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{"created":"2022-01-31T16:26:23.959476+00:00","id":"lit32958","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 139-142","fulltext":[{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\n139\nhier aus werden im zweiten Theile die im Rechenunterricht gebr\u00e4uchlichen Lehrmittel beurtheilt. Durch Experimente, deren Resultate mitgetheilt sind, wird \u00fcber die Brauchbarkeit dieser Lehrmittel entschieden.\nDie Darstellung im psychologischen Theile ist sehr breit. Die Betheiligung der verschiedenen Sinne bei der Bildung des Zahlbegriffes wird ausf\u00fchrlich dargestellt, dabei viel allgemein Bekanntes beigebracht und mit Beispielen nicht gekargt, so dafs die Ausf\u00fchrungen einen sehr popul\u00e4ren Ton gewinnen. Der physikalische Vorgang z. B. beim Sehen und H\u00f6ren wird rekapitulirt und in der die empirische Psychologie eharakterisirenden Einleitung das Beispiel angef\u00fchrt: \u201eVergleichen wir das Materielle mit einem Petschaft und die Aufnahmef\u00e4higkeit des Gehirns mit dem Siegellack, so w\u00e4re die Vorstellung dem auf gedr\u00fcckten Siegel \u00e4hnlich\u201c. An den deutschen, franz\u00f6sischen und englischen Zahlw\u00f6rtern wird gelehrt, dafs die Zahlen 1\u201410 die Grundlage unseres gesammten Rechnens bilden u. dgl. m. Diese Ausf\u00fchrlichkeit hindert jedoch nicht, dafs gelegentlich falsche Definitionen aufgestellt werden. So wird z. B. die Aufgabe der empirischen Psychologie darin gesehen, die Functionen des Gehirns zu erforschen, und das Ergebnis der Er\u00f6rterungen \u00fcber das Entstehen der Zahlen gipfelt in der Erkl\u00e4rung, dafs die Zahl \u201edas Verh\u00e4ltnifs der Dinge in Bezug auf ihre Menge\u201c sei. Auch \u00fcber die These des Verf., dafs die Zahlen urspr\u00fcnglich an den Dingen so unmittelbar ' aufgefafst werden, wie beispielsweise die Eigenschaften lang und breit, liefse sich streiten, doch w\u00fcrde eine Discussion hier\u00fcber den Rahmen dieses Berichtes \u00fcberschreiten.\nDie praktische Verwendbarkeit der Anschauung und Selbstth\u00e4tigkeit im Anfangsunterrichte im Rechnen ist jedenfalls vom Verf. mit Recht betont worden und seine im zweiten Theile er\u00f6rterten Experimente sind einleuchtend und von p\u00e4dagogischem Interesse. Jedoch w\u00e4re dies alles auch der Fall ohne die Er\u00f6rterungen \u00fcber die Grofshirnrinde und die Sinnesorgane und ohne den grofsen psychologischen Apparat, den der Verf. aufwendet. Selbst ein absoluter Gegner der theoretischen Ausf\u00fchrungen im ersten Theil m\u00fcfste die Verwendung der Anschaulichkeit und die Experimente des zweiten gelten lassen.\tWeiss (Grofs-Lichterfelde).\nO. M. Giessler. Die Gem\u00fcthsbewegungen und ihre Beherrschung. Leipzig, J. A. Barth. 1900. 68 S.\nUnter den \u00fcblichen Definitionen der Affecte unterscheidet Verf. psychologische, physiologische und psycho-physiologische. Die ersten f\u00fchren die Gem\u00fcthsbewegungen entweder auf eine andere seelische Th\u00e4tig-keit zur\u00fcck (Wolee, Kant und Herbart) oder lassen sie aus Wechselwirkungen zwischen Vorstellungen und Gef\u00fchlen hervorgehen (Wundt und Stumpf) ; die physiologischen Theorien verlegen den Schwerpunkt ins K\u00f6rperliche (F\u00e9r\u00e9, James, Lange und Ribot), w\u00e4hrend die psycho-physiolo-gischen die Vorg\u00e4nge in Leib und Seele ber\u00fccksichtigen (Nahlowsky, Lehmann, Ziehen, Rehmke und K\u00fclpe). Alle diese Definitionen sind unzureichend, namentlich die physiologischen. Nach des Verf.\u2019s Meinung sind die Affecte zun\u00e4chst dadurch gekennzeichnet, dafs sie im Dienste der Selbsterhaltung stehen und in der Irritabilit\u00e4t und Contractilit\u00e4t der niederen","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nLiteraturb er icht.