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{"created":"2022-01-31T16:23:45.701581+00:00","id":"lit32981","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Groos, K.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 289-291","fulltext":[{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n289\nM. Y. O\u2019Shea. The Psychology of Number. \u2014 A Genetic View. Psychol. Revieic 8 (4), 371\u2014383. 1901.\nRechnen besteht in einem Manipuliren mit Zahlen \u2014 nach verschiedenen Methoden in Addition, Subtraction u. s. w. Man operirt hier nur mit Symbolen, an deren urspr\u00fcngliche Bedeutung man gar nicht zu denken braucht. Die eigentliche Bedeutung dieser Symbole wird erst dann wichtig, wenn man die Rechnung auf bestimmte F\u00e4lle des wirklichen Lebens anwendet. Es ist nun die Frage, ob man Rechnen in der Schule mit mehr oder weniger R\u00fccksicht auf die wirkliche Bedeutung der Symbole lehren soll, oder ohne solche R\u00fccksicht. Zur Entscheidung dieser Frage mufs man \u00fcber die Entstehung der Zahlvorstellungen im Klaren sein. Das Kind erf\u00e4hrt eine grofse Zahl von Einschr\u00e4nkungen ; es darf nicht mehr essen als eine gewisse Quantit\u00e4t, nicht l\u00e4nger spielen als eine gewisse Zeit. Es erf\u00e4hrt ferner eine Wiederholung von Einheiten; es hat drei Aepfel und darf einen Morgens essen, einen Mittags, einen Abends. Auf diese Weise wird seine Aufmerksamkeit auf die Zusammensetzung von Gruppen gelenkt. Es sieht seine Eltern die Gegenst\u00e4nde abz\u00e4hlen, die sie ihm zuweisen, und lernt selber z\u00e4hlen. Die Thatsache, dafs das Kind nur gleiche Objecte z\u00e4hlt, nicht etwa Aepfel und Zuckerst\u00fccke zusammen, braucht man nicht durch die Annahme eines Abstractionsprocesses zu erkl\u00e4ren. Das Kind z\u00e4hlt, um eine gewisse Erfahrung zu messen; z. B. wie lange es an einem Haufen Aepfel Freude haben wird, wenn es jeden Tag einen essen darf. Mit verschiedenen Objecten hat es auch verschiedene Erfahrungen und daher keine Veranlassung, sie zusammen zu z\u00e4hlen.\nMax Meyer (Columbia, Missouri).\nA. Binet. La suggestibilit\u00e9. Paris, Schleicher Fr\u00e8res, 1900. 393 S.\nDas anregende Werk Binet\u2019s beschreibt eine Reihe von Versuchen \u00fcber Suggestibilit\u00e4t w\u00e4hrend des normalen Waehbewufst-.seins bei Schulkindern; diese Versuche sind nicht nur f\u00fcr die P\u00e4dagogik und Individualpsychologie, sondern zum Theil auch f\u00fcr die Rechtswissenschaft von Interesse. Das erste, \u201ehistorische\u201c, Capitel enth\u00e4lt einen Ueber-blick \u00fcber fr\u00fcher gemachte Experimente, die \u00e4hnlichen Zwecken dienten. Die drei folgenden handeln von dem Einflufs der \u201eLe it id een\u201c (id\u00e9es directrices). Hier wird \u00fcber Versuche berichtet, die den Zweck haben, in Ren Kindern durch das objectiv Dargebotene eine suggestiv wirkende Vorstellung entstehen zu lassen, ohne dafs sich dabei ein psychischer Einflufs des Experimentirenden geltend macht. Die Sch\u00fcler m\u00fcssen z. B. Linien aus dem Ged\u00e4chtnifs reproduciren, von denen die ersten f\u00fcnf best\u00e4ndig an L\u00e4nge zunehmen, w\u00e4hrend alle folgenden gleich bleiben: der im Anfang erzeugte Eindruck des Anwachsens beeinflufst dann unter Umst\u00e4nden die sp\u00e4teren Reproductionen, und man erh\u00e4lt auf diese Weise einen Maafsstab f\u00fcr die gr\u00f6fsere oder geringere Suggestibilit\u00e4t der Kinder. Oder Binet l\u00e4fst 15 W\u00fcrfel von gleicher Gr\u00f6fse nach ihrem Gewichtsunterschied beurtheilen, von denen die vier ersten 20, 40, 60, 80 gr wiegen, alle \u00fcbrigen aber 100 gr. Auch hierbei kann der Einflufs der anf\u00e4nglichen Vermehrung so stark sein, dafs einzelne Sch\u00fcler bis zum Schlufs der Reihe ein Anwachsen Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 28.