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{"created":"2022-01-31T16:30:19.740976+00:00","id":"lit33115","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hess, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 29: 99-117","fulltext":[{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"99\nWeitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\nVon\nProf. C. Hess.\nIm Laufe der letzten Monate hatte ich wieder Gelegenheit, an mehreren von Geburt total Farbenblinden eine Reihe von Untersuchungen vorzunehmen, deren Ergebnisse ich im Folgenden kurz mittheile.\nI.\nBei dem gegenw\u00e4rtigen Stande der Frage nach dem Sehen der total Farbenblinden scheinen wesentlich 4 Punkte f\u00fcr die Beantwortung strittiger Fragen von Interesse :\t1. Findet sich\nentsprechend dem fovealen Netzhautbezirke des total Farbenblinden eine blinde Stelle? 2. Wie verh\u00e4lt sich, wenn eine solche blinde Stelle fehlt, das foveale Sehen des total Farbenblinden? 3. Wie verh\u00e4lt sich der Ablauf der Erregung nach kurzdauernder Reizung des Sehorgans? 4. Wie verh\u00e4lt sich die Nachdauer der Reize beim total Farbenblinden?\nad 1. Die Frage nach dem Vorhandensein oder Fehlen eines fovealen blinden Bezirkes hat die Untersucher in den letzten Jahren besonders besch\u00e4ftigt. Da viele total Farbenblinde nur schlecht im Stande sind, fest zu'fixiren, so erscheinen die gebr\u00e4uchlichen Untersuchungsmethoden zu dem fraglichen Zwecke mindestens unzuverl\u00e4ssig. Ich habe daher schon vor einigen Jahren 1 eine einfache Methode angegeben, die uns von dem Nystagmus des Untersuchten unabh\u00e4ngig macht. Sie besteht im Wesentlichen in der Anwendung momentaner Belichtung. Bei einer intelligenten Farbenblinden konnte ich diese Methode sogar benutzen, um mittels der Nachbilder nach Momentanbelichtung den Nachweis zu liefern, dafs die Betreffende eine foveale blinde Stelle von merklicher Ausdehnung nicht be-\n1 Arch. f. Ophth. 51 (2), 225 f.\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\na Hefs.\nsais. Doch gen\u00fcgt zu der fraglichen Untersuchung, wie leicht ersichtlich, bei passender Versuchsanordnung auch die Momentanbelichtung an sich (ohne R\u00fccksicht auf die Nachbilder). Bei den neuen Versuchen wurde meist in der folgenden Weise vorgegangen: In einer grofsen mattschwarzen Fl\u00e4che sind zahlreiche kreisrunde L\u00f6cher von 8 mm Durchmesser derart ausgeschlagen, dafs die einander zugekehrten R\u00e4nder der L\u00f6cher 10 mm von einander abstehen (bei einigen Versuchen wurden L\u00f6cher von 4 mm Durchmesser und 5 mm gegenseitigem Abstande benutzt). Die L\u00f6cher sind in regelm\u00e4fsigen waagerechten und senkrechten Reihen angeordnet, mit weifsem Seidenpapier hinterlegt und im Dunkelzimmer vor einer regulirbaren Lichtquelle derart aufgeh\u00e4ngt, dafs sie angen\u00e4hert gleich hell erscheinen. Die Beobachtung erfolgt ohne jeden Fixirpunkt in verschiedenen Abst\u00e4nden mittels eines lichtdicht vor das Auge gehaltenen Momentverschlusses.\nDer Normale sieht im Momente der Belichtung alle L\u00f6cher als runde Scheiben (oder, wenn das Auge zuf\u00e4llig w\u00e4hrend derselben eine Bewegung machte, als kurze helle Striche) in ihrer regelm\u00e4fsigen gegenseitigen Anordnung. Werden bei vielen aufeinanderfolgenden Versuchen eines oder mehrere der L\u00f6cher durch schwarze Bl\u00e4ttchen in wechselnder Anordnung verdeckt, so ist Zahl und gegenseitige Lage der ausfallenden hellen Stellen jedesmal mit Sicherheit anzugeben.\nBei Vorhandensein einer dem fovealen Bezirke entsprechenden blinden Stelle m\u00fcfste eine mehr oder weniger grofse Zahl von hellen Flecken ausfallen. Nehmen wir z. B. nur den kleinsten von v. Kries f\u00fcr den Durchmesser des st\u00e4bchenfreien Bezirkes angenommenen Werth, wonach dieser, auf einen Abstand von 1 m projicirt, einem Durchmesser von 35 mm entspr\u00e4che, so m\u00fcfsten bei einem (von mir thats\u00e4chlich benutzten) Abstande von 2 m bezw. 3,3 m durchschnittlich 12, bezw. 20 der hellen Scheiben vollst\u00e4ndig unsichtbar sein, wenn diese 8 mm Durchmesser und 10 mm gegenseitigen Abstand haben.\nW\u00e4hrend mit den fr\u00fcher (und auch vielfach noch jetzt) benutzten Untersuchungs-Methoden g\u00fcnstigsten Falles ein centraler Ausfall nicht nachgewiesen werden kann, gestattet das hier angegebene Verfahren bei richtiger Verwendung in den betreffenden F\u00e4llen den Nachweis, dafs ein centraler Ausfall nicht vorhanden ist.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n101\nWollte Jemand einwenden, dafs sehr kleine Netzhautdefecte auch bei dieser Versuchsanordnnng der Beobachtung entgehen k\u00f6nnten, so zeigt die folgende Berechnung, dafs es sich hier nur um so aufserordentlich kleine Bezirke handeln w\u00fcrde, wie sie f\u00fcr unsere Frage gar nicht in Betracht kommen: F\u00fcr eine bestimmte Blickrichtung m\u00fcfste bei einem Abstande von 3 m der Netzhautdefect, der in einem einzelnen Versuche allenfalls der Beobachtung entgehen k\u00f6nnte, unter den g\u00fcnstigsten Voraussetzungen nur einen Durchmesser von weniger als 0,1 mm haben ; da die Versuche aber stets viele Male und jedesmal bei anderer Blickrichtung wiederholt wurden, so m\u00fcfste thats\u00e4chlich auch ein noch viel kleinerer Defect aufgedeckt werden. Der Durchmesser des Theiles aber, wo nur Zapfen vorhanden sind, betr\u00e4gt (Koster) 0,5 mm, jener, wo die Zapfen vorherrschen, 0,8 mm. Es zeigt sich also, dafs unsere Methode auch solche Defecte nachzuweisen gestattet, die nur einem sehr kleinen Bruchtheile des Durchmessers der Fovea entsprechen wrnrden, w\u00e4hrend andererseits richtige Angaben bei h\u00e4ufiger Wiederholung des Versuches das Vorhandensein eines hier irgend in Betracht kommenden Defectes ausschliefsen lassen.