\nOrganismen ihre Vorl\u00e4uferin haben; auch diese dient n\u00e4mlic i der Selbst' erhaltung, wie Verf. an den Rhizopoden nachweist. Ferner bildet aber das Affective das Vorstadium f\u00fcr die Entwickelung intellectueller Vorg\u00e4nge; erst allm\u00e4hlich stellt sich beim Kinde mit seinem anf\u00e4nglich rein affectiven Leben die M\u00f6glichkeit der Localisirung seiner Empfindungen und der Bildung von Gegenst\u00e4ndlichem ein; diesem entspricht wiederum bei niederen Thieren die Anlage von differenzirten Sinnesorganen mit fortschreitender Verminderung der allgemeinen Erregbarkeit, wie eine vergleichende Betrachtung der Rhizopoden, Infusorien und Coelenteraten ersieht. Es wird sich also die Irritabilit\u00e4t umsomehr zum Affectiven umge-\no\nstalten \u201eje mehr durch die Anlage von centralen Gangliengruppen eine gef\u00fchlsm\u00e4fsige Mittheilung einer bestehenden oder bevorstehenden F\u00f6rderung hezw. Sch\u00e4digung an das Individuum als Gesammtheit erm\u00f6glicht wird, und je mehr das Individuum als in sich geschlossene Einheit derartige F\u00f6rderungen bezw. Sch\u00e4digungen wirklich als solche taxirt\u201c (S. 24\u201425). \u2014 Zur Analyse der Affecte geh\u00f6rt aber noch die Erkl\u00e4rung des Bewufst-seins. Im Anschlufs an die Versuche v. Tschisch\u2019s an Hypnotisirten wird die Bewegungsempfindung als unentbehrliches Element f\u00fcr jede Vorstellung und jeden Eindruck hingestellt und diese Behauptung durch die Vorg\u00e4nge im Traumleben an der Hand zweier selbstbeobachteter F\u00e4lle gest\u00fctzt. Das entwickelte Bewufstsein besteht nun \u201ein dem Oscilliren von Er-\nregungen (Energiebewegungen) zwischen Sensorischem und Motorischem unter vertheilender Vermittelung durch Erinnerungsbilder der Grofshirn-rinde bezw. eines centralen Ganglions\u201c (32). Verf. f\u00fchrt diese Theorie bei Gesichtswahrnehmungen n\u00e4her aus und sucht sie noch durch die Versuche Philippe\u2019s \u00fcber das allm\u00e4hliche Schwinden des Bewufstseins im Anschlufs an die Abnahme der Empfindlichkeit im Zustande der An\u00e4sthesie zu erh\u00e4rten: auch sind die Vorstellungen um so klarer, je speciellere willk\u00fcrliche Accomodationen stattfinden, wie ein Vergleich des Gesichts- und Tast-\nsinnes deutlich zeigt; auch die Verschiebungen der Bewufstse ins-vorg\u00e4nge, das Floren der eigenen Gedanken, werden als Beweis angef\u00fchrt: es haben sich hier in Folge krankhafter Erregungen die Anpassungen zwischen Sensorischem und Motorischem schon eingestellt, w\u00e4hrend die regulirenden Vorstellungen die n\u00f6thige Energie, die Herrschaft \u00fcber die Oseillationen der Energiebewegung \u00fcberhaupt noch nicht oder erst theil-weise erlangt haben; die Vorg\u00e4nge vollziehen sich unabh\u00e4ngig vom Willen, das Sensorische beeinflufst das Motorische automatisch, so dafs die Gedanken als ein Fertiges und Fremdes entgegentreten, bevor sie der Kranke erfafst hat. \u2014 Innerhalb der affectiven Entwickelung ist nun die Diremp-tionsschwelle d. h. derjenige Zeitpunkt von Wichtigkeit, in welchem die eompensirende Wirkung der Willensth\u00e4tigkeit gegen\u00fcber den automatischen Erregungen des Motorischen und Ideomotorischen erlahmt: Verf. illustrirt diesen Zeitpunkt durch verschiedene Beispiele (Anh\u00f6ren eines Concerts in der N\u00e4he des Orchesters; Aerger eines Lehrers in Folge p\u00e4dagogischer Mifserfolge w\u00e4hrend einer Schulstunde; die Unruhe, welche ein Examenscandidat durch angenehme Lect\u00fcre zu beschwichtigen sucht) ; in allen diesen F\u00e4llen k\u00f6nnen die prim\u00e4ren Gef\u00fchle zun\u00e4chst noch durch Gegengef\u00fchle compensirt werden, bis der Affect zur Entladung kommt und","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n141\ndie