Open Access
{"created":"2022-01-31T16:35:01.417663+00:00","id":"lit32917","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kiesow, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 33: 424-443","fulltext":[{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\n(Aus der Abteilung f\u00fcr experimentelle Psychologie des physiologischen\nInstituts der Universit\u00e4t Turin.)\nZur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle nebst Beobachtungen \u00fcber Punktionen des Tast- und Schmerzapparates und einigen Bemerkungen \u00fcber die wahrscheinlichen Tastorgane der Zungenspitze\nund des Lippenrots.\nVon\nF. Kiesow.\n(Mit 1 Fig.)\nI.\nIn der unl\u00e4ngst erschienenen neuesten Auflage seiner \u201ephysiologischen Psychologie\u201c hat Wundt auch die von mir beschriebene schmerzfreie Stelle der Wangenschleimhaut1 in R\u00fccksicht gezogen. Ich f\u00fchle mich dem Verfasser gegen\u00fcber hierf\u00fcr zu aufrichtigem Danke verpflichtet. Andererseits aber finde ich in Wundts Darstellung eine Bemerkung, welche den Anschein erweckt, dafs meine Beobachtungen in einem Punkte eine andere Deutung zulassen, als die, zu welcher ich selbst gelangt bin.\nEs heilst bei Wundt2: \u201eEine gr\u00f6fsere analgetische Fl\u00e4che findet sich, wie F. Kiesow nach wies, in der Wangenschleimhaut. Diese letztere Stelle zeigt gleichwohl Druck- und Temperaturempfindungen. Dabei sind jedoch die Druckempfindungen, wie mir scheint, durch die Fortpflanzung des Drucks dieser bekanntlich sehr deformierbaren Stelle auf die \u00e4ufsere Wangenhaut verursacht.\u201c\n1\tPhilos. Stud, U, S. 567 ff.\n2\tGrundz. 5. AufL, Bd. 2, S. 16.","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n425\n\u00dcber die Schmerzlosigkeit jenes Bezirkes besteht somit f\u00fcr Wundt kein Zweifel. Wie hier, ist diese Tatsache auch sonst bereits von ihm anerkannt und in der dankenswertesten Weise ber\u00fccksichtigt worden. In seiner V\u00f6lkerpsychologie 1 ist die Stelle neben anderen meiner Beobachtungen mitbenutzt worden, um die Entstehung der mimischen Ausdrucksformen zu erkl\u00e4ren.\nWundt stimmt mir ferner darin zu, dafs von jener Stelle aus Temperaturempfindungen ausgel\u00f6st werden.2 Aus dieser Tatsache aber w\u00e4re zu schliefsen, dafs Temperatur- und Schmerzempfindungen durch spezifisch verschiedene Organe vermittelt werden m\u00fcssen.\nDie abweichende Auffassung Wundts betrifft den dritten Punkt, die Druckempfindungen. Obwohl auch deren Vorhandensein hier an sich nicht bestritten wird, so bleibt nach Wundt doch die Wahrscheinlichkeit bestehen, dafs diese Empfindungen infolge einer leicht gegebenen Fortpflanzung des Reizes von Organen der \u00e4ufseren Wangenhaut herr\u00fchren, w\u00e4hrend ich aus meinen Beobachtungen schliefsen zu d\u00fcrfen glaubte, dafs sie in der Schleimhaut selbst entstehen.\nIch bemerke vorweg, dafs ich von einer histologischen Bearbeitung dieser Stelle, die seit l\u00e4ngerer Zeit in meiner Absicht liegt, ein besseres Verst\u00e4ndnis f\u00fcr diese Verh\u00e4ltnisse erhoffe, als bisher zu erhalten m\u00f6glich war. Da mich aber verschiedene Umst\u00e4nde an dieser Untersuchung bis jetzt verhindert haben, so m\u00f6chte ich mich angesichts eines von so autoritativer und zugleich hochverehrter Seite kommenden Urteiles erlauben, vorweg auf einige experimentell ermittelte Tatsachen hinzuweisen, die f\u00fcr die Beantwortung dieser Frage doch nicht ohne Bedeutung sein d\u00fcrften.\nDie Stelle wurde f\u00fcr den vorliegenden Zweck sowohl mechanisch, als auch elektrisch gereizt, im ersteren Falle durch sehr feine, passend zugeschliffene Nadeln und von Feeys Reizhaare, im letzteren durch den Induktionsstrom. Die Reizhaarmethode wie das Induktorium gestatteten die Ermittelung bestimmter Intensit\u00e4tswerte, die mit denen anderer K\u00f6rperstellen verglichen und in ein Verh\u00e4ltnis gebracht werden konnten, wo-\n1\tBd. I, 1, S. 118.\n2\tVgl. die n\u00e4heren Ausf\u00fchrungen hier\u00fcber in meiner oben zit. Arbeit, S. 583 f.","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nF. Kiesow.\nbei die Empfindlichkeit der Zungenspitze als der Hautstelle mit niedrigster Schwelle gleich 1 gesetzt ward.1\nSchon hei den Versuchen mit der Nadel trat nun in manchen F\u00e4llen jene schnell vor\u00fcbergehende Tastempfindung auf, die von Fbey und ich als Ber\u00fchrungsempfindung2 3 bezeichnet haben, in anderen blieb sie aus. Aus dieser Beobachtung habe ich auf eine geringere Dichte der Tastpunkte dieser Schleimhautstelle geschlossen. Es kann nun geschehen und wird in der Tat zuweilen der Fall sein, dafs jene Empfindung infolge der Ausbreitung der Deformation durch indirekte Erregung eines in der Schleimhaut selbst befindlichen Tastorgans zu st\u00e4nde kommt, aber es scheint mir bei der in der Arbeit hervorgehobenen Vor-sichtsmafsregel (langsames Eindrehen der Nadel) und dem geringen Widerstande, den die Schleimh\u00e4ute dem Einstich entgegensetzen, ausgeschlossen, dafs sie von Organen der \u00e4ufseren K\u00f6rperhaut herr\u00fchren kann.\nDiese Auffassung d\u00fcrfte durch die Ergebnisse der Reizhaarmethode eine weitere St\u00fctze finden. Es liegt im Prinzip dieser vortrefflichen Methode mitbegr\u00fcndet, dafs der Reizwert nur bis zu einer gewissen Tiefe Vordringen kann und dann wirkungslos wird, dafs in dieser Weise somit immer nur mehr oberfl\u00e4chlich gelegene Organe erregt werden k\u00f6nnen. Wird dies zugegeben, und es kann wohl nicht daran gez weif eit werden, so erhellt auch, dafs bei Intensit\u00e4tswerten, wie ich sie bei meinen Versuchen erhielt, bei Werten bis zu 0,5\u20141, 1,5 und 2 Gramm pro Millimeter Radius an eine Fortpflanzung des Reizes durch die darunter liegende Muskelschicht hindurch auf die mit Tastpunkten (feinen H\u00e4rchen) freilich dicht bes\u00e4ete \u00e4ufsere Wangenhaut schwerlich gedacht werden kann. Hierbei ist noch zu bemerken, dafs ich die beiden letzten Werte an mir selbst erhielt, nachdem meine innere Wangenhaut bereits stark angegriffen war, w\u00e4hrend die \u00fcbrigen an 5 verschiedenen Personen gewonnen wurden. Ich bemerke ferner, dafs ich auch die \u00fcbrigen Konstanten der verwandten Reizhaare in meiner Arbeit angegeben habe.8\n1\t0. zit. Arbeit, S. 570\u2014588. Besser w\u00fcrde man, nm das Verh\u00e4ltnis der Empfindlichkeit der verschiedenen Hautstellen zueinander n\u00e4her zu bestimmen, von der Stelle mit h\u00f6chster Schwelle ausgehen. Eine in dieser Richtung hin unternommene Untersuchung habe ich noch nicht v\u00f6llig zu Ende f\u00fchren k\u00f6nnen.