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{"created":"2022-01-31T16:22:11.266456+00:00","id":"lit32937","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Sachs, M.","role":"author"},{"name":"J. Meller","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 31: 89-109","fulltext":[{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"89\n(Aus dem Laboratorium der II. Universit\u00e4t\u00ae- Augenklinik in Wien.)\nUntersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation bei Neigungen um eine sagittale Achse*\nVon\nM. Sachs und J. Meller.\nI. Einleitung.\nDie Versuche, \u00fcber die wir im folgenden berichten wollen, bilden eine Fortsetzung unserer schon ver\u00f6ffentlichten Untersuchungen \u00fcber die optische Orientierung bei Neigung des Kopfes gegen die Schulter.1 2\nZun\u00e4chst gingen wir daran, die Lokalisation mit Hilfe des Tastsinnes unter denselben Bedingungen zu pr\u00fcfen wie seinerzeit die optische Lokalisation. Die Ber\u00fccksichtigung des Umstandes, dafs die von uns bei den Tastversuchen verwendeten H\u00e4nde (resp. Arme) an den Lagen\u00e4nderungen des Rumpfes partizipieren, w\u00e4hrend die Augen den Kopfbewegungen folgen, legte es nahe, den Einflufs, den Lagen\u00e4nderungen des Kopfes oder Rumpfes auf die Lokalisation nehmen, getrennt zu bestimmen, und dies sowohl f\u00fcr den Tastsinn als auch f\u00fcr den Gesichtssinn. Eine wichtige Erg\u00e4nzung unserer Versuche erblickten wir in der Bestimmung der scheinbaren Lage von Kopf und K\u00f6rper, wobei wir wieder nur die eine Art von Stellungs\u00e4nderungen \u2014 n\u00e4mlich Neigungen um die sagittale Achse \u2014 in den Kreis unserer Betrachtung zogen. Die Ausdehnung der Versuche nach dieser Richtung erschien uns insbesonders auch in Hinblick auf die Theorie Delag-e\u2019s 2 von Interesse, derzufolge\n1\tSachs u. Meller: \u201ev. G-r\u00e4fe\u2019s Arch. f. Ophthalm.\u201c 52 (3). \u201e\u00dcber die optische Orientierung bei Neigung des Kopfes gegen die Schulter.\u201c\n2\tYves Delage: \u00c9tudes Exp\u00e9rimentales sur les illusions statiques et dynamiques de direction etc. \u00dcbersetzt von Aubert.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 31.\n6*","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nM. Sachs und J. Meller.\ndie bei Neigungen des K\u00f6rpers auf tretenden Lagen\u00e4nderungen der scheinbar Vertikalen auf eine \u00dcbersch\u00e4tzung der K\u00f6rperneigung zur\u00fcckzuf\u00fchren w\u00e4ren. Seine Theorie leidet darunter, dafs er \u00fcberhaupt keine messenden Versuche zur Bestimmung der scheinbaren Lage des K\u00f6rpers angestellt hat. Eine andere Quelle f\u00fcr die Widerspr\u00fcche, zu denen seine Schlufsfolgerungen gef\u00fchrt haben, ist darin gelegen, dafs er die Notwendigkeit nicht erkannt hat, Kopf- und K\u00f6rperneigungen in ihrem Einfl\u00fcsse auf die Lokalisation getrennt zu pr\u00fcfen. Wie wir dazu gekommen sind, solche Versuche anzustellen, ist einleitend bemerkt worden.\nNachdem wir erkannt hatten, dafs es zum Verst\u00e4ndnis der hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen unerl\u00e4fslich ist, eine grofse Zahl von Beobachtungen anzustellen, und f\u00fcr ein Gleichbleiben der Versuchsbedingungen innerhalb einer Versuchsreihe, sowie f\u00fcr eine genaue und dabei doch rasch durchf\u00fchrbare Registrierung der Aussagen Sorge zu tragen, verwendeten wir grofse Sorgfalt auf die Versuchs an Ordnung. Sie war in erster Linie f\u00fcr die Untersuchung bei Neigung des Kopfes und K\u00f6rpers um die sagittale Achse eingerichtet. Dafs wir darauf ausgingen, gerade den Einflufs dieser Art von Neigungen auf die Lokalisation zu studieren, m\u00f6chten wir damit rechtfertigen, dafs sie (sc. diese Neigungen) innerhalb der physiologischen Breite \u00f6fter und ausgiebiger vorgenommen werden, und ihnen im Vergleiche zu den anders gerichteten Abweichungen der Kopf- und K\u00f6rperlage auch eine gr\u00f6fsere theoretische Bedeutung zukommt \u2014 es sei hier nur an das Ph\u00e4nomen der Gegenrollung der Augen erinnert.\nII. Versuchsanordnung.\nBei unseren Tastversuchen verwendeten wir als Objekt einen fingerdicken, spulrunden, glatt polierten, ungef\u00e4hr 4 dem langen Messingstab, der in einem um eine sagittale Achse drehbaren Holzrahmen eingef\u00fcgt war. (Siehe Figur 1.)\nDie Achse des Rahmens selbst war in ein Gestell eingelassen, welches durch eine Kurbel leicht gehoben oder gesenkt werden konnte, so dafs wir im st\u00e4nde waren, die Untersuchungen sowohl\nsitzend als stehend auszuf\u00fchren.\nDer Holzrahmen trug ferner an seiner hinteren Seite drei \u00fcbereinander angebrachte Taster, welche man mit ihrer Spitze gegen einen dahinter gespannten Papierstreifen dr\u00fccken konnte.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation.\n91\nWir kamen \u00fcberein, bei unseren Versuchen die Lage des Stabes nach der Richtung zu bezeichnen, in welcher das untere Ende desselben von der Vertikalen abweichend empfunden wurde, und markierten die Angabe des Beobachters \u201erechts geneigt\u201c mit Hilfe des oberen Tasters (h), die Angabe \u201elinks geneigt\u201c mit dem unteren Taster (%), w\u00e4hrend wir f\u00fcr die Angabe \u201esenkrecht\u201c den mittleren Taster (t2) verwendeten.\na fixe sagittale Achse t\u00b1 t2 ts Taster mit Feder r Holzrahmen m Messingstab p Papierstreifen\nFig. 1.\nDer aufserordentliche Vorteil dieser Markiermethode besteht darin, dafs wir mit jeder einzelnen Markierung nicht blofs die jeweilige Stellung des Stabes verzeichneten, sondern auch zugleich die Angabe \u00fcber die scheinbare Lage desselben. Auf diese Weise konnten wir zahlreiche Beobachtungen rasch nacheinander anstellen, und darauf das Resultat derselben in \u00fcbersichtlicher Weise vom Papierstreifen ablesen.\nBei allen Versuchen hatte der Beobachter durch Festbeifsen in einem Zahnbrettchen den Kopf fixiert. Zur bequemen Einstellung beliebiger Grade von Kopfneigungen bedienten wir uns desselben Kopf halters (hergestellt vom Mechaniker Castaona in Wien), der sich schon bei unseren Versuchen \u00fcber die optische Orientierung bei Neigung des Kopfes bew\u00e4hrt hatte. (Siehe a. a. O. S. 392.)