Spannung verdr\u00e4ngt, w\u00e4hrend welcher der Wille noch durch Ob-jectivirung oder Gegenvorstellungen die Regulirung der Bewegung inner* halb der vorstellenden Th\u00e4tigkeit beherrscht ; oft kommt das compensirende Stadium in Wegfall z. B. beim Schreck. Der Affect ist also eine Begleiterscheinung des Innewerdens einer besonderen Erschwerung oder Beg\u00fcnstigung der f\u00fcr die Erhaltung und Vervollkommnung nothwendigen Anpassung. Hierzu kommt noch das emotionelle Ged\u00e4chtnifs als Function des physiologischen Ich, welches die Spuren f\u00fcr diejenigen Eindr\u00fccke des individuellen und Gattungslebens, die in unmittelbar f\u00f6rdernder oder hemmender Beziehung zu den Lebensbedingungen des Individuums stehen, bewahrt und zu einer Ueberfluthung oder Entleerung des Bewufstseins von Vorstellungen f\u00fchrt. W\u00e4hrend sich bei ruhiger, synthetischer Bewufst-seinsth\u00e4tigkeit zu den corticalen Anpassungen solche des vitalen, namentlich des cardio-vascul\u00e4ren Systems und der Athmung gesellen, entwickelt sich im Affect eine Tendenz zur Selbstdiremption, zur Verselbst\u00e4ndigung des vitalen oder des instinctiven Unterwillens im Gegens\u00e4tze zu dem reflectirenden Oberwillen. Das Ueberschreiten der Diremptionsschwelle ist continuirlich, wie in Leidenschaften, oder discontinuirlich wie bei k\u00fcnstlich, intellectuell erzeugten Affecten und bei Stimmungen, in welche Ge-m\u00fcthsbewegungen abklingen. Je leichter erregbar das Motorische und je schw\u00e4cher das Apperceptionsorgan ist, desto tiefer liegt die Schwelle. \u2014 Die Beherrschung der Affecte, die nur erstrebenswerth ist, wenn sie zu tiefer gehenden St\u00f6rungen des psychischen Gleichgewichts f\u00fchren, ist zun\u00e4chst prophylactischer Natur, n\u00e4mlich Verh\u00fctung des Umsichgreifens der Dispositionen, und zwar auf physiologischem Wege durch allgemeine Beschr\u00e4nkung der Erregbarkeitszunahme innerhalb des Organismus (Vermeidung von Alcoholica, \u00fcbertriebener Arbeit u. dgl.) oder auf psychologische Weise durch Gew\u00f6hnung an eine Lebensweise, bei der heftige Affecte selten aufkommen ; diese Gew\u00f6hnung kann bewirkt werden durch \u00e4ufsere Erziehung oder durch Selbsterziehung zu consequentem und sittlichem Handeln vermittelst Ausbildung der Erkenntnifs und des Gem\u00fcths. Die Beherrschung bereits entwickelter Affecte erfolgt 1. durch k\u00fcnstliche Apathie, indem durch Abspannung der Muskeln und Einengung des Bewufstseins-feldes das Motorische gehemmt und das Ideomotorische eingeschr\u00e4nkt wird ; 2. durch Gegen operation en innerhalb der vorstellenden Th\u00e4tigkeit, indem man das Bewufstsein anders besch\u00e4ftigt oder die bestehende Erregung objectivirt und als physiologisches Substrat f\u00fcr einen Aufmerksamkeitsvorgang verwendet; 3. durch Gegenoperationen innerhalb des Gef\u00fchlsverlaufs, sobald ein Affect bereits ausgebrochen ist. Im letzteren Falle vermag nur ein anderer Affect noch com-pensirend zu wirken und zwar ein auf intellectuellen Gef\u00fchlen beruhender, indem andere Werthkategorien gegen die augenblickliche Werthsch\u00e4tzung ins Feld gef\u00fchrt werden. Hierdurch werden die jeweiligen Tendenzen des nat\u00fcrlichen Menschen a) ersetzt durch \u00e4sthetische Gef\u00fchle namentlich Stimmungen gegen\u00fcber, oder b) abgeschw\u00e4cht namentlich durch das ethische Gef\u00fchl der eigenen Kraft oder des eigenen Werthes, oder c) ne girt durch religi\u00f6se Gef\u00fchle besonders Leidenschaften gegen\u00fcber.\u2014 Indem Verf. im \u201eSchlufs\u201c noch darauf hinweist, dafs der Weltprocefs ein","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nLitera turbericht.