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{"created":"2022-01-31T16:35:17.657834+00:00","id":"lit32924","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schaefer, Karl L.","role":"author"},{"name":"Alfred Guttmann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 87-97","fulltext":[{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"87\n(Aus dem Psychologischen Institut der Universit\u00e4t Berlin.)\n\u2022 \u2022\n\u00fcber\ndie Unterschiedsempfindliehkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne.\nVon\nKael L. Schaeeee und Alebed Guttmann.\nW\u00e4hrend die Schwelle der qualitativen Unterscheidung unmittelbar aufeinander folgender T\u00f6ne wiederholt Gegenstand gr\u00fcndlicher Untersuchungen gewesen ist, liegen bez\u00fcglich der Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne bis jetzt nur vereinzelte Versuche vor. Erw\u00e4hnenswert ist in dieser Hinsicht zun\u00e4chst eine Bemerkung von Bosanquet.1 Derselbe benutzte sein bekanntes Harmonium auch zu Beobachtungen \u00fcber die Grenze, an welcher man nicht zu entscheiden vermag, ob die beiden T\u00f6ne eines Zweiklangs neben ihren Schwebungen getrennt h\u00f6rbar sind, oder ob es sich um einen unreinen Einklang handelt, und gibt an, dafs dieses \u201ekritische Intervall\u201c, wie er es nennt, in der mittleren Region der musikalischen Skala ungef\u00e4hr zwei Kommas betrage, jedoch individuell etwas verschieden sei. Jedenfalls liege es aber zwischen einem und drei Kommas. Hiernach m\u00fcfsten zwei T\u00f6ne aus der Mitte der eingestrichenen Oktave, die beim Zusammenklang von einander unterschieden werden sollen, mindestens um circa 10 Schwingungen differieren. Bosanquet selbst hat keine zahlenm\u00e4fsigen Belege f\u00fcr das Resultat seiner Versuche, die sich \u00fcbrigens, wie es scheint, nur auf zwei Personen erstreckten, beigebracht.\nAuch Stumpe hat sich bereits in seiner Tonpsychologie2\n1\tOn the Beats of Consonances of the Form h : 1. Philos. Magaz. (5), 11, S. 420 u. 421. 1881.\n2\tBd. II, S. 321 ff. 1890.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nKarl L. Schaefer und Alfred Guttmann.\nmit unserem Thema besch\u00e4ftigt. Er f\u00fchrt an, dafs er gelegentlich die Terz CE der Orgel bei einer Intervallweite von 16 Schwingungen schon im ersten Moment des H\u00f6rens als Zweiklang erkannt habe, w\u00e4hrend A1 und C oder F1 und A1 (mit einer Differenz von 11 Schwingungen) bei gleichzeitigem Erklingen nicht mehr auseinander zu halten waren. Ferner teilt er einige Versuche mit, aus denen hervorgeht, dafs die absolute Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne mit deren H\u00f6he abnimmt, wenn die Tonquellen an beide Ohren verteilt werden. Wir wollen indessen auf diesen Punkt nicht n\u00e4her ein-gehen, da im Folgenden stets nur von solchen F\u00e4llen die Rede sein soll, in denen die beiden T\u00f6ne zusammen entweder von jedem Ohre oder vorwiegend monotisch geh\u00f6rt werden.