\nad 2. War das Fehlen einer fovealen blinden Stelle mit der ersten Methode nachgewiesen, so wurde das foveale Sehen des total Farbenblinden in der folgenden Weise untersucht: Nach Dunkeladaptation von ca. x/4 Stunde wurden 7 kleine runde Fl\u00e4chen von ca. 4 mm Durchmesser und 15 mm gegenseitigem Abstande sichtbar gemacht, von welchen 6 in Form eines regel-m\u00e4fsigen Sechseckes um ein siebentes, central gelegenes angeordnet waren; ihre Helligkeit konnte nach Bed\u00fcrfnifs regulirt und insbesondere auch sehr gering gemacht werden. Bei einem Theile der Versuche wurde der schwarze Carton, aus dem die L\u00f6cher ausgeschlagen waren, in der Th\u00fcr eines Dunkelzimmers angebracht und vom Nebenzimmer aus mittels eines gegen das Licht drehbaren weifsen Schirmes gleichm\u00e4fsig von r\u00fcckw\u00e4rts belichtet. Bei anderen Versuchen war der Carton mit den L\u00f6chern vor einer Milchglasplatte befestigt, die von r\u00fcckw\u00e4rts durch eine regulirbare Mattglasgl\u00fchlampe beleuchtet wurde. Meist war noch eine rothe Scheibe an passender Stelle eingef\u00fcgt, um den Einflufs des Maculapigmentes auszuschalten. Zur Erleichterung der Beobachtung im indirecten Sehen wurde ein kleiner mit Leuchtfarbe bestrichener Punkt an geeigneter Stelle excentrisch angebracht.\nad 3. Zur Untersuchung des Ablaufes der Erregung nach momentaner Reizung wurde ein in lichtdichter H\u00fclse eingeschlossenes Gl\u00fchl\u00e4mpchen von ca. 4 Volt benutzt, dessen durch Convexlinse parallel gemachte Strahlen ein rundes Milchglas-","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nC. He fs.\nScheibchen yon ca. 2 cm Durchmesser von r\u00fcckw\u00e4rts beleuchteten ; die Lichtst\u00e4rke war durch Eheostaten variirbar. Das L\u00e4mpchen wurde im Dunkelzimmer mit m\u00e4fsiger Geschwindigkeit vor den Augen vor\u00fcbergef\u00fchrt und war vor Beginn und nach Schlufs der Bewegung ausgeschaltet, so dafs der Beobachter sich dann im v\u00f6llig dunklen Raume befand. Mit der gleichen Vorriehtung wurde die Untersuchung \u00fcber die Nachdauer der Reizung vorgenommen.\nFall I. Frau L. 52 Jahre alt. Typische angeborene totale Farbenblindheit. Betr\u00e4chtliche Lichtscheu. Die v. Hippel\u2019sehen Pigmentgleichungen stimmen angen\u00e4hert auch f\u00fcr diese Patientin. Beiderseits hypermetropischer Astigmatismus. Refraction im horizontalen Meridian = 6 D. im verticalen = 8 D. Im rechten Auge findet sich auf der temporalen Seite der Papille ein un-regelm\u00e4fsig begrenzter, ca. 6\u20148 Papillendurchmesser grofser hell gelbr\u00f6thlicher Herd, der von Pigment einges\u00e4umt ist. Das Auge hat eine Sehsch\u00e4rfe von ca. 1/20 und betr\u00e4chtlichen Nystagmus.\nAm linken Auge ist auch bei maximal erweiterter Pupille und Untersuchung im aufrechten Bilde in der Foveagegend nicht die geringste krankhafte Ver\u00e4nderung zu sehen. Sehsch\u00e4rfe mit -f 6 D. = 6/60\u20146/36. Bei etwas herabgesetzter Beleuchtung ist das Sehen ein wenig besser, als bei heller. Aber schon bei solcher Herabsetzung der Beleuchtung, bei welcher der Normale noch eine Sehsch\u00e4rfe von 6/b\u2014\u00b0/io\tnimmt diese\nbei der Patientin wieder deutlich ab. Alle Beobachtungen wurden nur mit diesem besseren Auge vorgenommen. Es zeigte keinen merkbaren Nystagmus.\nDie Untersuchung des fovealen Gebietes in der oben geschilderten Weise ergab, dafs eine blinde Stelle nicht vorhanden ist. Die Patientin gab bei Ausl\u00f6sen des Momentverschlusses stets richtig an, ob alle hellen Flecke sichtbar oder ob einer oder mehrere derselben verdeckt waren und erkannte auch stets die gegenseitige Lage der verdeckten Flecke. Bei Bewegung des Gl\u00fchl\u00e4mpchens gelang es ohne viele M\u00fche, ihr die beiden hellen Nachbild-Phasen sichtbar zu machen, die der Normale unter solchen Umst\u00e4nden wahrnimmt1, und zwar sah sie diese nach\n1 Von mir [Arch. f. Ophth. 51 (2), 229] als Phase 3 und 5 des Nachbild-","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n103\nihrer Beschreibung anscheinend ebenso wie wir (selbstverst\u00e4ndlich bis auf die Farbe). Insbesondere dauerten beide bei ihr sicher nicht l\u00e4nger als bei uns.\nEine centrale Minderempfindlichkeit der Fovea im dunkel-adaptirten Auge war mittels des oben beschriebenen Verfahrens leicht und sicher nachzuweisen; im helladaptirten war eine solche nicht vorhanden.\nFall II. Herr E. 51 Jahre alt, Bruder der vorigen. Skia-skopisch : Hyperm\u00e9tropie rechts von ca. 7 Dioptrieen, links von 2,5 D. Sehsch\u00e4rfe bei heller Beleuchtung rechts mit -+- 6 Dcyl. + 0,5 D Axe horizontal = 6/e0 fast, links mit +2,52) = 6/eo fast. Bei etwas herabgesetzter Beleuchtung giebt Herr E. an, die Buchstaben deutlicher zu sehen, doch steigt die Sehsch\u00e4rfe nicht \u00fcber 6/e0. Nystagmus ist nur zeitweise und auch dann nur minimal vorhanden. Her Patient kann jedenfalls l\u00e4ngere Zeit ohne Nystagmus fixiren. Die Lichtscheu ist betr\u00e4chtlich. Ophthalmoskopisch (Untersuchung bei erweiterter Pupille im aufrechten Bilde) findet sich am rechten Auge in der Maculagegend eine ca. papillengrofse, unregelm\u00e4fsige, gelblichrothe Stelle, die gegen die Umgebung nicht scharf abgegrenzt ist. Zum Theile in ihr, zum Theile an ihrem Rande sieht man einige kleinste, hell gl\u00e4nzende P\u00fcnktchen. Am linken Auge sind ungef\u00e4hr in der Maculagegend gleichfalls 4\u20145 solcher kleinster gl\u00e4nzender P\u00fcnktchen sichtbar, doch ist eine hellere Partie (wie die am anderen Auge), hier nicht vorhanden. Zu unseren Untersuchungen wurde vorwiegend dieses Auge benutzt.