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{"created":"2022-01-31T16:31:41.521174+00:00","id":"lit33062","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 33: 396-397","fulltext":[{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"Li fera turberich t.\nOb nun freilich ein Urteil richtig oder falsch ist, das kann die Psychologie nie feststellen, das ist Sache der Logik.\nAber mit dem Augenblicke, wo die Frage nach der Richtigkeit aufgeworfen werden kann, hat sich das Urteil gleichsam vom Subjekt losgel\u00f6st und Selbst\u00e4ndigkeit gewonnen, als fertiges Gebilde steht es vor uns und wird auf seine Berechtigung und seinen Erkenntniswert gepr\u00fcft. Aber ehe es dazu kommen konnte, hat es im Bewufstsein des Urteilenden eine Entwicklungsreihe durchlaufen, und hat einen wesentlichen Bestandteil seines psychischen Lebens gebildet. Dies alles hat die Psychologie zu ergr\u00fcnden ; freilich ist dies nicht leicht, und die Lehre vom Urteil geh\u00f6rt zu ihren schwierigsten Problemen ; aber einige Experimente, die nicht einmal den Kern der Sache treffen, werden es, wie Ref. zu zeigen versucht hat, nicht l\u00f6sen.\nZum Schlufs noch eines: Wollte man das Urteil der Psychologie entziehen, weil es eine fundamentale Rolle in der Logik spielt, so w\u00e4re dies dasselbe, als wenn man, um einen \u00e4hnlichen Vergleich wie der Verf. zu gebrauchen, den Zucker aus der Chemie verbannen wollte, weil er in der Lehre von den N\u00e4hrstoffen des Menschen eine wichtige Bedeutung hat.\nSchliefslich geh\u00f6rt die physiologische Chemie doch nun einmal in die Chemie, aber die in ihr behandelten K\u00f6rper unterscheiden sich in ihrem Verhalten doch wesentlich von anderen chemischen K\u00f6rpern, ihr Aggregatzustand ist anders, wie der der meisten anderen, ihre Struktur etc. ; sie unterscheiden sich von ihnen, wie sich auf psychischem Gebiete Urteile von anderen Bewufstseinsvorg\u00e4ngen unterscheiden. Wie nun aber die Eiweifsk\u00f6rper ebensogut Gegenstand der Chemie sind, wie die Metalle, so mufs auch immer das Urteil als psychisches Erlebnis von der Psychologie behandelt werden.\tMoskiewicz (Breslau).\nC. B\u00f6s. Du plaisir de la douleur. Rev. philos. 54 (7), 60\u201474. 1902.\nAusgeschlossen werden von vornherein diejenigen F\u00e4lle, wo ein Individuum infolge von individuellen Dispositionen da Vergn\u00fcgen empfindet, wo wir Schmerz empfinden. So z. B. ist f\u00fcr den Hysterischen eine Schmerzempfindung etwas Angenehmes, weil dieselbe ihn von seiner Unempfindlichkeit befreit. Desgleichen sind diejenigen F\u00e4lle auszuschliefsen, wo jemand zugleich weint und lacht.\nZum Verst\u00e4ndnis des vorliegenden Problems schickt Verf. einiges voraus: Unmerkliche \u00dcberg\u00e4nge f\u00fchren vom Vergn\u00fcgen zum Schmerz. Dasselbe seelische Ereignis, welches von einem Gesichtspunkte aus schmerzlich ist, verschafft uns vom anderen Gesichtspunkte aus ein Vergn\u00fcgen, welches aus seinem schmerzhaften Charakter hervorgeht. Dem Schmerz \u00fcber das Vergn\u00fcgen begegnet man seltener, n\u00e4mlich nur in den kompliziertesten F\u00e4llen des moralischen Vergn\u00fcgens. Das Vergn\u00fcgen ist viel hinf\u00e4lliger als der Schmerz, dem Indifferenzpunkte n\u00e4her. Der Schmerz schreibt sich viel tiefer in unser Bewufstsein ein als das Vergn\u00fcgen. Das Vergn\u00fcgen ist eine Art Luxus, unwichtig, \u00fcberfl\u00fcssig. Diejenigen Theorien haben Recht, welche das Vergn\u00fcgen einen negativen Zustand","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turb er ich t.\nnennen. Erf\u00e4hrt das Individuum eine Unterdr\u00fcckung, so verschwindet das Vergn\u00fcgen zuerst.