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{"created":"2022-01-31T16:27:24.843947+00:00","id":"lit32982","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Liebich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 291-292","fulltext":[{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Jjiteraturbericht.\n291\nder \u201eid\u00e9e directrice\u201c f\u00fcr festgestellt. Ich seihst habe das oben geschilderte Linienexperiment mit 8 Studenten nachgemacht und dabei, wie das bei Erwachsenen zu erwarten ist (Binet zeigt \u00fcberall, dafs mit zunehmendem Alter die Suggestibilit\u00e4t abnimmt), etwas andere Resultate erhalten. Die 6. Linie, die wie alle folgenden der 5. gleich ist, wurde allerdings 4 mal gr\u00f6fser gezeichnet, 2 mal gleich und nur 2 mal kleiner als jene. Aber wenn schon hier die beiden Verkleinerungen sehr stark sind (sie betragen zusammen 21;5 mm, w\u00e4hrend die 4 Vergr\u00f6\u00dferungen zusammen nur 20 mm ausmachen), so tritt vollends, wenn man die Versuche als Ganzes betrachtet, \u00fcberwiegend eine Tendenz zum Verkleinern hervor: die letzte Linie ist der 6. einmal ungef\u00e4hr gleich, 2 mal gr\u00f6fser als sie, und 5 mal ist sie kleiner. Wir haben also hier bei Erwachsenen doch \u00fcberwiegend das (auch von Binet, S. 98 f. besprochene) Verh\u00e4ltnifs vor uns, dafs die Suggestion zwar an die Versuchsperson herantritt \u2014 als Erwartung der Vergr\u00f6\u00dferung \u2014 bei manchen einen Augenblick wirkt, dann aber durch die Entt\u00e4uschung der Erwartung meistens zu dem entgegengesetzten Resultat f\u00fchrt.\nIn Hinsicht auf den Inhalt des 6. Capitels f\u00fchre ich eine Beobachtung an, die wegen der vereinfachten Verh\u00e4ltnisse besonders deutlich zeigt, wie bei solchen Erinnerungst\u00e4uschungen die gew\u00f6hnlichen Reproductionsgesetze wirksam sind. In einem kleinen Kreise war der bekannte Versuch ausgef\u00fchrt worden, 10\u201412 auf einer Platte gezeigte Objecte aus der Erinnerung anzugeben. Darunter hatte sich ein Leuchter befunden. Einige Wochen sp\u00e4ter wurde wieder ein derartiger Versuch gemacht, an dem ein Herr theilnahm, der bei jenem ersten nicht anwesend war, aber davon hatte erz\u00e4hlen h\u00f6ren, wobei ihm auch der Leuchter genannt worden war. Sowohl er als ich notirten bei dem neuen Versuch den Leuchter, obwohl sich diesmal kein \u00e4hnliches Object auf der Platte befand: die Contiguit\u00e4t hat hier unter verschiedenen Bedingungen zu demselben Erfolg gef\u00fchrt.\nEndlich weise ich noch auf ein Resultat hin, das nichts mit der Suggestion zu thun hat, sondern eine allgemeinere Bedeutung besitzt. An verschiedenen Stellen des Buches tritt die Thatsache hervor, dafs beim einfachen Reproductionsversuch Linien von ca. 10\u201412 mm durchschnittlich zu grofs, Linien von 50 \u201460 mm dagegen \u00fcberwiegend zu klein wiedergegeben werden. Binet und Henri haben diese Thatsache schon fr\u00fchei durch Versuche festgestellt; auch mir ist sie bei zahlreichen Experimenten an Schulkindern und Erwachsenen entgegengetreten. Hier dr\u00e4ngt sich die Frage auf, ob die T\u00e4uschung schon in der Wahrnehmung selbst oder erst w\u00e4hrend der Reproduction vor sich geht; es w\u00e4re f\u00fcr manche Theorien \u00fcber optische T\u00e4uschungen und Wirkungen des Gr\u00f6fsencontrastes von Interesse, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Jedenfalls ist aber die Thatsache als solche nicht ohne praktische Bedeutung f\u00fcr den Unterricht im Zeichnen.\tK. Groos (Giefsen).\nM. Moncalm. L\u2019origine de la pens\u00e9e et de la parole. Paris, F. Alcan, 1900.\n316 S.