\nDie Versuche wurden selbstverst\u00e4ndlich bei geschlossenen Augen durchgef\u00fchrt. Nachdem sich der Beobachter in dem Zahnbrettchen des Kopfhalters festgebissen hatte, brachte der Gehilfe den Stab in eine beliebige Stellung, worauf der Beob-","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nM. Sachs und J. Meller.\nachter, gew\u00f6hnlich mit beiden H\u00e4nden den Stab umfassend und an ihm auf- und abgleitend, die scheinbare Lage desselben angab. Der Gehilfe registrierte diese Angabe mit dem entsprechenden Taster und brachte darauf den Stab in eine andere Stellung.\nWir ermittelten bei diesen Versuchen die scheinbar Vertikale nicht direkt. Die Lage derselben ergab sich vielmehr aus einer Reihe von Aussagen \u2014 denen, dafs das untere Ende des Stabes rechts- resp. linksgeneigt sei \u2014 als Grenze zwischen den Gebieten der beiden Reihen von Aussagen.\nDa es uns aufgefallen war, dafs unsere Angaben gelegentlich wechselten, je nachdem wir die rechte oder linke Hand allein zum Tasten verwendeten, so machten wir bei ein und derselben Kopfstellung Kontrollversuche, wobei abwechselnd nur eine Hand allein tastete. Es zeigte sich, dafs die beim Tasten mit der rechten Hand als vertikal bezeichnete Stellung des Stabes bei Verwendung der linken Hand ein wenig schief \u2014 und zwar mit dem unteren Ende nach rechts geneigt \u2014 erschien.\nDa jedoch dieser Unterschied gering war (etwa 1\u201430 betrug) und auch bei starken Kopfneigungen nicht gr\u00f6fser wurde, nahmen wir auf diese Inkongruenz weiterhin bei unseren Versuchen keine R\u00fccksicht.\nz\no\no\noo\nW \\\\\nFig. 2.\nDie nebenstehende Tabelle zeigt (siehe Fig. 2), wie \u00fcbersichtlich wir mit unserer Methode die Versuchsergebnisse ver-zeichneten. Die schwarzen Punkte entsprechen den Angaben \u00fcber die Lage der scheinbar Vertikalen bei aufrechtem Kopfe, die Ringe denen bei einer Neigung des Kopfes um 80\u00b0 links, die Striche denen bei einer Neigung des Kopfes um 800 rechts. L bezeichnet das Lot.\nMan erkennt aus der Tabelle sofort, dafs die Angaben bei jeder Kopfneigung mit grofser Bestimmtheit erfolgen. Die","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation\n93\nPunktreihe der Rechts-Angaben (obere Punktreihe) grenzt knapp an die der Links - Angaben (untere Punktreihe). Es besteht weder ein \u00dcberdeckungs- noch ein Zwischengebiet von nennenswerter Gr\u00f6fse.\nDen Grad der Neigung der scheinbar Vertikalen kann man aus der Tabelle leicht durch Bestimmung des Zentriwinkels berechnen. Auf diese Weise fanden wir, dafs die scheinbar Vertikale mit der Zunahme der Kopfneigung mehr und mehr gegen das Lot sich neigt. W\u00e4hrend bei einer Kopfneigung von 40\u00b0 die Ablenkung noch kaum auffallend ist und nicht mehr als 1\u00b0\u20142\u00b0 betr\u00e4gt, erreicht sie bei einer Kopfneigung von 80\u00b0 eine Gr\u00f6fse von ungef\u00e4hr 8 0 und w\u00e4chst dann rasch an, so dafs sie bei 1200 Kopfneigung schon 20 0 \u00fcberschritten hat.\nIn Fig. 3 ist eine ganze Reihe von Versuchen verzeichnet, welche wir bei Rechtsneigung um 330 ausgef\u00fchrt haben.\nL bezeichnet die Lage des Lotes bei aufrechter Stellung des Lagerbrettes, U die bei Neigung des Lagerbrettes um 33 0 rechts.\nA. Es werden drei Versuchsreihen bei ausschliefslicher Neigung des Kopfes um 33\u00b0 nach rechts vorgenommen und zwar: a) die scheinbar Vertikale dieser Stellung in der oben beschriebenen Weise zu ermitteln gesucht\n[die betreffenden Einstellungen resp. Aussagen (s. o. bei Beschreibung der Begistriermethode) sind mit dem Zeichen \u201e|\u201c versehen.]","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nM. Sachs und J. Meller.\n\u00df) die scheinbare Lage des Kopfes\n(die darauf bez\u00fcglichen Versuche tragen das Zeichen \u201e T \u201c). y) die scheinbare K\u00f6rperlage (zugeh\u00f6riges Zeichen \u201eT\u201c).\nB.\tEs werden zwei Versuchsreihen bei gleichzeitiger Neigung von Kopf und K\u00f6rper um denselben Winkel (33 \u00b0) vorgenommen zur Ermittlung:\n\u00f6) der scheinbar Vertikalen\n(Zeichen \u201e o \u201c).\ne) der scheinbaren Lage von K und K (Zeichen \u201e\"f\u201c).\nC.\tIn der dritten Versuchsreihe \u2014 unternommen bei geneigtem K\u00f6rper und aufrechtem Kopf \u2014 bezeichnet\n\u201e Y \u201c die Lage der scheinbar Vertikalen,\n\u201e| \u201c die scheinbare Kopflage,\n\u201e X \u201c die scheinbare Lage des K\u00f6rpers.\nWir bringen absichtlich eine unserer zahlreichen Originaltabellen zum Abdruck, um die Art der Registrierung sowie ihre \u00dcbersichtlichkeit, die weitere Berechnungen \u00fcberfl\u00fcssig macht, zur Anschauung zu bringen.\nUm den Einflufs, den Kopf- und K\u00f6rperneigungen auf die Orientierungen nehmen, getrennt zu bestimmen, verwendeten wir eine Vorrichtung, die es uns erm\u00f6glichte, dem K\u00f6rper beliebige Neigungen zur Vertikalen zu geben.\nSie bestand im wesentlichen aus einem grofsen, um eine sagittale Achse drehbaren Brette \u2014 analog dem Zapfenbrette Delag-e\u2019s \u2014, an das der K\u00f6rper des Beobachtenden mittels breiter B\u00e4nder angeschnallt wurde. Am unteren Ende des Brettes diente eine senkrecht abgehende Llolzplatte als St\u00fctze der F\u00fcfse. Die Achse entsprach beil\u00e4ufig der H\u00f6he des Kreuzbeins des Beobachters. Durch seitlich an dem Brette angebrachte Ringe waren Seile gezogen, mittels deren das Brett in jeder beliebigen schr\u00e4gen Stellung festgehalten werden konnte. Ein an dem Brette angebrachtes Lot spielte an einer Kreisteilung und gestattete die Bestimmung der Neigung des Brettes.\nMit diesem Brette war nun durch ein Balkenwerk der fr\u00fcher beschriebene Messingstab gerade vor dem Kopf und der Brust des Beobachters in solcher Entfernung angebracht, dafs er mit beiden H\u00e4nden bequem getastet werden konnte. Wurde das Brett geneigt, so ging nat\u00fcrlich auch der Stab samt der Markiervorrichtung um denselben Winkel mit, und es mufste daher f\u00fcr","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation.\n95\ndiese neue Stellung des Merkstreifens das Lot erst ermittelt und eingezeiehnet werden.\nAuf diese Weise konnten wir bei Durchsicht der Versuchsergebnisse jederzeit sofort ablesen, in welchem Verh\u00e4ltnisse die scheinbar Vertikale dieser Stellung zum Lote sich befand.\nAn dem Balkenwerk war auch der Kopfhalter mit dem Gebifsbrettchen angeschraubt, um den Kopf des Beobachters in jeder beliebigen Stellung fixieren zu k\u00f6nnen. Der Kopf halter wurde, je nachdem man bei aufrechter oder geneigter Kopfhaltung untersuchte, immer so eingestellt, dafs das Hinterhaupt auf dem Brette ruhte.\nMit derselben Versuchsanordnung haben wir die optische Orientierung einer neuerlichen Untersuchung unterzogen, wobei wir den Taststab durch die von uns schon fr\u00fcher verwendete und in der betreffenden Arbeit beschriebene, schwach leuchtende Gl\u00fchlinie ersetzten (s. daselbst S. 390 u. 391).\nDie Gl\u00fchlinie wurde von zwei an dem Lagerbrette befestigten Balken getragen und war vom Beobachter ungef\u00e4hr 2 m entfernt. Ebenso wie fr\u00fcher der Stab, wurde nat\u00fcrlich auch die Gl\u00fchlinie bei Neigung des Brettes mitgeneigt. Wir mufsten daher die Lotrechte, deren Aufzeichung f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der vermerkten Versuche notwendig war, erst ermitteln. Wir erreichten dies mit Hilfe eines Lotes, welches an der H\u00fclse unserer Gl\u00fchlinie, vor dem Spalte befestigt, pendelte. Wir drehten die Linie solange, bis das Lot vor dem Spalt zu liegen kam und markierten diese Stellung auf dem Papier.\nDie Versuche, die wir mit Hilfe dieser Vorrichtungen anstellten, sind kurz zusammengefafst folgende: Wir experimentierten in drei verschiedenen Stellungen:\n1.\tbei reiner Neigung des Kopfes, wobei der K\u00f6rper aufrecht blieb,\n2.\tbei reiner Neigung des K\u00f6rpers, wobei der Kopf in der aufrechten Stellung verharrte, und\n3.\tbei gleichzeitiger und gleichgradiger Neigung von Kopf und K\u00f6rper.\nIn jeder dieser Stellungen ermittelten wir :\n1.\tdie Lage der scheinbaren Vertikalen,\n2.\tdie scheinbare Lage des K\u00f6rpers und\n3.\tdie scheinbare Lage des Kopfes.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nM. Sachs und J. Meller.\nDiese Versuche wurden sowohl haptisch als optisch durchgef\u00fchrt. Nur bei der Bestimmung der scheinbare Lage des K\u00f6rpers resp. Kopfes beschr\u00e4nkten wir uns auf haptische Versuche.\nDie Art, wie wir die scheinbar Vertikale haptisch bestimmten, ist auf Seite 3 beschrieben.\nDie Bestimmung der scheinbaren Kopf- resp. K\u00f6rperlage mittels eines Tastobjektes nahmen wir in der Weise vor, dafs der in einer bestimmten Stellung am Lagerbrette befestigte Beobachter hei geschlossenen Augen durch Betasten des Stabes zu erkennen hatte, ob der eingestellte Stab schw\u00e4cher, st\u00e4rker, oder gleich stark geneigt sei wie der Kopf (K\u00f6rper), resp. ob das untere Ende des Stabes nach rechts oder links von der Achse des Kopfes (K\u00f6rpers) abweiche; dementsprechend wurde dann die Markierung \u2014 im ersteren Falle mit dem oberen Taster, im letzteren Falle mit dem unteren Taster \u2014 vorgenommen. Wir benutzten dazu denselben Merkstreifen, auf welchem wir auch die scheinbar Vertikale verzeichnet hatten. So konnten wir auf leichte Weise nicht nur das Verh\u00e4ltnis zwischen scheinbar Vertikaler und Lot, sondern auch das zwischen scheinbarer Vertikaler und scheinbarer Kopf-K\u00f6rperlage ablesen.\nZur Aufsuchung der optischen Vertikalen bedienten wir uns der sog. Auf blitzversuche.1 Nachdem der Beobachter in einer bestimmten Stellung am Lagerbrette fixiert war, liefs der Gehilfe die Lichtlinie pl\u00f6tzlich sichtbar werden. Der Beobachter gab an, ob die Linie im ersten Moment des Aufblitzens mit dem unteren Ende rechts oder links geneigt oder genau vertikal erschienen war. Der Gehilfe registrierte hierauf die Stellung der Linie und die zugeh\u00f6rige Angabe des Beobachters, um dann nach Verschiebung der inzwischen abgel\u00f6schten Linie bei einer anderen Stellung derselben den Versuch zu wiederholen.\nDie Bestimmung der scheinbaren Kopf- resp. K\u00f6rperlage auf optische Weise haben wir \u2014 wie erw\u00e4hnt \u2014 nicht vorgenommen.\nIII. Versuchsergebnisse.\nDas rein meritorische unserer Versuche betreffend, fanden wir Verlagerungen der scheinbar Vertikalen bei reinen K\u00f6rperneigungen, bei reinen Kopfneigungen und bei kombinierten Kopf-K\u00f6rperneigungen. Es gilt dies ganz allgemein sowohl f\u00fcr die Verlagerung der optischen als haptischen Vertikalen.\n1 Siehe S. 390 der zitierten Arbeit.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation.\n97\nDie Verlagerung der optischen Vertikalen durch Neigung des Kopfes ist viel gr\u00f6fser als die durch Neigung des K\u00f6rpers bedingte, w\u00e4hrend umgekehrt die Verlagerungen der haptischen Vertikalen mehr durch die Neigung des K\u00f6rpers verursacht werden.\nDie folgende Tabelle enth\u00e4lt eine Reihe diesbez\u00fcglicher Daten :\nVerlagerung der scheinbar Vertikalen. h = haptische Vertikale, o = optische Vertikale.\num\n30\u00b0\n40\u00b0\n50\u00b0\n60\u00b0\ndurch\nNeigung des Kopfes h\t!\to\n======^i\n+ 2\u00b0\n+ 3\u00b0\n40\n+ 6\u00b0\n+ 6\u00b0 \u2014 9\u00b0 + 10\u00b0\n+ 12\u00b0\n+ 15\u00b0\ndurch\nNeigung des K\u00f6rpers\nh\n\u2014\t5\u00b0\n\u2014\t10\u00b0 \u2014 12\u00b0 \u2014 15\u00b0\n\u2014\t3\u00b0\n\u2014\t5\u00b0\n\u2014\t8\u00b0 \u2014 10\u00b0\nDiese Werte stellen Durchschnittszahlen dar, da das Ergebnis der Versuche an verschiedenen Tagen nicht immer dasselbe war (s. S. 19).\nWeil die Verlagerung der scheinbaren Vertikalen durch Neigung des Kopfes in anderer Richtung erfolgt als durch Neigung des K\u00f6rpers, wurden die Zahlen mit verschiedenem Vorzeichen versehen.