\n2\tEbenda S. 570.\n3\tS. 572.","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n427\nZu keiner anderen Deutung f\u00fchrten mich die Messungen mit intermittierenden elektrischen Reizen. Die Reizung war f\u00fcr die Ermittelung der Tastempfindlichkeit eine unipolare, f\u00fcr die der Schmerzempfindlichkeit (wobei nur der \u00fcbrige Teil der Wangenschleimhaut in Betracht kommen konnte) sowohl unipolar als bipolar. Die gefundenen Werte sind in jedem Falle in dem oben hervorgehobenen Sinne \u00fcbersichtlich zusammengestellt.1 Ich beschr\u00e4nke mich daher darauf, einige Punkte hervorzuheben, die f\u00fcr meine Auffassung entscheidend gewesen sind :\n1.\tDie mitgeteilten Intensit\u00e4tswerte sind Schwellenwerte.\n2.\tMan findet bei faradischer Reizung dieser Stelle Punkte, welche hierauf mit der den Tastpunkten charakteristischen schwirrenden Empfindung antworten neben anderen, wo diese ausbleibt.\n8. Diese Empfindung tritt immer fr\u00fcher ein, als irgendwelche Wirkung auf die tiefer gelegene Muskelschicht zu beobachten ist.\nBevor ich diese Zeilen niederschrieb, habe ich die in Rede stehende Stelle an einer j\u00fcngeren Person, die an den fr\u00fcheren Versuchen nicht teilgenommen hatte, um den vorliegenden Zweck aber wufste, mittels der Reizhaare und faradisch nachgepr\u00fcft. Die Reizung wurde im letzten Falle bipolar ausgef\u00fchrt. Die verwandte Elektrode besafs gleichfalls Platinaspitzen, die wie bei den fr\u00fcheren Versuchen 1 mm weit auseinander standen.\nObwohl es nun nicht in meiner Absicht liegen konnte, diese Pr\u00fcfungen nochmals weit auszudehnen, so konnte ich doch in drei Sitzungen Resultate gewinnen, die durchaus denen entsprachen, die sich bei den fr\u00fcheren Versuchen ergeben hatten. Es reagierten beiderseits Punkte auf Haare von 0,75 und 1 g/mm Spannungswert und ebenso konnte beiderseits die schwirrende Empfindung in dem oben hervorgehobenen Sinne erzeugt werden.\nDem Vorstehenden sei noch hinzugef\u00fcgt, dafs die Eindr\u00fccke hier ziemlich sicher lokalisiert werden und dafs bei den letzterw\u00e4hnten Versuchen einmal spontan das Auftreten einer leisen Kitzelempfindung angegeben wurde.\nNach allen diesen Erfahrungen kann ich mich nicht ent-schliefsen, meine eigene Auffassung dieser Verh\u00e4ltnisse aufzu-geben, um die Tatsachen im Sinne Wundts zu deuten. Da ich auch nicht annehmen kann, dafs hier Versuchsfehler vorliegen\n1 S. 577\u2014582.","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nF. Kiesow.\nsollten, so d\u00fcrften die Beobachtungen vielmehr daf\u00fcr sprechen, dafs auf dieser Schleimhautstelle Tastpunkte anzuerkennen sind, deren Dichte, die nicht sehr grofs zu sein scheint, experimentell freilich nicht n\u00e4her bestimmt werden kann, denen aber doch spezifisch adaptierte Tastorgane entsprechen m\u00fcssen.\nWelcher Art diese Organe sind, l\u00e4fst sich aus der vorliegenden Literatur nicht feststellen, weswegen eben eine histologische Bearbeitung dieser Stelle notwendig wird. Doch aber finde ich bei Krause die ganz bestimmte Angabe, dafs die nach ihm benannten Endkolben in der Wangen sch leim haut des Menschen als solcher, wenn auch \u201esparsam\u201c, Vorkommen.1\nDie Funktion dieser Organe wird freilich noch verschieden gedeutet.2 Ich selbst halte sie f\u00fcr Tastorgane, worauf in der Tat ihre ganze anatomische Struktur 3, wie namentlich der Umstand hinweisen, dafs Mensch und Affe die einzigen Gesch\u00f6pfe sind, welche aufser Endkolben Tastk\u00f6rperchen besitzen, w\u00e4hrend diese letzteren bei anderen S\u00e4ugern fehlen und durch Endkolben\nersetzt werden.4 Aufserdem sind die KRAUSEschen K\u00f6rper in\n\u2022 \u2022 __________________________________________\nUbergangsformen mit Ann\u00e4herung an die Tastk\u00f6rperchen beobachtet worden, welche letzteren beim Menschen auch wieder in mehreren Formen und in wechselnder Gr\u00f6fse Vorkommen.5\n1\tW. Krause: Allgemeine und mikroskopische Anatomie. 1876. S. 180, 518 u. 521.\nEbenso bei C. Toldt: Lehrb. der Gewebelehre. 1888. S. 343 u. 429.\n2\tVgl. die Darstellungen bei Krause selbst und bei A. Koelliker: Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Aufl., Bd. I, 1889, S. 177 ff. Ferner bei M. von Frey: Leipziger Berichte, Sitz. v. 4. M\u00e4rz 1895, S. 181 f.\n3\tVgl. Pa square Sfameni: Le terminazioni nerv\u00f6se delle papille cutanee e dello strato subpapillare nella regione plantare e nei polpastrelli del cane, del gatto e della scimmia. Annali di freniatria ecc. 10, S. 225 ff. ; 1900.\n4\tBis noch vor kurzem fand man in der Literatur die Angabe, dafs die KRAUSEschen Endkolben nur beim Menschen und Affen in der Kugelform, bei anderen S\u00e4ugern dagegen in dur Zylinderform Vorkommen. W\u00e4hrend die erstere Angabe bisher nicht widerlegt wurde, finde ich jedoch bei Sfameni (zit. Arbeit S. 236), dafs diese Gebilde bei der Katze in verschiedenen Formen von ihm gesehen wurden. Er fand sie hier zylindrisch, spindelf\u00f6rmig, rund und irregul\u00e4r geformt. Interessant ist auch die Angabe von Scymonowicz (Arch. f. mikr. Anat. 45, S. 632), nach welcher in der Schnauze des Schweines zwei verschiedene Formen von Endkolben, obwohl beide l\u00e4nglich, Vorkommen.