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{"created":"2022-01-31T16:29:44.744410+00:00","id":"lit33113","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schultze, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 29: 79-80","fulltext":[{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Li teraturbericht.\n79\nDen Portr\u00e4ts der Kranken sind kurze erl\u00e4uternde Krankheitsgeschichten beigegeben mit einem besonderen Hinweis auf den jeweiligen Zweck der Abbildung. Daneben finden sich noch einige Illustrationen von Sch\u00e4deln (mit partieller Verwachsung der N\u00e4hte) und Gehirnen (bei Poren-kephalie).\nKlinische Psychiatrie durch Abbildungen zu erl\u00e4utern ist man gerade in den letzten Jahren mehr bestrebt. Hier wird zum ersten Male der umgekehrte Versuch gemacht, und das Hauptgewicht auf die bildliche Darstellung gelegt. Dafs hierbei die fortgeschrittene Reproductionstechnik h\u00fclfreiche Hand geleistet hat, verdient noch hervorgehoben zu werden.\nErnst Schultze (Andernach).\nR. Sommer. Diagnostik der Geisteskrankheiten f\u00fcr praktische Aerzte und Studierende. Zweite, umgearb. u. vermehrte Aufl. Mit 39 Illustrationen. Berlin u. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1901. 408 S.\nSeit Spielmann\u2019s Diagnostik der Geisteskrankheiten (1855) ist keine Arbeit erschienen, welche die Diagnose der Geistesst\u00f6rungen monographisch behandelt.\nDas erscheint schon begreiflich, wenn man die Schwierigkeiten einer solchen Aufgabe erw\u00e4gt. Die Psychiatrie des vorigen Jahrhunderts liefs sich zuerst gar zu sehr durch die herrschenden philosophischen Richtungen leiten, und damit wurde sie ein wenig dankbares und angreifbares Object f\u00fcr die Diagnostik. Sp\u00e4ter, nachdem die klinische Psychiatrie mit Griesinger entstanden w^ar, wurde so eifrig gearbeitet, dafs fast jedes Lehrbuch andere Anschauungen vertrat. Vielfach spielte auch wohl bei den Diagnosen ein gewisses Gef\u00fchl des Diagnosticirenden eine mehr oder minder wichtige Rolle, ein Gef\u00fchl, das durch langj\u00e4hrige Erfahrung zu erwerben und in seiner Bedeutung dann nicht zu untersch\u00e4tzen ist, das aber durch blofse Beschreibung einem anderen nicht gut \u00fcbermittelt werden kann.\nDas l\u00e4fst es denn schon, abgesehen von weiteren Momenten, begreiflich erscheinen, dafs keiner sich, man kann geradezu sagen, daran wTagte, ein auf der Hand liegendes und f\u00fcr die Praxis so ungemein bedeutungsvolles Thema zu bearbeiten, wie es nun einmal eine Diagnostik der Geistesst\u00f6rungen ist. Und wenn Sommer diesen Versuch muthig wagte, so hat schon der \u00e4ufsere Umstand, dafs nach 6 Jahren eine zweite Auflage noth-wendig wurde, die Berechtigung des Unternehmens hinreichend erwiesen.\nBei seiner Darstellung geht S. von dem Grundsatz aus, dafs der Geisteskranke ein Object der Naturwissenschaft ist und nur als solcher angesehen werden darf. Daraus ergeben sich einerseits die Beziehungen zur inneren Medicin und insbesonders zur Neurologie, andererseits zur analytischen und experimentellen Psychologie.\nDie Arbeit zerf\u00e4llt in einen allgemeinen und einen speciellen Theil.\nDer allgemeine Theil beginnt mit der Untersuchung des k\u00f6rperlichen Zustandes ; und gelegentlich der Besprechung der morphologischen Abnormit\u00e4ten macht Verf. die Abh\u00e4ngigkeit des Wachsthums der Sch\u00e4delknochen von der entgegengesetzten Gehirnh\u00e4lfte wahrscheinlich, wie er denn \u00fcberhaupt versucht, die Formen als Resultate von Bewegungsvorg\u00e4ngen mechanischer und trophischer Art physiologisch zu analysiren.