\na) Verlagerungen des K\u00f6rpers nach einer Seite bei Belassen des Kopfes in der Ausgangsstellung bewirken Lage\u00e4nderungen getasteter Objekte in dem Sinne, dafs die Vertikale der Ausgangsstellung mit dem oberen Ende entgegengesetzt geneigt erscheint, so dafs eine Gerade, um vertikal zu erscheinen, mit dem oberen Ende in gleichem Sinne wie der K\u00f6rper geneigt werden mufs, oder in entgegengesetztem Sinne, in dem der Kopf zum K\u00f6rper geneigt ist.\nDie Verlagerung, welche die optische Vertikale durch reine K\u00f6rperneigungen erf\u00e4hrt, erfolgt in demselben Sinne, wie die der haptischen Vertikalen, nur ist sie dem Grade nach geringer.\n\u00df) Betrachten wir nun den \u00c8influfs reiner Kopfneigungen auf die Orientierung, so ergibt sich, sowohl f\u00fcr die haptische als optische Vertikale, dafs die bei aufrechtem Kopf als vertikal erscheinende Gerade im gleichen Sinne geneigt ist, wie der Kopf.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 31.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nM. Sachs und J. Meller.\nDamit sie vertikal erscheine, mufs sie mit dem oberen Ende nach der entgegengesetzten Seite gedreht werden.\nDieses Gesetz ist auch dann g\u00fcltig, wenn der Kopf aus einer schr\u00e4gen Haltung des K\u00f6rpers heraus nach der Schulter geneigt wird. Selbstverst\u00e4ndlich mufs man hierbei ausgehen von der der betreffenden K\u00f6rperneigung entsprechenden scheinbar Vertikalen.\nDie Verlagerung, welche die optische Vertikale erf\u00e4hrt, ist gr\u00f6fser als die bei gleich grofser Kopfneigung in Erscheinung tretende Verlagerung der haptischen Vertikalen.\nFig. 4.\nSchema der Verlagerung\nder h = haptischen und o \u2014 optischen Vertikalen.\nKopf 30\u00b0 links, K\u00f6rper aufrecht.\nKopf aufrecht, K\u00f6rper 30\u00b0 links.\n\\\nKopf und K\u00f6rper 30\u00b0 links.\n\\\ny) Gleichzeitige Neigung von Kopf und K\u00f6rper bedingen eine Verlagerung der optischen und haptischen Vertikalen in einem einander entgegengesetzten Sinne. W\u00e4hrend die haptische Vertikale nach der Seite der Kopf-K\u00f6rperneigung geneigt ist, ist die optische Vertikale in entgegengesetzter Richtung verdreht. D. h. es liegt die haptische Vertikale in der Richtung des Einflusses der K\u00f6rperneignng, die optische Vertikale in der Richtung, die durch die Kopfneigung gesetzt ist, entsprechend dem gr\u00f6fseren","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation.\n99\nEinflufs, den Kopfneigungen auf die optische, K\u00f6rperneigungen auf die haptische Vertikale nehmen.\n\u00f6) Den Einflufs, den reine K\u00f6rperneigungen auf die Orientierung nehmen, suchten wir auch mit Hilfe eines bei aufrechtem Kopf und K\u00f6rper erzeugten Nachbildes festzustellen. Dreht man beispielsweise den gestreckt gehaltenen K\u00f6rper unter Mitnahme des Kopfes um 60 0 nach links, lockert dann die Gebifsschraube und fordert die Versuchsperson auf, den Kopf soweit zur\u00fcckzudrehen, bis das Nachbild vertikal erscheint, so gen\u00fcgt eine Rechtsdrehung des Kopfes um 45 \u00fc, so dafs also der Kopf noch um 150 links geneigt bleibt. In dieser Stellung ist also der nachbildtragende Meridian der vertikalempfindende. Um ihn zu reizen, m\u00fcfste man eine Linie nehmen, welche mit dem oberen Ende um 15 0 im Sinne der K\u00f6rperneigung geneigt ist, konform dem Fehler, den die Orientierung bei reinen K\u00f6rperneigungen aufweist. Wird der Kopf senkrecht gestellt, dann scheint die Linie mit dem oberen Ende deutlich entgegengesetzt geneigt zu sein.\nDer Versuch ergab kein so evidentes Resultat, wenn man nach Erzeugung des Nachbildes den Kopf im Gebifs mit Hilfe eines Gebifsbrettes aufrecht liefs und den K\u00f6rper allein neigte.\nDafs die theoretisch vorausgesetzte Verlagerung der scheinbar Vertikalen nicht eintrat, mag sich daraus erkl\u00e4ren, dafs im optischen Empfindungsinhalt w\u00e4hrend des Versuches keine Ver\u00e4nderung vor sich geht, wie dies bei der fr\u00fcher ausgef\u00fchrten Versuchsanordnung \u2014 vorangeschickte Neigung des ganzen K\u00f6rpers und Kopfes \u2014 der Fall ist.\n6) Versuche \u00fcber die scheinbare Kopf- und K\u00f6rperhaltung.\nDiese Versuche \u2014 wir ben\u00fctzten, wie bemerkt, nur die haptische Methode \u2014 haben \u00fcbereinstimmend ergeben, dafs sowohl reine Neigungen des K\u00f6rpers bei aufrecht gehaltenem Kopfe, wie auch reine Neigungen des Kopfes bei aufrecht gehaltenem K\u00f6rper untersch\u00e4tzt werden.\nDie Untersch\u00e4tzung der Neigung des K\u00f6rpers, wenn K\u00f6rper und Kopf um dasselbe Mafs nach einer Seite geneigt werden, nimmt zu, wenn der Kopf nunmehr aufgerichtet wird. Der Kopf scheint jetzt, wenn auch nur wenig, nach derselben Seite geneigt, wie der K\u00f6rper.\nQ Verh\u00e4ltnis der K\u00f6rper- und Kopflagenlinien zur scheinbar Vertikalen dieser Stellungen.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nM. Sachs und J. Meller.\nUm denselben festzustellen, bedurfte es nicht eigener Versuche ; da wir bei den verschiedenen Kopf-K\u00f6rperhaltungen einerseits die Vertikale ermittelten, andererseits die scheinbare Lage von Kopf und K\u00f6rper registrierten, konnten wir aus unseren Aufzeichnungen unmittelbar den Grad der Neigung ableiten, den der K\u00f6rper resp. der Kopf in dieser Stellung zur scheinbar Vertikalen hat.\nSelbstverst\u00e4ndlich f\u00e4llt der Winkel, der den Grad der Untersch\u00e4tzung der K\u00f6rper- resp. Kopfneigung angibt, gr\u00f6fser aus, wenn man bei der Verwertung der Tabelle statt vom Lot von der scheinbar Vertikalen ausgeht, die ja in den betreffenden Stellungen in einem der vorgenommenen Neigung entgegengesetzten Richtung verl\u00e4uft.\nIV. Besprechung der Versuchsergebnisse.\nAus unseren Versuchen geht hervor, dafs durch reine Kopf-und reine K\u00f6rperneigungen die optische Vertikale im gleichen Sinne verlagert erscheint wie die haptische Vertikale.\nHier wie dort rufen Kopfneigungen Verlagerungen der scheinbar Vertikalen im entgegengesetzten Sinne, K\u00f6rperneigungen gleichgerichtete Verlagerungen hervor. Der Unterschied liegt nur darin, dafs die gr\u00f6fseren Orientierungsfehler, bei den optischen Versuchen durch Kopfneigungen, bei den haptischen Versuchen durch K\u00f6rperneigungen ausgel\u00f6st werden.