\n5\tAngelo Buefini: Sulla presenza di nuove forme di terminazioni nerv\u00f6se ecc. Siena 1898. S. 15. \u2014 A. Leontowitsch : Die Innervation d. menschl. Haut. Int. Monatsschr. f. Anat. u. Fhys. 18, S. 95.","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n429\nWundt schr\u00e4nkt die Funktion der KrtAUSEschen Endkolhen insofern ein, als er sie \u201eals den Tastk\u00f6rpern verwandte Gebilde\u201c hinstellt, denen die \u201edie eigentlichen Druckpunkte auszeichnende Druckempfindlichkeit\u201c fehle.1 Sie reagieren nach ihm vielmehr \u201elebhaft mit Kitzelempfindungen\u201c, welche letzteren er der von ihm unterschiedenen Klasse der Gemeinempfindungen zuz\u00e4hlt.2 Aber gerade dieser Beobachtung w\u00e4re hinzuzuf\u00fcgen, dafs an allen K\u00f6rperstellen, wo nur immer Tastpunkte Vorkommen, freilich mehr oder weniger leicht und in mehr oder weniger hohem Grade, aber sonst doch immer und ohne Ausnahme auch Kitzelempfindungen hervorgerufen werden k\u00f6nnen. Diese letzteren sind, soweit die K\u00f6rperoberfl\u00e4che mit Einschlufs der Schleimh\u00e4ute in Betracht kommt, zweifellos an die Funktion der Tastorgane gebunden. Wie an anderen Orten auch zeigt sich dies in hervorragendem Mafse an den behaarten K\u00f6rperstellen. Ich habe mich viele Male davon \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dafs es oft gen\u00fcgt, nur ein einzelnes gr\u00f6fseres Haar mehrmals nacheinander anzuschlagen, um die Kitzelempfindung hervorzurufen. Ganz aufserordentlich kitzelempfindlich sind zudem die kleinen, vielfach nur mit der Lupe und unter besonders g\u00fcnstigen Lichtverh\u00e4ltnissen erkennbaren H\u00e4rchen der K\u00f6rperoberfl\u00e4che. Es gen\u00fcgt oft (ja eigentlich immer), ein solches H\u00e4rchen nur anzutupfen, um augenblicklich die Kitzelempfindung hervortreten zu lassen. Es sind dies Tatsachen, die gar nicht widerlegt werden k\u00f6nnen. Bei Untersuchungen, bei denen es sich um Schwellenbestimmungen der Tastpunkte handelte und die Haare der betreffenden Hautstellen abrasiert wurden, hat mir diese Erfahrung bei der Schwierigkeit, alle H\u00e4rchen mit dem Messer zu treffen, vielfach geradezu als Kontrolle gedient. Sind hierbei H\u00e4rchen, die man gar nicht sieht, stehen geblieben, so werden sie auch sicher einmal von den Reizhaaren getroffen werden. In jedem solchen Falle nun gab die Versuchsperson Kitzel an und ausnahmlos konnten hei n\u00e4herer, oft zwar m\u00fchsamer Nachsuchung diese H\u00e4rchen gefunden werden, die dann nachtr\u00e4glich mit einer scharfen kleinen\n1\tGrundz. 5. Auf!., Bd. II, S. 13 (vgl. Bd. I, S. 401). Der Unterschied in der Terminologie ist nichts Wesentliches. Wundt spricht von Druckpunkten und Druckempfindlichkeit, w\u00e4hrend ich die Ausdr\u00fccke Tastpunkte und Tastempfindlichkeit bevorzuge.\n2\tGrundz. 5. Aufl., Bd. II, S. 2 u. 42.","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430\nF. Kiesow.\nSchere abgeschnitten wurden. Wenn daher Bader1, dessen Arbeit mir w\u00e4hrend der Niederschrift dieser Mitteilung zuging, angibt, dafs er bei mechanischer Reizung eines K\u00e4ltepunktes mit einem Reizhaar vor dem Auftreten der K\u00e4lteempfindung ein \u201esehr unangenehmes Kitzelgef\u00fchl\u201c wahrnahm, so nehme ich keinen Anstand, diese Kitzelempfindung eben darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs ein Haar oder deren mehrere bei der Reizung ber\u00fchrt wurden.\nEbenso kann man die Kitzelempfindung von einzelnen \u201ereinen Tastpunkten\u201c2, d. h. nicht Haarpunkten ausl\u00f6sen. Es ist mir dies zuweilen durch einmalige Reizung eines solchen Punktes gelungen, im allgemeinen aber erweckt man sie leichter durch eine Sukzession von (meistens schwachen) Eindr\u00fccken, die ja bei den Haaren und H\u00e4rchen schon durch deren Schwingungen gegeben sind. Ausgeschlossen sind im ersten Falle auch nicht Oszillationen im Gewebe selbst oder indirekte Miterregung benachbarter Organe. Die Zahl der Reizungen in der Zeiteinheit scheint zu der Intensit\u00e4t der auftretenden Kitzelempfindung in einem gewissen Verh\u00e4ltnisse zu stehen.\nFl\u00e4chen von hoher Tastempfindlichkeit sind in der Regel auch eminent kitzelempfindlich.3 Ich glaube daher nicht fehl zu gehen, wenn ich die Kitzelempfindung als eine unter besonderen Bedingunge\u00fc zustande kommende (und sich in besonderen F\u00e4llen mit Kontraktionsempfindungen verbindende) Tastempfindung von charakteristischem Gef\u00fchlstone auffasse. Sie ist an den gesamten Tastapparat gebunden, wie die Juckempfindung an den Schmerzapparat.4 Wo sich Kitzelempfindungen hervorrufen lassen, m\u00fcssen daher auch Tastorgane sein. In der Kitzelempfindung erreicht der Tastapparat eine hohe Stufe seiner Leistungsf\u00e4higkeit, welche letztere, wenn die durch die Entwicklung bezweckte Abwehr\n1\tPaul Bauer: Das Verh\u00e4ltnis der Hautempfindungen und ihrer nerv\u00f6sen Organe zu kalorischen, mechanischen und faradischen Reizen. Philos. Stud. 18, S. 450.\n2\tF. Kiesow: Philos. Stud. 19, S. 274.\n3\tMerkw\u00fcrdig ist hierbei, dafs man die Kitzelempfindung an der \u00e4ufsersten Zungenspitze weniger leicht und weniger intensiv hervorrufen kann, als wenn man eine kurze Strecke auf den Zungenk\u00f6rper hinaufgeht.\n4\tDie beiden Empfindungen sind von durchaus verschiedener Qualit\u00e4t. Sie m\u00f6gen sich vereinigen, aber an sich sind sie qualitativ verschieden.","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n431\ndes Reizes nicht erreichbar ist, sogar zum Schaden des Organismus ausf allen kann.1\nIm \u00fcbrigen soll \u00fcber die mutmafslichen Organe unserer Wangenstelle, wie bereits bemerkt wurde, gar nichts Bestimmtes behauptet werden. Es w\u00e4re nicht unm\u00f6glich, dafs hier noch ganz andere Verh\u00e4ltnisse vorliegen, wie ich \u00fcberhaupt seit langer Zeit nicht glaube, dafs wir mit den bisher beschriebenen Formen von Tastorganen f\u00fcr den Mundraum auskomm en.2 Es sei nur nochmals daran erinnert, dafs, wenn nicht alles tr\u00fcgt, auf unserer Wangenstelle Tastpunkte anzuerkennen sind, denen nach meiner Anschauung spezifisch adaptierte Organe entsprechen m\u00fcssen.\nFassen wir alle diese Beobachtungen zusammen, so d\u00fcrften wir in den Eigent\u00fcmlichkeiten dieser Wangenstelle ein Kriterium f\u00fcr die zuerst von von Feey aufgestellte Behauptung besitzen, dafs, soweit die K\u00f6rperhaut als Tr\u00e4gerin von Reizaufnahmeorganen in Betracht kommt, Schmerz- und Tastempfindungen an\ndie Erregung gesonderter peripherer Organe gebunden sind. Es\n\u2022 \u2022\nd\u00fcrfte in der Tat auch nichts \u00fcberraschendes darin gefunden werden, dafs sich f\u00fcr zwei Funktionen wie Schmerz- und Getast, denen f\u00fcr die Erhaltung des Organismus verschiedene Dienstleistungen obliegen, im Laufe der generellen Entwicklung nach dem Prinzip der Anpassung an \u00e4ufsere Energieformen3 auch mehrere und spezifisch voneinander verschiedene nerv\u00f6se Apparate sollten herausgebildet haben.\nMehr aber als theoretische \u00dcberlegungen sprechen hierf\u00fcr weitere beobachtete Tatsachen. In meiner Arbeit mit R. Hahn 4 habe ich bereits mitgeteilt, \u201edafs die Mundh\u00f6hle neben Stellen, die wohl tast-, aber nicht schmerzempfindlich sind, auch solche besitzt, die bei erhaltener Schmerzempfindlichkeit umgekehrt keine Tastempfindlichkeit besitzen.