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{"created":"2022-01-31T16:35:49.561296+00:00","id":"lit32923","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Fuchs, Bernhard","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 81-86","fulltext":[{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"81\n\u2022 \u2022\nUber die stereoskopische Wirkung der sogenannten\nTapetenbilder.\nVon\nDr. med. Bernhard Fuchs,\nAssistenzarzt an der Augenklinik des Prof. Magnus, Breslau.\n(Mit 3 Fig.)\nEingedenk der Mahnung Beckers und Rouletts 1, dafs jeder, welcher Beobachtungen \u00fcber binokulares Sehen ver\u00f6ffentlicht, verpflichtet ist, einige Angaben \u00fcber seinen Refraktionszustand und die Distanz der Augenachsen zu machen, bemerke ich, dafs ich beiderseits emetrop bin, mein Nahpunkt ungef\u00e4hr 10 cm vor dem Hornhautscheitel liegt und der Abstand der Augenmittelpunkte 61/2 cm betr\u00e4gt.\nDas den folgenden Versuchen zu Grunde liegende Ph\u00e4nomen hat Helmholtz \u20182 in so pr\u00e4gnanter K\u00fcrze beschrieben, dafs ich am besten ihm selbst das Wort gebe: \u201eWenn man n\u00e4mlich nach einer Tapete, deren Muster sich gleichnamig wiederholt, mit konvergenten Blicklinien hinsieht, so gelingt es bei gewissen Graden der Konvergenz entsprechende Teile des Musters zur Deckung zu bringen, entweder das erste mit dem benachbarten zweiten, oder auch das erste mit dem dritten oder vierten. Man sieht alsdann ein verkleinertes Bild der Tapete, welches dem Beobachter n\u00e4her, scheinbar in der Luft schwebt, desto n\u00e4her und kleiner, je gr\u00f6fser die Konvergenz ist. Wenn hierbei jeder Teil sich mit n\u00e4chstbenachbarten gleichen deckt, ist das Bild nicht so klein und nah, als wenn es sich mit dem dritten oder vierten gleichen deckt.\u201c\n\u00dcber die Beschaffenheit der f\u00fcr den Versuch geeigneten Tapete \u00e4ufsert sich Helmholtz an anderer Stelle3: \u201eIch habe\n1\tSitzungsberichte der math.-naturw. Klasse der hais. Akademie d. Wissenschaften zu Wien 43, S. 691. 1861.\n2\tPlandbuch der physiologischen Optik. 1896. S. 799.\n3\tWissenschaftliche Abhandlungen Bd. II, S. 499. 1883.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 32.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"Bernhard Fuchs.\ngew\u00f6hnlich die Augen auf einen Punkt konvergieren lassen, der weiter von mir entfernt war, als die Ebene der Tapete. Es mufs dazu eine Tapete benutzt werden, deren identische Stellen nicht weiter voneinander abstehen als die Drehpunkte der beiden Augen, dann kann man konvergierende oder allenfalls schwach divergierende Augenachsen anwenden. Dasselbe Ph\u00e4nomen kann man aber auch hervorbringen durch Konvergenz der beiden Augenachsen nach einer Ebene, die uns n\u00e4her liegt als die des Tapetenmusters.\u201c\nHelmholtz erw\u00e4hnt ferner die von ihm zuerst gemachte Beobachtung der scheinbaren Bewegung der Tapetenbilder, die sich bei Konvergenz der Blicklinien auf einen vor der Bildebene gelegenen Punkt in derselben, bei Konvergenz auf einen Punkt hinter der Tapete in der entgegengesetzten Dichtung wie der Kopf bewegen, w\u00e4hrend das reelle mit richtig gestellten Augenachsen binokular angeschaute Objekt keine Verschiebung erleide. \u201eBei diesem\u201c, f\u00fchrt er als Erkl\u00e4rung an1, \u201esind wir darauf eingerichtet, wir erwarten die Winkelverschiebung, welche dasselbe erleidet, wenn wir unseren Kopf willk\u00fcrlich verschieben. So lange hierbei die scheinbaren Bewegungen des reellen Objektes die uns gewohnten Grenzen und Verbindungen einhalten, beurteilen wir das Objekt als ruhend. Bei den Tapetenbildern wird die Kombination gel\u00f6st. Also selbst eine ruhende Konvergenz, welche eingerichtet ist auf eine bestimmte Entfernung, wird hierbei deutlich unterschieden von dem anderen Grade der Konvergenz, der der wirklichen Lage des Objektes entsprechen w\u00fcrde.\u201c\nSchon vor Helmholtz hat H. Meyer in einem 1841 erschienenen Aufsatze 2 die Tapetenbilder beschrieben. Er machte seine Versuche an einem Drahtgitter mit Maschenl\u00f6chern von 3/4 \u2014 1 Zoll Durchmesser, an einem kleinen wiederkehrenden Tapetenmuster, an einem mit kongruenten Figuren bedeckten oder in gleichen Zwischenr\u00e4umen mit Oblaten belegten Papierbogen. Als Grund der merkw\u00fcrdigen Erscheinung fand er das Zusammenfallen der durch die abweichende Stellung der Augenachsen erzeugten Doppelbilder. Zur Erleichterung der starken\n1\tEbenda.\n2\tBo sers und Wunderlich s Archiv f\u00fcr die 'physiologische Heilkunde\n1841, 1, S. 316 u. f.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die stereoskopische Wirkung der sogenannten Tapetenbilder. 