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{"created":"2022-01-31T16:26:41.184974+00:00","id":"lit32979","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 287-288","fulltext":[{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n287\nSeite in seiner Th\u00e4tigkeit in der Hauptsache gehemmt wird, das Labyrinth der gleichnamigen Seite gereizt wird\u201d. Den Schlafs der Abhandlung bilden kritische Bemerkungen, in denen Verf. sich zu Gunsten der EwAimschen Tonuslehre ausspricht; namentlich f\u00fchrt er einige F\u00e4lle an, wo auch beim Menschen Muskelatonie, Abasie und Astasie, nach v\u00f6lligem Verlust des Labyrinthapparates eintraten.\tSchaefer (Gr.-Lichterfelde).\nC. Bos. Contribution \u00e0 la th\u00e9orie psychologique du temps. Rev. philos. 50 (12),. 594\u2014613. 1900.\nVerf. will vom psychologischen Standpunkte aus pr\u00fcfen, ob die Apriorit\u00e4t der Zeit aufrecht erhalten werden kann und in welchem Sinne. Seiner Ansicht nach besteht die Apriorit\u00e4t der Zeit in der physiologischen Thatsache eines organischen Rhythmus, wTelcher nicht nur mit dem Individuum wechselt, sondern unter den tausend Einfl\u00fcssen im Verlaufe ein und desselben individuellen Lebens. Durch Beziehung auf diese unmittelbare Empfindung f\u00e4rbt sich Alles mit einem bestimmten Grade von Gegenwart. So entsteht die psychologische Zeit, welche man definiren k\u00f6nnte als Ordnung von Beziehungen mit wesentlich subjectivem Werthe. Von dieser psychologischen Zeit machen wir eine Uebertragung in die lineare Zeit: analogische Uebertragung der Zeit. Durch Zerlegung der reinen Intuition von Kant k\u00f6nnen wir auf diese Weise einerseits eine sensible Intuition (organische Empfindung des Rhythmus) unterscheiden, a priori in dem Sinne, dafs die zeitliche Empfindung jeder \u00e4ufseren Erfahrung vorhergeht \u2014 andererseits eine Anordnung in der linearen Zeit.\nEs existirt f\u00fcr die Zeit eine unmittelbare Empfindung zum Unterschiede von dem Raume, welcher durch mittelbare Daten gegeben ist. Erstere soll hier studirt werden.\nDer innere Sinn, das Bewufstsein vom K\u00f6rper besitzt wahrscheinlich eine regelm\u00e4fsige Discontinuit\u00e4t. Die Form jeder Empfindung besteht in der Activit\u00e4t der nerv\u00f6sen Zelle. Die Empfindung f\u00fcr den Rhythmus finden wir schon bei dem Thiere, ja bei ihm (und bei dem Idioten, welcher ihm nahe steht) finden wir die vollst\u00e4ndigste Zeitmessung. Weil hier die Emotionen, die Aufmerksamkeit, die h\u00f6here Activit\u00e4t des Geistes fehlt, so bleibt der Lebensrhythmus regelm\u00e4fsiger. Auch bei den Blinden constatirt man eine vollkommenere Zeitmessung, da sich ihre Aufmerksamkeit nicht im Raume verliert, desgleichen w\u00e4hrend des Schlafes, wo die Aufmerksamkeit durch nichts abgezogen wird. Am auffallendsten ist dies in der Hypnose: Man kann einem Hypnotisirten suggeriren, am Ende von 10 Minuten aufzustehen. Er wacht wirklich nach Ablauf dieser Zeit auf. In solchen F\u00e4llen wird das Bewufstseinsfeld eingeschr\u00e4nkt und die Aufmerksamkeit auf den vitalen Rhythmus concentrirt. Diese Aufmerksamkeit aber ist nichts weiter als eine Spannung. Die Einheit der Zeit ist also eine Einheit der Concentration, Einheit der Apperception oder Synthese, sie ist nicht mehr oder weniger lang, sondern mehr oder weniger dicht oder d\u00fcnn. James h\u00e4lt es f\u00fcr wahrscheinlich, dafs die anderen Planeten von Wesen bewohnt werden, deren Lebensrhythmus ganz verschieden ist von dem unserigen. Der Rhythmus des Denkens, des inneren Lebens hat sich","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\nLiteraturbericht.