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{"created":"2022-01-31T16:25:19.106570+00:00","id":"lit32986","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Saxinger","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 297-298","fulltext":[{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n297\nH. Schwarz. Das sittliche Leben. Eine Ethik anf psychologischer Grundlage, nebst einem Anhang: Nietzsche\u2019s Zarathustra-Lehre. Berlin, Reuther u. Reichard, 1901. 417 S. 7 Mk.\nDas Buch ist ebenso wie des Verfassers Willenspsychologie (Vgl. diese Zeitschrift 27, S. 437) anregend und \u00fcbersichtlich geschrieben. Auch hier versteht es Schwarz die Probleme klar herauszuarbeiten und seine Anschauungen in lichtvoller Darstellung vorzuf\u00fchren. Sympathisch ber\u00fchrt der Freimuth, mit dem Schwarz auch in diesem Werke seine metaphysischen Ansichten vertritt.\nDie Einleitung des Buches bringt im Umrifs die Gesetze unseres Willenslebens. Der erste Theil des Werkes enth\u00e4lt die Personwerthmoral oder die Lehre von der sittlichen Selbstbejahung. Diese gr\u00fcndet sich auf das erste Normgesetz des synthetischen Vorziehens: Das Wollen vom eigenen Personwerth steht \u00fcber dem Wollen vom eigenen Zustandswerth. Im ersten Hauptst\u00fcck behandelt der Verf. die Begriffe des sittlich Guten, der sittlichen Gesinnung und der sittlichen Freiheit. Der Verf. zeigt, dafs der Cardinalbegriff der Ethik nicht der Begriff des sittlich Guten, sondern der des sittlich Besseren ist. Auf letzteren f\u00fchren unmittelbar die Acte des synthetischen Vorziehens. Ersterer dagegen steht mit einfacheren Willenserlebnissen, den Gefallensacten im Zusammenhang. Wie der Verf. weiter ausf\u00fchrt, giebt es ein unmittelbares Gefallen am richtigen und ein unmittelbares Mifsfallen am falschen Vorziehen (W\u00e4hlen). Ein eigenth\u00fcm-liches inneres Gericht (Gewissen) ist die Begleiterscheinung dieses Gefallens bezw. Mifsf aliens. Wer sich von solchem unmittelbaren Gefallen am richtigen Vorziehen leiten l\u00e4fst, der besitzt die richtige sittliche Gesinnung. Da der Mensch im psychologischen und im metaphysischen Sinne willensfrei ist, so ist er im Stande, sich sittliche Freiheit zu erringen. Als sittlich frei gilt derjenige, der auch abdr\u00e4ngenden Motiven gegen\u00fcber die Kraft hat, sittliche Entschl\u00fcsse zu fassen. Der Hauptfeind, gegen den sich das selbsterzieherische Thun wenden mufs, ist die L\u00fcge des Bewufst-seins. Wir pflegen uns n\u00e4mlich sowohl \u00fcber die Motive der Handlungen als auch \u00fcber die Beweggr\u00fcnde der Meinungen zu t\u00e4uschen. Der Verf. macht uns mit drei Methoden des sittlichen Freimachens bekannt: die religi\u00f6se Methode, die Associationsmethode und die Gew\u00f6hnungsmethode. An die Lehre von der sittlichen Selbsterziehung schliefst Schwarz ein Capitel \u00fcber die sittliche Erziehung Anderer an.\nIm zweiten Hauptst\u00fcck wird gezeigt, wie die Menschen auf verschiedene Art ihren pers\u00f6nlichen Werth suchen, und wie f\u00fcr den Unterschied zwischen wahrem und falschem Personwerth einzig und allein das Moment der Innerlichkeit in Betracht kommt. Die Quelle des H\u00f6her-werthens des mehr Inneren, Geistigen, Seelischen ist aber die schon erw\u00e4hnte synthetische Vorziehensnorm. Hierher geh\u00f6ren auch die Begriffe der Gerechtigkeit und Billigkeit, von welchen Definitionen gegeben werden.\nDer zweite Theil des Buches behandelt die Fremdwerthmoral oder die Lehre von der sittlichen Selbstverneinung. Das Grundgesetz dieses Zweiges der Ethik ist das zweite Normgesetz des synthetischen Vorziehens: Das Wollen von Fremdwerthen steht \u00fcber allem selbstischen Wollen. Die sittliche W\u00fcrde selbstlosen Wollens ist nicht an die Hingabe an einen be-","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nLiteraturbericht.