\nStreben von ungeordnetem Durcheinanderwogen der Kr\u00e4fte zu gesetz-m\u00e4fsigen Einordnungen in geordnete Systeme (zuerst physicalische, dann organische, dann bewufste) darstellt, will er nur so viel affective Erregung aufkommen lassen, als bei der Wahrung allgemein menschlicher Interessen unvermeidlich ist. \u201eWir m\u00fcssen danach streben, mehr und mehr Glieder einer Gemeinschaft zu wrerden, in welcher eine sittlich gel\u00e4uterte Causalit\u00e4t das Princip des gegenseitigen Wirkungsaustausches bildet\u201c.\nDen ethisch-praktischen Theil dieser Arbeit kritisch zu beleuchten, liegt nicht im Rahmen dieser Zeitschrift. Die psychologisch-theoretischen Ausf\u00fchrungen enthalten mancherlei Interessantes, namentlich in der Lehre vom Bewufstsein ; aber das Wesen der Affecte wird durch die Arbeit dem Verst\u00e4ndnifs nicht n\u00e4her gebracht. Denn neue Worte wie \u201eDiremptions-schwelle\u201c, \u201eUnterwille\u201c etc. ohne neue Thatsachen und Gesichtspunkte bringen dies nicht zu Stande. Auch finden sich zuweilen S\u00e4tze und terminologische Wendungen, die eine klare und scharfe Analyse vermissen lassen. Schon die Identifieirung von Leidenschaften und Affecten ist bedenklich. Sodann aber sind \u201einstinctive Veranstaltungen des Organismus, das ihm N\u00fctzliche zu geniefsen, das ihm Sch\u00e4dliche zur\u00fcckzustofsen\u201c (S. 6), kein Begehren oder Widerstreben? Auch der Einwand gegen Kant ist hinf\u00e4llig. Wenn ein Affect auch nicht mit einem Gef\u00fchl ausschliefslich verbunden zu sein braucht, so doch mit Gef\u00fchlen \u00fcberhaupt, wie die Beispiele des Verf.\u2019s auf S. 6 gerade zeigen. Das Gef\u00fchl einer bestehenden oder drohenden Beg\u00fcnstigung oder Sch\u00e4digung ist kein Urtheil, auch kein instinctives (S. 10). Die historische Uebersicht ist mehr vom Zufall als von umfassender Systematik dictirt. Sonst mufsten bei den physiologischen Theorien wenigstens auch M\u00fcnsterberg und Meynert, bei den psychologischen Lipps und Ziegler Erw\u00e4hnung finden ; auch Horwicz durfte nicht ganz aufser Acht bleiben. Mit welchem Rechte Verf. Nahlowsky zu den Psycho-Physiologen und Herbart zu den Psychologen z\u00e4hlt, ist schwer ersichtlich. Dies sind indefs alles nur mehr oder minder untergeordnete M\u00e4ngel angesichts der Thatsache, dafs nach neueren Untersuchungen, namentlich Alfred Lehmann\u2019s (Plethysmographische Untersuchungen), Wundt\u2019s u. a. die Analyse der Affecte viel tiefer gedrungen ist und feinere Formen angenommen hat, als es nach der vorliegenden Arbeit den Anschein hat.\tWreschner (Z\u00fcrich).\nP. Zoneef und E. Meumann. Ueber Begleiterscheinungen psychischer Vorg\u00e4nge in Athem und Puls. I. Wundt\u2019s Phil. Stud. 18 (1), 1\u2014113. 1901.\nMit einer kurzen Uebersicht \u00fcber fr\u00fchere Arbeiten verwandter Art leiten die Verff. ihre Untersuchungen ein. Sie erw\u00e4hnen F\u00fcr\u00e9, kommen dann auf Mosso, Delabarre, Lehmann, besonders auf Paul Mentz zu sprechen, um sich als eigentliches Thema eine Revision der von Meumann fest-gestellten Thatsachen zu w\u00e4hlen, dafs bei richtiger Behandlung der pneumo-graphischen Registrirapparate die Athemver\u00e4nderungen als sicherstes Kennzeichen aller Ver\u00e4nderungen des Gef\u00fchlslebens dienen k\u00f6nnen, und dafs die Vorg\u00e4nge der Aufmerksamkeit in engster Beziehung zu Athemver\u00e4nderungen stehen. Von der Voraussetzung ausgehend, dafs Aenderungen der Athembewegungen stets auch Aenderungen aller \u00fcbrigen mit ihnen in","page":142}],"identifier":"lit32958","issued":"1902","language":"de","pages":"139-142","startpages":"139","title":"C. M. Giessler: Die Gem\u00fcthsbewegungen und ihre Beherrschung. Leipzig, J. A. Barth. 1900. 68 S.","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:23.959481+00:00"}