\nAlle Personen, welche Vergn\u00fcgen am Schmerz empfinden, sind deprimierte, hei denen die F\u00e4higkeit, Vergn\u00fcgen zu empfinden, mehr oder weniger geschwunden ist, ebenso wie die F\u00e4higkeit, Schmerz zu empfinden, erhalten geblieben ist. Zu diesen Erscheinungen geh\u00f6rt das Vergn\u00fcgen .am eigenen Leiden. Dies erkl\u00e4rt sich durch drei Umst\u00e4nde: 1. Der Schmerz, welcher mit dem vergangenen Vergn\u00fcgen kontrastiert, belebt das Vergn\u00fcgen von neuem, welches die Gewohnheit zu ersticken drohte. 2. Der voraufgehende Schmerz verst\u00e4rkt den positiven Charakter des Vergn\u00fcgens, welches ohne ihn nicht lebhaft genug gewesen w\u00e4re, um den indifferenten Zustand zu \u00fcberschreiten. 3. Der Schmerz erh\u00f6ht momentan das erh\u00f6hte Niveau der Sensibilit\u00e4t. Der Mensch f\u00fchlt lieber Schmerz, ehe er gar nichts f\u00fchlt.\nEs gibt verschiedene Arten von Schmerz, denen man sich nicht anders akkommodieren kann, als dafs man sich an sie gew\u00f6hnt. Von der Gewohnheit bis zum Vergn\u00fcgen ist aber nur ein Schritt. Der Schmerz, welcher ein Bed\u00fcrfnis befriedigt, ist ein Vergn\u00fcgen. In diesem Sinne ist sehliefslich auch das Sterbenwollen ein Triumph, als Sieg \u00fcber das Leben.\nGiessler (Erfurt).\nErnst Jentsch. Die Laune. Eine \u00e4rztlich-psychologische Studie. Wiesbaden, Bergmann, 1902. 60 S. Auch: Grenz fragen des Nerven- u. Seelenlebens (15.)\nLaune ist etwas, so bemerkt der Verf. mit Recht gleich am Anf\u00e4nge seiner interessanten Abhandlung, das eigentlich nicht zu sein brauchte. Wir vermissen sie nicht, wenn wir sie bei jemandem nicht antreffen, und wir sind auch nicht sehr \u00fcberrascht, wenn wir sie irgendwo finden. Von Laune sprechen wir im gew\u00f6hnlichen Leben meist dann, wenn wir nicht imstande sind, die launenhaften Erscheinungen gen\u00fcgend zu motivieren, wenn sie aus dem eigentlichen Wesen des betreffenden Individuums herausfallen, ohne jedoch dieses dabei zu ver\u00e4ndern. Je mehr wir eine Handlung verstehen, um so weniger schreiben wir sie der Laune zu; daher wollen wir uns selbst, die wir doch die Ursachen unserer Handlungen relativ gut kennen, nur wenig oder gar keine Launen zuerkennen; daher erleben wir oft, dafs wir uns so lange \u00fcber jemandes Verhalten wundern, bis wfir selbst einmal in dieselbe Lage versetzt, ebenso handeln und die Notwendigkeit gerade solchen Handelns einsehen, und daher von Willk\u00fcrlichem, Launenhaftem nicht mehr reden d\u00fcrfen. Die Laune zeigt sich in den verschiedensten Formen. Bald ist sie so gering, dafs sie uns fast v\u00f6llig entgeht, bald steht sie so im Vordergr\u00fcnde, dafs sie das Wesen der Person v\u00f6llig zu bilden scheint. Bald haben wir etwas Mutwilliges, Kraftstrotzendes, bald etwas Geknicktes, Schw\u00e4chliches, bald etwas Heiteres, G\u00fctiges, bald etwas Trauriges, Verbittertes f\u00fcr uns. Bald erscheint uns die Laune als freundliches Geschenk, dafs dem Menschen gegeben ist, bald als grausame Qual, unter der er leiden mufs.\nSo erh\u00e4lt die Laune sehliefslich den Charakter eines psychischen Grenzzustandes, der sowohl zum normalen, wie zum kranken Seelenleben geh\u00f6ren kann. Freilich sind die psychischen St\u00f6rungen nur geringf\u00fcgiger","page":397}],"identifier":"lit33062","issued":"1903","language":"de","pages":"396-397","startpages":"396","title":"C. Bos: Du plaisir de la douleur. Rev. philos. 54 (7), 60-74. 1902","type":"Journal Article","volume":"33"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:31:41.521180+00:00"}