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{"created":"2022-01-31T16:13:36.425742+00:00","id":"lit32926","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kries, J. v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 113-117","fulltext":[{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"113\n\u2022 \u00ab\nUber die Wahrnehmung des Flimmerns durch normale und durch total farbenblinde Personen.\nVon\nJ. y. Kries.\nDie Beobachtungen von Schaternikoff 1 haben es wahrscheinlich gemacht, dafs die St\u00e4bchen resp. der mit ihnen als Endorganen ausger\u00fcstete Bestandteil des Sehorgans eine geringere Empfindlichkeit f\u00fcr schnelle periodische Wechsel des einwirkenden Lichtes besitzen als der trichromatische Bestandteil; es konnte dies daran ersehen werden, dafs rotierende Scheiben, um v\u00f6llig gleichm\u00e4fsig zu erscheinen und nicht mehr zu flimmern, schneller laufen m\u00fcssen, wenn man mit gut helladaptiertem Auge, als wenn man mit dunkeladaptiertem Auge beobachtet. Im Hinblick auf die bekannte, neuerdings so viel diskutierte Theorie der totalen Farbenblindheit war hierdurch die Frage nahegelegt, wie sich die mit dieser Anomalie behafteten Personen in Bezug auf die Erscheinungen des Flimmerns rotierender Scheiben verhalten m\u00f6chten, insbesondere ob f\u00fcr sie bei der gleichen oder schon bei einer geringeren Umdrehungsfrequenz das Flimmern aufh\u00f6rt. Soviel mir bekannt, sind Angaben hier\u00fcber in der Literatur nicht vorhanden. Da mir zur Zeit kein Fall der genannten Art zur Verf\u00fcgung stand, so bat ich Herrn Kollegen Uhthoff, bei sich bietender Gelegenheit dieser Frage seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.\nHerr Kollege Uhthoff ist dieser Aufforderung mit sehr dankenswerter Bereitwilligkeit nachgekommen und hat mir \u00fcber seine Beobachtungen die nachstehenden Mitteilungen gemacht, die ich mit seiner freundlichst erteilten Zustimmung hier bekannt gebe.\n1 Zeitschr. f. Psychol. 29, S. 241.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 32.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nJ. v. Kries.\n\u201eVersuch mit Episkotister vor weifsem Schirm; in dem Episkotister vier gleich grofse Ausschnitte (sektorf\u00f6rmig) ; bei einer Umdrehung des Antriebrades gibt es beim Fixieren einer bestimmten Stelle einen 22 maligen Wechsel von Hell und Dunkel. Nach dem Metronom gemessen verschwindet f\u00fcr den total Farbenblinden die Erscheinung des Flimmerns bei etwa 60 \u2014 72 Drehungen des Antriebrades pro Minute, also einem 22 \u2014 26 maligen Wechsel von Hell und Dunkel pro Sekunde. F\u00fcr unsere normalen Augen (mehrere Beobachter) verschwindet das Ph\u00e4nomen des Flimmerns bei ca. 180 Umdrehungen in einer Minute, also ca. einer Umdrehung in 1/3 Sekunde. Das normale Auge braucht also eine viel schnellere Botations-geschwindigkeit (ca. dreimal schneller) des Epi-skotisters, um das Flimmern zum Verschwinden zu bringen, als das total farbenblinde.\nBei erheblicher Herabsetzung der objektiven Beleuchtung \u00e4ndert sich f\u00fcr den total Farbenblinden in diesem Verh\u00e4ltnis nichts Wesentliches, w\u00e4hrend f\u00fcr das normale Auge bei der gleichen Herabsetzung der objektiven Beleuchtung die Umdrehungsgeschwindigkeit erheblich vermindert werden mufs. Bei einer Beleuchtung, wo meine Sehsch\u00e4rfe nur ca. 3/2 der normalen betr\u00e4gt (also ca. eine Meterkerze) braucht auch das normale Auge eine einmalige Umdrehung des Antriebrades in der Sekunde, mit 22maligem Wechsel von Hell und Dunkel, \u00e4hnlich wie das total farbenblinde Auge. Es ergibt sich also in Bezug auf das Aufh\u00f6ren der Flimmererscheinung eine erhebliche Differenz zwischen dem normalen und dem total farbenblinden Auge.