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{"created":"2022-01-31T16:06:49.507832+00:00","id":"lit33060","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hoppe","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 33: 389-392","fulltext":[{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur bericht.\n389\nAnsicht des Verf. \u201ebildet den prim\u00e4ren Kern des Stotterns die \u00dcbertreibung des konsonantischen Elements der Sprache, zu dem nicht nur die eigentlichen Konsonanten geh\u00f6ren, sondern auch der Verschlufslaut der Stimmb\u00e4nder (der spiritus lenis der Griechen) . . . Diese \u00dcbertreibung der Konsonanten kann in einer zu langen Dauer (sog. tonisches Stottern) oder in einer mehrmaligen Wiederholung (sog. klonisches Stottern) bestehen. Die, \u00dcbertreibung der Konsonanten wird auf Grund einer ererbten oder erworbenen nerv\u00f6sen Disposition durch verschiedene Sch\u00e4dlichkeiten hervorgerufen\u201c (S. 4). \u2014 Bez\u00fcglich der Therapie des Stotterns h\u00e4lt Liebmann \u201ealle Atmungs-, Stimm- und Artikulations\u00fcbungen f\u00fcr entbehrlich. Man kommt ohne sie schneller und leichter zum Ziele.\u201c An einer Reihe von 14 konkreten F\u00e4llen zeigt der Verf. in vollendeter Weise, wie die \u201eBehandlung vorwiegend eine psychische sein mufs\u201c. Man mufs die Tatsache ins Auge fassen, dafs der Stotterer beim Alleinsein fliefsend spricht und dafs nur bestimmte Situationen das \u00dcbel hervorrufen. \u201eWir m\u00fcssen den Stotterer gew\u00f6hnen, auch in schwierigeren Situationen ohne Angst und Lautfurcht zu reden und ohne jede \u00dcbertreibung des konsonantischen Elementes. Ich lasse deshalb die Patienten gleich in der ersten Sitzung mit gedehnten Vokalen sprechen. Indem die Patienten so fliefsend reden, bekommen sie sofort Selbstvertrauen. Die Angst schwindet. Die Eede bessert sich meist mit einem Schlage. Man kann meist schon in der ersten Konsultation zu einer nat\u00fcrlichen Sprache \u00fcbergehen. Bei F\u00e4llen geringer Sprechangst bedarf es nicht einmal der Dehnung der Vokale.\u201c\nMarx Lobsien (Kiel).\nL. T. Hobhouse. Mind in Evolution. London, Macmillan & Co., 1901. 415 S.\nDas Werk besitzt alle Vorz\u00fcge der Darstellung, welche wir bei englischen Naturforschern bewundern, es verbindet Klarheit und Anschaulichkeit mit K\u00fcrze und Pr\u00e4zision des Ausdrucks. Schwierigere Begriffe und Auseinandersetzungen werden allenthalben durch leicht fafsliche Beispiele aus Natur und Leben erl\u00e4utert und dem Verst\u00e4ndnis n\u00e4her gef\u00fchrt, so dafs die Lekt\u00fcre ein Vergn\u00fcgen ist. Das Werk basiert, wie gleich vorweg bemerkt werden mag, auf gr\u00fcndlicher Kenntnis der Literatur und eigenen Forschungen und Tierexperimenten und ist vom Geiste der DARwiNSchen Entwicklungslehre getragen.\nDie Organismen, so f\u00fchrt H. aus, unterscheiden sich von der Maschine durch das dauernde Bestreben, sich trotz unaufh\u00f6rlicher Ver\u00e4nderungen in einem Gleichgewichtszust\u00e4nde zu erhalten und sich der Umgebung und \u2014 bei Thieren und Menschen \u2014 den Erfordernissen des Lebens anzupassen. Eins der wesentlichsten Mittel dazu ist die Seele oder der Geist, welcher in Handlungen (actions) zum Ausdruck kommt.\nW\u00e4hrend im allgemeinen die Entwicklung nach verschiedenen Richtungen auseinandergeht (doliogenic evolution), zeigt die Entwicklung des Geistes eine aufw\u00e4rts strebende Tendenz (orthogenic evolution). \u201eDie allgemeine Funktion des Geistes besteht in der Anpassung der Handlungen an die Endzwecke des Individuums oder der Art und basiert auf der Wechselbeziehung (Korrektion) von fr\u00fcheren Erfahrungen, augenblicklichen Umst\u00e4nden und k\u00fcnftigen M\u00f6glichkeiten.