The Virtual Laboratory - Resources on Experimental Life Sciences
  • Upload
Log in Sign up

Open Access

K. Bonhoeffer: Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker. Jena, Fischer, 1901. 226 S.

beta


JSON Export

{"created":"2022-01-31T16:08:02.317095+00:00","id":"lit32990","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schultze, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 28: 301-303","fulltext":[{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n301\nBegriff der Zurechnungsf\u00e4higkeit. Damit werden nur die Ueberg\u00e4nge von einem unzurechnungsf\u00e4higen vierj\u00e4hrigen Kinde zu dem zurechnungsf\u00e4higen Erwachsenen verst\u00e4ndlich; vor Allem wird auch der Begriff der verminderten Zurechnungsf\u00e4higkeit klarer, der nur eine stufenweise Ver\u00e4nderung der plastischen ad\u00e4quaten Anpassungsf\u00e4higkeit besagen will. Auch unter den sogenannten gesunden, normalen Menschen finden sich alle m\u00f6glichen Stufen der Zurechnungsf\u00e4higkeit.\nDer Begriff der Zurechnungsf\u00e4higkeit setzt eine solidarische Gemeinschaft gleicher Wesen mit gleichen Rechten und Pflichten voraus: das Einzelindividuum mufs sich dem Wohle der Gemeinschaft unterordnen, die rein egoistischen Triebe unterdr\u00fccken. Wer antisocial handelt, mufs untergehen im Interesse der Gemeinschaft. Das gilt nicht nur f\u00fcr Menschen, sondern auch f\u00fcr Thiere, vor Allem f\u00fcr relativ nicht hoch organisirte Thiere wie die Ameisen. W\u00e4hrend aber bei diesen sociale Automatismen sich m\u00e4chtig entwickeln, sind Instincte beim Menschen weniger ausgebildet ; hier \u00fcberwiegen vielmehr plastische Ueberlegungen und k\u00fcnstliche H\u00fclfs-mittel wie Gesetze und Sitten. Sociale Instincte sind bei den Menschen zu wenig ausgebildet; ihrer bedarf der Zukunftsmensch mehr, was durch rationelle Zuchtwahl vielleicht erreicht werden k\u00f6nnte.\nNur der ist ganz unzurechnungsf\u00e4hig, welcher vollst\u00e4ndig gebunden ist und sich nicht mehr anpassen kann. Einseitig hochbegabte geniale Menschen sind in anderer Hinsicht so gebunden, dafs man von Unzurechnungsf\u00e4higkeit reden kann. Der eine ist eben auf diesem, der andere auf jenem Gebiete st\u00e4rker gebunden und somit weniger anpassungsf\u00e4hig. Die wahre Ethik kann aus dieser Auffassung der Zurechnungsf\u00e4higkeit als eines so relativen Begriffs nur gewinnen.\nMit einigen Ausblicken auf die Zukunft, die die wahre Zurechnungsf\u00e4higkeit zu erh\u00f6hen bezwecken, schliefst Verf. seine Arbeit* die einem in der schweizerischen Gesellschaft f\u00fcr ethische Cultur in Z\u00fcrich gehaltenen Vortrage entspricht.\tErnst Schultze (Andernach).\nK. Bonhoefeer. Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker. Jena,\nFischer, 1901. 226 S. Mk. 5,00.\nDem r\u00fchrigen Verlage von G. Fischer verdanken wir wieder eine Monographie aus dem Gebiete der klinischen Psychiatrie, die vierte innerhalb weniger Monate \u2014 zugleich ein Zeichen, wie emsig auch auf diesem Specialgebiet der klinischen Medicin gearbeitet wird.\nDie vorliegende Arbeit giebt eine vorz\u00fcgliche Darstellung der acuten psychischen Ver\u00e4nderungen, die auf dem Boden der chronischen Alkoholvergiftung erwachsen. Damit ist freilich die Aetiologie dieser Zust\u00e4nde nicht hinreichend aufgekl\u00e4rt, auch nicht, wenn man noch Heredit\u00e4t und psychopathische Anlage hinzunimmt. Es mag \u00fcberhaupt dahingestellt bleiben, ob man von einer Specificit\u00e4t der alkoholistischen Psychosen reden darf. Damit ist aber keineswegs die Berechtigung und Nothwendigkeit eingehender, symptomatologischer Untersuchungen widerlegt, und um so reichlicher wird die Ausbeute, um so gr\u00f6fser der praktische Nutzen hinsichtlich der Differenzirung \u00e4hnlicher Symptomencomplexe sein, wenn ein","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nLiteraturbericht.