\nBei Pr\u00fcfung mit Momentbelichtung gab Herr E. sofort und stets richtig an, ob alle Scheibchen sichtbar oder ob eines oder mehrere verdeckt waren. Die Pr\u00fcfung auf centrale Minderempfindlichkeit ergab, dafs eine solche im dunkeladaptirten Auge sehr ausgesprochen, im helladaptirten dagegen nicht vorhanden war. Die Phasen 3 und 5 des Nachbildverlaufes sah auch dieser total Farbenblinde bald und offenbar im Wesentlichen nicht anders als wir; sicher dauerten sie, ebenso wie die prim\u00e4re Erregung, bei ihm nicht l\u00e4nger als bei uns.\nWurde ein hell leuchtendes, kleines Gl\u00fchl\u00e4mpchen im Dunkelzimmer einigemale rasch an den Augen vor\u00fcbergef\u00fchrt, so\nVerlaufes nach momentaner Belichtung beschrieben; vgl. auch S. 116 des vorliegenden Aufsatzes.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nC. Hefs.\nnahmen Herr E. und seine Schwester nach Unterbrechung des Stromes die bekannten hellen Nachbildlinien wahr. F\u00fcr Frau L. waren sie meist ebenso lang oder etwas k\u00fcrzer sichtbar als f\u00fcr uns, f\u00fcr Herrn E. anscheinend noch k\u00fcrzer als f\u00fcr seine Schwester. Weiter konnte ich bei Herrn E. und bei seiner Schwester noch einige \\ ersuche \u00fcber die Nachdauer der Erregung nach l\u00e4ngerer Erm\u00fcdung des Sehorganes anstellen, da beide im Stande waren, ohne Nystagmus gen\u00fcgend zu fixiren. Mit dem Projections-apparate wurde auf dunklem Grunde ein grofses helles Kreuz entworfen, dessen Schenkel eine L\u00e4nge von ca. 1 Meter und eine Breite von 20 cm hatten und dessen Mitte durch einen schwarzen Punkt kenntlich gemacht war. Nach Fixiren dieses durch 30 Secunden (aus ca. 4 Meter Entfernung) wurde an Stelle des Kreuzes eine grofse gleichm\u00e4fsig helle Fl\u00e4che mit centralem Fixirpunkte sichtbar. Beide total Farbenblinde sahen nun ein dunkles Kreuz auf hellem Grunde, das bei wiederholten Versuchen fur sie keinenfalls l\u00e4nger, meist ein wenig k\u00fcrzer sichtbar schien als f\u00fcr uns.\nFall III. Fri. V. 60 Jahre alt. Typische totale Farbenblindheit, m\u00e4fsige Lichtscheu, die v. HrePEi/schen Gleichungen stimmen angen\u00e4hert auch f\u00fcr diese Dame. Leicht hyper-metropischer Astigmatismus. Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab bei gew\u00f6hnlicher Pupille nichts Abnormes am Augenhintergrunde. Homatropinisirung wurde nicht gestattet.\nMinderung der Beleuchtung hatte keine merkliche Besserung der Sehsch\u00e4rfe zur Folge. Die Untersuchung auf eine foveale blinde Stelle im helladaptirten, auf centrale Minderempfindlichkeit im dunkeladaptirten Auge sowie die Untersuchung auf Nachbilder nach kurzdauernder Reizung hatte im Wesentlichen das gleiche Ergebnifs wie bei Fall I und II.\n(Diese Untersuchung wurde gemeinsam mit Herrn Geh.-Rath Hering vorgenommen.)\nFall IY. Herr Geh.-Rath Hering hatte die Freundlichkeit, die schon fr\u00fcher von uns untersuchte, jetzt 35-j\u00e4hrige total farbenblinde Fri. F. mit der oben beschriebenen Methode der momentanen Belichtung auf das Vorhandensein einer centralen blinden Stelle zn untersuchen. Das Verfahren ergab, in Ueber-emstimmung mit dem fr\u00fcher von uns auf anderem Wege Ermittelten, dafs eine centrale blinde Stelle auch bei dieser Dame nicht vorhanden war. Bei Untersuchung mit bewegtem, schwach","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n105\nleuchtendem Gl\u00fchl\u00e4mpchen schien sie das nachlaufende Bild (Phase 3) ganz gut zu sehen. Bez\u00fcglich der Phase 5 hatten wir schon fr\u00fcher festgestellt, dafs sie \u201edas Nachbild, entsprechend der vom Lichte durchmessenen Bahn, in Form eines leuchtenden Schweifes sah, der (bei \u00f6fter wiederholten Versuchen) f\u00fcr sie angen\u00e4hert ebenso lange bestehen blieb, wie f\u00fcr ein normales Auge unter gleichen Bedingungen\u201c.\nDas Vorhandensein einer centralen Minderempfindlichkeit bei Dunkeladaptation, das wir gleichfalls schon fr\u00fcher nachgewiesen hatten, wurde mit der geschilderten Methode nochmals festgestellt.\nF a 11 V. J. P. 12 Jahre alt.\nIn der Familie sollen mehrfach Sehst\u00f6rungen aufgetreten sein, \u00fcber die sich indes nichts Genaueres ermitteln liefs. Der Vater des Patienten hat die Tochter seiner Cousine zur Frau.\nSehsch\u00e4rfe beiderseits \u2014 6/e<> 5 einfach myopischer Astigmatismus von ca. 2,5 D, dessen Correction die Sehsch\u00e4rfe nicht nennens-werth bessert. Nystagmus beider Augen und Lichtscheu sind hier st\u00e4rker ausgesprochen als in den anderen von mir bisher untersuchten F\u00e4llen. Patient giebt an, bei herabgesetzter Beleuchtung besser zu sehen; objectiv war eine solche Besserung aber nicht nachweisbar. Die Untersuchung auf etwaiges Vorhandensein einer fovealen blinden Stelle mit der oben angegebenen Methode hatte das gleiche Ergebnifs, wie bei den vorher angef\u00fchrten F\u00e4llen. Phase 3 des Nachbild verlauf es nach momentaner Beizung des Sehorgans wurde schon nach wenigen Versuchen wahrgenommen und erschien dem Patienten offenbar ganz \u00e4hnlich, wie uns. Insbesondere war die Dauer der Sichtbarkeit der Phasen 1 und 3 auch bei ihm sicher nicht merklich gr\u00f6fser als bei uns.\nWeitere Versuche wurden mit der kleinen, helleren Gl\u00fchlampe angestellt, die einigemale rasch vor den Augen hin und her bewegt wurde. Der Patient sah, ebenso wie wir, nach Schlufs der Reizung helle Nachbildlinien, die ihm (bei oft wiederholten Versuchen), meist angen\u00e4hert ebenso lang wie uns, sicher nicht l\u00e4nger, sichtbar waren. Die Untersuchung auf etwaige centrale Minderempfindlichkeit des dunkeladaptirten Auges konnte wegen des Nystagmus nicht vorgenommen werden. Auch die ophthalmoskopische Untersuchung liefs sich deshalb trotz vieler Bem\u00fchungen (am homatropinisirten Auge) nicht mit gew\u00fcnschter","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nC. Hefs.