\u201c Die Entwicklung des Geistes","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nLiteraturbericht.\nbesteht in der Erweiterung des Umfangs und in der wachsenden Genauigkeit der Wechselbeziehungen.\nH.\tunterscheidet nun f\u00fcnf verschiedene Stadien der Entwicklung:\nI.\tDas pr\u00e4intelligente Stadium. Die Reflext\u00e4tigkeit ist die urspr\u00fcnglichste Handlung als unbewufste Reaktion auf einen \u00e4ufseren Reiz, eine Empfindung (ihr entspricht die automatische T\u00e4tigkeit, z. B. Atmung, als Reaktion auf innere Ver\u00e4nderungen); auch der Reflex zeigt eine Anpassungsf\u00e4higkeit an verschiedene Bedingungen und eine Entwicklungsf\u00e4higkeit. Die Reaktion auf den Reiz ist in diesem Stadium die Folge einer ererbten Organisation, die durch nat\u00fcrliche Auslese immer zweck-m\u00e4fsiger gestaltet werden kann. Eine h\u00f6here Stufe der Reflext\u00e4tigkeit ist der Instinkt. W\u00e4hrend beim zusammengesetzten Reflex (z.B. beim Husten) ein einziger Reiz eine Reihe von zweckm\u00e4fsigen Muskelaktionen in ganz bestimmten Bahnen in Bewegung setzt und wir es bei den kompliziertesten (z. B. Gehen, Schwimmen) mit einer Reihe von Reizen zu tun haben, von denen der zweite durch die T\u00e4tigkeit oder Handlung ausgel\u00f6st wird, zu welcher der erste Reiz gef\u00fchrt hat u. s. f., n\u00e4hert sich der Instinkt dieser letzteren, aber mit dem Unterschiede, dafs die aufeinanderfolgenden Handlungen durch einen inneren Zustand, ein inneres Bewufstsein (Stimmung) kontrolliert werden, wodurch oft, wenigstens bei den h\u00f6heren Instinkten, ver\u00e4nderte \u00e4ufsere Umst\u00e4nde zu einer Ab\u00e4nderung oder Aufhebung der instinktiven Handlungen f\u00fchren. \u201eDer Instinkt ist nicht unab\u00e4nderlich von der Geburt an, sondern entwickelt sich oft w\u00e4hrend des individuellen Lebens und ist einigermafsen, wenigstens in den h\u00f6heren Formen, zweckm\u00e4fsiger Ab\u00e4nderungen f\u00e4hig.\u201c Dabei spielt schon manchmal eine gewisse Intelligenz mit, die F\u00e4higkeit, individuelle Erfahrungen zur Ab\u00e4nderung der Instinkte zu benutzen. Jedenfalls \u201eerhebt sich der Intellekt innerhalb der Sph\u00e4re der Instinkte, aber entsteht nicht aus Instinkten. Eine scharfe Trennung zwischen Instinkt und Intelligenz existiert in der Natur nicht, in der Idee sind sie aber verschieden. Ein instinktiver Akt ist nicht intelligent und ein intelligenter nicht instinktiv, was aber die Entstehung von Instinkten aus intelligenten Handlungen durch \u201ein Verfall geratene Intelligenz\u201c (lapsed intelligence) nicht ausschliefst. Unter Intelligenz versteht H. die F\u00e4higkeit eines Organismus, eine Handlung den Erfordernissen anzupassen ohne Unterst\u00fctzung heredit\u00e4rer Formen der Anpassung, wie sie die Reflexe und Instinkte darstellen, sondern auf Grund individueller Erfahrungen. Die Entwicklung des Intellekts geht nach H. in vier Stadien vor sich, die mit dem pr\u00e4intelligenten Stadium aber die f\u00fcnf Hauptstadien bilden, und zwar\nII.\tDas Stadium der unbewufsten Modifikation (inconscious readjustment).\nIII.\tDas Stadium der konkreten Erfahrung und des praktischen Urteils.\nIV.\tDas Stadium des begrifflichen Denkens und Wollens.\nV.\tDas Stadium der Vernunft und Systematisierung (rational system).