\nHierauf d\u00fcrfte es auch zur\u00fcckzuf\u00fchren sein, dafs bei gleichzeitiger Neigung von Kopf und K\u00f6rper die optische Vertikale im Sinne der Kopfneigung, die haptische Vertikale im Sinne der K\u00f6rperneigung verlagert ist.\nDie Tatsache, dafs die Richtung der optischen Vertikalen \u00fcberwiegend durch Kopfneigungen, die der haptischen Vertikalen durch K\u00f6rperneigungen beeinflufst wird, m\u00f6chten wir als wertvolles Argument f\u00fcr eine gewisse Unabh\u00e4ngigkeit der beiden Empfindungsgebiete ansehen und daraus ableiten, dafs das Anschauungsbild des Raumes, das wir aus den Gesichtsempfindungen formen \u2014 der Sehraum \u2014 mit den aus Tastempfindungen aufgebauten Raumbilde \u2014 es sei der K\u00fcrze wegen Tastraum genannt \u2014 von Haus aus nichts gemein hat. Die Erregungen des statischen Organs stellen eine dritte Quelle f\u00fcr die Bildung von Raum Vorstellungen vor. Um die Betrachtung nicht \u00fcberfl\u00fcssig zu komplizieren, wollen wir bis auf weiteres annehmen,","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation. 101\ndafs der Einflufs der Neigungen des Kopfes einerseits auf die Erregungen des statischen Sinnes andererseits auf die Gesichtsempfindungen gleich grofs sei. Freilich ohne alle Beziehungen k\u00f6nnen die verschiedenen Sinnesgebieten entstammenden Empfindungen nicht bleiben, schon weil der vor gestellte Raum einheitlich ist. Wenn wir, wie in unseren Versuchen, die Aussagen \u00fcber den jeweiligen Empfindungsinhalt im Hinblick auf die jeweilige Vorstellung von der Richtung der Vertikalen abgeben, so m\u00fcssen wir uns gegenw\u00e4rtig halten, dafs die genannte Vorstellung nicht in einer einzelnen Empfindung fufst und dafs es nicht m\u00f6glich ist, auch bei ausschliefslicher Beachtung der einen Art von Empfindungen die einem anderen Sinnesgebiete angeh\u00f6renden Empfindungen und damit deren Einflufs auf die Bildung der Vorstellung von der Richtung der Vertikalen vollst\u00e4ndig auszuschalten. Man kann wohl bei den Tastversuchen durch Verschlufs der Augen den Einfiuls der Gesichtsempfindungen beseitigen, nicht aber den der Erregungen des statischen Sinnes, ebensowenig die Tastempfindungen (sc. Muskel-, Sehnen-, Gelenks-, Hautempfindungen) bei den optischen Versuchen unmerklich machen.\nWir sind son ach zwar nicht im st\u00e4nde, den Einflufs der einzelnen Empfindungskategorien auf die Vorstellung von den Richtungen im Raume \u2014 wenn man so sagen darf \u2014 rein darzustellen; wir sind aber berechtigt, in der trotz alledem zu Tage tretenden Differenz der Lage der scheinbar Vertikalen, je nachdem \u00fcberwiegend optische oder haptische Empfindungen verwertet werden, einen Beweis a fortiori f\u00fcr die Spezifit\u00e4t dieser mit r\u00e4umlicher Qualit\u00e4t ansgestatteten Empfindungen zu erblicken.\nAls eine Folge der Einheit des vorgestellten Raumes kann die Erscheinung angesehen werden, dafs gleichzeitig mit den Lagen\u00e4nderungen der scheinbar Vertikalen durch Kopf- und K\u00f6rperneigungen auch \u00c4nderungen der scheinbaren Lage von Kopf und K\u00f6rper hervorgernfen werden.\nWir haben gesehen, dafs bei reiner Neigung des Kopfes (siehe Schema I) der K\u00f6rper in selbem Sinne verlagert erscheint, wie die scheinbar Vertikale; dafs heifst, wir halten den K\u00f6rper f\u00fcr weniger von der scheinbar Vertikalen abweichend, als dies sein m\u00fcfste, wenn seine Lage richtig beurteilt","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nM. Sachs und J. Meller.\nwerden w\u00fcrde. Mit der durch die Kopfneigung hervorgerufenen \u00c4nderung in der Lage der scheinbar Vertikalen geht also eine \u00c4nderung der Vorstellung von der Lage des K\u00f6rpers einher in dem Sinne, dafs die \u00dcbereinstimmung beider hierdurch eine gr\u00f6fsere wird. Der Kopf wird minder geneigt empfunden, die Kopfneigung wird untersch\u00e4tzt. Es ist also die Abweichung vom Lot, die ein Teil des Gesamtk\u00f6rpers erfahren hat, auf die beiden Teile Kopf-K\u00f6rper repartiert.\nFig. 5.\nks r\n&G\u00c0 /\tk Kopf\nN/\tks\tscheinbare Kopflage\n,1\tK\tK\u00f6rper\nj\tKs\tscheinbare K\u00f6rperlage\n'\tV scheinbar Vertikale\nSchema I.\nIn diesen Schemen ist nur auf die Richtung der scheinbaren Lagen\u00e4nderung, nicht auch auf das Ausmafs derselben R\u00fccksicht genommen.\nVerfolgen wir nun die Verh\u00e4ltnisse bei reiner K\u00f6rperneigung, so zeigt sich im wesentlichen dasselbe. Das Lot erscheint in der Richtung der K\u00f6rperneigung geneigt, der K\u00f6rper selbst wird weniger geneigt empfunden, vollends zur jetzt vertikal erscheinenden, und auch der aufrechte Kopf erf\u00e4hrt eine Scheindrehung, die ihn der Richtung der scheinbar Vertikalen n\u00e4her bringt (siehe Schema II). Also auch hier eine Aufteilung der Lagen\u00e4nderung, die ein Teil des K\u00f6rpers erfahren hat, auf beide; die Tendenz, beide (Kopf und K\u00f6rper) von der Richtung der scheinbar Vertikalen weniger abweichend zu empfinden \u2014 was einer Anpassung an die abnorme K\u00f6rperhaltung gleichkommt.\nEs liegt der Gedanke nahe, die Aenderungen in der Lage der scheinbar Vertikalen bei Neigungen des K\u00f6rpers und des Kopfes von den hierbei auftretenden \u00c4nderungen der scheinbaren\n7\nSchema II.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation. 103\nLage dieser Teile abh\u00e4ngig zu machen \u2014 eine \u00dcberlegung, die, wie es scheint, zuerst Delage angestellt hat.\nWir wollen von diesem Gesichtspunkte aus die Verlagerung der haptischen Vertikalen bei Neigung des K\u00f6rpers betrachten. Wir haben gesehen, dafs die K\u00f6rperneigung untersch\u00e4tzt wird.\nDie Annahme der Abh\u00e4ngigkeit der scheinbar Vertikalen von einer Untersch\u00e4tzung der K\u00f6rperneigung besagt, dafs die Umwertung der Tastempfindungen bei Neigung des K\u00f6rpers proportional der vermuteten Neigung desselben ist, aber von der wirklichen Neigung des K\u00f6rpers ihren Ausgang nimmt.