\u201c\nFerner schrieb mir Hr. U. in zwei weiteren Mitteilungen, dafs er noch eine Anzahl anderer mit angeborener totaler Farbenblindheit behafteter Personen in der gleichen Richtung untersucht und ganz den gleichen Befund erhalten habe.\nDie Beobachtung ergibt also, in voller Best\u00e4tigung dessen, was nach der Theorie vermutet werden konnte, dafs im vollen Tageslicht die Erscheinung des Flimmerns f\u00fcr den total Farbenblinden bei einem Lichtwechsel von einigen zwanzig Malen pro Sekunde aufh\u00f6rt, w\u00e4hrend unter gleichen Umst\u00e4nden das normale Auge einen zwei- bis dreifach schnelleren Lichtwechsel erforderte.\nVon theoretischen Fragestellungen abgesehen ist hierdurch","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wahrnehmung des Flimmerns etc.\n115\nein weiterer Unterschied zwischen dem Sehen des total Farbenblinden und dem farblosen Sehen normaler Personen festgestellt, ein Unterschied, der sich dem lange bekannten der Sehsch\u00e4rfe anschliefst. Als besonders beachtenswert ist hervorzuheben, dafs auch in dieser Hinsicht ein Unterschied nicht mehr besteht, sobald unter den Bedingungen des D\u00e4mmerungssehens beobachtet wird, und der Unterschied erst unter solchen Umst\u00e4nden hervortritt, die auch f\u00fcr das Sehen von Farben die M\u00f6glichkeit gew\u00e4hren. Wie befriedigend sich die neue Tatsache den Anschauungen der St\u00e4bchentheorie einf\u00fcgt, das ist so unmittelbar einleuchtend, dafs jede Hinzuf\u00fcgung dar\u00fcber entbehrlich erscheint.\nIm Anschlufs an die obige Mitteilung m\u00f6chte ich ferner noch mit einigen Bemerkungen auf eine unl\u00e4ngst erschienene Untersuchung von Porter 1 eingehen, deren Ergebnisse in diesem Zusammenh\u00e4nge von besonderem Interesse sind. P. ermittelte, wie die f\u00fcr das Verschwinden des Flimmerns erforderliche Frequenz der Lichtwechsel von der Intensit\u00e4t der Beleuchtung abh\u00e4ngt und zwar f\u00fcr einen sehr grofsen Spielraum der Beleuchtungen. Er fand nun, dafs die diese Abh\u00e4ngigkeit ausdr\u00fcckende Kurve sich deutlich aus zwei St\u00fccken zusammensetzt, die, beide nahezu gradlinig, fast unvermittelt mit einem Knick ineinander \u00fcbergehen. Jeder der Teile stellt eine gleichartige Abh\u00e4ngigkeit dar (die Verschmelzungsfrequenz w\u00e4chst proportional dem Logarithmus der Beleuchtung), aber der eine mit einer, der andere mit einer anderen Konstanten. \u2014 Diese Erscheinung stellt nun f\u00fcr die zeitliche Unterscheidungsf\u00e4higkeit genau das N\u00e4mliche dar, wie es von K\u00f6nig-1 2 f\u00fcr die r\u00e4umliche, die Sehsch\u00e4rfe, gefunden wurde.\nK\u00f6nig- fand die Abh\u00e4ngigkeit der Sehsch\u00e4rfe von der Beleuchtung ebenfalls in zwei Gebiete auseinanderfallend ; in beiden w\u00e4chst die Sehsch\u00e4rfe dem Logarithmus der Beleuchtung proportional, aber in dem einen St\u00fcck langsam, im anderen weit schneller, so dafs die ganze Kurve sich aus zwei verschieden geneigten und mit scharfer Ecke zusammenstofsenden gradlinigen St\u00fccken zusammensetzt. Aber auch die Beleuchtungsst\u00e4rken bei denen die PoRTERsche und die K\u00d6NiGsche Kurve\n1\tProceedings of the Royal Society London 70, S. 313.\n2\tSitzungsberichte der Berliner Akademie 1897, S. 559.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nJ. v. Kries.