\u201c Da ich die hier beschriebenen Versuche und Beobachtungen bisher wenig ber\u00fccksichtigt finde, so erlaube ich mir, in diesem Zusammenh\u00e4nge nochmals darauf hinzuweisen.\n1\tAngelo Mosso : Die Furcht, \u00fcbers, v. W. Finger. 1889. S. 151.\n2\tYgl. Teil II dieser Abhandlung.\n3\tW. Wundt: Grundz. 5. Auf!., Bd. I, S. 445ff. F. Kiesow, Philos. Stud. 10, S. 537.\n4\tDiese Zeitschr. 26, S. 399.","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432\nF. Kiesoiu.\nDie untersuchten Mundteile waren die Gaumenb\u00f6gen, die Tonsillen und die Uvula, welche Teile mechanisch, elektrisch, thermisch und durch Geschmacksstoffe gereizt wurden. Soweit uns die gewonnenen Resultate hier interessieren, gen\u00fcgt es, hervorzuheben, dafs auf dem mittleren Teile der Gaumenpfeiler und auf den Tonsillen bei erhaltener, obwohl herabgesetzter Schmerzempfindlichkeit die eigentliche Tastempfindung als solche ausblieb, w\u00e4hrend sich die Uvula in ihrem unteren Teile bei mir sowohl f\u00fcr Tast-, als auch f\u00fcr Schmerzreize unempfindlich zeigte. Dabei empfand, wie hier hinzugef\u00fcgt werden mag, dieser Uvulateil wohl Kalt, aber nicht Warm, womit ein weiterer unwiderlegbarer Beweis f\u00fcr die Tatsache erbracht ist, dafs Temperaturreize nur auf spezifisch adaptierte Organe der K\u00f6rperhaut in ad\u00e4quater Weise einwirken. Im \u00fcbrigen scheint die Uvula in dieser Hinsicht individuellen Differenzen unterworfen zu sein, was bei der wechselnden Form und Gr\u00f6fse, in denen man dieses Gebilde antrifft, auch nicht auffallend sein kann.\nEine andere, f\u00fcr die vorliegende Frage interessante Tatsache, die ich in jener Arbeit feststellen konnte, war das Auftreten einer vagen, nicht gut lokalisierbaren Empfindung, die bei st\u00e4rkeren Reizen auf das Zusammenwirken von Muskel- und Kontraktionsempfindungen, sowie auf Ausbreitung des Reizes nach Tastfl\u00e4chen hin zur\u00fcckgef\u00fchrt werden konnte, w\u00e4hrend sie bei schw\u00e4chsten Reizgr\u00f6fsen als eine Vorstufe der normalen Schmerzempfindung erkannt wurde. Ich habe die ganz bestimmte Angabe machen k\u00f6nnen, dafs die Schmerzempfindung in ihrer Entwicklung ein kurzdauerndes Anfangsstadium durchl\u00e4uft, das vage und unbestimmt empfunden zu werden pflegt und dafs sie erst durch gewisse Stadien der Schmerzbetonung hindurch zur vollen distinkten Schmerzempfindung ansteigt.1 Ich bin \u00fcberzeugt, dafs in diesen Stadien durchaus (ich hebe dies besonders hervor) eine Spezifit\u00e4t der Schmerzempfindung zu erkennen ist. Die so als vage bezeichnete Empfindung ist somit keine Tastempfindung, sie mag von der Versuchsperson so genannt werden, aber nur, weil der\nSprache ein passender Ausdruck fehlt.\n\u2022 \u2022\nGanz \u00c4hnliches beobachtet man bei chemischer Reizung der Mundschleimhaut, wenn die Reize gradweise abgestuft werden,\n1 Zit. Arbeit S. 388, 393, 396, 399, 403 u. a.","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n433\nbesonders gut am weichen Gaumen. Bevor in distinkter Weise Schmerz auftritt, kommen die einzelnen Stadien sehr deutlich zum Vorschein. Hierbei wird jenes Stadium der Schmerzbetonung vielfach als kratzende Empfindung angegeben, welche letztere aber schnell in die volle Schmerzempfindung \u00fcbergeht.\nAuch Geschmacksempfindungen sind vielfach von diesen Stadien begleitet. Ist der Geschmackseindruck bereits wieder verschwunden, so bleibt oft noch ein Eindruck zur\u00fcck, der dem ersten Stadium der Schmerzempfindung entspricht. Dieses Stadium kann in solchem Falle sogar ziemlich lange andauern.\nII.\nMit einer Tastempfindlichkeit von aufserordentlicher Feinheit ausgestattete K\u00f6rperteile sind die Zungenspitze, das Lippenrot und der harte Gaumen. Die Bedeutung, welche diesen Teilen innerhalb der Entwicklungsreihe bis zum Menschen hinauf beim Tasten zukommt, macht die Tatsache an sich verst\u00e4ndlich. Sucht man aber nach ihrem anatomischen Substrat, so erh\u00e4lt man aus der Literatur keinen befriedigenden Aufschlufs, obwohl mit Dank hervorgehoben werden mufs, dafs gerade die Anatomen mehr als die Forscher anderer Wissenszweige ihr Interesse diesen Fragen zugewandt haben. Nicht viel besser steht es \u00fcbrigens um unsere Kenntnis der Tastapparate des gesamten Mundraums. Auf diesen Mangel unseres Wissens habe ich in meinen Arbeiten mehrfach hingewiesen.\nIn dem Streben nach Aufkl\u00e4rung wird man zun\u00e4chst auf die MEissNEB-WA\u0152NERschen Tastk\u00f6rperchen gef\u00fchrt, mit denen andere K\u00f6rperteile und unter diesen gerade Tastfl\u00e4chen im eigentlichen Sinne versehen sind. In der Tat sind nun diese Gebilde in der Schleimhaut des roten Lippenrandes (Kbause 1), wie in den Papillen der Zungenspitze (Gebeb 2), wohl auch am Gaumen (?)3 gesehen worden.\nWas aber zun\u00e4chst den GEBEEschen Befund betrifft, so giebt schon der Verfasser, der zudem nur \u00fcber ein geringes Material\n1\tZit. Werk S. 514.\n2\tE. Geber: Zentralblatt f\u00fcr die med. Wiss. 17. Jahrg., 1874, S. 353.\n3\tA. Koelliker: Gewebelehre. Bd. I, 1889, S. 175, Z. 7 y. o. Vergleiche hierzu S. 183.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 33.\n28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434\nF. Kiesow.\nverf\u00fcgte, in seiner kurzen Mitteilung selbst an, dafs das Vorkommen von Tastk\u00f6rperchen hier vielleicht seltener sei, als das der Endkolben. Aufserdem ist dieser Befund wohl niemals wieder best\u00e4tigt worden1, und wenn hieraus auch nicht auf einen Irrtum des Beobachters geschlossen werden darf, so d\u00fcrfte doch dieser Umstand zur Gen\u00fcge dartun, dafs diese Gebilde hier nur ausnahmsweise oder wenigstens in der Minderzahl Vorkommen. Eine St\u00fctze f\u00fcr diese Behauptung sehe ich auch darin, dafs mir Kollegen und Freunde, die sich mit der Histologie der Zunge und der Mundh\u00f6hle besch\u00e4ftigten, versichert haben, dafs Tastk\u00f6rperchen von ihnen hier nie gesehen wurden. Bei der Leichtigkeit, mit der diese Organe durch die technischen Hilfsmittel erkennbar zu machen sind, wirkt dieses Faktum nur um so schwerwiegender.