\nGenauigkeit durchf\u00fchren. Gr\u00f6bere Ver\u00e4nderungen fehlten. Der Hintergrund erschien stark marmorirt, zuweilen schienen kleine helle Herdchen in der Netzhaut sichtbar; doch liefs sich nicht feststellen, ob sie dem fovealen Gebiete entsprachen.\nII.\nWenn wir untersuchen wollen, inwieweit die im Vorstehenden mitgetheilten Ergebnisse f\u00fcr unsere Auffassung von der totalen Farbenblindheit von Werth sein k\u00f6nnen, so m\u00f6gen zun\u00e4chst einige Bemerkungen \u00fcber die v. KaiEs\u2019schen Erkl\u00e4rungsversuche schon um deswillen hier Platz finden, weil diese immer noch auch unter Ophthalmologen Anh\u00e4nger zu haben scheinen.\nDie bekannte Lichtscheu der total Farbenblinden hatte v. Kries aus seiner Hypothese zu erkl\u00e4ren gesucht mit den Worten : \u201eDiese Deutung (sc. der \u00bbMonochromaten\u00ab als \u00bbSt\u00e4bchenseher\u00ab) wird sich, von manchem anderen abgesehen, auch dadurch empfehlen, dafs sie eine einfache Erkl\u00e4rung f\u00fcr die herabgesetzte Sehsch\u00e4rfe und die Lichtscheu jener total Farbenblinden giebt.\u201c Andererseits hatte aber v. Kries angegeben, dafs der St\u00e4bchenapparat vermutlich \u201ekeine sehr intensiven Lichtempfindungen zu liefern vermag\u201c und dafs im hellen Lichte \u201eihre (sc. der St\u00e4bchen) Effecte gegen\u00fcber denjenigen der Zapfen dann mehr zur\u00fccktreten\u201c.\nFerner nimmt v. Kries an (was lange vor ihm schon von K\u00fchne, Parinaud und Anderen eingehend er\u00f6rtert worden war), der St\u00e4bchenapparat sei \u201evor Allem durch seine hochgradige Adaptationsf\u00e4higkeit ausgezeichnet, welche mit grofser Wahrscheinlichkeit auf den wechselnden Sehpurpurgehalt der St\u00e4bchen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden kann\u201c. Die beiden zuerst angef\u00fchrten Annahmen stehen, wie wir zeigten,1 mit den Thatsachen in Widerspruch: Die v. KRiEs\u2019sche Plypothese k\u00f6nnte unm\u00f6glich die \u201eLichtscheu\u201c der total Farbenblinden erkl\u00e4ren; vielmehr m\u00fcfste nach ihr gerade das Gegentheil von Lichtscheu erwartet werden.\nv. Kries schreibt nun2 : \u201eAuch das endlich ist eine von Herino und Hess mir zugeschriebene, von mir aber niemals\n1\tHess u. Hering. Untersuchungen an total Farbenblinden. Pfl\u00fcger\u2019s Arch. 71, 8. 105.\n2\tDiese Zeitschrift 25.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n107\nausgesprochene Meinung, dafs der total Farbenblinde in hellerer Beleuchtung wegen Einbufse an Sehpurpur nur dunkles Grau empfinden k\u00f6nne.\u201c Diese Behauptung von v. Kries ist irrig. Die fragliche Stelle unserer Arbeit lautet: \u201eNach der v. Kries-schen Hypothese w\u00e4re ja das schlechtere Sehen der total Farbenblinden bei st\u00e4rkerer Beleuchtung darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs dabei der Sehpurpur ihrer St\u00e4bchen zu stark abnimmt, daher sie dann nicht einmal mehr m\u00e4fsig helles Grau, sondern nur dunkles Grau trotz starker Beleuchtung empfinden k\u00f6nnten.\u201c Wir haben nicht v. Kries die fragliche Meinung zugeschrieben, sondern lediglich einen nach unserer Ansicht noth wendigen Schlufs aus der v. KRiEs\u2019schen Hypothese gezogen. Nun sucht v. Kries der Nothwendigkeit dieses Schlusses durch den Satz zu begegnen: \u201eOb die Adaptation f\u00fcr den Empfindungseffect die Wechsel der Beleuchtung ganz oder theilweise compensire oder \u00fcbereompensire (wie H. und H. ohne jeden Grund postuliren), dar\u00fcber habe ich nie eine Meinung ausgesprochen.\u201c\nEs ist schlechterdings unverst\u00e4ndlich, wie v. Kries diesen Satz schreiben konnte, angesichts der Thatsache, dafs er von den St\u00e4bchen einerseits ganz allgemein sagt, dafs sie auch bei starker Beizung nicht die Empfindung grofser Helligkeit, sondern nur die eines m\u00e4fsig hellen Grau zu liefern verm\u00f6gen und andererseits ausdr\u00fccklich hervorhebt, dafs wir uns die St\u00e4bchen im helladaptirten Auge \u201evon sehr viel geringerer Erregbarkeit als im purpurreichen Zustande vor stellen m\u00fcssen\u201c.1\nWenn die St\u00e4bchen \u00fcberhaupt \u2014 also auch wenn sie purpurreich sind -\u2014 nur die Empfindung eines m\u00e4fsig hellen Grau selbst \u201ebei starker Reizung\u201c zu liefern verm\u00f6gen und wenn ihre Erregbarkeit im helladaptirten, also purpurarmen Auge \u201esehr viel geringer\u201c ist, so k\u00f6nnte doch offenbar auch im g\u00fcnstigsten F alle nur die Empfindung eines dunklen Grau resultiren. Ich \u00fcberlasse dem Leser das Urtheil \u00fcber die v. KRiEs\u2019sche Bemerkung, dafs wir diesen Schlufs \u201eohne jeden Grund\u201c postulirt h\u00e4tten.\n1 Arch. f. Ophth. 42 (3), 132: \u201eUnd die Frage (sc. des Purpurgehalts) betrifft keineswegs blos die der Fovea am meisten benachbarten St\u00e4bchen, sondern auch die peripheren im helladaptirten Auge, welche wir uns sicher lieh auch functionsf\u00e4hig, nur eben von sehr viel geringerer Erregbarkeit als im purpurreichen Zustande vorstellen m\u00fcssen.\u201c","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nG. JELefs.\nUnsere Er\u00f6rterungen \u00fcber den fraglichen Punkt hatten in erster Linie die Lichtscheu der total Farbenblinden zum Gegenst\u00e4nde. Nach der v. KniEs\u2019schen Hypothese m\u00fcfste, wie wir dort zeigten, in viel h\u00f6herem Grade als der total Farbenblinde der Normale an Lichtscheu leiden, da ja im hellen Lichte \u201edie Reizungseffecte der Zapfen in einem grofsen Ueberge wichte\u201c sein sollen.\nDiesen Punkt unserer Er\u00f6rterung hat v. Kries in seiner Entgegnung unber\u00fchrt gelassen. Er erw\u00e4hnt die Lichtscheu der total Farbenblinden mit keinem Worte mehr, versucht dagegen deren schlechtes Sehen bei heller Beleuchtung durch zwei Hypothesen, eine ganz neue und eine schon fr\u00fcher von ihm ge\u00e4ufserte, zu erkl\u00e4ren. Er schreibt: \u201eM. E. beruht das schlechte Sehen der total Farbenblinden in hellem Lichte auf der hochgradigen localen Adaptation und dem sehr langen Nachdauern der Reize\u201c.