\t19","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nLitera turbericht.\ndes Gewichts constatiren. \u2014 Eben der Factor, der in den bisher erw\u00e4hnten Untersuchungen m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig ausgeschlossen werden sollte, n\u00e4mlich der pers\u00f6nliche Einflufs des Experimentirenden (\u201eaction morale\u201c oder \u201epersonelle\u201c) wird nun im 5. und 6. Capitel zum Gegenstand der Nachforschung erhoben. Am interessantesten ist in dieser Hinsicht der Inhalt des 6. Capitels. Hier spielt Binet den Kindern gegen\u00fcber die Bolle eines Untersuchungsrichters und pr\u00fcft dabei den Einflufs der sprachlichen Wendungen beim Fragen. Er unterscheidet treffend vier Hauptformen der Zeugenvernehmung: 1. man fordert das Kind einfach auf,, niederzuschreiben, was es erlebt hat; 2. man \u00fcbt einen gewissen Druck auf sein Ged\u00e4chtnifs aus (m\u00e9moire forc\u00e9e), indem man die Beantwortung bestimmter Fragen verlangt, ohne doch dabei die Richtung der Antwort zu beeinflussen; 3. man versucht es mit einer schwachen Einwirkung* indem man fragt: \u201eist es nicht vielleicht so gewesen?\u201c 4. man verst\u00e4rkt die Suggestion, indem man von Dingen redet, die gar nicht erlebt worden sind, als ob sie einen Theil des Erlebnisses ausgemacht h\u00e4tten. Wenn also z. B. den Kindern ein Carton 12 Sec. lang gezeigt worden ist, auf dem sich mehrere Objecte, darunter das Brustbild eines barh\u00e4uptigen Mannes und die Darstellung einer durch ein eisernes Thor dr\u00e4ngenden Menge beenden, so kann man die Versuchsperson einfach das Gesehene beschreiben lassen, oder ihr etwa die Frage stellen: \u201ehatte der Mann einen Hut auf oder nicht ?\u201c oder man sagt mit schwacher Suggestion : \u201ehatte er nicht einen Hut auf?\u201c \u201ewar in jener Menge nicht ein kleiner Hund?\u201c (auf der Abbildung ist aber keiner); oder man fragt sogar: \u201ewie hielt der Mann seine Beine?\u201c \u201ean welcher Stelle befindet sich der kleine Hund?\u201c Die Resultate Binet\u2019s, die eine mit jeder Stufe wachsende Suggestibilit\u00e4t beweisen, wrerden gerade jetzt, wo man auch in Deutschland auf \u00e4hnliche Experimente verfallen ist, die Aufmerksamkeit unserer Psychologen und Juristen erregen. \u2014 Das siebente Capitel untersucht die Einwirkung des Nachahmungstriebes auf die Aussagen von Kindern. Neben dem (ebenfalls f\u00fcr den Juristen bemerkenswerthen) Nachweis, wie stark die zuerst gemachte Aussage auf die folgenden Aussagen der anderen Individuen einwirken kann, haben diese Versuche auch eine sociologische Bedeutung, indem sie zeigen, wie schnell sich in der Gruppe der gefragten Kinder eine F\u00fchrerschaft organisirt. \u2014 In dem letzten Capitel wird mittels zweier verschiedener Methoden der Versuch gemacht, im normalen Wachbewufstsein unbewulste Bewegungen zu suggeriren. Es ergiebt sich dabei eine gewisse Ann\u00e4herung an die Erscheinungen des \u201eunbewufsten Schreibens\u201c, wenn z. B. ein Kind sagt, es habe geglaubt, die ihm anf\u00e4nglich vom Experimentirenden mitgetheilte Bewegung fortsetzen zu sollen und dann, nachdem dies bestritten worden ist, beim n\u00e4chsten Versuch trotzdem in der Bewegung noch kurze Zeit allein fortf\u00e4hrt.\nZu den umfangreichen Versuchen \u00fcber die Leitidee m\u00f6chte ich noch bemerken, dafs man aus der Beschreibung den Eindruck erh\u00e4lt, als sei es nicht immer gelungen, die \u201eaction personelle\u201c so vollst\u00e4ndig auszuschalten, wie es der Verf. gew\u00fcnscht hat. Es w\u00fcrde sich empfehlen, die Versuche ohne Leitung durch Fremde oder Lehrer als eine Art Spiel im Familienkreise wiederholen zu lassen. Im Wesentlichen halte ich aber doch den Einflufs","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Jjiteraturbericht.