\nW\u00e4hrend das angeborene d. h. das reflektorische und instinktive Verhalten der Organismen in der Reaktion auf einen Reiz auf Grund einer pr\u00e4-formierten Struktur besteht, finden wir im zweiten Stadium bereits eine Modifikation der Reaktion durch die Erfahrung, und zwar infolge der die","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n391\nmotorische Reaktion begleitenden Gef\u00fchlserregung (der Lust oder Unlust). Bezeichnet man die Gef\u00fchlserfahrungen, welche das Individuum bei den motorischen Reaktionen hat, als \u201emotorische Erfahrungen\u201c, so kann die Aufgabe der Intelligenz in diesem Stadium beschrieben werden als die direkte Korrelation einer Reihe von motorischen Erfahrungen zu Reaktionen, die auf Reize folgen. Es handelt sich immer noch um pl\u00f6tzliche, impulsive, instinktive Handlungen, nur dafs der Instinkt mehr bildsam (plastic) geworden ist. Der Umfang der Intelligenz ist noch minimal. Ein bewufstes Handeln zu einem bestimmten Endzweck ist dabei noch nicht vorhanden ; es handelt sich nur um elementarste Erfahrungen, um unbe wufste Wechselbeziehungen der sensorischen Daten.\nDer \u00dcbergang zum dritten Stadium erfolgt durch Anwachsen der Erfahrung an Klarheit, Unterscheidung (distinction) und Umfang. \u201eWird das Bewufstsein so ausgedehnt, dafs Wahrnehmung und Empfindung zugleich erfolgen, so haben wir den Keim zu diesem h\u00f6heren Stadium.\u201c In demselben bildet die Beziehung zwischen Wahrnehmungen (perceptual relations) resp. zwischen Empfindung und Wahrnehmung die Grundlage der Handlung. In dem Mafse n\u00e4mlich, wie die \u201emotorische Erfahrung\u201c in jedem neuen Falle genau bestimmt und individualisiert wird, wird sie gleichbedeutend mit dem, was im menschlichen Bewufstsein die motorische Idee der Reaktion in bezug auf den Reiz oder die bewufste Wahrnehmung von Reiz und Reaktion und ihre Verkn\u00fcpfung (Ideenassoziation) ist. Eine solche Verkn\u00fcpfung ist die Bedingung der Kenntnis individueller Okjekte, des Ged\u00e4chtnisses, des Vorsatzes und Begehrens. Die Kenntnis der Objekte macht einerseits einen rudiment\u00e4ren Analogieschlufs und andererseits die selektive Anwendung der Erfahrungsdaten zu einem bestimmten Zwecke m\u00f6glich.\nBis zu diesem Stadium kann sich die Seele bei den h\u00f6heren Tieren entwickeln. H. hat selbst eine Reihe von Experimenten an Hunden, Katzen, Seehunden, einem Elefanten und zwei Affen (Rhesus und Chimpanse) angestellt. Diese Versuche ergeben folgendes: Die h\u00f6heren Tiere lernen die konkreten Objekte kennen, \u00e4hnliche unterscheiden und sie sowohl als ganzes wie als Mittelpunkt mannigfacher Beziehungen auf fassen. Die Tiere lernen durch Aufmerken auf die einfachen Folgen von Vorg\u00e4ngen, und zwar sehr leicht, wenn der erste Vorgang eine eigene Handlung ist und der zweite eine Folge dieser Handlung, welche sie f\u00f6rdert oder sch\u00e4digt ; in manchen F\u00e4llen lernen sie auch durch die Wahrnehmung der Handlungen des Experimentators und deren Folgen. Dabei spielt \u00fcbrigens die Aufmerksamkeit eine wesentlichere Rolle als die Wiederholung. Was die Tiere in beiden F\u00e4llen lernen, besteht oft darin, eine gewisse Ver\u00e4nderung in den wahrgenommenen Dingen hervorzubringen als einen Fortschritt in der Erlangung der Nahrung. Es handelt sich nicht um eine einfache motorische Reaktion auf eine bestimmte Wahrnehmung, sondern mehr um eine Kombination von Anstrengungen, um bestimmte physikalische Ver-\u00e4nderungen in den wahrgenommenen Objekten herbeizuf\u00fchren, welche ihnen, wie sie gelernt haben, zu ihren Zwecken helfen. Diese Richtung der tierischen Handlung auf eine \u00e4ufsere Ver\u00e4nderung ist nach H. als eine \u201epraktische Idee\u201c allerdings in ganz roher Form zu bezeichnen. Diese","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nLiteraturbericht.