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nLi ter a turberich t.\nEin besonderes Gapitel ist der Entwickelung und Entstehung der Krankheit gewidmet; hierbei hebt er die bei Erhebung der Anamnese zu umgehenden Fehler hervor und legt bei der Er\u00f6rterung des Begriffs der Degeneration besonderen Werth darauf, dafs es bei den Degenerationszeichen nicht sowohl auf die morphologische als die physiologische Abweichung ankommt. Degeneration ist ihm, wie er scharf hervorhebt, eine durch die Componenten der Generation implicite bedingte, bis ins Pathologische gehende dauernde Abweichung von der normalen Function. Bei dieser Auffassung des Begriffs der Degenerationszeichen kommt Verf. zu dem Schlufs, dafs das Bestehen von somatischen Degenerationszeichen nicht als Beweis f\u00fcr die endogen-pathologische Beschaffenheit eines psychischen Zustandes angesehen werden kann. Dementsprechend sind auch die beiden Fragen: ob es geborene Verbrecher giebt und ob diese angeborene moralische Abnormit\u00e4t sich in significanten morphologischen Merkzeichen aus-dr\u00fcckt, scharf von einander zu scheiden.\nDer dritte Abschnitt des ersten Theils besch\u00e4ftigt sich mit der Untersuchung der psychischen Vorg\u00e4nge. Es braucht wohl kaum besonders darauf hingewiesen zu werden, dafs S. gerade hier auf seine fr\u00fchere Arbeit: Lehrbuch der psychopathologischen Untersuchungsmethoden, die ebenfalls in dieser Zeitschrift besprochen ist, Bezug nimmt und seine dortigen Ausf\u00fchrungen erweitert und vervollst\u00e4ndigt.\nDer zweite, wesentlich gr\u00f6fsere Theil ist der speciellen Diagnostik gewidmet. Auf Einzelheiten kann hier nat\u00fcrlich nicht eingegangen werden. Immerzu lenkt Verf. die Aufmerksamkeit des Lesers auf die einzelnen Symptome, lehrt sie zu sehen und zu beobachten sowTie sie zu verwerthen, verweist auf ihre Pathogenese, auf ihre Verkn\u00fcpfung mit anderen Symptomen sowie die Art der Verbindung. Ueberall versucht er, auf rein psychischem Wege zu einer exacten Diagnose zu gelangen, unter voller Anerkennung der Bedeutung einer Individualpsychologie.\nDie vorliegende Auflage der Diagnostik ist wesentlich umfangreicher als die erste : nicht nur ist die ganze allgemeine Diagnostik neu hinzugekommen, sondern auch der zweite Abschnitt hat Zus\u00e4tze (Apoplexie, Hirnabscefs, Hydrokephalus, Ur\u00e4mie, Morb. Based.) sowie mannigfache Erweiterungen (z. B. bei Tumor cerebri, senile Atrophie, Morphinismus, prim. Schwachsinn) erfahren. Treffliche Abbildungen erl\u00e4utern die Ausf\u00fchrungen, die vielfach in kurzen und pr\u00e4gnanten S\u00e4tzen den betr. Abschnitt be-schliefsen.\nDer neuen Auflage ist schliefslich ein Inhaltsverzeichnifs zugegeben. So ist es nicht zweifelhaft, dafs S.\u2019s Arbeit in dem neuen Gew\u00e4nde weitere Anerkennung finden und der klinischen Psychiatrie neue Freunde zuf\u00fchren wird.\tErnst Schtjltze (Andernach).","page":80}],"identifier":"lit33113","issued":"1902","language":"de","pages":"79-80","startpages":"79","title":"R. Sommer: Diagnostik der Geisteskrankheiten f\u00fcr praktische Aerzte und Studierende. Zweite, umgearb. u. vermehrte Aufl. Berlin u. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1902. 408 S","type":"Journal Article","volume":"29"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:29:44.744416+00:00"}