\nEs ist zu untersuchen, inwieweit diese beiden Hypothesen den bisher beobachteten Thatsachen entsprechen. Den Begriff der \u201elocalen Adaptation\u201c entlehnt v. Kries den HERiNG\u2019schen Anschauungen; Hering1 hat denselben mit folgenden Worten charakterisirt : \u201eSo oft aneinandergrenzende Theile des somatischen Sehfeldes in unver\u00e4ndert anhaltender Weise verschieden stark oder verschieden farbig belichtet werden, \u00e4ndern sich unter dem Einfl\u00fcsse des Lichtes und infolge der Wechselwirkung der Sehfeldstellen die Erregbarkeiten der letzteren derart, dafs sehr bald die Verschiedenheit der Belichtung durch eine sich in entgegengesetztem Sinne entwickelnde Verschiedenheit der Erregbarkeiten ausgeglichen wird, und nun beide Sehfeldstellen gleich hell bezw. gleich farbig erscheinen.\u201c (Diese locale Adaptation Hering\u2019s erkl\u00e4rt z. B. die Thatsache, dafs wir f\u00fcr gew\u00f6hnlich von der Macula und dem Gef\u00e4fsschatten der Netzhaut nichts wahrnehmen.) So erfreulich es ist, wenn v. Kries sich auch hier den HERiNG\u2019schen Anschauungen n\u00e4hert, so ist doch auf die folgenden Schwierigkeiten und Widerspr\u00fcche in dem erw\u00e4hnten Erkl\u00e4rungsversuche hinzuweisen, v. Kries schreibt2 : \u201eAus der leichten Erm\u00fcdbarkeit der St\u00e4bchen, der grofsen Bedeutung dessen, was Hering locale Adaptation nennt, erkl\u00e4rt\n1\tHering. Ueber den Einflufs der Macula lutea auf spectrale Farbengleichungen. F fl\u00fcg er\u2019s Arch. 54, S. 278.\n2\tCentralbl. f. Physiol. 1894, S. 697.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n109\nsich ferner, was wir namentlich bei Beobachtung dunkler Objecte auf hellem Grunde sehr auff\u00e4llig fanden, dafs der mit seinen St\u00e4bchen sehende Trichromat um kleine Gegenst\u00e4nde zu erkennen, das Auge fortw\u00e4hrend hin und her bewegen mufs. Es ist wohl keine zu k\u00fchne Vermuthung, dafs in dem gleichen Umstande auch der von den meisten Monochromaten angegebene Nystagmus seine Erkl\u00e4rung findet\u201c.\nDie Fassung der ersten H\u00e4lfte dieses Satzes kann dem Leser leicht ein unzutreffendes Bild von der HERiNG\u2019schen Anschauung geben, insofern es den Anschein haben mufs, als sei nach Hering die locale Adaptation etwa gleichbedeutend mit Erm\u00fcdbarkeit der St\u00e4bchen. Dies ist aber unrichtig ; denn einmal hat Hering sich niemals \u00fcber Bedeutung der St\u00e4bchen oder Zapfen f\u00fcr die locale Adaptation ge\u00e4ufsert, ferner aber, und dies ist noch wesentlicher, hat er ja gezeigt, dafs locale Adaptation nicht gleichbedeutend mit Erm\u00fcdung ist, dafs dieselbe keineswegs einseitig als ein Erm\u00fcdungsvorgang aufgefafst werden darf.\nAber selbst wenn die locale Adaptation in dem von v. Kries gewollten Sinne die Ursache des schlechten Sehens der \u201eTriChromaten\u201c bei stark herabgesetzter Beleuchtung w\u00e4re, so w\u00e4re es doch unzul\u00e4ssig, in gleicher Weise das schlechte Sehen der \u201eMonochromaten\u201c bei heller Beleuchtung zu erkl\u00e4ren. Denn diese Annahme w\u00e4re ja nur unter der unzutreffenden Voraussetzung statthaft, dafs die locale Adaptation innerhalb enorm weiter Grenzen unabh\u00e4ngig w\u00e4re von der Intensit\u00e4t der Beleuchtung. Wenn ein normales Auge w\u00e4hrend der D\u00e4mmerung oder \u00fcberhaupt bei schwacher Beleuchtung z. B. ein dunkles Object auf hellem Grunde \u201enur mit seinen St\u00e4bchen sieht\u201c, so sind einerseits die absoluten Intensit\u00e4tsunterschiede, andererseits die subjectiven Helligkeiten und ihre Unterschiede ganz andere, als wenn ein total Farbenblinder das gleiche Object bei starker Beleuchtung betrachtet. Es ist nicht ang\u00e4ngig, so ohne Weiteres aus den Verh\u00e4ltnissen bei sehr schwacher Beleuchtung Schl\u00fcsse auf gleiches Verhalten der localen Adaptation bei starker Beleuchtung zu ziehen.\nEs m\u00f6ge hier hervorgehoben werden, dafs v. Kries f\u00fcr den Nystagmus der total Farbenblinden eine ganz andere Erkl\u00e4rung heranzieht, als sein Sch\u00fcler Nagel. Letzterer schreibt [Arch. f. Augenheilk. 44 (2), 160] : \u201eWichtig f\u00fcr unsere Frage ist die Thatsache, dafs in fast allen bekannt gewordenen F\u00e4llen totaler Farbenblindheit Nystagmus entweder dauernd bestand oder doch vor\u00fcbergehend auftrat; auch Strabismus ist h\u00e4ufig erw\u00e4hnt. Diese","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nC. Hefs.\nDinge erkl\u00e4ren sich sehr einfach, wenn man Ausfall der Foveafunction annimmt.\u201c1\nW\u00e4hrend also v. Kkies selbst den Nystagmus aus der localen Adaptation zu erkl\u00e4ren sucht, greift sein Sch\u00fcler Nagel wieder auf die alte K\u00f6Nia\u2019sche Erkl\u00e4rung zur\u00fcck, welche ja schon darum hinf\u00e4llig ist, weil in den uncomplicirten F\u00e4llen von totaler Farbenblindheit ein solcher centraler Ausfall gar nicht vorhanden ist, wie wir bisher an 7 genauer untersuchten F\u00e4llen nachweisen konnten.