\nIdee besteht nicht in begrifflicher Analyse des Wahrgenommenen; es besteht auch im allgemeinen keine nat\u00fcrliche Tendenz zum Lernen durch Wahrnehmungen, noch weniger zu einer \u00fcberlegten Nachahmung. Doch zeigt H. an zahlreichen Beispielen, dafs bei den h\u00f6chsten S\u00e4ugetieren, besonders bei den Affen, sowohl \u201epraktische Ideen\u201c in einer weniger rohen Form als eine gewisse Originalit\u00e4t in der Anwendung derselben besteht, dafs man von \u201epraktischem Urteil\u201c sprechen kann. Die sozialen Instinkte bei den h\u00f6heren Tieren, ihr Leben in Herden, wobei sie sich gegenseitig helfen oder meiden, zeigen die ersten Spuren der Moralit\u00e4t, allerdings nicht in dem Sinne einer abstrakten Tugend sondern eines konkreten Vorhabens. Das Tier zeigt Sympathie, nicht weil Sympathie eine Tugend ist, sondern weil es Sympathie f\u00fchlt. Dabei handelt es sich aber auch nicht um eine ererbte oder angew\u00f6hnte Art der Reaktion auf einen bestimmten Reiz wie bei den niederen Tieren, sondern das Tier ist z. B. bestrebt, anderen oder einem Menschen aus der Bedr\u00e4ngnis zu helfen, indem es die Gefahr erkennt und die Mittel anwendet, dieselben zu beseitigen. Das Tier bildet sich kein allgemeines Urteil \u00fcber die Lage, in der sich der Gef\u00e4hrdete befindet, noch hat es einen Begriff von den Gef\u00fchlen des Gef\u00e4hrdeten, sondern sein Vorhaben und seine Handlungen sind auf das Konkrete und Praktische gerichtet. \u201eSeine Impulse werden in Begehren verwandelt durch das Bewufstsein seiner Absichten, und in Handlungen umgesetzt durch die aufgefafste Beziehung der Mittel zum Endzweck.\u201c Weiter reicht die tierische Intelligenz nicht.\nDie h\u00f6heren Stadien entwickeln sich nur beim Menschen. Die Bildung von Begriffen, das begriffliche Denken und das Produkt desselben, Phantasie, Moral, Religion und Wissenschaft, die Systematisierung der Wissenschaften, sie bilden den H\u00f6hepunkt der Entwicklung des Geistes, dem die ethische Entwicklung parallel geht. Beide Entwicklungen konvergieren nach einem und demselben Punkte : der Organisation des Lebens der Rasse durch die Kenntnis seiner Bedingungen. Die interessanten Einzelheiten dieser Entwicklung beim Menschen k\u00f6nnen, wie sie H. schildert, in dieser Besprechung, die schon zu lang geworden ist, nicht auseinandergesetzt werden, sondern in dieser Beziehung mufs auf das Original verwiesen werden, dessen Lekt\u00fcre nur angelegentlich empfohlen werden kann.\nHoppe (K\u00f6nigsberg).\nK. Makbe. Experimentell -psychologische Untersuchungen \u00fcber das Urteil.\nEine Einleitung in die Logik. Leipzig, Engelmann, 1901. 103 S. Mk. 2,80.\nAlle Urteile sind offenbar psychische Erlebnisse, aber nicht alle Erlebnisse werden zu Urteilen. Was mufs zu einem psychischen Erlebnisse hinzukommen, damit sie zu Urteilen werden? Das ist die Frage, deren Beantwortung der Verf. in dieser Arbeit geben will.\nUnter Urteilen werden alle die Bewufstseinsvorg\u00e4nge verstanden, auf welche die Pr\u00e4dikate: richtig oder falsch \u2014 eine sinngem\u00e4fse Anwendung finden. Daher k\u00f6nnen nicht nur ganze S\u00e4tze, sondern auch einzelne Worte, blofse Vorstellungen und Geb\u00e4rden zu Urteilen werden.\nVerf. will obige Frage experimentell beantworten und bedient sich dabei folgender Methode:","page":392}],"identifier":"lit33060","issued":"1903","language":"de","pages":"389-392","startpages":"389","title":"L. T. Hobhouse: Mind in Evolution. London, Macmillan & Co., 1901. 415 S.","type":"Journal Article","volume":"33"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:06:49.507838+00:00"}