\nWas die K\u00dfAusEsche Angabe betrifft, so liest man auch hier, dafs Tastk\u00f6rperchen am roten Lippenrande nur \u201esparsam\u201c Vorkommen.2 \u00dcber ein weiteres Vorkommen derselben in der Mundh\u00f6hle des Menschen sagt Krause , der diese Teile sehr genau untersucht hat, nichts aus. Dunkel sind die Verh\u00e4ltnisse am Gaumen. Ich finde nur bei K\u00f6lliker 3, wo er \u00fcber das Vorkommen der MERKELschen Tastzellen beim Menschen spricht, die Angabe : \u201eAuch am Gaumen kommen sie\u201c (die Tastzellen) \u201eneben Tastk\u00f6rperchen vor\u201c. Bei der Beschreibung der Tastk\u00f6rperchen findet sich diese Angabe aber nicht.4 5 Mir stehen die Arbeiten Merkels, denen jene Angabe vielleicht entstammt, nicht alle zur Verf\u00fcgung, in den mir zug\u00e4nglichen habe ich sie nicht gefunden und ebensowenig in anderen histologischen Werken. Ich finde nur noch bei Leontowitsch 5 die geringe Anzahl dieser Organe in den Lippen erw\u00e4hnt und ebenso lese ich bei Sczymonowicz, der sich vielleicht auf Geber st\u00fctzt, am Schl\u00fcsse seiner Beschreibung der Zunge die Bemerkung: \u201eDie Nerven der Zunge enden teils frei interepithelial, teils in besonderen Terminalorganen (KRAusEsche Endkolben, MEissuERsche Tastk\u00f6rperchen, Geschmacksknospen)\u201c.6\n1\tVgl. auch E. Botezat: Zeitschr. f. wiss. Zool. 71, S. 221 f.\n2\tZit. Werk S. 514.\n3\tZit. Werk S. 175.\n4\tEbenda S. 183.\n5\tZit. Arbeit S. 97.\n6\tLadislaus Sczymonowicz: Lehrbuch der Histologie. 1900. S. 166.","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n435\nDas d\u00fcrfte im Ganzen alles sein, was uns die anatomische Literatur \u00fcber das Vorkommen dieser Gebilde in der Mundh\u00f6hle und deren n\u00e4chster Umgebung mitzuteilen hat. Aber aus alle dem folgt zweifellos, dafs die sehr hohe Tastempfind* lichkeit der Zungenspitze, der Lippen und des harten Gaumens, die sich wie in den niedrigen Schwellenwerten einzelner Tastpunkte, so auch in ihrer aui s er or d entliehen Dichte offenbart, an die Funktion Meissners eher Tastk\u00f6rperchen nicht gebunden sein kann.\nBefriedigender erscheint auf den ersten Blick eine Erkl\u00e4rung dieser Tatsachen durch die K\u00dfAUSEschen Endkolben. Sie sind \u201ein den Papillen des roten Lippenrandes, unter denselben, sowie in der Backenschleimhaut und derjenigen des weichen Gaumens, ferner in den Schleimhautfalten unterhalb der Zunge, an der Zunge in den Papillae fungiformes, conicae und vallatae, unter der Basis der filiformes und in den Fimbriae linguae gesehen worden.1 Aber bei n\u00e4herer Betrachtung erweist sich auch ihre Anzahl zu gering, als dafs die grofse Dichte der Tastpunkte der erw\u00e4hnten Teile dadurch hinreichend erkl\u00e4rt w\u00fcrde. Sie wurden im harten Gaumen beim Menschen nicht gesehen, nur in der Zylinderform beim Kaninchen.2 3 Ihre Zahl scheint auch individuell zu differieren, obwohl die enorme Empfindlichkeit f\u00fcr Zungenspitze, Lippen und harten Graumen, soweit ich sehe, sich \u00fcberall konstant wiederfindet. Dazu kommt, dafs auch ihre Position nicht immer die gleiche ist. Obwohl ich nun, wie oben bemerkt, auf Grund der vorliegenden anatomischen Tatsachen trotz der Differenz, die unter den Forschern noch \u00fcber Einzelheiten der Strukturverh\u00e4ltnisse besteht, durchaus dahin neige, diese K\u00f6rperchen als Tastorgane aufzufassen (s. w. u.), so k\u00f6nnen auch sie es nach meiner Auffassung nicht allein sein, welche jene hohe Tastempfindlichkeit vermitteln.\nMan k\u00f6nnte noch weiter an die Befunde Merkels denken, oder an KRAUSEsche ISi ervenkn\u00e4uel, die wie in der Konjunktiva des Menschen 8 so auch im roten Lippenrande gefunden sind.4 Aber soweit verbreitet und leicht auffindbar die\n1\tW. Krause : Zit. Werk S. 518.\n2\tEbenda S. 515.\n3\tEbenda S. 519.\n4\tEbenda S. 520.\n28*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"F. Kiesow.\n436\nMEKKELschen Tastzellen in der \u00e4ufseren K\u00f6rperhaut sind, so findet man \u00fcber ihr Vorkommen in der Mundschleimhaut aufser der des Gaumens kaum eine bestimmte Angabe.1 Was sodann die Nervenkn\u00e4uel angeht, so sind sie schon in der Konjunktiva nach Krause selten, und in bezug auf die Lippen wird nur angegeben, dafs sie daselbst auch Vorkommen.2\nWie man sieht, kommt man mit diesen Tatsachen f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der hervorgehobenen Erscheinung nicht aus. Man kann auch nicht etwa frei endigende intraepitheliale Fasern daf\u00fcr in Anspruch nehmen. Solche Fasern vermitteln wohl Schmerz-, aber keine Tastempfindungen. Ob dabei die Differenzierung nicht noch weiter geht, soll hier noch gar nicht entschieden werden. Aber soviel d\u00fcrfte jedenfalls feststehen, dafs Tast- und Schmerzempfindungen ihre spezifischen Organe besitzen. Das Tastorgan als solches vermittelt keinen Schmerz, wie andererseits die Erregung der terminalen Schmerzfasern keine Tastempfindung verursacht. Ich glaube wohl, mich mit den Qualit\u00e4ten der Hautempfindungen besch\u00e4ftigt zu haben und hierbei ist mir dies zur \u00dcberzeugung geworden.3 Es m\u00fcssen hier demnach andere Tastorgane vorhanden sein und in der Tat glaube ich im nachstehenden die Aufmerksamkeit auf Verh\u00e4ltnisse richten zu k\u00f6nnen, durch welche wir, wie mir scheint, in der Beantwortung dieser Frage weiter gef\u00fchrt werden.\n1\t\u00dcberhaupt mufs ich bekennen, dafs mir die MEKKELschen Zellen, soviel Dankenswertes von anatomischer Seite zur L\u00f6sung dieser Frage herbeigebracht ist, in psychophysiologischer Hinsicht bisher ein v\u00f6llig dunkles Gebiet geblieben sind. In einem anderen Zusammenh\u00e4nge komme ich ausf\u00fchrlicher auf diese Zellen zur\u00fcck.\n2\tW. Krause: Zit. Werk S. 520.\n3\tEs k\u00f6nnte hiergegen eine Beobachtung angef\u00fchrt werden, die Wundt mitteilt. Es heilst bei ihm (Grundz. 5 AufL, Bd. II, S. 13): \u201eF\u00fcr diese Einerleiheit sogenannter Druck- und Schmerznerven spricht noch eine weitere Tatsache: \u00fcber den Druckpunkten fehlen, wie bemerkt, die Schmerzpunkte; wenn man jedoch an der Stelle eines Druckpunktes mit einer Nadel soweit in die Tiefe sticht, dafs der im subepithelialen Gewebe liegende Tastk\u00f6rper getroffen wird, so empfindet man Schmerz. Dieser kann aber in solchen F\u00e4llen kaum anderswo entstehen, als im Nervengeflecht des Tastk\u00f6rpers selbst.