\nEine ganz neue Hypothese stellt die v. Kries\u2019sehe Behauptung dar, dafs das schlechte Sehen der total Farbenblinden in hellem Lichte auf \u201edem sehr langen Nachdauern der Reize\u201c beruhe.2 Diese Fassung mufs bei dem mit der Sache weniger Vertrauten die Meinung erwecken, dafs es sich bei dem \u201esehr langen Nachdauern der Reize\u201c um eine feststehende Thatsache handle. Es ist daher zu betonen, dafs bisher nicht eine einzige Thatsache bekannt geworden ist, die beim total Farbenblinden ein l\u00e4ngeres Nachdauern der Reize als beim Normalen auch nur wahrscheinlich machte; wohl aber spricht eine Reihe von leicht festzustellenden Thatsachen aufs Bestimmteste gegen diese Annahme. So haben wir bei mehrfachen Untersuchungen an verschiedenen total Farbenblinden festgestellt, dafs nach momentaner Reizung mit Lichtern von sehr verschiedener Lichtst\u00e4rke nicht nur der Typus des Abklingens der Nachbilder, sondern auch die Dauer ihrer Sichtbarkeit bestimmt nicht gr\u00f6fser ist, wie bei uns. Bei mehreren der neuerdings von mir Untersuchten habe ich mein besonderes Augenmerk auf diesen Punkt gerichtet und den Nachweis f\u00fchren k\u00f6nnen, dafs weder bei momentaner, noch bei l\u00e4ngerdauernder Reizung, weder bei geringen, noch bei h\u00f6heren Lichtst\u00e4rken dieses von v. Kries behauptete \u201esehr lange Nachdauern der Reize\u201c existirt.\nDie v. KRiEs\u2019sche Behauptung von der sehr langen Nachdauer der Reize ist somit schon thats\u00e4chlich unrichtig. Es h\u00e4tte aber des Nachweises dieser Unrichtigkeit gar nicht bedurft, um die Unvereinbarkeit seiner Annahme mit den Thatsachen dar-zuthun: Da die St\u00e4bchen des Normalen in gleicher Weise functioniren sollen, wie die des total Farbenblinden, so w\u00e4re zun\u00e4chst zu erwarten, dafs auch f\u00fcr den Normalen bei hellem Lichte ein sehr langes Nachdauern der Reize best\u00fcnde; nun sagt aber v. Kries: \u201eF\u00fcr den Normalen ist dies nicht der Fall, weil die Reizungseffecte der Zapfen in einem grofsen Ueber-\n1\tIm Original nicht gesperrt gedruckt.\n2\tDiese Zeitschr. 19, S. 181.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n111\ngewichte sind.\u201c v. Kbies mufs also hier annehmen: 1. Dafs der im grofsen Uebergewichte vorhandene Reizungseffect der Zapfen viel k\u00fcrzer dauert als der schw\u00e4chere Reizungseffect der St\u00e4bchen und 2. dafs er trotz seiner k\u00fcrzeren Dauer im Stande ist, das \u201elange Nachdauern\u201c des Reizungseffectes der St\u00e4bchen auf irgend welche Weise zu hemmen.1\nBeides sind nothwendige Consequenzen der v. KBiEs\u2019schen Anschauungen ; dafs wir uns nicht weiter mit ihnen besch\u00e4ftigen, bedarf wohl keiner Begr\u00fcndung. Uebrigens ist es v. Kbies anscheinend gar nicht klar geworden, dafs seine beiden Erkl\u00e4rungsversuche f\u00fcr das schlechte Sehen der total Farbenblinden, \u201edie hochgradige locale Adaptation\u201c und das \u201esehr lange Nachdauern der Reize\u201c sich gegenseitig direct ausschliessen : Wo hochgradige locale Adaptation besteht, dauern die Reize nicht lange nach, und bei sehr langer Nachdauer der Reize kann nicht von hochgradiger localer Adaptation die Rede sein.\nEine besondere Besprechung erfordert die Frage nach dem fovealen Sehen der total Farbenblinden.\nBekanntlich hatte v. Kbies fr\u00fcher nur die Hypothese er\u00f6rtert, dafs beim total Farbenblinden \u201elediglich Mangel oder Functionsunf\u00e4higkeit des Zapfenapparates vorliegt, w\u00e4hrend die sonstigen Verh\u00e4ltnisse, insbesondere die r\u00e4umliche Vertheilung der St\u00e4bchen mit der Norm \u00fcbereinstimmen\u201c. Nachdem die Unhaltbarkeit dieser Hypothese von uns nachgewiesen worden war, erkl\u00e4rte v. Kbies, es sei f\u00fcr ihn wahrscheinlich, \u201edafs in gewissen F\u00e4llen von angeborener totaler Farbenblindheit \u00fcberall statt der Zapfen St\u00e4bchen gebildet werden und dafs also u. A. ein der normalen Fovea entsprechender blinder Bezirk, ein Scotom, nicht existirt\u201c. Thats\u00e4chlich hatten wir schon vor v. Kbies auch diese M\u00f6glichkeit eingehend er\u00f6rtert und gezeigt, dafs bei den von uns untersuchten total Farbenblinden ganz so wie beim Normalen, entsprechend der Stelle des direeten Sehens sich ein Netzhautbezirk findet, der im dunkeladaptirten Auge f\u00fcr schwache Lichtreize relativ weniger erregbar ist, als die umgebenden Netzhautpartien, so dafs gen\u00fcgend lichtschwache Objecte bei centralem Fixiren ganz unsichtbar werden. \u201eDa nun\u201c, so sagten wir, \u201edie gleiche Erscheinung offenbar in ganz analoger Weise auch bei den total Farbenblinden auftritt, so\n1 Und doch soll wieder der monochromatische Apparat vom farbent\u00fcchtigen Hellapparate \u201eunabh\u00e4ngig\u201c sein. [Arch. f. Ophth. 42 (3).]","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nC. Hefs.\nsind wir wohl berechtigt, es wahrscheinlich zu finden, dafs der analogen Function eine analoge anatomische Anordnung der lichtempfindlichen Elemente entsprechen d\u00fcrfte.\u201c\nHiergegen wendet sich nun y. Kries mit den Worten:\n\u201eNicht minder unzutreffend ist es, wenn die Verfasser einen Widerspruch gegen meine Annahmen daraus herleiten wollen, dafs auch das total farbenblinde Auge, dunkeladaptirt, central geringere Lichtempfindlichkeit besitze. Weil nach mir, wie sie sagen, die centrale Minderempfindlichkeit \u00bblediglich dadurch bedingt sein soll, dafs die Netzhaut an dieser Stelle nur Zapfen enth\u00e4lt\u00ab, schreiben sie mir die Meinung zu, dafs alle \u00fcberhaupt st\u00e4bchenhaltige Theile gleiche Empfindlichkeit besitzen m\u00fcfsten. Ich w\u00fcfste nicht, welche Stelle meiner Arbeiten berechtigen k\u00f6nnte, mir diese Annahme, die alle M\u00f6glichkeiten verschiedener Leitungsverh\u00e4ltnisse, verschiedenen Purpurreichthums u. s. w. schlechtweg ignorirte, auch nur als Vermuthung, geschweige als nothwendiges Requisit der St\u00e4bchentheorie zuzuschreiben\u201c.