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{"created":"2022-01-31T15:56:00.893745+00:00","id":"lit32983","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 292-293","fulltext":[{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nLiteraturbericht.\nM\u00fcller, zwei von Ch. Darwin, zwei von L. Noir\u00e9. Man kann schon aus dieser Aufz\u00e4hlung, aus dem veralteten und einseitigen Quellenmaterial, den Schlufs ziehen, dafs es sich nicht sowohl um F\u00f6rderung der im Titel bezeichneten Probleme handelt, als vielmehr darum, das Interesse f\u00fcr linguistische Fragen \u00fcberhaupt in Frankreich zu wecken und zu verbreiten. Wenn Max M\u00fcller, wie der Verf. in der Introduction angiebt, in Frankreich noch beinahe unbekannt ist, so, kann das Buch in dieser Hinsicht allerdings von Nutzen sein. Der Verf. sollte jedoch hierbei nicht stehen bleiben, sondern nunmehr seine Feder einer schwierigeren, aber auch lohnenderen Aufgabe widmen: er sollte das grofse Werk von Wundt \u00fcber die Sprache seinen Landsleuten zug\u00e4nglich machen. Er w\u00fcrde dabei lernen, dafs manche der Probleme, mit denen Max M\u00fcller nur geistreich spielt, inzwischen bereits eine befriedigende L\u00f6sung wirklich gefunden haben. Man kennt das Geschick der franz\u00f6sischen Autoren, auch schwierige und trockene Gegenst\u00e4nde in anziehender Form darzustellen. Der Verf. besitzt dieses Talent in reichem Maafse, und er w\u00fcrde darum mit einem solchen Versuche auch in Deutschland Leser und Anerkennung finden.\nLiebich (Breslau).\nE. Murisier. Le fanatisme religieux: \u00c9tude psychologique. Rev. philos. 50 (12), 561\u2014593. 1900.\nVerf. nimmt in der vorliegenden Abhandlung den Historikern ein St\u00fcck Arbeit ab. Die Psychologie war um so berechtigter, sich des Themas zu bem\u00e4chtigen, als die Untersuchungen im vorliegenden Falle ins Pathologische hin\u00fcberspielen.\nDas Ph\u00e4nomen des religi\u00f6sen Fanatismus ist bisher sowohl von den Psychologen als von den Alienisten nur stiefm\u00fctterlich behandelt worden. Man unterscheidet zwei Perioden des religi\u00f6sen Wahns, erstens die der Depression, n\u00e4mlich Angst, Zweifel, Teufelserscheinungen, zweitens die der Exaltation, n\u00e4mlich Hallucinationen, Weltfeindschaft, Theomanie u. s. w. Kraeet-Ebing rubricirt diese Kranken unter die Degenerirten, als Leute von schwachem Geiste, welche unf\u00e4hig sind, sich das moralische Element der Religion zu eigen zu machen.\nDie normal Religi\u00f6sen leben ein inneres und \u00e4ufseres Leben, sie f\u00fchlen und handeln, ihre seelischen Zust\u00e4nde befinden sich im Gleichgewicht. Es sind dies die Activ-Religi\u00f6sen. Bei ihnen w\u00fcrde der Mangel an Ber\u00fchrung mit der Aufsenwelt unangenehm empfunden werden. Bisweilen verwandelt jedoch die Anpassung an die Aufsenwelt auch einen Contemplativen in einen Activen. Anders der Mystiker, der Contemplative. Er will nur ein innerliches Leben f\u00fchren. Er verliert auf diese Weise die Gef\u00fchle f\u00fcr Familie, Staat u. s. w. Da er seine inneren Affectionen nicht zu ordnen vermag, so eliminirt er sie mit H\u00fclfe der Religion.