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{"created":"2022-01-31T16:33:25.228412+00:00","id":"lit33108","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kalischer, Edith","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 29: 74-76","fulltext":[{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nLiteraturbericht.\nOberfl\u00e4chlichkeit w\u00e4hrend der Erm\u00fcdung entsteht vielleicht eine Verminderung des Gasaustausches in der Lunge. Diese gleicht sich nachher mehr durch Vertiefung als durch Beschleunigung des Athmens aus.\nAschaffenburg (Halle).\nCesare Rossi. Sulla durata del processo psichico elementare e discriminative nei sordomnti. Rivista sperim. di freu. 27, 399\u2014414. 1901.\nBei einer vergleichenden Feststellung der einfachen Reaction, der Unterscheidungs- und Wahlreaction auf Tasteindr\u00fccke hei Gesunden, unterrichteten und nicht unterrichteten Taubstummen, fand Rossi deutliche Unterschiede. Am langsamsten war die Reaction bei den nicht unterrichteten Taubstummen; dann folgten die unterrichteten, wobei diejenigen im Vortheil waren, die ihre Taubheit nach der Geburt bekommen, gegen\u00fcber den Taubgeborenen, endlich die Gesunden. Die Leistungen der Aelteren waren besser als die der J\u00fcngeren. Der Einflufs des Unterrichtes und der damit verbundenen geistigen Entwickelung ist unverkennbar.\nAschaffenburg (Halle).\nJ. Seth. The Utilitarian Estimate of Knowledge. Philos. Revi&iv 10 (4), 341\u2014358.\n1901.\nIst Wissen Selbstzweck oder nur Mittel zum Zweck ? Das erstere behauptete die griechische, das letztere die moderne Philosophie, mag sie nun moralistisch die theoretische der praktischen Vernunft unterordnen (Kant), mag sie metaphysisch den Intellect zum Diener des Willens machen (Schopenhauer), mag sie utilitaristisch die Erkenntnifs lediglich in den Dienst der Selbsterhaltung und des praktischen Thuns stellen (James). S. h\u00e4lt beide Extreme f\u00fcr unzureichend und charakterisirt seinen synthetischen Standpunkt etwa in folgenden Thesen: Es ist ein Irrthum das intellectuelle Leben zu isoliren und zu verselbst\u00e4ndigen und als die h\u00f6chste oder gar allein werthvolle Lebensform zu betrachten. Erkenntnifs ist nur ein Theil der gesammten Lebensfunction. Aber als dieser Theil hat sie nicht nur instrumentalen Werth als Mittel zu einem aufserhalb ihrer selbst liegenden Zweck, sondern sie ist ein integrirender Theil des Lebenszweckes selbst, und erst in diesem ihrem inneren Werth liegt ihre ethische Bedeutung.\tW. Stern (Breslau).\nR. Hamann. Das Problem des Tragischen. Zeitschrift f. Philosophie u. philos.\nKritik 117 (2), 231\u2014249. 1901.\nDas Tragische ist kein Gef\u00fchlszustand; denn man kann etwas \u201etragisch\u201c nennen, ohne irgend etwas zu f\u00fchlen. Das Tragische ist aber auch nicht ein objectives Geschehen, ein bestimmtes Verh\u00e4ltnifs von Dingen der Welt zu einander. Denn was dem einen als tragisch erscheint, z. B. das Schicksal des Sokrates, kann von einem anderen, der sich etwa auf den Standpunkt des Sokrates selbst stellte, mit heiterer Ironie aufgefafst werden. Je nach dem Standpunkt des Urtheilenden verschiebt sich das Urtheil. Das Tragische ist also die Spiegelung eines Ereignisses in unserer Weltanschauung. \u201eEs ist, bildlich gesprochen, der Winkel, den Ereignisse, Zust\u00e4nde, Verh\u00e4ltnisse als objective Thatsachen mit unserer ethischen Norm,","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n75\ndem subjectiven Standpunkt, bilden\u201c. Hieraus ergiebt sich das eine subjective Element, dafs das Fliefsende des Begriffs Tragik bildet: die Verschiedenheit der ethischen Norm. Verf. beruft sich hier auf