\nDer Verf. z\u00e4hlt auf der R\u00fcckseite des Vortitels die Werke auf, welche\nihm bei der Redaction seiner Arbeit gedient haben: neun Werke von Max\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nLiteraturbericht.\nM\u00fcller, zwei von Ch. Darwin, zwei von L. Noir\u00e9. Man kann schon aus dieser Aufz\u00e4hlung, aus dem veralteten und einseitigen Quellenmaterial, den Schlufs ziehen, dafs es sich nicht sowohl um F\u00f6rderung der im Titel bezeichneten Probleme handelt, als vielmehr darum, das Interesse f\u00fcr linguistische Fragen \u00fcberhaupt in Frankreich zu wecken und zu verbreiten. Wenn Max M\u00fcller, wie der Verf. in der Introduction angiebt, in Frankreich noch beinahe unbekannt ist, so, kann das Buch in dieser Hinsicht allerdings von Nutzen sein. Der Verf. sollte jedoch hierbei nicht stehen bleiben, sondern nunmehr seine Feder einer schwierigeren, aber auch lohnenderen Aufgabe widmen: er sollte das grofse Werk von Wundt \u00fcber die Sprache seinen Landsleuten zug\u00e4nglich machen. Er w\u00fcrde dabei lernen, dafs manche der Probleme, mit denen Max M\u00fcller nur geistreich spielt, inzwischen bereits eine befriedigende L\u00f6sung wirklich gefunden haben. Man kennt das Geschick der franz\u00f6sischen Autoren, auch schwierige und trockene Gegenst\u00e4nde in anziehender Form darzustellen. Der Verf. besitzt dieses Talent in reichem Maafse, und er w\u00fcrde darum mit einem solchen Versuche auch in Deutschland Leser und Anerkennung finden.\nLiebich (Breslau).\nE. Murisier. Le fanatisme religieux: \u00c9tude psychologique. Rev. philos. 50 (12), 561\u2014593. 1900.\nVerf. nimmt in der vorliegenden Abhandlung den Historikern ein St\u00fcck Arbeit ab. Die Psychologie war um so berechtigter, sich des Themas zu bem\u00e4chtigen, als die Untersuchungen im vorliegenden Falle ins Pathologische hin\u00fcberspielen.\nDas Ph\u00e4nomen des religi\u00f6sen Fanatismus ist bisher sowohl von den Psychologen als von den Alienisten nur stiefm\u00fctterlich behandelt worden. Man unterscheidet zwei Perioden des religi\u00f6sen Wahns, erstens die der Depression, n\u00e4mlich Angst, Zweifel, Teufelserscheinungen, zweitens die der Exaltation, n\u00e4mlich Hallucinationen, Weltfeindschaft, Theomanie u. s. w. Kraeet-Ebing rubricirt diese Kranken unter die Degenerirten, als Leute von schwachem Geiste, welche unf\u00e4hig sind, sich das moralische Element der Religion zu eigen zu machen.\nDie normal Religi\u00f6sen leben ein inneres und \u00e4ufseres Leben, sie f\u00fchlen und handeln, ihre seelischen Zust\u00e4nde befinden sich im Gleichgewicht. Es sind dies die Activ-Religi\u00f6sen. Bei ihnen w\u00fcrde der Mangel an Ber\u00fchrung mit der Aufsenwelt unangenehm empfunden werden. Bisweilen verwandelt jedoch die Anpassung an die Aufsenwelt auch einen Contemplativen in einen Activen. Anders der Mystiker, der Contemplative. Er will nur ein innerliches Leben f\u00fchren. Er verliert auf diese Weise die Gef\u00fchle f\u00fcr Familie, Staat u. s. w. Da er seine inneren Affectionen nicht zu ordnen vermag, so eliminirt er sie mit H\u00fclfe der Religion.\nDieselben Erscheinungen wie der Mystiker zeigt der Fanatiker: Perversion der moralischen und religi\u00f6sen Neigungen, Ascetentum, Bed\u00fcrfnifs nach einer Richtung, Visionen, Exstase. Das Ascetentum bildet gleichzeitig ein Zeichen und eine Ursache der Umwandlung des religi\u00f6sen Gef\u00fchls. Besonders erw\u00e4hnenswerth ist die Eliminirung des Gef\u00fchls f\u00fcr die Familie.","page":292}],"identifier":"lit32982","issued":"1902","language":"de","pages":"291-292","startpages":"291","title":"M. Moncalm: L'origine de la pens\u00e9e et de la parole. Paris, F. Alcan, 1900. 316 S","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:27:24.843952+00:00"}