\nWenn wir eine richtige Vorstellung von der Lage des K\u00f6rpers bei Neigung desselben besitzen und diese den Ausgang zur Beurteilung der scheinbar Vertikalen in der neuen Lage bildet in dem Sinne, dafs jede Tastempfindung die entsprechende Umwertung erf\u00e4hrt, dann m\u00fcfste richtig getastet werden. Nun beurteilen wir die Lage des K\u00f6rpers falsch: wir untersch\u00e4tzen den Grad seiner Neigung. Wenn die Umwertung der Tastempfindungen in ihrem Werte dem Grade der vermuteten K\u00f6rperneigung entsprechen w\u00fcrde, jedoch von der wirklichen Lage des K\u00f6rpers aus zur Geltung kommen mufs, dann wird die Vertikale im Sinne der K\u00f6rperneigung vom Lote abweichen, d. h. das Lot wird weniger wTeit abliegend vermutet. Beispielsweise : es werde der K\u00f6rper um 400 nach rechts geneigt. Man h\u00e4lt den K\u00f6rper nur 25\u00b0 nach rechts geneigt. Die Umwertung der Tastempfindungen betr\u00e4gt ebenfalls 25\u00b0. Man vermutet das Lot von der wirklichen K\u00f6rperlage um 25\u00b0 abweichend, d. h. die scheinbar Vertikale ist vom Lote um 15\u00b0 im Sinne der K\u00f6rperneigung verdreht. (Hierbei sehen wir davon ab, dafs auf die Stellung der scheinbar Vertikalen noch andere Momente Einflufs nehmen.)\nMan kann, wie wir gleich sehen werden, die Ortsgebung der Vertikalen nicht in allen F\u00e4llen ans der vorgestellten Lage des Kopfes oder K\u00f6rpers ableiten. F\u00fcr den eben erw\u00e4hnten Fall der Lagen\u00e4nderung der haptischen Vertikalen bei Neigung des K\u00f6rpers ist diese Ableitung nicht nur durchf\u00fchrbar, sondern auch ansprechend, wie aus den folgenden Erw\u00e4gungen erhellt.\nWenn wir den K\u00f6rper nach einer Seite hin neigen, dann m\u00fcssen wir ihn entweder unterst\u00fctzen oder aber durch passende Ver\u00e4nderungen im Spannungszustande der Muskeln \u00e4quilibrieren. Letzteres ist nat\u00fcrlich nur in Stellungen m\u00f6glich, die von der aufrechten K\u00f6rperhaltung nicht allzu stark ab weichen. In welchem der beiden F\u00e4lle die Wahrnehmung der K\u00f6rperlage bestimmter und lebhafter ist, w\u00e4re noch zu untersuchen. In unseren Versuchen wurde der K\u00f6rper nur zum geringsten Teil durch Muskelkr\u00e4fte, zum gr\u00f6fsten Teil \u2014 soweit dies eben unsere Versuchsanordnung m\u00f6glich machte \u2014 durch Vorrichtungen (Bindenz\u00fcgel etc.) in den abnormen Stellungen festgehalten. So lebhaft die Empfindung der Lage","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nM. Sachs und J. Meller.\ndes K\u00f6rpers oder der seiner Teile ist, so lange sie sich in (beabsichtigter) Bewegung befinden und unmittelbar nach dieser, so stumpf wTerden sie nach eingetretener \u00c4quilibrierung, indem die Empfindungen, die mit der Ver\u00e4nderung der K\u00f6rperlage ausgel\u00f6st worden waren, abzublassen beginnen. Dementsprechend mag der K\u00f6rper minder stark geneigt vorgestellt werden, und es m\u00fcfste die haptische Vertikale eine Neigung im Sinne der K\u00f6rperneigung, sowie dem Grade dieser entsprechend erfahren, wofern nur die gleichartige F\u00fchrung des Armes entlang einer Vertikalen bei aufrechter K\u00f6rperhaltung, und entlang einem schr\u00e4g gestellten Stab bei dieser schr\u00e4gen K\u00f6rperhaltung das Urteil bestimmen w\u00fcrde.\nEs kommt aber noch der Einflufs der Schwerkraft auf die F\u00fchrung des Armes beim Hinabgleiten am Stabe entlang in Betracht resp. die Wahrnehmung der Richtung der Schwerkraft aus den Empfindungen, die durch sie beeinflufst werden.\nSo k\u00f6nnte aus dem Gleichbleiben der Druckempfindungen in der den Stab umschliefsenden Hand und aus der st\u00e4rksten Beschleunigung, die der Arm beim Hinabgleiten dann erf\u00e4hrt, wenn es ent lang einer objektiv Vertikalen geschieht, auf die Richtung der Schwerkraft geschlossen werden. Die Empfindungen, die beim Tasten des Stabes ausgel\u00f6st wrerden, unterliegen demnach einer Deutung von zwei Gesichtspunkten aus, insofern die Richtung, die dem Arm erteilt wTird, in Beziehung gebracht werden kann zur vorgestellten K\u00f6rperachse und andererseits zur Richtung der Schwerkraft. Die Bewegungen des Armes werden aber auch eine Auffrischung der Empfindungen mit sich bringen, die zur Wahrnehmung der K\u00f6rperlage f\u00fchren und hierdurch die falsche und unsicher werdende Vorstellung von der Lage des K\u00f6rpers teilweise korrigieren k\u00f6nnen.\nNach alledem ist es verst\u00e4ndlich, dafs die Neigung des K\u00f6rpers zu einer Verlagerung der haptischen Vertikalen im Sinne der Neigung des K\u00f6rpers f\u00fchrt und diese Verlagerung hinter dem Grade der K\u00f6rperneigung zur\u00fcckbleibt. \u2014\nDas Princip, die Verlagerung der haptischen Vertikalen bei K\u00f6rperneigung auf die hierbei auftretende falsche Vorstellung (Untersch\u00e4tzung) des Grades der vollzogenen Neigung zur\u00fcckzuf\u00fchren, l\u00e4fst sich nicht ohne weiteres auf die haptischen T\u00e4uschungen bei reinen Kopf neigungen \u00fcbertragen. Wir rekapitulieren, dafs die haptische Vertikale bei reiner Kopfneigung in einem der Kopfneigungsrichtung entgegengesetzten Sinne verlagert ist. Dies k\u00f6nnte unter Festhaltung an dem obigen Erkl\u00e4rungsprinzip nur dann zu st\u00e4nde kommen, wenn die Kopfneigung \u00fcbersch\u00e4tzt werden w\u00fcrde: dies ist aber nicht der Fall; die Kopfneigung w7ird ebenso wie die Neigung des K\u00f6rpers untersch\u00e4tzt, und, wie es scheint, in noch viel h\u00f6herem Grade. Nichtsdestoweniger scheint uns die Anwendung desselben Erkl\u00e4rungsprinzips zul\u00e4ssig, indem man die Verlagerung der haptischen Vertikalen abh\u00e4ngig macht von der bei Neigung des Kopfes auftretenden scheinbaren Lage\u00e4nderung des K\u00f6rpers, die in einem der Kopfneigungsrichtung entgegengesetzten Sinne erfolgt, so dafs sie die Richtung, in der die Verlagerung der haptischen Vertikalen stattfindet, zu erkl\u00e4ren verm\u00f6chte. Diese Auffassung ist nicht so gezwungen, als es auf","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation.\n105\nden ersten Blick scheinen k\u00f6nnte. Man mufs nur bedenken, dafs die Verlagerung der haptischen Vertikalen bei reinen Kopfneigungen sehr gering ist, und dafs der Einflufs, den Verlagerungen des K\u00f6rpers (demnach auch scheinbare) auf die haptische Vertikale nehmen, nach dem auf S. 97 Gesagten \u00fcberwiegt.\nDagegen ist der Versuch, die optischen Orientierungsfehler bei Neigung des Kopfes aus der falschen Vorstellung von der Lage des Kopfes oder K\u00f6rpers abzuleiten, von der Hand zu weisen; ersteres, weil die Verlagerung in einem der Kopfneigung entgegengesetzten Sinne erfolgt (die Kopfneigung wird bekanntlich untersch\u00e4tzt) ; letzteres, weil der Grad der Verlagerung der optischen Vertikalen (im Gegensatz zur haptischen) viel zu grofs ist, um aus der die reinen Kopfneigungen begleitenden scheinbaren Lagen\u00e4nderung des K\u00f6rpers erkl\u00e4rt werden zu k\u00f6nnen und \u00fcberdies auch die Beeinflussung der mit Hilfe des Gesichtssinnes wahrgenommenen Richtungen im Raume selbst durch wirklich vorgenommene \u00c4nderungen der Lage des K\u00f6rpers sehr gering ist. \u2014\nWir stehen in Bezug auf die Erkl\u00e4rung der optischen Orientierungsfehler bei Neigung des Kopfes auf dem Standpunkt, den wir in unserer ersten Arbeit eingenommen haben, wo wir aus dem Umstande, dafs ein bei aufrechtem Kopf erzeugtes vertikales Nachbild bei Neigung des Kopfes schr\u00e4g erscheint, auf eine hierbei stattfindende Umwertung der Netzhautwerte schlossen. Wir bezeichneten sie als impulsive und dachten uns dieselben in Beziehung zu Erregungen des statischen Sinnes.\n\u201eHinge die Lokalisation der optischen Vertikalen bei geneigtem Kopfe \u2014 wir folgen hier den Ausf\u00fchrungen unserer eben citierten Arbeit \u2014 ausschliefslich von der impulsiven Umwertung der Netzhaut ab, und w\u00e4re diese proportional dem Grade der Kopfneigung, dann d\u00fcrften keine Lokalisationsfehler auftreten ; eine im Gesichtsfeld verharrende Vertikale m\u00fcfste sich hintereinander auf Meridianen abbilden, die hintereinander zu vertikal - empfindenden gewertet werden. Dieser Idealmechanismus erleidet die erste Ab\u00e4nderung durch das Vor-handensein der Gegenrollung der Augen, die dazu f\u00fchrt, dafs bei Neigung des Kopfes nicht der um den Kopfneigungs-winkel vom Netzhautmittelschnitt abweichende schr\u00e4ge Meridian,","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nM. Sachs und J. Meller.\nsondern ein um einen kleineren Winkel abstehender Meridian vertikal zu liegen kommt.\u201c\nAuf die Bedeutung der Gegenrollung werden wir hier nicht n\u00e4her eingehen und verweisen diesbez\u00fcglich wieder auf unsere Arbeit, in der wir zum Schlufs gelangten, dafs die Gegenrollung der Augen die bei schwachen Kopfneigungen auftretenden Fehler der Lokalisation mit verschuldet, bei hochgradigen Kopfneigungen dagegen nicht ausreicht, um ihrem Auftreten vorzubeugen.\nWerden st\u00e4rkere Kopfneigungen ausgef\u00fchrt, zu deren Aufbringung auch Bewegungen des K\u00f6rpers erforderlich sind, dann mag einerseits der Umstand, dafs die Gegenrollung sistiert, andererseits das Hineinspielen des Einflusses von K\u00f6rperneigung auf die Lokalisation dazu f\u00fchren, dafs die Lokalisationsfehler kleiner werden und schliefslich, beg\u00fcnstigt durch ein Moment, dessen wir gleich noch zu gedenken haben, nach der anderen Richtung hin erfolgen.\nDieses Umschlagen des Orientierungsfehlers, das ganz besonders deutlich bei Kopfneigungen auftrat, die 900 \u00fcberstiegen, und die h\u00f6chsten Grade bei Neigungen des Kopfes zwischen 140\u00b0 und 160\u00b0 erreichte, haben wir in unserer Arbeit darauf\nzur\u00fcckgef\u00fchrt, dafs bei diesen extremen Kopfneigungen, die\n\u2022 \u2022\nganz unnat\u00fcrlich sind und deren Festhalten nur durch \u00dcberwindung h\u00f6chst unangenehmer Empfindungen gelingt, die Vorstellung des verdrehten Kopfes uns bei der Ortsgebung in erster Linie leitet, und das aus den Netzhautempfindungen aufgebaute Anschauungsbild des Raumes beeinflufst, oder, wie wir es dort ausgedr\u00fcckt haben, die Unterscheidung von oben und unten, die Empfindung von der Richtung der Schwerkraft f\u00fcr die Ausdeutung des Netzhautbildes zum dominierenden Faktor wird.\n\u201eInsofern hierdurch allein schon eine Erkennung der Richtungen im Raume trotz der ver\u00e4nderten Abbildungsverh\u00e4ltnisse gegeben w\u00e4re, ist die impulsive Umwertung der Netzhautraumwerte, die demselben Zwecke diente, gewissermafsen \u00fcberfl\u00fcssig: das Zusammentreffen beider Momente mufs die Lokalisation im Sinne der \u00dcberkompensation beeinflussen .... Dies ist auch tats\u00e4chlich der Fall; denn bei h\u00f6hergradiger Kopfneigung erscheint eine Linie senkrecht, die sich auf einem Meridian abbildet, der \u2014 wenn blofs die impulsive Umwertung best\u00e4nde, schon bei einer Kopfneigung geringeren Grades vertikal \u2014 empfindend werden m\u00fcfste.\u201c","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation. 107\nWas die Verlagerung der optischen Vertikalen bei reiner K\u00f6rperneigung anlangt, so kann sie selbstverst\u00e4ndlich nicht mit einer Umwertung der Netzhautwerte, die wir uns an faktisch ausgef\u00fchrte Kopfneigungen gebunden denken, im Zusammenhang stehen. Ebensowenig kann man die Zuflucht nehmen zu einer an die vermuth ete Neigung des Kopfes gebundene Umwertung der Netzhautwerte. Denn diese m\u00fcfste zu einer Lokalisation der scheinbar Vertikalen f\u00fchren, die der tats\u00e4chlich zur Beobachtung gelangenden entgegengesetzt ist.\nDer zu beobachtende Fehler stimmt \u00fcberein mit dem, den wir bei den haptischen Versuchen als K\u00f6rperneigungsfehler bezeichnet haben, und weicht von ihm nur in der Gr\u00f6fse ab. Der Orientierungsfehler ist bei den optischen Versuchen viel kleiner.\nWir sehen uns infolgedessen zur Annahme gedr\u00e4ngt, dafs wir bei aufrecht gehaltenem Kopfe und schr\u00e4gem K\u00f6rper bei der Beurteilung der Richtung des Gesehenen \u2014 wenn gleichzeitig die Erfahrungsmotive ausgeschaltet sind \u2014 nicht von den Empfindungen abstrahieren k\u00f6nnen, die uns vom K\u00f6rper zu-fliefsen. Die Gesamtheit dieser erf\u00e4hrt bei Neigung des K\u00f6rpers eine gesetzm\u00e4fsige \u00c4nderung, die am reinsten im Tastfehler zum Ausdruck kommt.