\n291\nder \u201eid\u00e9e directrice\u201c f\u00fcr festgestellt. Ich seihst habe das oben geschilderte Linienexperiment mit 8 Studenten nachgemacht und dabei, wie das bei Erwachsenen zu erwarten ist (Binet zeigt \u00fcberall, dafs mit zunehmendem Alter die Suggestibilit\u00e4t abnimmt), etwas andere Resultate erhalten. Die 6. Linie, die wie alle folgenden der 5. gleich ist, wurde allerdings 4 mal gr\u00f6fser gezeichnet, 2 mal gleich und nur 2 mal kleiner als jene. Aber wenn schon hier die beiden Verkleinerungen sehr stark sind (sie betragen zusammen 21;5 mm, w\u00e4hrend die 4 Vergr\u00f6\u00dferungen zusammen nur 20 mm ausmachen), so tritt vollends, wenn man die Versuche als Ganzes betrachtet, \u00fcberwiegend eine Tendenz zum Verkleinern hervor: die letzte Linie ist der 6. einmal ungef\u00e4hr gleich, 2 mal gr\u00f6fser als sie, und 5 mal ist sie kleiner. Wir haben also hier bei Erwachsenen doch \u00fcberwiegend das (auch von Binet, S. 98 f. besprochene) Verh\u00e4ltnifs vor uns, dafs die Suggestion zwar an die Versuchsperson herantritt \u2014 als Erwartung der Vergr\u00f6\u00dferung \u2014 bei manchen einen Augenblick wirkt, dann aber durch die Entt\u00e4uschung der Erwartung meistens zu dem entgegengesetzten Resultat f\u00fchrt.\nIn Hinsicht auf den Inhalt des 6. Capitels f\u00fchre ich eine Beobachtung an, die wegen der vereinfachten Verh\u00e4ltnisse besonders deutlich zeigt, wie bei solchen Erinnerungst\u00e4uschungen die gew\u00f6hnlichen Reproductionsgesetze wirksam sind. In einem kleinen Kreise war der bekannte Versuch ausgef\u00fchrt worden, 10\u201412 auf einer Platte gezeigte Objecte aus der Erinnerung anzugeben. Darunter hatte sich ein Leuchter befunden. Einige Wochen sp\u00e4ter wurde wieder ein derartiger Versuch gemacht, an dem ein Herr theilnahm, der bei jenem ersten nicht anwesend war, aber davon hatte erz\u00e4hlen h\u00f6ren, wobei ihm auch der Leuchter genannt worden war. Sowohl er als ich notirten bei dem neuen Versuch den Leuchter, obwohl sich diesmal kein \u00e4hnliches Object auf der Platte befand: die Contiguit\u00e4t hat hier unter verschiedenen Bedingungen zu demselben Erfolg gef\u00fchrt.\nEndlich weise ich noch auf ein Resultat hin, das nichts mit der Suggestion zu thun hat, sondern eine allgemeinere Bedeutung besitzt. An verschiedenen Stellen des Buches tritt die Thatsache hervor, dafs beim einfachen Reproductionsversuch Linien von ca. 10\u201412 mm durchschnittlich zu grofs, Linien von 50 \u201460 mm dagegen \u00fcberwiegend zu klein wiedergegeben werden. Binet und Henri haben diese Thatsache schon fr\u00fchei durch Versuche festgestellt; auch mir ist sie bei zahlreichen Experimenten an Schulkindern und Erwachsenen entgegengetreten. Hier dr\u00e4ngt sich die Frage auf, ob die T\u00e4uschung schon in der Wahrnehmung selbst oder erst w\u00e4hrend der Reproduction vor sich geht; es w\u00e4re f\u00fcr manche Theorien \u00fcber optische T\u00e4uschungen und Wirkungen des Gr\u00f6fsencontrastes von Interesse, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Jedenfalls ist aber die Thatsache als solche nicht ohne praktische Bedeutung f\u00fcr den Unterricht im Zeichnen.\tK. Groos (Giefsen).\nM. Moncalm. L\u2019origine de la pens\u00e9e et de la parole. Paris, F. Alcan, 1900.\n316 S.\nDer Verf. z\u00e4hlt auf der R\u00fcckseite des Vortitels die Werke auf, welche\nihm bei der Redaction seiner Arbeit gedient haben: neun Werke von Max\n19*","page":291}],"identifier":"lit32981","issued":"1902","language":"de","pages":"289-291","startpages":"289","title":"A. Binet: La suggestibilit\u00e9. Paris, Schleicher Fr\u00e8res, 1900. 393 S.","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:23:45.701587+00:00"}