\nstimmten Fremdwerth gebunden. Der Hingabewille als solcher ist es vielmehr, den wir in den Acten des synthetischen Vorziehens billigen m\u00fcssen. Nicht nur das selbstlose Wollen altruister Fremdwerthe, sondern auch das selbstlose Wollen inaltruistischer (impersonaler) Fremdwerthe gilt f\u00fcr sittlich. Daher wird die Selbstent\u00e4ufserung in den F\u00e4llen der Hingabe an Gott, an Gemeinwesen und an die Menschheit sittlich hochgesch\u00e4tzt. Soviel aus dem ersten Hauptst\u00fcck dieses Theiles. Im folgenden Hauptst\u00fcck deckt der Verf. die verschiedenen Arten falscher Tugenden auf und zeigt, was wahre Tugend ist. Er untersucht hier eingehend das Wesen und die Bedeutung der sittlichen Hingabe und bespricht die sittlichen Aufgaben, die Tugenden der sittlichen R\u00fccksichtnahme und endlich die Tugenden der Pflichttreue und Humanit\u00e4t. Die Vorbedingung, dafs man das, w^as man selbstlos sittlich thue, als seine Aufgabe empfinde, ist das Erleben entsprechender nat\u00fcrlicher Antriebe. Schwarz widerlegt dann in ausf\u00fchrlicher Weise die Einwendungen, welche gegen die Lehre erhoben werden k\u00f6nnten, dafs wahrhafte Hingabesittlichkeit nur aus Neigungen hervorgehen k\u00f6nne. Das dritte Hauptst\u00fcck ist dem Problem der selbstlos sittlichen Gesinnung gewidmet. Der Kern der sittlichen Gesinnung ist unselbstisches Pflichtbewufstsein. Die sittliche Gesinnung besteht nicht darin, dafs man einem losgel\u00f6sten (transcendenten) Sittlichkeitsschema f\u00fcr sich folgt. Sie ist Liebe zu allen und den verschiedensten Aufgaben, zu denen uns das (immanente) synthetische Vorziehen ruft. Wir folgen dem synthetischen Vorziehen, das uns an der Hand unselbstischer Neigungen f\u00fchrt. Die Bereitwilligkeit zu jeglicher moralischen Aufgabe ist die eine Seite der selbstlos sittlichen Gesinnung. Die andere ist, dafs man unter den verschiedenen Aufgaben diejenige voranstellt, die sich bei sittlicher Ueberlegung als die h\u00f6chste erweist. Die h\u00f6chste sittliche Aufgabe f\u00fcr uns Menschen ist die Mitarbeit in einem Gemeinwesen. In sch\u00f6nen Worten \u00fcber den socialen Werth des Familienlebens und den sittlichen Begriff des Nationalstaates klingt das Werk aus.\nIm Anhang entwirft der Verf. mit kr\u00e4ftigen Strichen ein Bild von Nietzsche\u2019s Zarathustralehre.\tSaxingeb (Linz).\nBuchholz. Ueber die Aufgaben des \u00e4rztlichen Sachverst\u00e4ndigen bei der Beur-theilung Imbeciller. Allgemeine Zeitschrift f\u00fcr Psychiatrie und psych.-\ngerichtliche Med. 57 (2 u. 3), 340\u2014396. 1901.\nDie krankhafte geistige Schw\u00e4che ist von der als krankhaft noch nicht zu bezeichnenden mangelhaften Begabung nicht durch eine scharfe Grenze geschieden. Strafrechtlich kommt andererseits die Imbeeillit\u00e4t in Betracht, wenn die durch die geistige Schw\u00e4che gegebenen krankhaften Factoren geeignet sind, die Willens\u00e4ufserungen zu beeinflussen. Somit fallen die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit im klinischen und strafrechtlichen Sinne nicht zusammen. Eine weitere Schwierigkeit. erw\u00e4chst dem Sachverst\u00e4ndigen daraus, dafs er mit seinem Gutachten Laien, Richter oder Geschworene \u00fcberzeugen will. Alle diese Schwierigkeiten werden sich besonders dann geltend machen, wenn die Schw\u00e4che weniger das intellectuelle als das ethische Gebiet betrifft, wenn das Individuum","page":298}],"identifier":"lit32986","issued":"1902","language":"de","pages":"297-298","startpages":"297","title":"H. Schwarz: Das sittliche Leben. Eine Ethik auf psychologischer Grundlage, nebst einem Anhang: Nietzsche's Zarathustra-Lehre. Berlin, Reuther u. Reichard, 1901. 417 S.","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:25:19.106575+00:00"}