\nihren Knick zeigen, sind sehr nahezu dieselben. Poster gibt diesen Wert auf eine Kerze im Abstand von 2 m (also 1/4 M.K.) an ; doch ist zu ber\u00fccksichtigen, dafs bei den rotierenden Scheiben mit gleichen schwarzen und weifsen Sektoren diese Helligkeit nur mit ihrer H\u00e4lfte in Betracht kommt (also 1/8 M.K.). Der Knick der K\u00d6NiGschen Kurve liegt hei einer Beleuchtung zwischen 0,1 und 0,2, gerechnet in Einheiten, die die Beleuchtung durch ein HEENERlicht aus 1 m Abstand bedeuten. Das Verh\u00e4ltnis von Porters Kerze zum HEFNERlicht ist nicht genau bekannt; da aber die \u00fcblichen Normalkerzen von diesem nicht sehr verschieden sind, so ist ersichtlich, dafs beide Werte in der Tat mit der hier in Frage kommenden Genauigkeit zusammenfallen.\nSehsch\u00e4rfe und die durch die Flimmerbeobachtungen gemessene zeitliche Unterscheidungsf\u00e4higkeit h\u00e4ngen also von der Beleuchtung in ganz \u00e4hnlicher Weise ab; bei geringsten Lichtst\u00e4rken wachsen beide langsam; bei einer ann\u00e4hernd bestimmten St\u00e4rke \u00e4ndert sich sprungweise f\u00fcr beide die Art der Abh\u00e4ngigkeit und es tritt ein viel schnelleres Wachsen ein, welches nat\u00fcrlich nicht unbegrenzt, aber bis zu sehr hohen Lichtst\u00e4rken in ann\u00e4hernd konstanter Weise stattfindet.\nWie K\u00f6nig damals sogleich bemerkte, ist die sich unmittelbar aufdr\u00e4ngende Deutung die, dafs bei den niedrigsten Intensit\u00e4ten ein Bestandteil des Sehorgans in Betracht kommt, der dann, wenn die Intensit\u00e4t einen gewissen Wert \u00fcbersteigt, von einem anderen abgel\u00f6st wird und diesem gegen\u00fcber alsbald zur\u00fccktritt, eine Anschauung, die ja den wesentlichen Inhalt der St\u00e4bchenhypothese ausmacht. Die ganze Erscheinung ist also auf dem Boden der St\u00e4bchenhypothese unmittelbar verst\u00e4ndlich. Das Gleiche gilt von dem analogen Befunde Porters. Auch die anderen speziellen Werte, um die es sich handelt, stehen mit dem hiernach zu erwartenden in guter \u00dcbereinstimmung. Porter fand den Knick seiner Kurve bei einer Frequenz von etwa 18 Lichtwechseln pro Sekunde, fast genau \u00fcbereinstimmend mit demjenigen Wert, den Schaternikoee erreichen konnte, wenn er die Lichter unterhalb derjenigen Grenze hielt, bei der sie auf den farbent\u00fcchtigen Bestandteil des Sehorgans zu wirken anfangen. Als Schwelle des fovealen Sehens fand Pertz die Helligkeit einer Magnesiumoxydfl\u00e4che, die von einem Heener-","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wahrnehmung des Flimmerns etc.\n117\nlicht aus der Entfernung von 5,5 M. bestrahlt wird. Danach d\u00fcrften jene von K\u00f6nig und Porter gefundenen Beleuchtungen die wirkliche Zapfenschwelle nicht ganz unerheblich (etwa um das 2\u20143 fache) \u00fcbertreffen ; indessen versteht sich auch von selbst, dafs der Knick jener die Abh\u00e4ngigkeit darstellenden Kurven erst da zu erwarten ist, wo die Wirkung der Zapfen gegen\u00fcber der der St\u00e4bchen erheblich ins Gewicht f\u00e4llt. \u2014 Eine gewisse Unsicherheit haftet \u00fcbrigens den Ergebnissen Porters insofern an, als die Adaptationszust\u00e4nde nicht speziell ber\u00fccksichtigt worden sind. Da aber die Beobachtungen bei schwachem Licht wohl alle mit gut dunkeladaptiertem Auge ausgef\u00fchrt worden sein werden, so d\u00fcrften die entscheidenden Punkte hierdurch nicht in Frage gestellt werden.\n(Eingegangen am 23. April 1903.)","page":117}],"identifier":"lit32926","issued":"1903","language":"de","pages":"113-117","startpages":"113","title":"\u00dcber die Wahrnehmung des Flimmerns durch normale und durch total farbenblinde Personen","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:13:36.425748+00:00"}