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{"created":"2022-01-31T16:23:59.282529+00:00","id":"lit32989","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schultze, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 300-301","fulltext":[{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nLiteraturbericht.\nHinsichtlich des Grades unterscheidet er drei Hauptgruppen, die Schwachbef\u00e4higten, die Schwachsinnigen und die Bl\u00f6dsinnigen, welche Gruppen nat\u00fcrlich nicht scharf von einander getrennt sind. Ein wie warmes -Herz Verf. f\u00fcr diese bedauernswerthen Individuen schl\u00e4gt, zeigen seine Ausf\u00fchrungen \u00fcber die Erziehung minderwerthiger Kinder in ethischer und intellectueller Beziehung. Vor Allem legt er und durchaus mit Recht darauf grofsen Werth, dafs eine saehgem\u00e4fse Behandlung durch den Lehrer den \u00fcbrigen geistig gesunden Kindern eine zutreffende Beurtheilung ihrer minder gut situirten Kameraden und Mitleid mit ihnen einfl\u00f6fst.\nMit der Schule allein ist es nicht gethan ; das beweist schon die st\u00e4ndige Zunahme der Zahl jugendlicher Verbrecher. Mit R\u00fccksicht darauf verlangt Verf., dafs f\u00fcr die Schwachbef\u00e4higten und Schwachsinnigen die Schulpflicht um 2 Jahre hinausgeschoben wird, dafs die H\u00fclfsschule auch Handfertigkeitsunterricht mit Zuh\u00fclfenahme von Werkst\u00e4tten in ihren Lehrplan aufnimmt; so kann festgestellt werden, welcher Beruf den jeweiligen F\u00e4higkeiten am meisten entspricht. Darnach kommen sie zu einem Lehrmeister, dem f\u00fcr .gute Ausbildung der Staat eine Pr\u00e4mie zahlen sollte, unter st\u00e4ndiger Ueberwachung durch die Anstaltsbeamten. Dafs sich f\u00fcr die genannten Kategorien landwirtschaftliche Arbeiten sehr wohl eignen, wird den Psychiater nicht Wunder nehmen; auch hier hat die H\u00fclfsschule den Boden zu ebnen. Jedenfalls bed\u00fcrfen diese Minderwertigen auch sp\u00e4terhin der F\u00fcrsorge und Beaufsichtigung, f\u00fcr die, falls Eltern nicht ein-treten k\u00f6nnen, besondere Veranstaltungen zu treffen sind.\nSchliefslich bringt Verf. noch einige Bemerkungen \u00fcber die civil-reehtliche Behandlung, die, jedenfalls was die Pflegschaft angeht, weniger zutreffen. Verf. h\u00e4lt es ferner f\u00fcr geboten, bei den Schwachsinnigen den Nacheid einzuf\u00fchren. Wenn Verf. schliefslich behauptet, dafs viele geistig Minderwertige zu Unrecht beim Milit\u00e4r eingestellt, und dafs diese gerade so viele milit\u00e4rische Vergehen sich zu Schulden kommen lassen, so kann man dem nur beistimmen. Auch nach der Richtung hin soll der Lehrer auf kl\u00e4rend wflrken.\tErnst Schul tze (Andernach).\nForel. Ueber die Zurechnungsf\u00e4higkeit des normalen Menschen. Vortr. 5. Aufl.\nM\u00fcnchen, Ernst Reinhardt, 1901. 27 S. Mk. 0,80.\nSo sehr jeder Mensch das Gef\u00fchl der Freiheit seiner Entschl\u00fcsse hat, so ist die Willensfreiheit doch nur eine Illusion, die auf der Unkenntnifs der Motive unserer Handlungen beruht. Wir haben hier vielmehr zu rechnen mit der Plasticit\u00e4t der Seele oder des Gehirns d. h. mit der F\u00e4higkeit, neue Combinationen am alten zu bilden, sich neuen Verh\u00e4ltnissen anzuschmiegen. Andererseits giebt es instinctive oder automatische Triebe von verschiedener Intensit\u00e4t, die den Eindruck der Gebundenheit hervor-rufen. Indefs ist der Gegensatz nur ein relativer. Phylogenetisch betrachtet sind die Instincte nichts anderes als der Ausdruck der alten, vererbten Eigenschaften unserer Ahnen, w\u00e4hrend umgekehrt die plastische Seelenarbeit j\u00fcngsten Datums ist.