\u201c Wundt gibt nicht weiter an, wo dieser Versuch angestellt wurde, ich vermute, im haarfreien Bezirk des ITand-gelenks. Bei mir selbst finde ich hier eine grofse Anzahl von Schmerz-","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n437\npunkten und diese gerade auch in unmittelbarer N\u00e4he der Tastpunkte. Ich fasse den Schmerzapparat in seiner Gesamtheit als einen; Schutzapparat auf; die grofse Anzahl terminaler Schmerzfasern gerade in diesem Gebiete d\u00fcrfte daher nicht wundernehmen. Die Fragen nun \u00fcber die Verteilung der Nervenfasern um das Tastk\u00f6rperchen herum d\u00fcrften auch noch gar nicht endg\u00fcltig abgeschlossen sein. Leontowitsch (zit. Arbeit S. 96 u. 98) sah von diesem in einigen F\u00e4llen Fasern in das Epithel aufsteigen und gibt weiter an, dafs er \u201ezuweilen ein MEissNERsches K\u00f6rperchen von Verzweigungen\u201c (der Papillarnerven) \u201ewie von einem Futteral umfafst\u201c sah (zit. Arbeit S. 143). Bei Rueeini und Seameni finde ich diese Angaben nicht; nach der von ihnen verwandten Methode l\u00f6st sich aber das Epithel vom Corium ab. Dagegen sah Seameni (Annali di Freniatria 10, S. 286 f.) GRANDRYsche K\u00f6rperchen aus der Zunge der Hausente von einem Netz blasser Fasern umgeben, die von einer marklosen Faser kamen, welche die markhaltige, zum K\u00f6rperchen gehende bereits eine Strecke weit begleitete. Und zwar war die Verteilung so, dafs dieses Netz an der Stelle, wo es sich von der blassen Faser abzweigt, sehr dicht war, w\u00e4hrend es an der entgegengesetzten Seite fast ganz fehlte. M\u00f6gen nun die Befunde jener Forscher auch noch verschieden gedeutet werden k\u00f6nnen (ich erlaube mir dar\u00fcber vor der Hand gar kein Urteil), so steht doch soviel fest, dafs von den Papillen Fasern in das Epithel aufsteigen und, da ihr Verlauf nicht in allen F\u00e4llen konstant sein wird, sondern sie sich in einem Falle mehr schl\u00e4ngeln werden als im anderen, so ist ersichtlich, wie leicht beim Einstich eine oder mehrere solcher Fasern getroffen werden k\u00f6nnen. Es ist dann weiter in Betracht zu ziehen, dafs wir es hier mit Organen von sehr geringen Dimensionen zu tun haben (nach Koelliker \u2014 Gewebelehre I, 1889, S. 181 \u2014 von 66\u2014180 n L\u00e4nge und 32\u201450 u Breite). Es d\u00fcrfte weiter die Dicke der Epidermis nicht aufser acht gelassen werden, und es ist vor allen Dingen auch nicht der von Rueeini entdeckte und von Sfameni best\u00e4tigte subpapillare Plexus zu \u00fcbersehen. Bei der grofsen Wichtigkeit, die gerade diesem Versuche Wundts zukommen d\u00fcrfte, habe ich mir erlaubt, auf diese Tatsachen hinzuweisen. Die Schwierigkeiten, die einer eindeutigen Durchf\u00fchrung eines solchen Versuches entgegenstehen, sind eben sehr grofs. Viel eindeutiger d\u00fcrften aber Versuche sein, wie die, auf welche ich oben hingewiesen habe.\nTrotzdem aber erlaube ich mir hier weiter einige Gegenversuche anzuf\u00fchren. Im haarlosen Bezirk meines linken Handgelenks suchte ich nahe der Haargrenze bei m\u00f6glichst g\u00fcnstigem Lichte mit der Lupe eine Anzahl Tastpunkte. Um den Widerstand zu verringern, den die Hornschicht dem Einstich leicht entgegensetzt, war die Stelle vorher mit Seifenwasser und Sodal\u00f6sung erweicht worden. Die gefundenen Tastpunkte wurden mit Anilintinte umrandet. Eine feinste Nadel war vorher f\u00fcr den Versuch sorgf\u00e4ltig zugeschliffen. Immer mit der Lupe arbeitend bestimmte ich dann f\u00fcr jeden Punkt die Stelle der maximalen Empfindlichkeit, wobei ich mit dem Reizhaar zugleich auch die Nadel in der rechten Hand hielt. War dieser Punkt gefunden, so wurde er nicht weiter bezeichnet, sondern mit dem Auge festgehalten, dabei das Reizhaar fortgelegt und nun ein","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nF. Kiesow.\nEs war in der Sitzung der k\u00f6nigl. Akademie der Medizin zu Turin vom 11. Juli 1902, in der mir durch die Mitteilungen, welche Professor Romeo F\u00fcsaei, Direktor des anatomischen\nEinstich mit der Nadel versucht. Hierbei ist es mir nicht immer, aber doch mehrere Male ganz bestimmt gelungen, in der Tiefe nicht Schmerz, sondern eine ausgesprochene Tastempfindung zu erzeugen. Dazu ist noch zu bemerken, dafs der allererste Einstich, wenn man eben die Nadel einf\u00fchrt, an dieser Stelle bei mir oft von einer momentan wieder verschwindenden Schmerzempfindung begleitet ist. Auf diese nur f\u00fcr einen Moment aufblitzende Schmerzempfindung habe ich schon an anderer Stelle hingewiesen (Philos. Stud. 14, S. 576).\nLeichter gelingt der Einstich mittels Bienenstacheln, nur mufs man Acht geben, dafs ihnen nichts von dem Sekret anhaftet. Ich erfafste sie am verdickten Ende mit einer Pinzette, die ich mir im gegebenen Moment von einem Assistenten zureichen liefs. Ich kam hierbei zu demselben Resultat, nur ist es mir so besser und \u00f6fter gelungen, den Stachel ohne das Auftreten jener oberfl\u00e4chlichen, kurzdauernden Schmerzempfindung einzuf\u00fchren. Ich bemerke nochmals, dafs die Versuche nicht in allen F\u00e4llen positiv verliefen. Aber bei der hervorgehobenen Schwierigkeit, die der experimentellen Behandlung dieser Frage entgegensteht, d\u00fcrften diese positiven Ergebnisse \u00fcberzeugender sein als die negativen. \u2014 Leichter ausf\u00fchrbar sind die Versuche vielleicht auf anderen Hautgebieten (Oberarm, Oberschenkel, Rumpf etc.), wo es sich dann aber nicht mehr um Reizung von Tastk\u00f6rperchen handeln d\u00fcrfte, oder wo deren Vorhandensein wenigstens fraglich ist. Aufserdem d\u00fcrften individuelle Verschiedenheiten in der Verteilung der Schmerzfasern besonders um das Handgelenk herum vorhanden sein. Ich selbst bin hier, wie hervorgehoben, sehr schmerzempfindlich. Wie ich aus der oben zitierten Arbeit Baders ersehe, gelangte dieser bei Reizung von 4 Tastpunkten mit Insektennadeln, welche Tastpunkte auf der Dorsalseite des linken Unterarms, 4,8 cm von der Handwurzel (1 Punkt), auf dessen Beugeseite, 2,7 cm von der Handwurzel (2 Punkte) und ebenhier direkt an der Handwurzelfl\u00e4che (1 Punkt) lagen, zu \u00e4hnlichen Resultaten. Ich selbst wollte die Versuche nicht gar zu weit ausdehnen, um mir die Stelle f\u00fcr andere Beobachtungen nicht zu zerst\u00f6ren. Aber die mitgeteilten Beobachtungen lehren, dafs der Versuch Wundts in dieser wichtigen Frage nicht entscheidend sein kann.