 \u201eUnd die Unsterblichkeit?\u201c Eine Unsterblichkeit des Individuums scheint auch mir nach parallelistischen Prinzipien wenig wahrscheinlich; w\u00e4re es aber nur als ein Verlust zu betrachten, der individuellen Beschr\u00e4nkung endlich einmal loszuwerden, und in ein gr\u00f6fseres Ganzes aufzugehen? Aber weder verf\u00fcgen wir angesichts dieser Frage \u00fcber zureichende Daten zur Entscheidung, noch w\u00e4re es, wie auch der Verf. anerkennt, erlaubt, unsere W\u00fcnsche als Kriterien der Wahrheit gelten zu lassen.\nDas w\u00e4ren also in aller K\u00fcrze die Gr\u00fcnde, kraft deren ich mich berechtigt finde, auch nach diesem neuesten Angriff mit ungeschw\u00e4chtem Vertrauen an dem idealistisch-monistischen Parallelismus festzuhalten. Auf speziellere Punkte einzugehen, erscheint kaum n\u00f6tig; einige bei genauerem Zusehen leicht zu korrigierende Mifsverst\u00e4ndnisse in Bezug auf den Inhalt meines Parallelismusartikels (6. 137, 148\u2014150, 156, 165, 259) mag es gen\u00fcgen angedeutet zu haben. Ich schliefse mit dem Wunsch, dafs hier und da ein Leser des Busssschen Buches, nachdem er sich zuerst den Sinn des oben (S. 3\u20144) gebotenen Schemas vollst\u00e4ndig klar gemacht hat, die Einw\u00e4nde des Verf. mit meinen Antworten wird Zusammenhalten wollen, und genau nach-sehen, was von jenen zur\u00fcckbleibt.\tHeymaes (Groningen).\nEduard Hirt. Beziehungen des Seelenlebens zum lervenleben. Grundlegende Tatsachen der Nerven- und Seelenlehre. M\u00fcnchen, Keinhardt, 1903. 50 S. Mk. 1,20.\nDer erste Teil des klar und anregend geschriebenen B\u00fcchleins, das sich in erster Linie an Laien wendet, behandelt in knapper, \u00fcbersichtlicher Form die wichtigsten Grundtatsachen der Anatomie, Physiologie und Pathologie des Zentralnervensystems, soweit sie f\u00fcr die Psychologie in Betracht kommen. Es wird die Abh\u00e4ngigkeit der psychischen Elementarerscheinungen (Empfindung, Vorstellung, Gef\u00fchl, Assoziation) von ganz bestimmten Gehirnpartien betont. Die Frage nach den Beziehungen zwischen Physischem und Psychischem \u00fcberhaupt wird durch den Hinweis auf den psychophysischen Parallelismus beantwortet.\nIm zweiten Teile wird auf die Verschiedenheit der Begabung der Menschen n\u00e4her eingegangen. Qualitative Unterschiede zwischen dem Genie und dem Durchschnittsmenschen anzunehmen, haben wir kein Recht ; der Unterschied besteht vielmehr nur in einer gr\u00f6fseren Anzahl von Begriffen und einer rascheren und sichereren Assoziationst\u00e4tigkeit.\nDie engen Beziehungen zwischen psychischen Abnormit\u00e4ten und Gehirnver\u00e4nderungen unter Hinweis auf pathologische F\u00e4lle werden zum Schlufs der Arbeit besprochen.\tMoskiewicz (Breslau).","page":222}],"identifier":"lit32912","issued":"1903","language":"de","pages":"216-222","startpages":"216","title":"L. Busse: Geist und K\u00f6rper, Seele und Leib. Leipzig, D\u00fcrr, 1903. 488 S.","type":"Journal Article","volume":"33"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:16.892442+00:00"}