\nDieselben Erscheinungen wie der Mystiker zeigt der Fanatiker: Perversion der moralischen und religi\u00f6sen Neigungen, Ascetentum, Bed\u00fcrfnifs nach einer Richtung, Visionen, Exstase. Das Ascetentum bildet gleichzeitig ein Zeichen und eine Ursache der Umwandlung des religi\u00f6sen Gef\u00fchls. Besonders erw\u00e4hnenswerth ist die Eliminirung des Gef\u00fchls f\u00fcr die Familie.","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n293\nDaf\u00fcr aber sucht er Anschlufs an eine Gesellschaft Gleichgesinnter. Der Fanatiker findet den Frieden in einem socialen Medium, wo dieselben Suggestionen in fortgesetzter Wiederholung ihn aufrecht erhalten, d. h. in einer gr\u00f6fseren oder kleineren Gesellschaft, die absolut gleichf\u00f6rmig und best\u00e4ndig ist. Nach der Ansicht der Fanatiker erf\u00fcllt die Religion ihre psycho-sociale Pflicht auf dreifache Art, indem sie erstens die Glaubenss\u00e4tze, zweitens die Handlungen und die F\u00fchrung, drittens die Gef\u00fchle und Dispositionen der Mitglieder der Gemeinschaft uniformirt. Das Streben nach Gleichf\u00f6rmigkeit offenbart sich in dem Kampfe gegen die H\u00e4resieen. Der Fanatiker f\u00fchrt selbst gegen die am allerwenigsten gef\u00e4hrlichen Meinungen Krieg und zwar nur deshalb, weil sie innerhalb seines Milieus Unterschiede herbeif\u00fchren. Er glaubt dabei als Werkzeug Gottes zu handeln. In summa wird die religi\u00f6se Idee bei ihm zu einer socialen Kraft, weil der Fanatiker das Bed\u00fcrfnifs sp\u00fcrt, dem Medium angepafst zu bleiben, das seiner Ansicht nach von einer h\u00f6heren Macht besch\u00fctzt wird, und in dessen Mitte er Ruhe und Frieden findet.\nEine der h\u00e4ufigsten Beobachtungen ist, dafs \u00fcberall, wo der Einflufs der Religion verschwindet oder sich abschw\u00e4cht, Zerfall eintritt. Umgekehrt \u00fcbt die religi\u00f6se Idee einen Druck aus auf die Glaubenss\u00e4tze, Acte und Gef\u00fchle. Die Religionen beg\u00fcnstigen die mittelm\u00e4fsigen Menschen d. h. diejenigen, welche als Nachahmer Anderer die Urtheile und Gef\u00fchle seines Milieus absorbiren und auf diese Weise einen Repr\u00e4sentanten derselben darstellen. Der Fanatismus entwickelt sich bisweilen bei relativ gesunden und normalen Menschen, bei schwachen Geistern tritt er mit um so gr\u00f6fserer Heftigkeit auf. Der Fanatiker zerst\u00f6rt Alles, was aufserhalb seines kirchlichen Ichs bleibt.\tGiessleb (Erfurt).\nH. Taine. De la volont\u00e9: Fragments in\u00e9dits. Rev. philos. 50 (11), 441\u2014480. 1900.\nDer Genufs einer rein psychologischen Arbeit d. h. rein psychologischer Analysen wird Einem in der Jetztzeit, wo die Psychologie auf m\u00f6glichst viele angrenzende Gebiete sich zu verbreiten strebt, seltener geboten. Um so freudiger begr\u00fcfsen wir die Ver\u00f6ffentlichung der vorliegenden psychologischen Fragmente aus dem Nachlasse des ber\u00fchmten Gelehrten, wenn auch ihr Inhalt nicht so bedeutend ist wie der anderer Arbeiten Taine\u2019s.\nEs sind eine Reihe von Einzeluntersuchungen. Die bez\u00fcglichen Themata des ersten Theiles fafst T. unter der Ueberschrift Conflit des tendances zusammen: 1. Vergleich von Empfindungen mit Empfindungen. Man kann Denkempfindungen (sensations cognitives) von impulsiven Empfindungen unterscheiden. An letztere ist alles Impulsive, vor allem Vergn\u00fcgen und Schmerz gebunden. Das eigentliche Wesen des organischen Individuums ist im System der impulsiven Nerven concentrirt. Die Denknerven sind nicht die Repr\u00e4sentanten des Organismus, sondern sie geh\u00f6ren zu der Function, durch welche \u00e4ufsere Objecte zu Bildern werden. Die impulsiven Nerven dagegen repr\u00e4sentiren den Organismus in seinen Beziehungen zum Bewufstsein. 2. Empfindungen verglichen mit Bildern und bstracten Ideeen. Die russischen Soldaten legten sich in den Schnee","page":293}],"identifier":"lit32983","issued":"1902","language":"de","pages":"292-293","startpages":"292","title":"E. Murisier: Le fanatisme religieux: \u00c9tude psychologique. Rev. philos. 50 (12), 561-593. 1900","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:56:00.893750+00:00"}