\nso reichliches Material zu Gebote steht. Rechnet doch Verf. bei den Er\u00f6rterungen \u00fcber Mortalit\u00e4t mit der gewaltigen Zahl von 1077 Deliriumf\u00e4llen.\nVerf. unterscheidet Delirium tremens (als Unterform die durch schwereren Verlauf gekennzeichneten atypischen Delirien), das chronische Delir oder die KoRSAKOw\u2019sche Psychose, die acute Hallucinose der Trinker und schliefslich kurz dauernde Bewufstseinsst\u00f6rungen der chronischen Alkoholisten. Er bespricht eingehend und anschaulich, unter steter Bezugnahme auf die in der einschl\u00e4gigen Literatur niedergelegten Angaben und seine eigenen Beobachtungen, die Symptomatologie, den Verlauf, die pathologische Anatomie, die Aetiologie, die Pathogenese, die Diagnose, Prognose und Therapie der verschiedenen Zust\u00e4nde.\nWenn auch die Arbeit, wie schon der Titel sagt, vorwiegend eine klinische Studie ist, so bringt sie doch vieles, was auch dem Psychologen interessant ist. Das zeigt sich schon gleich im Anfang des Buches bei der lebendigen Schilderung eines Falles von Delirium tremens auf der H\u00f6he des Verlaufes und der sich anschliefsenden Analyse des so eigenartigen Krankheitsbildes.\nHierbei ist n\u00e4mlich die Perceptionssch\u00e4rfe der Sinnesorgane im Allgemeinen nicht herabgesetzt. Dr\u00fcckt man aufs Auge (Liepmann), so hat der Kranke Sinnest\u00e4uschungen, was sich ungezwungen daraus erkl\u00e4rt, dafs undeutliche SinneswTahrnehmungen, wTie es die Druckphosphene sind, die Neigung zu illusioniren vermehren. Ebenfalls wirkt die Lenkung der Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Sinnesgebiet mit. Somit sind centrale Vorg\u00e4nge von wesentlicher Bedeutung f\u00fcr das Zustandekommen der Sinnest\u00e4uschungen. Die Aufmerksamkeit kann unter besonderen Verh\u00e4ltnissen f\u00fcr eine kurze Zeit ann\u00e4hernd die Sch\u00e4rfe des Gesunden erreichen; sie versagt aber bald, und damit h\u00e4ngt die Neigung zusammen, sich zu versprechen, zu verh\u00f6ren und zu verlesen; beim Verlesen ist die SchwT\u00e4che des Convergenzactes nicht ohne Bedeutung. Vorgehaltene Bilder werden oft verkannt im Sinne einer inneren Aehnlichkeit. Die Zielvorstellung entbehrt der Intensit\u00e4t, durch die sie unter den concurrirenden, associativ verwandten Begriffen in das Bewufstsein gehoben wrird. Die associativ angeregten Vorstellungen aus benachbarten Gebieten erhalten oft einen hallucinatorischen Charakter, so dafs man von einem ideenfl\u00fcchtigen Charakter der Sinnest\u00e4uschungen sprechen kann. Aehnliches gilt von den akustischen Verkennungen. Der D\u00e9lirant associirt also meist sinngem\u00e4fs, w\u00e4hrend bei der acuten Alkoholvergiftung nach Kr\u00e4pelin und Aschaffenburg Klangassociationen \u00fcberwiegen. Sehr grofs ist die Suggestibilit\u00e4t der Deliranten, besonders auf optischem Gebiete und in der Auffassung des Bildes der Aufsenwelt sowie der Defecte der Merkf\u00e4higkeit. Die Com-binationsf\u00e4higkeit hat, w7ie Versuche mit der Ebbinghaus sehen Combinations-methode beweisen, Noth gelitten. Der Kranke ist desorientirt. Das Per-s\u00f6nlichkeitsbewufstsein ist erhalten, ebenso der geistige Besitzstand der Deliranten. Schliefslich kommen noch hinzu pathologische Affecte der Angst und Euphorie.\n:\tBemerkenswert!! ist, dafs Verf. in der Aetiologie des Deliriums dei","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n303\npl\u00f6tzlichen Alkoholabstinenz doch nicht jede Bedeutung abspricht, wie es heute geschieht.