\nSo sehen wir hier, sowie oben bei der Lokalisation der optischen Vertikalen nach Ausf\u00fchrung h\u00f6hergradiger Kopfneigungen das Zusammenwirken der verschiedenen Empfindungen, die mit r\u00e4umlicher Qualit\u00e4t ausgestattet sind, und erhalten einen Einblick in den, wenn man so sagen darf, musivischen Charakter des jeweils geformten Raumbildes.\nEs ist dasselbe Prinzip, auf das wir die Erscheinung zur\u00fcckgef\u00fchrt haben, dafs gleichzeitig mit den Lagen\u00e4nderungen der scheinbar Vertikalen durch Kopf- und K\u00f6rperneigungen auch \u00c4nderungen der scheinbaren Lage dieser Teile gesetzt werden.\nMan k\u00f6nnte gegen die Verwendung der Tastversuche zur Bestimmung der scheinbaren Lage von Kopf und K\u00f6rper theoretische Bedenken \u00e4ufsern, insofern man die bei Bestimmung der haptischen Vertikalen auftretenden Fehler als Orientierungsst\u00f6rungen betrachten kann, die an die Tastempfindungen gebunden sind, entgegen der Annahme, dafs mit der Neigung des Kopfes oder K\u00f6rpers eine Ver\u00e4nderung der Vorstellung von der Richtung der Schwerlinie gesetzt werde,","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nM. Sachs und J. Meller.\nwelche ver\u00e4nderte Richtung richtig angezeigt wird. Dann st\u00e4nde zu erwarten, dafs der Tastfehler, der mit der Neigung des K\u00f6rpers resp. Kopfes gegeben ist, allen Tastversuchen anhaftet, also nicht nur denen, die auf Ermittelung der scheinbar Vertikalen gerichtet sind, sondern auch denen, durch welche die scheinbare Lage der Kopf- oder K\u00f6rperachse bestimmt werden soll. Daraus, dafs zwischen der wirklichen Lage der Kopf- oder K\u00f6rperachse und der Lage einer Geraden, die unseren Tastversuchen nach die Richtung der genannten Achsen hat, keine \u00dcbereinstimmung besteht, k\u00f6nnten wir also noch nicht in Erfahrung bringen, ob die Lage von Kopf und K\u00f6rper unrichtig erkannt, resp. d\u00fcrften nicht aus der gefundenen Abweichung auf die Gr\u00f6fse des Sch\u00e4tzungsfehlers schliefsen.\nWenn auch bei den Bestimmungen der Kopf- und K\u00f6rperlage mittels der Tastversuche der Fehler \u2014 den wir kurzweg als Tastfehler bezeichnen \u2014 nicht auszuschalten ist und wir auf diesem Wege nicht zu absoluten Werten gelangen k\u00f6nnen, so gestatten doch die mit Hilfe dieser Methode gewonnenen Resultate die Entscheidung der von Delage aufgeworfenen Frage, ob die bei Neigung des Kopfes auftretenden Orientierungsst\u00f6rungen einer falschen Beurteilung der verlagerten K\u00f6rperteile ihre Entstehung verdanken.\nBest\u00fcnde ein solches Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnis \u2014 wie es von Delage behauptet wurde \u2014 dann m\u00fcfste die Gr\u00f6fse der Tastfehler sowohl bei der Bestimmung der scheinbaren Lage von Kopf und K\u00f6rper, als auch bei Ermittelung der scheinbar Vertikalen die gleiche bleiben.\nDies ist aber nicht der Fall. Nicht nur die Gr\u00f6fse der Fehler ist verschieden, sondern sogar die Richtung, in der die Fehler liegen. Damit soll nicht bestritten werden, dafs bei den Versuchen, ein getastetes Objekt ih die Richtung des geneigten K\u00f6rpers oder Kopfes zu bringen, nicht auch Erw\u00e4gungen \u00fcber die Richtung der scheinbar Vertikalen hineinspielen und umgekehrt nicht auch Vorstellungen von der Lage des geneigten K\u00f6rpers bei der Bestimmung der scheinbar Vertikalen Einflufs nehmen. Es liegt aber kein Grund vor, ja im Gegenteil, es spricht vieles dagegen, ein Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnis im Sinne Delage\u2019s anzunehmen. So hat sich bei unseren Versuchen gezeigt, dafs die Angaben um so genauer erfolgen, je mehr wir uns auf die gestellte Aufgabe zu be-","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation. 109\nschr\u00e4nken vermochten, d. h. je mehr wir bei den Bestimmungen der scheinbar Vertikalen Erw\u00e4gungen \u00fcber die Lage des K\u00f6rpers oder Kopfes zur\u00fcckdr\u00e4ngten, und umgekehrt von Vorstellungen \u00fcber die Richtung der scheinbar Vertikalen abstrahierten, wenn wir die schr\u00e4ge Lage von Kopf oder K\u00f6rper ermitteln sollten.\nEs w\u00e4re schliefslicli noch der Tatsache zu gedenken, die sich aus der Zusammenstellung der Resultate verschiedener Versuchstage ergibt, dafs n\u00e4mlich nicht immer Linien von gleicher Lage hei gleicher K\u00f6rperlage gleich gerichtet empfunden wurden, auch wenn die Versuchsbedingungen dem Anscheine nach dieselben geblieben wraren, und obwohl innerhalb ein und derselben Versuchsreihe eine grofse Bestimmtheit der Aussagen zu konstatieren war. Wir m\u00f6chten diese Differenzen in den Aussagen, wie schon dort daraus erkl\u00e4ren, dafs die Beobachtung erschwert wird durch das Zusammentreffen zum Teil widerstreitender Empfindungsbestandteile, deren Gewicht je nach dem Ort der Aufmerksamkeit (und noch aus anderen Gr\u00fcnden) schwankt.\nEinen einfacheren Fall, in dem die Verh\u00e4ltnisse \u00e4hnlich liegen, m\u00f6chten wir zum Vergleich anf\u00fchren. Bekanntlich kann in F\u00e4llen, wo ein grofser Teil der sichtbaren Dinge sich gleichzeitig und gleichsinnig bewegt, eine T\u00e4uschung eintreten derart, dafs das BewTegte ruhend und das Ruhende bewegt gesehen wird (vgl. Scheinbewegung des Mondes hinter den vor\u00fcberziehenden Wolken). Die Geschwindigkeit dieser Scheinbewmgung kann verschieden grofs empfunden wTerden, je nachdem das objektiv Bewegte ganz ruhend oder nur langsamer bewegt gesehen wird. Wenn aber auch die scheinbare Geschwindigkeit aus diesem Grunde wechselt, so ist sie dennoch in jedem einzelnen Momente eine bestimmte.\n(Eingegangen am 8. November 1902.)","page":109}],"identifier":"lit32937","issued":"1903","language":"de","pages":"89-109","startpages":"89","title":"Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation bei Neigungen um eine sagittale Achse","type":"Journal Article","volume":"31"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:22:11.266461+00:00"}