die Vorrede zu Strindberg\u2019s \u201eFr\u00e4ulein Julie\u201c. Einem starken Geschlecht w\u00fcrde dies Trauerspiel nicht als tragisch erscheinen. Die Norm, nach der wir urtheilen, kann verschieden sein; dafs aber die Vorstellung der Verletzung einer solchen Norm: die Vorstellung einer Ungerechtigkeit dem Tragischen inh\u00e4rire, \u2014 dies scheint dem Verf. aus den Versuchen hervorzugehen, welche durch Einf\u00fchrung der poetischen Gerechtigkeit, der tragischen Schuld etc. das Tragische vers\u00f6hnen, d. h. aufheben wollten. \u2014 Das zweite subjective Element des Tragischen ist der Werth. Soll ein ungerechtes Schicksal als tragisch erscheinen, so mufs es ein Werth sein, der durch dasselbe vernichtet wird. \u201eNach dem Grade der Feinheit unserer Be-werthungsf\u00e4higkeit zieht sich der Kreis des Tragischen zusammen oder erweitert er sich. Man kann die ganze Entwickelung der modernen Trag\u00f6die dahin verstehen, dafs die Organe, mit denen wir jene Bewerthungen vollziehen, sich differenzirt, verfeinert haben.\u201c \u2014 Das dritte Moment, das erforderlich ist, damit ein Ereignifs als tragisch beurtheilt werde, ist die Distanz, in der wir uns ihm gegen\u00fcber befinden m\u00fcssen. Eine Mutter, die ihren Sohn verliert, f\u00fchlt Schmerz, nicht Tragik. Der Werth, der zu Grunde geht, mufs ein unpers\u00f6nlicher, ein Eigenwerth sein. \u2014 Dem-gem\u00e4fs lautet die Definition: \u201eVon Tragik sprechen wir dort, wo wir die Zerst\u00f6rung eines Selbstwerthes als ein ungerechtfertigtes Verh\u00e4ngnifs, einen Widerspruch mit unserer ethischen Norm von dem, was sein soll, empfinden.\u201c Darnach w\u00e4re also das Urtheil: \u201edies ist tragisch\u201c \u2014 Kantisch gesprochen \u2014 ein \u00e4sthetisches Urtheil, sofern es eine Beziehung zwischen den Vorstellungen und dem Subject aussagt, aber es ist \u2014 und dies ist das Bedeutungsvolle an obiger Definition \u2014 kein Geschmacksurtheil ; denn es ist nicht interesselos ; es setzt den Begriff eines Zweckes, einer ethischen Norm voraus. Es wird also hier das Urtheil \u00fcber das Tragische bewufst aus der Kategorie der im engeren Sinne \u2014 \u00e4sthetischen Urtheile verwiesen \u2014 eine Aufstellung, an die sich eine folgenreiche Reinigung der Aesthetik auch von anderen, verwandten Urtheilen schliefsen k\u00f6nnte. In welcher Beziehung jedoch das Urtheil \u00fcber das Tragische zu den ethischen Urtheilen steht, zu denen es Verf. ohne Weiteres rechnet, bed\u00fcrfte wohl noch einer genaueren Er\u00f6rterung. \u2014 Es ist hiernach die Frage, zu der Verf. im zweiten Theile \u00fcbergeht, die Frage nach dem Vergn\u00fcgen an tragischen Gegenst\u00e4nden, wesentlich vereinfacht. Sie lautet: \u201ewie kann ein ethisch Zur\u00fcckstofsendes \u00e4sthetisch wohlgef\u00e4llig werden, und die Antwort liegt schon in der Frage: \u201eeben dadurch, dafs es \u00e4sthetisch wird.\u201c \u201eDie Freude an der Trag\u00f6die ist der \u00e4sthetische Genufs, den wir auch an anderen Kunstwerken empfinden. Die ganze Schwierigkeit bleibt am Begriff des Aesthetischen haften.\u201c Nicht so gl\u00fccklich wie in dieser Fragestellung ist Verf. in der L\u00f6sung des Problems. Der \u00e4sthetische Genufs wird rein formal gefafst. Es wird hingewiesen auf die Functionslust (Vor-stellungsth\u00e4tigkeit), auf den contemplativen Genufs der ethischen Werthe, auf die Bewunderung des schaffenden K\u00fcnstlers, befriedigte Erwartung etc. Die Wirkung der Trag\u00f6die nun \u2014 auf die \u00e4sthetische Verarbeitung des","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nLiteraturbericht.