\nEndlich ist hier noch der sorgf\u00e4ltigen Stimmgabelversuche Felix Kruegers \u00fcber Zweikl\u00e4nge1 zu gedenken, deren Beschreibung auch \u00fcber die Frage Auskunft gibt, bei welchem Intervall der Zweiklang als solcher vom Einklang eben unterscheidbar ist. Allerdings hat Krueger nur drei verschiedene Tonh\u00f6hen genauer untersucht, n\u00e4mlich c\\ c2 und c3. Der Zusammenklang zweier T\u00f6ne, von denen der eine 256, der andere 264 Schwingungen machte, wurde von allen Beobachtern immer als ein Ton auf-gefafst. Bei dem Zweiklang 256 -f- 268 begann f\u00fcr drei der H\u00f6rer eine verschwommene Zweiheit eben merklich zu werden; ein vierter konstatierte erst bei -f- 284 eine \u201eSpur von Zweiheit\u201c. \u201eVon -f- 280 (-j- 284, El) ab hatten alle Beobachter stets den Eindruck der gest\u00f6rten Einheit oder der Zwiesp\u00e4ltigkeit, der mehr oder weniger deutlichen Tonmehrheit. Diese Mehrheit war zun\u00e4chst, bis etwa -f- 284, nur sukzessive wahrnehmbar. Wo es in dieser Gegend zeitweise gelang, zwei T\u00f6ne nebeneinander zu h\u00f6ren, wurde das Urteil erheblich sicherer, wenn die Aufmerksamkeit sich den beiden T\u00f6nen einzeln nacheinander zuwandte .... Von -f- 300 an waren beide Prim\u00e4rt\u00f6ne stets deutlich nebeneinander zu h\u00f6ren.\u201c Die Versuchsergebnisse der c2-Oktave hat Krueger am ausf\u00fchrlichsten mitgeteilt. Aus der dieselben enthaltenden Tabelle III folgt, dafs der Mitarbeiter V. bei 16 Schwingungen Distanz (512 -f- 528) schon die Prim\u00e4rt\u00f6ne trennen konnte. Zwei andere vermochten dies und zwar mit M\u00fche erst bei -f- 532, ein vierter erst bei -f\u201c 544, w\u00e4hrend f\u00fcr\n1 Philos. Stud. 16 (3 u. 4). 1900.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne.\n89\nV. die Zweiheit bereits bei -f- 586 unzweifelhaft war. In der\nGegend des cs (= 1024) fand Krueger das erste Auftreten einer\nnoch unsicheren Zweiheit wiederum bei 16 Schwingungen Inter-\n\u2022 \u2022\nvallweite, und lag der \u00dcbergang zur deutlichen Zweiheit bei + 1080.\nMit R\u00fccksicht darauf, dafs das bis jetzt gesammelte Versuchsmaterial doch nur recht d\u00fcrftig ist im Verh\u00e4ltnis zu dem Interesse, welches die Frage nach der Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne nicht nur vom psychophysiologischen sondern auch vom musikalischen Standpunkt aus verdient, erschien es uns gerechtfertigt, den Gegenstand nochmals einer besonderen, systematisch angelegten Untersuchung zu unterziehen.\nBei den ersten, mehr der vorl\u00e4ufigen Orientierung dienenden Beobachtungen, zu denen wir EDELMANxsche Laufgewichtgabeln benutzten, erhielten wir f\u00fcr g\\ d2 und y2 ungef\u00e4hr 12 bis 15 Schwingungen als Minimum der Tonh\u00f6hendifferenz, bei welcher die Zweiheit eben erkennbar wird. Dabei erwies sich aber das rasche, ungleichm\u00e4fsige Verklingen der T\u00f6ne und die Schwierigkeit, die Gabeln immer gleich stark anzuschlagen, als recht st\u00f6rend, so dafs wir es f\u00fcr zweckm\u00e4fsiger erachteten, durch Anblasen erzeugte T\u00f6ne zu verwenden, deren St\u00e4rke sich in gen\u00fcgendem Grade gleichmachen und beliebig lange gleich erhalten l\u00e4fst.\nDem Beispiele Bosanquets folgend, gingen wir daher zur Benutzung schwingender Metallzungen \u00fcber und stellten die n\u00e4chsten Versuchsreihen an zwei Exemplaren des Appuxxschen Tonmessers an. Mittels des einen kann man, teils von 2 zu 2, teils von 3 zu 3 Schwingungen, fortschreitend, die T\u00f6ne zwischen 400 und 600 Schwingungen zu Geh\u00f6r bringen ; der andere enth\u00e4lt mit Zwischenr\u00e4umen von je 5 Schwingungen die T\u00f6ne von 600 bis 800. Unsere Versuche ergaben ziemlich genau \u00fcbereinstimmend f\u00fcr die Tonh\u00f6hen 400, 500, 600, 700 und 800, dafs die Zweiheit bei einem Tonh\u00f6henunterschied von etwa 10 bis 15 Schwingungen merklich ward, w\u00e4hrend bis zu 8 Schwingungen Differenz der Zweiklang durchweg als Einklang erschien. Dabei zeigte sich eine Abnahme der absoluten Unterschiedsempfindlichkeit mit dem Wachsen der Schwingungszahlen, die aber sehr unbedeutend war und auf die wir auch insofern kein besonderes Gewicht legen m\u00f6chten, als die Versuche nur gering an Zahl","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nKarl L. Schaefer und Alfred Guttmann.\nund nur mit zwei Personen ausgef\u00fchrt sind. Zudem befanden sich die Beobachter in demselben Raume wie die Tonquellen, was zu Ungenauigkeiten f\u00fchren kann, weil der Klangcharakter sich dabei h\u00e4ufig mit der Stellung oder Kopfhaltung des H\u00f6rers ver\u00e4ndert und auch nicht immer f\u00fcr beide Ohren ganz der gleiche ist. Zwei weitere \u00dcbelst\u00e4nde entstanden daraus, dafs das den Zungen eigene Schwirren der Obertonschwebungen als st\u00f6rend empfunden wurde und dafs beim Fortschreiten von einem Intervall zum n\u00e4chst gr\u00f6fseren oder engeren keine kleineren Schritte als solche im Betrage von 2 bis 5 Schwingungen m\u00f6glich waren. Auch bei den Intervallen Bosanquets, die um mindestens ein Komma differierten, war der Gr\u00f6fsenunterschied f\u00fcr ganz exakte Versuche nicht hinreichend gering, und das N\u00e4mliche gilt von den Beobachtungen Kruegers, dessen Intervalle in der zweigestrichenen Oktave immer um je vier Schwingungen, in der c3-Region sogar um je acht wuchsen. Denn wenn, um ein Beispiel anzuf\u00fchren, Krueger seinen Mitarbeitern nur die Intervalle 512 + 516, 512\t520, 512 -f- 524 u. s. w. vorlegte \u2014 was zwar\nf\u00fcr seine Zwecke vollauf gen\u00fcgte \u2014 und zuerst bei 512 -f- 528 ein Zweiheitsurteil erhielt, so bleibt die M\u00f6glichkeit, dafs bei engerer Intervallfolge vielleicht schon 512 -f- 526 als Zweiheitsgrenze aufgefafst worden w\u00e4re.\nAus den angegebenen Gr\u00fcnden verzichteten wir auf die Ausf\u00fchrung gr\u00f6fserer Serien von Beobachtungen mittels der Zungenkasten und bedienten uns zu den nunmehr zu er\u00f6rternden Hauptversuchen des k\u00fcrzlich in dieser Zeitschrift1 beschriebenen STERNschen Tonvariators. Derselbe erm\u00f6glichte es uns, in bequemster Weise die erforderlichen Intervalle herzustellen, und seine T\u00f6ne haben den grofsen Vorzug einer weichen Klangfarbe und gleichm\u00e4fsigen St\u00e4rke. Allerdings bringt es die Konstruktion des Instrumentes mit sich, dafs einige T\u00f6ne von einem sehr deutlichen Blaseger\u00e4usch begleitet werden, doch gelang es stets, n\u00f6tigenfalls durch Anwendung einfacher Kunstgriffe, einen st\u00f6renden Einflufs desselben zu verh\u00fcten. Wir untersuchten mit dem Apparat sukzessive die Tonh\u00f6hen von 300, 400, 600, 800, 1000 und 1200 Schwingungen. F\u00fcr 300 und 1200 mufste der Tonvariator mit der Stumpe - MEYERschen Flaschenorgel, deren Klangfarbe und -st\u00e4rke mit der des Ton-\n1 30, S. 422 ff.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne.\n91\nvariators \u00fcbereinstimmt, kombiniert werden ; im \u00fcbrigen wurden immer zwei STERNsche Flaschen zusammen als Tonquellen benutzt.