83\nKonvergenz auf einen vor der Bildfl\u00e4che gelegenen idealen Punkt gab er den praktischen Rat, diesen durch den Kopf einer Nadel oder einen \u00e4hnlichen kleinen Gegenstand zu ersetzen; wenn dann im Augenblicke des Eintretens der Erscheinung der fixierte Gegenstand weggezogen w\u00fcrde, st\u00e4nden \u201enach der Deckung der Doppelbilder, die Augen, so unst\u00e4t sie vorher waren mit einem Male so fest, dafs sie nur mit Anstrengung in ihre Lage zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnten\u201c. Er beobachtete ferner, dafs bei Konvergenz auf einen Punkt hinter der Bildfl\u00e4che das Muster vergr\u00f6fsert und in gr\u00f6fserer Ferne als diese erscheint.\nDie verschiedene Gr\u00f6fse der Bilder wird nach Becker und Rollett1 durch den jeweiligen Wert des Konvergenz winkeis bedingt, das Urteil \u00fcber die Entfernung aber durch den Umstand beeinflufst, dafs wir den scheinbaren Ort sich deckender Doppelbilder in den Kreuzungspunkt der Sehachsen verlegen, dabei aber die Akkommodation f\u00fcr die Bildebene festhalten.\nDie zu den folgenden Versuchen verwandten Muster bestehen aus Kreisen von B1^ cm Durchmesser. Denselben Wert hat naturgem\u00e4fs die Distanz der Kreismittelpunkte, wenn in einem derartigen Muster die Kreisperipherien sich gegenseitig ber\u00fchren. (Fig. 1.)\nFig. 1.\n1 a. a. O. S. 668 u. 684.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nBernhard Fuchs.\nBei geringeren Konvergenzgraden wird man in jeder Reihe vier, bei st\u00e4rkeren f\u00fcnf oder sechs Kreise erblicken, weil das linke Doppelbild des ersten und das rechte des letzten ohne Deckung bleibt, bei st\u00e4rkerem Einw\u00e4rtsschielen aber nat\u00fcrlicherweise um so mehr Doppelbilder unverschmolzen bleiben m\u00fcssen.\nFig. 2.\nEin genau gezeichnetes Tapetenbild, in welchem der Abstand identischer Punkte der Muster der gleiche ist, f\u00fcr entsprechende Teile also immer derselbe Konvergenzzustand erforderlich ist, macht keinen stereoskopischen Eindruck, weil ja s\u00e4mtliche Doppelbilder verschmelzen, abgesehen von den nicht in Betracht kommenden Randpartien, und nur die Unterdr\u00fcckung un verschmolzener Doppelbilder in uns die Wahrnehmung der Tiefendimension veranlassen kann. Wenn daher von den oben angef\u00fchrten Autoren die Tapetenbilder stereoskopisch genannt werden konnten, so lag dies an Fehlern der ihnen zur Verf\u00fcgung","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die stereoskopische Wirkung der sogenannten Tapetenbilder. 85","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nBernhard Fuchs.\nstehenden Muster, deren Vorkommen wegen der technischen Schwierigkeit in der Herstellung genau gleicher Distanzen nicht \u00fcberraschen wird. Der aufmerksame Beobachter wird herausfinden, dafs auch Fig. 1 von diesen M\u00e4ngeln nicht ganz frei ist.\nIn den folgenden Zeichnungen sind diese Fehler absichtlich und in gesteigertem Mafse angebracht und zur Erzielung stereoskopischer Effekte verwertet worden. Zu diesem Zwecke sind die Abst\u00e4nde der Kreismittelpunkte verschieden lang gezeichnet worden. Die auf zwei benachbarte Kreise eingestellten Augen werden von diesen durch Verschmelzung der Doppelbilder ein Sammelbild erhalten; andere Kreise aber, deren Distanz eine andere ist und demgem\u00e4fs auch einem anderen Konvergenzgrade entspricht, f\u00fcr den die Augen augenblicklich nicht einstellungsf\u00e4hig sind, weil sie eben in einer anderen Stellung fixiert sind, liefern keine verschmelzbaren, daher aber unterdr\u00fcckbaren Doppelbilder und hinterlassen deshalb eine stereoskopische Wirkung. An derselben beteiligen sich naturgem\u00e4fs alle Distanzen, welche gr\u00f6fser sind als die, f\u00fcr welche die Augen gerade eingestellt sind, in entgegengesetzter Art und Weise als die kleineren, insofern als im ersten Falle die entsprechenden Kreise bei Konvergenz auf einen Punkt vor der Bildebene uns ferner ger\u00fcckt erscheinen, im anderen dagegen n\u00e4her; bei Konvergenz auf einen Punkt hinter der Zeichnung kehren sich die Verh\u00e4ltnisse um, so dafs man, falls die Kreise durch perspektivisch aufgenommene Zeichnungen ersetzt w\u00fcrden, von einer Umkehrung des Reliefs reden w\u00fcrde. (Fig. 2.)\nIn Fig. 3 ist der Versuch gemacht worden, ein komplizierteres Muster nach denselben Grunds\u00e4tzen darzustellen.\nDieses bietet der gew\u00f6hnlichen binokularen Betrachtung ein regelloses, kaum zu entwirrendes Gemisch von durcheinandergeworfenen Kreisen. Umso \u00fcberraschender ist der Anblick bei den Konvergenzversuchen. An die Stelle der fl\u00e4chenhaften Zeichnung ist der dreidimensionale Raum getreten, in welchem man einen ganzen Ballen von Ringen erblickt, die, in allen erdenklichen Gruppierungen aufeinander get\u00fcrmt, ein \u00fcberaus reizvolles Bild gew\u00e4hren.\n(Eingegangen am 9. Februar 1903.)","page":86}],"identifier":"lit32923","issued":"1903","language":"de","pages":"81-86","startpages":"81","title":"\u00dcber die stereoskopische Wirkung der sogenannten Tapetenbilder","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:49.561306+00:00"}