\nIch erlaube mir hier noch eine Beobachtung mitzuteilen, die ich oft gemacht habe. Nach dem sogenannten Einschlafen der Glieder, z. B. des Armes, hat man Empfindungen, die als Kriebeln bezeichnet werden. Aus der Gesamtheit dieser Empfindungen kann ich zuweilen deutlich und bestimmt 3 Qualit\u00e4ten herauserkennen. Es schwirren die Tastorgane der Hand und der Finger; ich unterscheide stichartige Schmerzempfindungen und es treten aus dem ganzen Empfindungskomplex hier und dort und oft in rascher Folge fortw\u00e4hrend Kaltempfindungen heraus. Dies d\u00fcrfte wohl nicht sein, wenn alle Nerven schmerzempfindlich w\u00e4ren.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n439\nInstituts unserer Universit\u00e4t, \u00fcber seine Untersuchungen im Gebiete des peripheren Nervensystems machte, wie durch die der Akademie vorgelegten Zeichnungen \u00fcber diese Verh\u00e4ltnisse ein neues Verst\u00e4ndnis aufging. Herr Fusari gestattete mir in den n\u00e4chsten Tagen die Durchsicht der Pr\u00e4parate. Hierbei, wie durch die von ihm erhaltenen weiteren Erkl\u00e4rungen, bin ich in meiner Auffassung nur noch best\u00e4rkt worden.\nDas uns hier interessierende Untersuchungsergebnis Fitsaris steht in Zusammenhang mit den Arbeiten R\u00fcffinis und Sfamenis. Durch Ruffini ist endg\u00fcltig die bis dahin herrschende Ansicht vernichtet worden, dafs die Cutispapillen der menschlichen Fingerbeeren und der Zehenkuppen nach Gef\u00e4fs- und Tastpapillen zu unterscheiden seien.1 Die ersteren enthalten, wie er zeigen konnte, aufser Gef\u00e4fsen Nerven, wie die letzteren aufser Tastk\u00f6rperchen Blutkapillaren. Aufser den erw\u00e4hnten Nerven, die Ruffini selbst als vasomotorische auffafste, entdeckte er innerhalb der Papillen noch nerv\u00f6se Gebilde, die er ihrer Form wegen als Fiocchetti pap\u00fclari bezeichnete.2 Ruffini arbeitete mit der von ihm selbst modifizierten FiscHERschen Methode der Goldf\u00e4rbung.3\nSfameni setzte die Arbeiten R\u00fcffinis mit der gleichen Methode fort und dehnte seine Untersuchungen auch auf die entsprechenden Teile und die Plantarregionen von Affen, Hunden und Katzen aus. Er best\u00e4tigt die Resultate R\u00fcffinis in weitestem Umfange, findet die Fiocchetti pap\u00fclari zum Teil wieder (bei der Katze, dem Affen, dem Menschen, nicht beim Hund, daf\u00fcr aber hier andere, vielleicht analoge Gebilde, die Papillen des Hundes zeigten \u00fcberhaupt charakteristische Unterschiede), weicht aber von Ruffini insofern ab, als er die intrapapill\u00e4ren Nervenfasern nicht wie dieser als Vasomotoren, sondern als solche von sensibler\n1\tAngelo Ruffini: Sulla presenza dei nervi nelle papille vascolari della cute dell\u2019 uomo. Pend, della P. Acc. dei Lined, Serie 5, 1 (2). 1892.\nDerselbe: Sulla presenza di nuove forme di terminazioni nerv\u00f6se ecc. Siena 1898. S. 8.\n2\tEbenda S. 21. \u2014 Leontowitsch (zit. Arbeit S. 96) sucht die \u201efiocchetti\u201c R\u00fcffinis mit den von ihm selbst gesehenen Jugendformen der MEissNEBSchen K\u00f6rper in Zusammenhang zu bringen. Das ist aber wohl nicht gut m\u00f6glich, da diese Gebilde eben von Sfameni auch bei der Katze gesehen wurden, die gar keine MEissNEBSchen K\u00f6rperchen besitzt.\n3\tA. Ruffini: Un metodo di reazione al cloruro d\u2019oro ecc. Atti d. P. Acc. dei Fisiocritici in Siena Serie IV, 13 (1\u20142); 1902.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440\nF. Kiesoiv.\nNatur auffafst. Er beschreibt aufser den Fasern, die zu Tastk\u00f6rperchen (Mensch, Affe) oder zu KaAusEschen Endkolben (Hund, Katze) gehen und denjenigen, die die erw\u00e4hnten Fiocchetti papillari Ruffinis bilden, andere, die sich innerhalb der Papille zu einer Art Kn\u00e4uel zusammenf\u00fcgen (terminazioni nerv\u00f6se aggrovigliate a guisa di gomitolo \u2014 Hund) oder analog diesem sich zu einem marklosen Nervennetz vereinigen (reticelle nerv\u00f6se amieliniche intrapapillari \u2014 Katze, Affe, Mensch), und sieht in eben diesen Bildungen die von Ruffini als Vasomotoren bezeichneten Fasern wieder.1\nEs kann nicht in den Rahmen dieser Arbeit fallen, auf die Einzelheiten dieser vorz\u00fcglichen Leistungen weiter einzugehen. In einem anderen Zusammenh\u00e4nge werde ich hierauf, wie auch auf die von Ruffini im Unterhautbindegewebe entdeckten und seitdem nach ihm benannten terminalen Gebilde zur\u00fcckkommen.\nUns interessieren hier in erster Linie die letzterw\u00e4hnten Befunde Sfamenis und es d\u00fcrfte aufser Zweifel liegen, dafs wir durch die Klarstellung dieser Verh\u00e4ltnisse betr\u00e4chtlich weiter gef\u00fchrt worden sind. Es kann wohl kaum ein Grund vorliegen, diese Gebilde nicht als Tastorgane aufzufassen.\nEin ganz \u00e4hnliches und zweifellos analoges Organ hat nun F\u00fcsaiii in den Papillen der Zungenspitze und des roten Lippenrandes bei jungen erwachsenen Katzen entdeckt. Dieses Organ besteht aus einem Plexus blasser, durch viele Varikosit\u00e4ten unterbrochener Fa-Nervenencligung in einer Papille des sern, der hauben-, hut-, oder kronen-Lippenrots der Katze, nach Fusaei. f\u00f6rmig (je nachdem man die Form\nauffassen will) den ganzen oberen Teil der Papille fast ausf\u00fcllt. Der Freundlichkeit des Herrn Fusaei verdanke ich die neben-\n1 Pasquale Seameni : Le terminazioni nerv\u00f6se delle papille cntanee ecc. Annali di Freniatria e Scienze affini 10, S. 225 ff. 1900. Leontowitsch (zit. Arb. S. 143), der Seamenis Arbeit nicht kannte, kommt auch f\u00fcr Hand- und Fingerr\u00fccken hierin zu demselben Ergebnis.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n441\nstehende, bisher noch nicht ver\u00f6ffentlichte Zeichnung, durch welche diese Verh\u00e4ltnisse vorz\u00fcglich illustriert werden. Die Zeichnung stellt eine Papille des roten Lippenrandes der Katze dar und gibt das Organ (Mikroskop Kobitzka, Okul. komp. ap. 4, Obj. semiap. 1jlb) in einer Vergr\u00f6fserung von 600 Diam. wieder. In den Papillen der Zungenspitze sind die Gebilde hiervon nicht verschieden. F\u00fcsari arbeitete mit der modifizierten Methode Golgis.