\nDer Verlauf einer einzelnen Beobachtungsreihe pflegte der folgende zu sein. Ein Flaschenpaar wurde mit Hilfe einer Stimmgabel auf die zu untersuchende Tonh\u00f6he gebracht und unison gestimmt, worauf die Versuchsperson im Beobachtungszimmer an der Schallleitungsr\u00f6hre, die durch einen zweiten Kaum hindurch in den Instrumentensaal f\u00fchrte, Platz nahm. Um m\u00f6glichste Gleichm\u00e4fsigkeit der physikalischen Bedingungen f\u00fcr alle Versuche zu erzielen, war anf\u00e4nglich die Verabredung getroffen, das Ohr dicht an die M\u00fcndung des Leitungsrohres zu legen. Es ergab sich aber bald, dafs dies die Klanganalyse merklich erschwerte, weshalb sp\u00e4ter immer ein gewisser kleiner Zwischenraum zwischen Ohr und K\u00f6hre gelassen wurde. Dem Beobachter ward zuerst das Unisono der T\u00f6ne zu Geh\u00f6r gebracht und hierauf, wenn das Fehlen von Schwebungen best\u00e4tigt war, die eine Flasche, w\u00e4hrend die andere dauernd konstant blieb, durch eine 5 oder 10 Grad betragende Drehung ihrer Kurbelscheibe um ungef\u00e4hr eine bis zwei Schwingungen verstimmt. Hatte der H\u00f6rer sein Urteil \u00fcber die Einzelheiten des so ver\u00e4nderten Klanges abgegeben \u2014 es geschah dies in ganz \u00e4hnlicher Weise wie in den Versuchen Kruegers \u2014 so wurde das Intervall wieder um einen geringen Betrag ver\u00e4ndert und so fortgefahren, bis eine gen\u00fcgende Menge von Intervallen zwischen dem Unisono und der Zw^eiheitsgrenze durchgepr\u00fcft war. Hinsichtlich der Zahl, Gr\u00f6fse und Keihenfolge der einzelnen Intervalle wurde absichtlich keine bestimmte Regel inne gehalten, um den Beobachter an etwaigen Schlufsfolgerungen aus der blofsen Anordnung der Versuche m\u00f6glichst zu hindern. Ein v\u00f6llig unwissentliches Verfahren ist freilich insofern ausgeschlossen, als jeder Ge\u00fcbte die Tondistanzen bis zu einem gewissen Grade nach der Frequenz der Schwebungen zu beurteilen vermag. Indessen kommt hier auch wieder in Betracht, dafs die Versuchspersonen im Interesse des Heraush\u00f6rens der Teilt\u00f6ne aus dem Zweiklang stets bem\u00fcht waren, von den Schwebungen zu abstrahieren. Dafs dies ziemlich leicht gelingt, hat bereits Stumpe in seiner Tonpsychologie1 angegeben und wir k\u00f6nnen es best\u00e4tigen.\n1 Bd. II, S. 162.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nKarl L. Schaefer und Alfred Guttmann.\n\u00dcber die verschiedenen, znm Teil sehr interessanten Angaben inbetreff des Zwischentones, der Schwebungen, der optischen Assoziationen u. s. w. soll an dieser Stelle nicht berichtet werden. Hier kommt es nur darauf an festzustellen, wann der Zweiklang, wenn sein Intervall vom Unisono ausgehend sich kontinuierlich von Schwingung zu Schwingung vergr\u00f6fsert, eben anf\u00e4ngt, aus einem schwebenden, aber reinen Einklang in einen unreinen \u00fcberzugehen; wann diese Unreinheit v\u00f6llig deutlich wird; wann es zuerst gelingt, mit angespanntester Aufmerksamkeit die beiden Teilt\u00f6ne getrennt zu h\u00f6ren, und wann schliefs-lich die Zweiheit so klar zum Ausdruck kommt, dafs sie sich von selbst dem Bewufstsein aufdr\u00e4ngt. Die Beobachter hatten die Aufgabe, vor allen Dingen diese vier Grenzen zu bestimmen, und charakterisierten dieselben meist durch \u00c4ufserungen wie: \u201eRein\u201c; \u201eSpur von Unreinheit\u201c, \u201eLeicht unrein\u201c; \u201eDeutlich unrein\u201c, \u201eAbscheulich unrein\u201c ; \u201eBeginnende Zweiheit\u201c, \u201eDie T\u00f6ne sind bei wandernder Aufmerksamkeit trennbar\u201c, \u201eDie T\u00f6ne blitzen abwechselnd auf\u201c ; \u201eDeutliche Zweiheit\u201c, \u201eDie T\u00f6ne fliefsen getrennt nebeneinander hin\u201c.