\nTragischen in den anderen K\u00fcnsten wird nicht eingegangen \u2014 stellt sich dem Yerf. als eine Spaltung der Pers\u00f6nlichkeit dar. Die ethische Pers\u00f6nlichkeit wird zermalmt, w\u00e4hrend die \u00e4sthetische jubilirt. Der Genufs an der Trag\u00f6die wird nur dadurch m\u00f6glich, dafs wir eine Seite unseres Wesens \u2014 hier die ethische \u2014 verschliefsen k\u00f6nnen, um eine andere auf-zuthun.\u201c Die Frage nach dem Vergn\u00fcgen an tragischen Gegenst\u00e4nden wird also nicht gel\u00f6st, sondern dadurch umgangen, dafs das Tragische in der Trag\u00f6die geleugnet wird. Die Tragik soll in der Trag\u00f6die nicht voll \u201ezu Worte kommen\u201c. \u201eAm Tragischsten wirkt vielleicht ein Extrablatt oder ein geschichtlich berichtetes, tragisches Geschick. Die Tragik der Trag\u00f6die macht sich erst geltend, wenn wir sie nicht mehr sehen.\u201c \u201eDer tragische Schlufs ist nichts anderes, als die Forderung, dafs das St\u00fcck mit dem Accord und in der Tonart endige, auf die alle F\u00fchrung der Stimmen und alle Modulationen hinwiesen.\u201c \u2014 Trotz vieler geistvoller Bemerkungen und psychologischer Einblicke, welche auch dieser zweite Theil der Arbeit bietet, bleibt hier doch das Problem, der Genufs an der Trag\u00f6die, ungel\u00f6st. Das Wesentliche ist, dafs das Tragische einmal als Gegenstand k\u00fcnstlerischer Behandlung erkannt ist. Mifsverstandener Formalismus aber ist es, wenn man die Frage, wie ein Gegenstand durch k\u00fcnstlerische Behandlung genufsreich wird, dadurch zu l\u00f6sen sucht, dafs man den Genufs uaf die formalen Elemente schiebt, den Gegenstand aber seiner eigensten Charakteristik durch die k\u00fcnstlerische Behandlung verlustig gehen l\u00e4fst. \u2014\tEdith Kalischer (Berlin).\nD. Irons. Natural Selection in Ethics. Philos. Review 10 (3), 271\u2014287. 1901.\nI. unterzieht die Theorien, welche die Ethik aus den biologischen Momenten der nat\u00fcrlichen Auslese ableiten wollen, einer eindringenden Kritik. Er weist einerseits nach, dafs aus dem supponirten rein egoistischen Naturzust\u00e4nde des Kampfes aller gegen alle niemals, wie Darwin u. a. behaupten, durch zuf\u00e4llige Variation und nat\u00fcrliche Zuchtwahl Sympathie h\u00e4tte entstehen k\u00f6nnen; und er f\u00fchrt andererseits aus, dafs nicht indifferente Selbsterhaltung, sondern die innere Verpflichtung, sich dem Ideal zu n\u00e4hern, Ziel alles ethischen Thuns sei; an diesen Inhalt reicht aber die Kategorie des Ueberlebens des Angepafstesten \u00fcberhaupt nicht heran.\nW. Stern (Breslau).\nR. Manno. Die Voraussetzungen des Problems der Willensfreiheit. Zeitschrift f\u00fcr Philosophie und philos. Kritik 117 (2), 210\u2014223. 1901.\nVerf. hat in seiner Schrift: Heinrich Hertz \u2014 f\u00fcr die Willensfreiheit? (Leipzig, Engelmann, 1900) die M\u00f6glichkeit der Willensfreiheit darzuthun gesucht. Vorliegender Aufsatz giebt sich nur als Plan, gleichsam als Programm zu dieser Schrift. Es sei daher auf die hier g\u00e4nzlich unzureichende Beweisf\u00fchrung nicht eingegangen, sondern nur der Standpunkt des Verf.\u2019s kurz gekennzeichnet. \u2014 Wesentlich ist, dafs die M\u00f6glichkeit der Willensfreiheit als Problem der ph\u00e4nomenalen Welt betrachtet wird. \u201eKann die Mechanik, als die Wissenschaft von der Ordnung und den Eigenschaften der Ph\u00e4nomene, die freie Bewegung der Massen zulassen, so","page":76}],"identifier":"lit33108","issued":"1902","language":"de","pages":"74-76","startpages":"74","title":"R. Hamann: Das Problem des Tragischen. Zeitschrift f\u00fcr Philosophie u. philos. Kritik 117 (2), 231-249. 1901","type":"Journal Article","volume":"29"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:33:25.228417+00:00"}