\nZun\u00e4chst m\u00f6ge hier angef\u00fchrt werden, dafs v. Kries f\u00fcr das normale Auge ausdr\u00fccklich hervorgehoben hat, dafs nach seiner Meinung alle hier in Betracht kommenden st\u00e4bchenhaltigen Theile gleiche Empfindlichkeit besitzen. Denn er schreibt (diese Zeitschrift 15 S. 258): Im dunkeladaptirten Zustande \u201efindet sich, wie man einfach sagen kann, keine merkbare Differenz zwischen den paracentralen Theilen und den mehr excentrischen\u201c. Und weiter: Es \u201edarf wohl der Satz als gen\u00fcgend gesichert gelten, dafs im dunkeladaptirten Zustande die verschiedenen Theile der Netzhaut alle \u00fcbereinstimmend, auch die Peripherie also mit einem Helligkeitsverh\u00e4ltnifs sieht, welches der bekannten Vertheilung der D\u00e4mmerungswerthe entspricht.\u201c Hiernach mufste der unbefangene Leser doch wohl vermuthen, dafs, wenn \u00fcberall statt der Zapfen St\u00e4bchen gebildet werden sollen, diesen St\u00e4bchen auch die charakteristischen Merkmale der \u00fcbrigen St\u00e4bchen zugeschrieben werden w\u00fcrden. Die Annahme, dafs sie wesentlich anders functioniren sollten, wie alle St\u00e4bchen auf der ganzen \u00fcbrigen Netzhaut, war doch zu fernliegend ! Um nun die Hypothese, dafs beim total Farbenblinden \u00fcberall statt der Zapfen St\u00e4bchen gebildet seien, zu retten, macht v. Kries zwei neue Hypothesen, von welchem die eine schon deshalb aufser Betracht bleiben kann, weil sie mit gut constatirten Thatsachen in Widerspruch steht. Denn wenn die","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n113\ncentrale Minderempfindlichkeit des dunkeladaptirten total farbenblinden Auges durch Verschiedenheit der Leitungsverh\u00e4ltnisse bedingt w\u00e4re, so m\u00fcfste sie sich im helladaptirten Auge in \u00e4hnlicher Weise zeigen, wie im dunkeladaptirten; dies trifft aber nicht zu, wie wir an mehreren uncomplicirten F\u00e4llen zeigen konnten : Im helladaptirten Auge der total Farbenblinden fehlt, ebenso wie beim Farhent\u00fcchtigen, im Allgemeinen (bei uncomplicirten F\u00e4llen) die centrale Minderempfindlichkeit, die im dunkeladaptirten so deutlich hervortritt.\nNicht gl\u00fccklicher ist die zweite v. KaiEs\u2019sche Hypothese, wonach der foveale Bezirk des total Farbenblinden zwar St\u00e4bchen enthalten soll, aber solche mit geringerem Purpurgehalte. Die v. KaiEs\u2019sche Schule betont einerseits ausdr\u00fccklich die M\u00f6glich-lichkeit, dafs hier an Stelle der ausfallenden typischen Netzhautzapfen percipirende Elemente \u201evom physiologischen Charakter der St\u00e4bchen\u201c1 getreten sein k\u00f6nnten, mufs aber andererseits f\u00fcr die in Rede stehende Hypothese annehmen, dafs diese St\u00e4bchen bez\u00fcglich ihrer Purpurbildung sich angen\u00e4hert so verhalten, wie die fovealen Zapfen des Farbent\u00fcchtigen. v. Kries giebt also f\u00fcr diese St\u00e4bchen das nach ihm Wesentliche im physiologischen Charakter der St\u00e4bchen \u00fcberhaupt auf, n\u00e4mlich ihre \u201ebesonders hohe\u201c Adaptationsf\u00e4higkeit, die ja eben \u201emit grofser Wahrscheinlichkeit\u201c auf die Sehpurpurbildung bezogen wird. Was bleibt denn vom \u201ephysiologischen Charakter\u201c der St\u00e4bchen an den fraglichen Gebilden \u00fcbrig, wenn sie sich betreffs der Sehpurpurbildung nicht wesentlich anders verhalten, wie die fovealen Zapfen des Gesunden?\nSchon f\u00fcr das normale Auge nimmt v. Kries das Vorkommen total farbenblinder Zapfen auf der Netzhautperipherie an. L\u00e4ge es da nicht viel n\u00e4her, die fragliche Minderempfindlichkeit der Fovea des total Farbenblinden durch die Annahme von Zapfen zu erkl\u00e4ren, bei welchen die F\u00e4higkeit der Vermittelung farbiger Empfindung nicht zur Entwickelung gekommen ist? Mir scheint es wenigstens viel n\u00e4herliegend, eine solche Annahme zu machen, als den von der v. KRiEs\u2019schen Schule bisher so nachdr\u00fccklich betonten Unterschied zwischen Zapfen und St\u00e4bchen bez\u00fcglich Sehpurpurbildung und Adaptation so vollst\u00e4ndig zu verwischen, wie es durch die in Rede stehende H\u00fclfshypothese geschieht.\n1 Nagel. Arch. f. Augenheilk. 44 (2), 156.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 29.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nC. Hefs.\nWas die Bedeutung der an total Farbenblinden gewonnenen Untersuchungsergebnisse f\u00fcr die Hering\u2019sehe Theorie im Allgemeinen betrifft, so gen\u00fcge hier der Hinweis, dafs Hering, bevor ein Fall von totaler Farbenblindheit genauer untersucht war, \u201eim Voraus zu jeder beliebigen farbigen Fl\u00e4che diejenige weifse, graue oder schwarze Fl\u00e4che herstellen konnte, welche dem Farbenblinden nach Art und Helligkeit gleich der farbigen erscheinen mufste\u201c, und dafs das Ergebnifs \u2014 das bekanntlich seitdem an vielen F\u00e4llen \u00fcbereinstimmend best\u00e4tigt worden ist, \u2014 alledem, was nach der Theorie erwartet worden war, in fast \u00fcberraschender Weise entsprach. Die fraglichen Untersuchungen an den total Farbenblinden stellen somit betreffs der Annahme besonderer Weifsvalenzen der farbigen Lichter eine gl\u00e4nzende Best\u00e4tigung der HERiNG\u2019schen Theorie dar; es ist fernerhin bisher in der ganzen Lehre von der totalen Farbenblindheit noch keine Thatsache bekannt geworden, die mit den HERiNG\u2019schen Anschauungen nicht in Einklang st\u00fcnde.\nMan k\u00f6nnte fragen, wie nach dem hier Mitgetheilten einige in der letzten Zeit beschriebene F\u00e4lle von totaler Farbenblindheit aufzufassen seien, bei welchen ein centraler Defect mehr oder weniger sicher nachgewiesen ist. Dafs bei einer so schweren St\u00f6rung der normalen Function, wie sie die totale Farbenblindheit darstellt, gelegentlich auch ohne st\u00e4rkere ophthalmoskopisch nachweisbare Ver\u00e4nderungen centrale Defecte Vorkommen m\u00f6gen, ist gewifs nicht wunderbar, und ich habe deshalb schon bei einer fr\u00fcheren Gelegenheit betont, dafs ich sein Vorkommen in manchen F\u00e4llen in keiner Weise bezweifle, ihm aber aus naheliegenden Gr\u00fcnden eine grofse Bedeutung f\u00fcr das Verst\u00e4ndnifs der totalen Farbenblindheit nicht zuerkennen k\u00f6nne. Dafs bei so schweren ophthalmoskopischen Ver\u00e4nderungen wie z. B. in dem von Nagel k\u00fcrzlich mitgetheilten Falle, kein mit den einschl\u00e4gigen Verh\u00e4ltnissen Vertrauter aus dem Vorhandensein eines Gesichtsfelddefectes irgendwelche Schl\u00fcsse in betreff der Theorie der totalen Farbenblindheit ziehen wird, bedarf keines Beweises.