\nDie Beobachtung jedes einzelnen Intervalles w\u00e4hrte etwa eine halbe Minute, w\u00e4hrend welcher Dauer die T\u00f6ne von dem Blasebalge mit gen\u00fcgend konstantem Druck unterhalten wurden. Nach Verlauf dieser Zeit stellte der Versuchsleiter die beiden T\u00f6ne gleichzeitig ab \u2014 es ist f\u00fcr die Exaktheit solcher Versuche wesentlich, dafs die T\u00f6ne stets pr\u00e4cise zusammen einsetzen und aufh\u00f6ren \u2014 und nahm durch die Schallr\u00f6hre, die sich sehr gut zur gegenseitigen Verst\u00e4ndigung eignete, die Aussagen des H\u00f6renden entgegen, um sie zugleich mit der an der Kurbelscheibe der ver\u00e4nderlichen Flasche abgelesenen, die Einstellung der letzteren genau bezeichnenden Gradzahl ins Protokoll einzutragen. Am Schl\u00fcsse jeder Versuchsreihe mufsten diese Gradziffern in die entsprechenden Schwingungszahlen umgewandelt werden. Hierzu kann man sich der auf den Scheiben des Stern-schen Apparates eingetragenen Aichungsdaten bedienen, mit deren Hilfe sich in einfacher Weise berechnen l\u00e4fst, um wie viel Schwingungen der Ton durch jede Drehung erh\u00f6ht oder vertieft wird. Da jedoch der Tonvariator in dieser Beziehung nicht frei von Ungenauigkeiten ist, obwohl er sonst sicherlich eine wertvolle Bereicherung des akustischen Instrumentariums darstellt, so haben wir die Intervallweiten, auf die es besonders ankam,","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne.\n93\nauch noch durch Ausz\u00e4hlen der Schwebungen oder direktes Vergleichen der Prim\u00e4rt\u00f6ne mit anderen T\u00f6nen von genau bekannter H\u00f6he kontrolliert.\nAls Beobachter fungierten aufser uns selbst Herr Geheimrat Stumpf und Herr Dr. y. Hornbostel. Beiden Herren, von denen der letztere uns zugleich bei der Leitung der Versuche und den Schwebungsz\u00e4hlungen mit gr\u00f6fster Bereitwilligkeit unterst\u00fctzte, sprechen wir auch an dieser Stelle unseren ergebensten Dank aus. Alle vier Versuchspersonen, von denen St., G. und v. H. sehr musikalisch, St. und Sen. in psychophysischen, namentlich akustischen, Beobachtungen seit vielen Jahren ge\u00fcbt sind, haben im allgemeinen die in Frage kommenden Grenzen ziemlich pr\u00e4zise festzustellen vermocht. Dafs die Zahlen, die wir von einem und demselben Beobachter f\u00fcr dieselbe Grenze zu verschiedenen Zeiten erhielten, nicht absolut genau \u00fcbereinstimmten, sondern h\u00e4ufig innerhalb einer Breite von einigen Schwingungen differierten, ist nicht verwunderlich, da das Aufsuchen des Punktes, wo die Unreinheit beziehungsweise Zweiheit merklich wird, eben eine Schwellenbeobachtung und der \u00dcbergang zwischen beginnender und deutlicher Unreinheit oder Zweiheit ein stetiger ist. Wir haben daher in jedem Falle einen mittleren Zwischenwert als den richtigen angenommen.