\nbei den verschiedenen V\u00f6lkern modificirt, und im Laufe der Entwickelung ein und desselben Volkes ist er mehr oder weniger rasch je nach dem Grade der Cultur. Bekannt ist der beschleunigte Rhythmus in manchen Tr\u00e4umen. Die Musiker wissen, dafs beim Crescendospielen die innere Spannung gr\u00f6fser wird. Bei Emotionen w\u00e4chst die Beschleunigung des nerv\u00f6sen Rhythmus. Leute, welche im Begriff waren zu ertrinken, sahen ihr ganzes Leben in einigen Secunden vor ihren Augen sich abspielen. Hierbei ist wahrscheinlich, dafs die Ann\u00e4herung des Todes eine Erregung herbeif\u00fchrt, welche die Synthese einer grofsen Anzahl von Thatsachen zu einer Einheit erlaubt. W\u00e4hrend dieser fl\u00fcchtigen Momente besteht das h\u00f6chste Selbstbewufstsein. Nach Condillac giebt es nicht zwei Menschen, welche in einer gegebenen Zeit eine gleiche Zahl von Augenblicken z\u00e4hlen. Man k\u00f6nnte sich ein Wesen denken, n\u00e4mlich Gott, bei dem die Spannung unbegrenzt w\u00e4re. F\u00fcr dasselbe w\u00fcrde die Einheit der Zeit umfassend genug sein, um das All einzuschliefsen. Der ganze Weltprocefs w\u00fcrde ihm gegenw\u00e4rtig sein.\nUnmittelbar erfafst das Bewufstsein das Gef\u00fchl des Rhythmus. Jedes Ereignifs ist gegeben mit einer Art von Specialzeit. Letzteres ist ein Gef\u00fchl, welches jedem psychologischen Factum seinen Stempel aufdr\u00fcckt und ihm dadurch ein zeitliches Zeichen verleiht. Ein Ereignifs ist gegenw\u00e4rtig, wenn es uns mit der gr\u00f6fsten Spannungsdauer gegeben ist, dessen unsere nerv\u00f6se Zellen f\u00e4hig sind. Die zeitliche Entfernung eines Bildes h\u00e4ngt ab von der Intensit\u00e4t und Klarheit des entsprechenden Bildes. Bei heftigen Emotionen hat man \u201eein Gef\u00fchl aufser der Zeit\u201c.\nEin merkw\u00fcrdiges Ph\u00e4nomen ist dies, dafs manche Leute von bestimmten Dingen erst Notiz nehmen, wenn sie zur Vergangenheit geh\u00f6ren. Bei solchen Leuten ist die Kraft der sinnlichen Synthese gering. Sie befinden sich in einer Art von Bet\u00e4ubung, wo nur schwache Eindr\u00fccke bleiben. Bei der Wiedererneuerung erst erlangen die Eindr\u00fccke gleichsam durch Summation den Grad von Intensit\u00e4t, welcher sie noch \u00fcber die gegenw\u00e4rtigen Ereignisse erhebt. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Bedingungen f\u00fcr die Wiederkehr einer heftigen Emotion gegeben sind, welche wir fr\u00fcher einmal erlebten.\nWenn die Zeit ..die Wunden heilt\u201c, so behauptet Lotze, dafs dies nicht durch einen einfachen R\u00fccklauf auf einer zeitlich ausgedehnten Linie geschieht, sondern dadurch, dafs neuere seelische Ereignisse den Eindruck jenes Ereignisses schw\u00e4chen. \u2014\nDie Abhandlung bildet eine sorgf\u00e4ltige Zusammenstellung einiger wichtiger Thatsachen \u00fcber die psychologische Zeit. Man d\u00fcrfte daraus manche interessante Erkl\u00e4rung entnehmen. Aufser ihrem wissenschaftlichen Werthe m\u00f6chte Ref. als besonderen Vorzug ihre Anwendung und Anwendbarkeit auf das praktische Leben betonen. F\u00fcr die Erkl\u00e4rung des Anstrengenden forcirter wissenschaftlicher Th\u00e4tigkeit, des Aufreibenden heftiger Gem\u00fcthsbewegungen, des Befreitwerdens aus gedr\u00fcckter oder \u00e4ngstlicher Stimmung durch Singen, Pfeifen, des Anregenden der Musik zu frischer Lebensbeth\u00e4tigung und Aehnliches gewinnt man mit H\u00fclfe des vom Verf. oder vielmehr der Verfasserin Gegebenen neue Gesichtspunkte.\nGiessler (Erfurt).","page":288}],"identifier":"lit32979","issued":"1902","language":"de","pages":"287-288","startpages":"287","title":"C. Bos: Contribution \u00e0 la th\u00e9orie psychologique du temps. Rev. philos. 50 (12), 594-613. 1900","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:41.184979+00:00"}