\nDa eine ausf\u00fchrliche Beschreibung dieser neuen Befunde noch nicht erschienen ist, so beschr\u00e4nke ich mich auf eine \u00dcbersetzung desjenigen Teiles der bis dahin ver\u00f6ffentlichten kurzen Mitteilung, der das in Bede stehende Organ betrifft. Das in Parenthese Stehende habe ich selbst hinzugef\u00fcgt:\n\u201eUm den sehr dichten Nervenplexus zu bilden, der sich in den verschiedenen Papillen der Zunge und der Kutis der S\u00e4ugetiere findet, treten in die Papillen markhaltige und blasse Fasern ein. Diese letzteren bilden in der Begel eine oder mehrere B\u00fcndelchen, in welchen die Fasern eine gewisse Strecke weit parallel und sich sehr n\u00e4hernd nebeneinander herlaufen, w\u00e4hrend sie an einem gewissen Punkte diese Gleichf\u00f6rmigkeit des Verlaufs unterbrechen, (im B\u00fcndel selbst) eine Art Plexus von im ganzen ovaler Gestalt bilden und sich dann von neuem zusammensetzen, um sich fast unmittelbar darauf (wieder) zu teilen, und den (terminalen) Plexus zu bilden. Wenn nun die schwarze Beaktion diffus verl\u00e4uft, bleiben das ganze B\u00fcndel, wie auch der kleine innere Plexus (siehe das Gebilde links in der Zeichnung) uniform gef\u00e4rbt, so dafs sehr leicht die Form einer Nervenzelle vorget\u00e4uscht wird. \u2014 In den gleichen Papillen finden sich auch viele Bindegewebszellen, die v\u00f6llig denen \u00e4hnlich sind, die Leontowitsch als Nervenzellen beschreibt.\u201c1\nDie kurze Strecke links in der Zeichnung, in der die Differenzierung nicht eingetreten ist, stellt das Nervenb\u00fcndel eines anderen terminalen Plexus dar. Der Nerv ist von dem Schnitt getroffen worden. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine Doppelpapille, so dafs der diesem durchschnittenen Nerven zugeh\u00f6rige Endplexus in der Nebenpapille zu suchen ist.\nDies gen\u00fcgt, um erkennen zu lassen, dafs wir es hier mit besonderen Organen zu tun haben. Ich erfuhr weiter von F\u00fcsari,\n1 R. F\u00fcsari: Alcune osservazioni di fina anatomia nel campo del sistema neryoso periferico. Giornale della B. Accad. di Med. di Torino 1902 (8-9).","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442\nF. Kiesow.\ndafs sie sich am Lippenrande fast in jeder Papille finden, w\u00e4hrend f\u00fcr die Zungenspitze das verarbeitete Material noch nicht hinreichend grofs war, um \u00fcber die H\u00e4ufigkeit ihres Vorkommens hier absolut Sicheres auszusagen, obwohl es in hohem Mafse wahrscheinlich ist, dafs sie sich auch hier in grofser Anzahl finden. \u00dcber den harten Gaumen ist bisher nichts bekannt. Dieser, wie die Schleimhaut des ganzen \u00fcbrigen Mundraums bed\u00fcrfen in dieser Hinsicht noch der genaueren Bearbeitung.\nWie dem nun weiter sein mag, so liegt so viel auf der Hand, dafs, wenn man sich entschliefst, diese neuentdeckten Gebilde als Tastorgane aufzufassen, die grofseDichte der Tastpunkte des Lippenrandes (und wohl auch die hohe Empfindlichkeit einzelner Punkte) ihre Erkl\u00e4rung finden, wie ferner, dafs auch Dichte und Empfindlichkeit der Tastpunkte der Zungenspitze auf den gleichen Umstand zur\u00fcck-f\u00fchrbar sind, falls sie hier (woran kaum zu zweifeln ist) in ebenso grofser H\u00e4ufigkeit Vorkommen.\nDa sich bei den Pr\u00e4paraten R\u00fcffinis und Sfamenis das Epithel abl\u00f6st, so konnte noch der Zweifel aufsteigen, ob das in Rede stehende Gebilde nicht einfach als ein Nervenplexus aufzufassen sei, von dem aus Fasern in das Epithel aufsteigen m\u00f6chten. Durch die von Fusari gelieferten Pr\u00e4parate aber ist dieser Zweifel gehoben, da das Epithel hier erhalten bleibt und man von jenem Gebilde aus niemals Fasern in das erstere aufsteigen sieht.\nEs k\u00f6nnte noch eingewandt werden, dafs, was von Katzen\ngilt, noch nicht ohne weiteres vom Menschen gilt. Das ist bis\nzu einem gewissen Grade zuzugeben. Aber andererseits ist da-\n\u2022 \u2022\ngegen anzuf\u00fchren, dafs die grofse \u00c4hnlichkeit, welche gerade zwischen den Kutispapillen der Katze und denen des Menschen besteht, die vorgetragene Anschauung in hohem Grade wahrscheinlich macht. Ich st\u00fctze mich dabei weiter, wie oben angedeutet, auf die von Sfameni gefundenen Tatsachen. Gerade an den H\u00e4nden und Fingern von Menschen und Affen fand er analoge Gebilde wie an den entsprechenden K\u00f6rperteilen von Hunden und Katzen. Dazu kommen die erw\u00e4hnten Befunde von Leontowitsch. Ja, man braucht auch nur die sch\u00f6nen Figuren der oben zitierten Arbeiten Ruffinis und Sfamenis zum Vergleich heranzuziehen, um in dieser Ansicht sehr best\u00e4rkt","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle.\n443\nzu werden. Es ist wahrscheinlich, dafs das Organ beim Menschen nach Form und Gr\u00f6fse im einzelnen Abweichungen zeigen wird, aber es ist mehr als wahrscheinlich, dafs analoge Organe \u00fcberhaupt hier vorhanden sind. Im \u00fcbrigen hat nat\u00fcrlich die Spezialforschung hier\u00fcber das letzte Wort zu reden.\nEs d\u00fcrfte somit einleuchten, dafs es nicht gen\u00fcgen kann, die Tastk\u00f6rperchen und den Nervenkranz der Haarscheiden als Tastorgane des Menschen ausschliefslich anzuerkennen. Es sind ihnen wohl sicherlich die K\u00dfAUSEschen Endkolben und, soweit die Wahrscheinlichkeit einen Wert hat, auch die im vorstehenden beschriebenen Endgebilde zuzuz\u00e4hlen. Wie diese letzteren an den Tastfl\u00e4chen der H\u00e4nde und F\u00fcfse neben den Tastk\u00f6rperchen beim Menschen und Affen und an den entsprechenden Teilen beim Hund und der Katze (wohl auch anderer S\u00e4uger) neben den KaA\u00fcSEschen Endkolben die Dichte der Tastpunkte mitbestimmen, so d\u00fcrfte die letztere an Lippen und Zungenspitze in erster Linie durch jene Organe bedingt sein, wobei in zweiter Linie die K\u00dfAusEschen K\u00f6rper und teils ausnahmweise, teils in grofser Minderzahl auch die MEissNEEschen Tastk\u00f6rperchen mit-wirken.\nWas sonst \u00fcber Tastorgane und Tastfunktion zu sagen w\u00e4re, geh\u00f6rt nicht mehr in diesen Zusammenhang. Ich erlaube mir nur noch hinzuzuf\u00fcgen, dafs ich auch f\u00fcr die Kalt- und Warmempfindungen spezifisch adaptierte Organe der K\u00f6rperperipherie anerkenne. Weiche Organe hierf\u00fcr mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit in Anspruch zu nehmen sind, sei einer anderen Mitteilung Vorbehalten.\n(Eingegangen am 4. September 1903.)","page":443}],"identifier":"lit32917","issued":"1903","language":"de","pages":"424-443","startpages":"424","title":"Zur Psychophysiologie der Mundh\u00f6hle nebst Beobachtungen \u00fcber Funktionen des Tast- und Schmerzapparates und einigen Bemerkungen \u00fcber die wahrscheinlichen Tastorgane der Zungenspitze und des Lippenrots","type":"Journal Article","volume":"33"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:01.417668+00:00"}