\nDiese Mittelwerte sind in den folgenden Tabellen zusammengestellt. Dieselben sollen eine \u00dcbersicht \u00fcber die Schwingungszahlendifferenzen geben, bei denen die Unreinheit resp. Zweiheit f\u00fcr die einzelnen Beobachter und Abschnitte der Tonskala begann, beziehungsweise deutlich wurde. Die die Tonregion von 90 und 150 Schwingungen betreffenden Grenzwerte beziehen sich auf Versuche mit EDELMANNschen Stimmgabeln. Wir waren gen\u00f6tigt, auf diese zur\u00fcckzugreifen, weil es trotz vieler M\u00fche nicht gelingen wollte, Flaschen in so tiefer Tonlage zu hinreichend lautem, ger\u00e4uschfreiem und gleichm\u00e4fsigem Ansprechen zu bringen. Es wurde aber, wie wohl kaum besonders betont zu werden braucht, mit gr\u00f6fster Sorgfalt darauf geachtet, dafs die Gabelt\u00f6ne stets mit gleicher St\u00e4rke und zu gleicher Zeit im Beobachtungsraume geh\u00f6rt wurden.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nKarl L. Schaefer und Alfred Guttmann.\nTabelle I.\nBeobachter St.\n1 Tonregion\t90\t150\t300\t400\t600\t800\t1000\t1200\nBeginnende Unreinheit\t10\t5\t4\t8\t8,5\t6,5\t9\t8\nDeutliche Unreinheit\t15\t10\t5\t9\t10\t8\t13\t10\nBeginnende Zweiheit\t20\t12,5\t8\t10\t13\t12\t17\t12\nDeutliche Zweiheit\t20\t20\t15\t11\t15\t16\t17\t17\nTabelle II.\nBeobachter Sch.\nTonregion\t90\t150\t300\t400\t600\t800\t1000\t1200\nBeginnende Unreinheit\t15\t7\t7\t4\t5\t7\t7\t10\nDeutliche Unreinheit\t20\t10\t9\t\t10\t9\t9\t13\nBeginnende Zweiheit\t20\t20\t11\t9\t16\t13\t15\t15\nDeutliche Zweiheit\t30\t25\t11,5\t10\t*\t19\t19\tca. 20\nTabelle III\nBeobachter G.\nTonregion\t90\t150\t300\t400\t600\t800\t1000\t1200\nBeginnende Unreinheit\t10\t10\t3\t4\t7\t6\t9\t13\nDeutliche Unreinheit\t15\t10\t5\t6\t15\t7,5\t11\t15\nBeginnende Zweiheit\t20\t13\t9\t9\t9\t9\t15\t17,5\nDeutliche Zweiheit\t23\t17,5\t15\t10\t11\t9\t16\t21\nTabelle IV.\nBeobachter v. H.\nTonregion\t90\t150\t300\t400\t600\t800\t1000\t1200\nBeginnende Unreinheit\t10\t5\t6\t8\t8\t7\t7\t6\nDeutliche Unreinheit\t15\t10\t7\t10,5\t9\t7,5\t9\t7\nBeginnende Zweiheit\t22\t17\t10\t12,5\t14\t8\t10\t10\nDeutliche Zweiheit\t28\t30\t11\t14\t*\t10\t12,5\t12\nAnmerkung: An den mit * bezeichneten Stellen liefs sich wegen erheblicherer Urteilsschwankungen kein bestimmter Zahlenwert angeben.\nZu der Tabelle I ist zu bemerken, dafs bez\u00fcglich der Kolumne 1000 im ganzen drei Versuchsreihen vorhegen. Die beiden letzten derselben ergeben fast \u00fcbereinstimmend die hier angegebenen Werte. Die Zahlen der ersten, mit der \u00fcberhaupt die Mitwirkung dieses Beobachters an der Untersuchung begann, waren mehr als doppelt so hoch. Es handelte sich offenbar um eine rasch zunehmende \u00dcbung, die aber wohl mehr als eine Ge-","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne.\n95\nw\u00f6hnung an die Versuchsumst\u00e4nde denn als eine Steigerung der eigentlichen Unterschiedsempfindlichkeit aufzufassen sein d\u00fcrfte. Bei Sch. zeigte sich ein ganz \u00e4hnliches Verhalten, dagegen war bei G. und v. H. von einer \u00dcbung so gut wie nichts zu konstatieren. Die ersten zur Ein\u00fcbung n\u00f6tigen Versuchsreihen Sch.s sind ebensowenig wie die St.s in den Tabellen ber\u00fccksichtigt. Letztere sollen eben nur die f\u00fcr bestens ge\u00fcbte, mit T\u00f6nen in jeder Beziehung wohl vertraute Beobachter durchschnittlich g\u00fcltigen Schwellenwerte darstellen.