\nDer Begriff der Willensfreiheit d. i. der F\u00e4higkeit, unser Denken, F\u00fchlen, Handeln an alle \u00e4ufseren und inneren Verh\u00e4ltnisse m\u00f6glichst entsprechend und geordnet anzupassen, ist ein relativer, und ebenso auch der","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n301\nBegriff der Zurechnungsf\u00e4higkeit. Damit werden nur die Ueberg\u00e4nge von einem unzurechnungsf\u00e4higen vierj\u00e4hrigen Kinde zu dem zurechnungsf\u00e4higen Erwachsenen verst\u00e4ndlich; vor Allem wird auch der Begriff der verminderten Zurechnungsf\u00e4higkeit klarer, der nur eine stufenweise Ver\u00e4nderung der plastischen ad\u00e4quaten Anpassungsf\u00e4higkeit besagen will. Auch unter den sogenannten gesunden, normalen Menschen finden sich alle m\u00f6glichen Stufen der Zurechnungsf\u00e4higkeit.\nDer Begriff der Zurechnungsf\u00e4higkeit setzt eine solidarische Gemeinschaft gleicher Wesen mit gleichen Rechten und Pflichten voraus: das Einzelindividuum mufs sich dem Wohle der Gemeinschaft unterordnen, die rein egoistischen Triebe unterdr\u00fccken. Wer antisocial handelt, mufs untergehen im Interesse der Gemeinschaft. Das gilt nicht nur f\u00fcr Menschen, sondern auch f\u00fcr Thiere, vor Allem f\u00fcr relativ nicht hoch organisirte Thiere wie die Ameisen. W\u00e4hrend aber bei diesen sociale Automatismen sich m\u00e4chtig entwickeln, sind Instincte beim Menschen weniger ausgebildet ; hier \u00fcberwiegen vielmehr plastische Ueberlegungen und k\u00fcnstliche H\u00fclfs-mittel wie Gesetze und Sitten. Sociale Instincte sind bei den Menschen zu wenig ausgebildet; ihrer bedarf der Zukunftsmensch mehr, was durch rationelle Zuchtwahl vielleicht erreicht werden k\u00f6nnte.\nNur der ist ganz unzurechnungsf\u00e4hig, welcher vollst\u00e4ndig gebunden ist und sich nicht mehr anpassen kann. Einseitig hochbegabte geniale Menschen sind in anderer Hinsicht so gebunden, dafs man von Unzurechnungsf\u00e4higkeit reden kann. Der eine ist eben auf diesem, der andere auf jenem Gebiete st\u00e4rker gebunden und somit weniger anpassungsf\u00e4hig. Die wahre Ethik kann aus dieser Auffassung der Zurechnungsf\u00e4higkeit als eines so relativen Begriffs nur gewinnen.\nMit einigen Ausblicken auf die Zukunft, die die wahre Zurechnungsf\u00e4higkeit zu erh\u00f6hen bezwecken, schliefst Verf. seine Arbeit* die einem in der schweizerischen Gesellschaft f\u00fcr ethische Cultur in Z\u00fcrich gehaltenen Vortrage entspricht.\tErnst Schultze (Andernach).\nK. Bonhoefeer. Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker. Jena,\nFischer, 1901. 226 S. Mk. 5,00.\nDem r\u00fchrigen Verlage von G. Fischer verdanken wir wieder eine Monographie aus dem Gebiete der klinischen Psychiatrie, die vierte innerhalb weniger Monate \u2014 zugleich ein Zeichen, wie emsig auch auf diesem Specialgebiet der klinischen Medicin gearbeitet wird.\nDie vorliegende Arbeit giebt eine vorz\u00fcgliche Darstellung der acuten psychischen Ver\u00e4nderungen, die auf dem Boden der chronischen Alkoholvergiftung erwachsen. Damit ist freilich die Aetiologie dieser Zust\u00e4nde nicht hinreichend aufgekl\u00e4rt, auch nicht, wenn man noch Heredit\u00e4t und psychopathische Anlage hinzunimmt. Es mag \u00fcberhaupt dahingestellt bleiben, ob man von einer Specificit\u00e4t der alkoholistischen Psychosen reden darf. Damit ist aber keineswegs die Berechtigung und Nothwendigkeit eingehender, symptomatologischer Untersuchungen widerlegt, und um so reichlicher wird die Ausbeute, um so gr\u00f6fser der praktische Nutzen hinsichtlich der Differenzirung \u00e4hnlicher Symptomencomplexe sein, wenn ein","page":301}],"identifier":"lit32989","issued":"1902","language":"de","pages":"300-301","startpages":"300","title":"Forel: Ueber die Zurechnungsf\u00e4higkeit des normalen Menschen. Vortr. 5. Aufl. M\u00fcnchen, Ernst Reinhardt, 1901. 27 S.","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:23:59.282535+00:00"}