\nGelegentlich der Differentialdiagnose hebt er hervor, dafs die Epileptiker viel \u00e4rmer an Associationen sind und zudem sehr dazu neigen, dasselbe Wort zu wiederholen.\nEine eingehende Schilderung entwirft er von der KoRSAKOw\u2019schen Psychose, die man zutreffend auch als amnestischen Svmptomencomplex bezeichnet. Hier findet sich eine so hochgradige St\u00f6rung der Merkf\u00e4higkeit, dafs sie selbst bei der oberfl\u00e4chlichsten Untersuchung nicht \u00fcber-.sehen werden kann. Es besteht keine Erinnerung an die zeitliche Succession der Ereignisse, ein Defect, welcher sich auch r\u00fcckw\u00e4rts erstreckt. Die Orientirung ist verloren; oft findet sich geradezu eine Desorientirtheit im .Sinne l\u00e4ngst vergangener Situationen. Die Kranken neigen zu oft recht -phantastischen Confabulationen ; dabei ist die Besonnenheit intact, ebenso .das Ged\u00e4chtnifsmaterial.\nDie acute Hallucinose unterscheidet sich von dem Delirium durch ein -Vorwiegen der akustischen Hallucinationen, Beziehungswahn, Erkl\u00e4rungs-w^ahn, Angstaffeete bei erhaltener \u00f6rtlicher Orientirung. Die geistigen Arbeiter sind bevorzugt im Vergleiche zu den k\u00f6rperlichen. Warum bei dem einen chronischen Alkoholisten ein Delirium, bei dem anderen eine Hallucinose ausbricht, liegt vielleicht daran, dafs die letztere eine specifische Reactionsform solcher Alkoholisten ist, deren akustisches Wahrnehmungsund Vorstellungsgebiet in Folge individueller Veranlagung besonders erregbar ist.\tErnst Schultze (Andernach).\nRobert Ga\u00fcpp. Die Dipsomanie. Eine klinische Studie. Jena, Gustav Fischer, 1901. 161 S.\nNach einem Ueberblick \u00fcber die geschichtliche Entwickelung der Lehre von der Dipsomanie, bei der besonders ber\u00fccksichtigt wird, war.um man zu einer einheitlichen Auffassung der Dipsomanie nicht kam, bringt Verf. eine Reihe von zum Theil recht ausf\u00fchrlichen Krankengeschichten und giebt im Anschlufs daran eine zusammenfassende Darstellung.\nDie Dipsomanie oder die periodische Trunksucht ist gekennzeichnet durch das anfallsweise Auftreten eigenth\u00fcmlicher Zust\u00e4nde, in denen nach Vorausgehen einer gem\u00fcthlichen Verstimmung der unwiderstehliche Trieb nach Genufs berauschender Getr\u00e4nke erscheint, zu heftigen Ausschweifungen treibt, mit einer leichteren oder tieferen Bewufstseinstr\u00fcbung und entsprechendem Verhalten der R\u00fcckerinnerung einhergeht, von selber schwindet und einem mehr oder minder gesunden Zustande Platz macht. Vor Allem verdienen Beachtung bei der Dipsomanie die initialen Anf\u00e4lle einer psychologisch nicht motivirten Verstimmung, die sich bei den Kranken auch dann einstellen, wenn eine Alkoholzufuhr unm\u00f6glich ist.\nAndererseits haben Kr\u00e4pelin und Aschaffenburg dargethan, dafs solche periodische Verstimmungen sich gerade bei Epileptikern finden, bei denen auch sonstige epileptische Zuf\u00e4lle psychischer oder somatischer Art nachweisbar sind. In anderen F\u00e4llen sind sie ein Fr\u00fchsymptom, das den schwersten Symptomen der unzweifelhaften Epilepsie lange vorausgeht; deshalb ent-","page":303}],"identifier":"lit32990","issued":"1902","language":"de","pages":"301-303","startpages":"301","title":"K. Bonhoeffer: Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker. Jena, Fischer, 1901. 226 S.","type":"Journal Article","volume":"28"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:08:02.317100+00:00"}

VL Library

Journal Article
Permalink (old)
http://vlp.uni-regensburg.de/library/journals.html?id=lit32990
Licence (for files):
Creative Commons Attribution-NonCommercial
cc-by-nc

Export

  • BibTeX
  • Dublin Core
  • JSON

Language:

© Universitätsbibliothek Regensburg | Imprint | Privacy policy | Contact | Icons by Font Awesome and Icons8 | Powered by Invenio & Zenodo