\nIn Anbetracht dessen, dafs es sich um Schwellenbeobachtungen unter besonders schwierigen Umst\u00e4nden handelt, die manchen sogar zu der Behauptung f\u00fchrten, es sei hier jede experimentelle Untersuchung ausgeschlossen, stimmen die \u2014 aus mehr als 800 Einzelversuchen gewonnenen \u2014- Resultate unserer Versuchspersonen sowohl untereinander als auch mit den Angaben von Bosanquet, Stumpe und Kr\u00fcger im ganzen gut \u00fcberein. Besonders die Tabellen I und III zeigen ein \u00fcbersichtliches und gleichm\u00e4fsiges Verhalten, das als mafsgebend f\u00fcr die Schl\u00fcsse gelten darf.\nAls erstes Ergebnis springt in die Augen, dafs die absolute Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne erheblich geringer ist als f\u00fcr aufeinanderfolgende. Dafs Stumpe bei diotischer Verteilung der Tonquellen eine viel st\u00e4rkere Abnahme der Unterschiedsempfindlichkeit mit wachsender Tonh\u00f6he gefunden hat als wir, beruht wohl auf den zwischen monotischem und diotischem H\u00f6ren bestehenden psychophysiologischen Unterschieden. Betrachten wir die Zahlen unserer Tabellen im einzelnen, so zeigt sich, dafs die Zweiheitsgrenze in dem mittleren Teile der musikalischen Skala bei einer Tonh\u00f6hendifferenz von etwa 10 bis 20 Schwingungen liegt. In der eingestrichenen Oktave scheint die Unterschiedsempfindlichkeit am gr\u00f6fsten zu sein, wozu auch die Aussagen G.s und Sch.s, dafs sie in dieser Region ihre Urteile mit besonderer Leichtigkeit und Sicherheit h\u00e4tten abgeben k\u00f6nnen, stimmen w\u00fcrden. Nach der Tiefe zu findet jedenfalls ein deutliches Steigen der Schwelle statt. G. und v. H. haben auch noch einige Versuchsreihen mit Gabeln in der H\u00f6he zwischen 50 und 90 Schwingungen angestellt, wobei sie einen Schwellenwert von 20 bis 30 Schwingungen fanden, doch waren die Beobachtungen wegen der Schw\u00e4che der T\u00f6ne schwierig und sind einstweilen nicht weiter verfolgt worden. Von der eingestrichenen","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nKarl L. Schaefer und Alfred Guttmann.\nOktave bis zum ds zeigt die Unterschiedsempfindlichkeit eine gewisse, wenn auch nicht sehr ausgesprochene, Tendenz zur Abnahme, wie sie ja auch bei den fr\u00fcher erw\u00e4hnten Versuchen am AppuNNschen Tonmesser zu Tage trat. Weiter aufw\u00e4rts mufs diese Abnahme sich rasch vergr\u00f6fsern, denn Gabel-Zweikl\u00e4nge aus der oberen H\u00e4lfte der vier- und dem Anf\u00e4nge der f\u00fcnfgestrichenen Oktave wie 3200 -f- 3840, 3840 -f- 4000, 4000 -j- 4800, bei denen die Differenz der Schwingungszahlen in die Hunderte geht, erscheinen durchaus als ein Ton; die beiden Teilt\u00f6ne sind nicht zu trennen, trotzdem ihr Zusammenwirken sich dem Ohre dadurch dokumentiert, dafs der Differenzton deutlich geh\u00f6rt wird.\nBekanntlich ist die absolute Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr aufeinanderfolgende T\u00f6ne in der Mitte des Tonreiches am gr\u00f6fsten und nahezu konstant, w\u00e4hrend sie in der H\u00f6he und Tiefe umsomehr abnimmt, je mehr man sich den Grenzen der Skala n\u00e4hert. Aus unseren Beobachtungen folgt also als wichtigstes Ergebnis, dafs die absolute Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne zwar nicht hinsichtlich ihrer Feinheit, wohl aber hinsichtlich ihrer Ver\u00e4nderungen in den verschiedenen Tonregionen ein ganz \u00e4hnliches Verhalten zeigt wie die f\u00fcr aufeinanderfolgende. Besonders instruktiv d\u00fcrfte es in dieser Beziehung sein, die nachstehende Tabelle Max Meyers 1 f\u00fcr aufeinanderfolgende T\u00f6ne zu vergleichen, da sie von derselben Versuchsperson stammt wie unsere Tabelle I.\nVer- stimmung\t100\t200\t400\t600\t1200\n0,35\t71\t83\t80\t84\t67\n0,65\t74\t91\t92\t90\t70\nDie Zahlen der obersten Horizontalreihe geben hierbei die Tonh\u00f6henlage der Versuchsgabeln an. Die Ziffern der ersten Vertikalreihe bezeichnen die Schwingungszahlendifferenz der jeweils zu vergleichenden beiden T\u00f6ne und die \u00fcbrigen Rubriken enthalten in Prozentzahlen ausgedr\u00fcckt die richtigen Urteile \u00fcber die Frage, welcher von beiden T\u00f6nen der h\u00f6here war.\nIn musikalischer Hinsicht ist vielleicht noch die folgende kleine Tabelle von Interesse, aus welcher hervorgeht, dafs selbst in der kleinen Oktave gleichzeitige T\u00f6ne vom Intervall einer Sekunde, mehr nach der Tiefe zu aber sogar Intervalle von der\n1 Diese Zeitschrift 16, S. 358.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne.\n97\nGr\u00f6fse der Quarte und Quinte von durchaus musikalischen, ge\u00fcbten Personen nicht sicher unterschieden werden \u2014 \u00e4hnlich wie sich gegen\u00fcber aufeinanderfolgenden T\u00f6nen sehr Unmusikalische verhalten [Stumpe, Tonpsychologie I, S. 315 f.].\nTabelle V.\nGegend des\tIntervall, bei dem\t\n\tdie Unreinheit beginnt\tdie Zweiheit deutlich wird\n(Contra-G)\t(~)\t(Tritonus \u2014 Kl. Sexte)\nFis\tGanzton\tKl. Terz \u2014 Quarte\nd\u00b0\tHalbton\tGanzton \u2014 Kl. Terz\nd1 91 i\t| Viertelton und weniger\tHalbton Viertelton \u2014 Halbton\nDieses Verhalten h\u00e4ngt jedenfalls mit der weichen, dem musikalischen Ohre ungewohnten Klangfarbe der Stimmgabeln und Flaschent\u00f6ne zusammen, die wir absichtlich w\u00e4hlten, um die Verh\u00e4ltnisse an m\u00f6glichst einfachen T\u00f6nen zu studieren. Bei der Benutzung von Orgelpfeifen, bei denen der gr\u00f6fseren Intensit\u00e4t wegen die Obert\u00f6ne schon mehr hervortreten, konnte Stumpf, wie erw\u00e4hnt, bereits die grofse Terz CE ohne weiteres als Zweiklang beurteilen, und noch gr\u00f6fser als zwischen Gabeln und Orgelpfeifen ist der Unterschied zwischen den Gabeln und den Zungen des Harmoniums in der tiefen Region. (In der Mitte der Tonskala hat sich nach dem oben Mitgeteilten ein erheblicher Einflufs der Klangfarbe auf die Grenzwerte nicht gezeigt.) So konnten Stumpf 1 und G. Enuel bei ihren Versuchen \u00fcber Schwebungen und Zwischent\u00f6ne am Harmonium Zusammenkl\u00e4nge wie E1 G1 und C Gis noch als Zweikl\u00e4nge erkennen. Diese Urteile k\u00f6nnen nach dem Vorstehenden wohl nur als mittelbare, haupts\u00e4chlich durch die Unterscheidung der benachbarten Obert\u00f6ne beider Kl\u00e4nge vermittelte, aufgefafst werden, obwohl sie sich auch uns bei gelegentlicher Wiederholung am HELMHOLTzschen mathematischen Harmonium mit dem Charakter der Unmittelbarkeit aufdr\u00e4ngten.\n1 Tonpsyehologie Bd. II, S. 482 f.\n(Eingegangen am 17. M\u00e4rz 1903.)\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 32.\n7","page":97}],"identifier":"lit32924","issued":"1903","language":"de","pages":"87-97","startpages":"87","title":"\u00dcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr gleichzeitige T\u00f6ne","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:17.657839+00:00"}