\nIn welcher Weise unter Umst\u00e4nden die an total Farbenblinden erhobenen Befunde theoretisch verwerthet werden, m\u00f6ge ein Beispiel zeigen:\nNagel berichtet von einem Patienten, \u00fcber dessen Alter er nichts an-giebt und \u00fcber dessen Refraction er nur erw\u00e4hnt, dafs er \u2014 10 D getragen habe und mit \u20147,0 D 3/25 Sehsch\u00e4rfe hatte; ob eine objective Refractions-bestimmung \u00fcberhaupt vorgenommen wurde, ist nicht angegeben. Bei Untersuchung im umgekehrten Bilde war \u201ein der Maculagegend ein runder","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n115\nziemlich scharf begrenzter papillengrofser r\u00f6thlichgelber Fleck mit einigen ganz kleinen Pigmentfleckchen darin\u201c sichtbar. \u201eWenn der Patient aufgefordert wurde, direct in die gespiegelte Lichtquelle zu sehen, stellt sich nicht, wie normal, die Fovea ein, sondern eine paracentrale Partie, von der Fovea nur der temporale Rand.\u201c Nagel schliefst daraus, dafs ein von ihm gefundenes paracentrales Scotom \u201esehr wahrscheinlich\u201c der Fovea entsprochen habe! Nagel\u2019s Angaben sind auch insofern ungen\u00fcgend, als nicht angegeben wird, ob bei enger oder k\u00fcnstlich erweiterter Pupille untersucht wurde und warum bei so wichtigem Befunde kein Wort \u00fcber die Untersuchung im aufrechten Bilde gesagt ist, die ja bekanntlich allein eine einigermaafsen genaue Beobachtung der Fovea gestattet. Ferner fehlt jede Angabe \u00fcber die Lage der Pupille zur Gesichtslinie, die f\u00fcr die frag liehe Untersuchung unerl\u00e4fslich war. Vor allem aber weifs jeder Anf\u00e4nger, dafs die scheinbare Lage der Foveagegend etc. zum Pupillenrande in erster Linie von der Stellung der vor das Auge gehaltenen Lupe abh\u00e4ngt. Durch kleine Lupenbewegungen k\u00f6nnen wir bekanntlich selbst bei weiter Pupille (noch viel eher nat\u00fcrlich bei enger) die Foveagegend beliebig dem einen oder anderen Pupillenrande n\u00e4hern. Nicht einmal das ist Nagel bekannt, denn sonst k\u00f6nnte er unm\u00f6glich sagen, seine Annahme von der Blindheit der Fovea werde durch die fragliche Beobachtung \u201esehr wahrscheinlich\u201c.\nEine weitere eigenth\u00fcmliche St\u00fctze f\u00fcr seine Annahme, dafs das gefundene \u201eScotom\u201c nicht auf die schweren ophthalmoskopischen Ver\u00e4nderungen, sondern auf die Fovea zu beziehen sei, leitet Nagel daraus her, dafs dieses Scotom wesentlich kleiner war, als die sichtbare Fundusanomalie! Diese letztere entsprach einem Winkel von etwa 6\u00b0, das Scotom aber hatte nur eine Winkelgr\u00f6fse von h\u00f6chstens 2\u00b0. Wenn das Scotom gr\u00f6fser gewesen w\u00e4re, als die Fundusanomalie, so k\u00f6nnte allenfalls eine derartige Schlufsfolgerung eine gewisse Berechtigung haben ; unverst\u00e4ndlich aber mufs es f\u00fcr jeden mit diesen Dingen einigermaafsen Vertrauten sein, wie die geringere Gr\u00f6fse des Defects \u201egegen eine Ableitung des Scotoms aus der sichtbaren Fundusanomalie sprechen\u201c soll. Nagel f\u00e4hrt fort: \u201eUngef\u00e4hr so grofs (nur wenig kleiner) aber ist durchschnittlich (individuelle Schwankungen in erheblichem Betrage kommen ja bekanntlich vor) der centrale Theil des Foveagebietes, der in physiologischer wie histologischer Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt, n\u00e4mlich der St\u00e4bchen und des Seli-purpurs entbehrt.\u201c Diese Angaben Nagel\u2019s wmichen wesentlich ab von jenen, die v. Kries selbst \u00fcber den st\u00e4bchenfreien Bezirk macht. Letzterer schreibt: \u201eNach der functioneilen Beobachtung w\u00fcrde ich darnach dem st\u00e4bchenfreien Bezirke eine Ausdehnung von etwra 4\u00b0, nach jeder Seite je 2\u00b0 vom Centrum zuschreiben.\u201c v. Kries nimmt also den fovealen st\u00e4bchenfreien Bezirk um Mehr als doppelt so grofs an als Nagel. Ueber individuelle Schwau\u00e4ungen in so erheblichem Betrage ist entgegen der Behauptung Nagel\u2019s gar nichts bekannt. Dafs solche so enorme Betr\u00e4ge erreichen k\u00f6nnen, ist nicht wahrscheinlich.\nDie vorstehenden Bemerkungen haben lediglich den Zweck, zu zeigen, mit wie grofser Vorsicht manche, z. Th. auf Grund ganz ungen\u00fcgender Untersuchungen gemachte Angaben \u00fcber foveale Gesichtsfeldausf\u00e4lle beim total Farbenblinden aufzunehmen sind.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\n0. Hefs.\nJedenfalls geht ans den bisher vorliegenden Thatsachen soviel hervor, dafs F\u00e4lle von totaler Farbenblindheit, die nicht durch einen centralen Ausfall complicirt sind, durchaus nicht selten Vorkommen. Es bedarf keiner besonderen Begr\u00fcndung, dafs die Untersuchung solcher uncomplieirter F\u00e4lle f\u00fcr eine Reihe principiell wichtiger Fragen einwandfreiere Ergebnisse liefern wird, als die anderer, insbesondere auch solcher mit ausgesprochenen, krankhaften ophthalmoskopischen Ver\u00e4nderungen.\u2014 Eine eingehendere Besprechung erfordert noch der Ablauf des Erregungsvorganges nach kurzdauernder Reizung des Sehorgans beim total Farbenblinden. Reizt man die Netzhaut momentan mit einem m\u00e4fsig starken Lichte, z. B. einem bewegten, schwach gl\u00fchenden Milchglasgl\u00fchl\u00e4mpchen, so kann man, wie ich fr\u00fcher gezeigt habe, sechs Phasen des Abklingens der Erregung wahrnehmen, von welchen die erste (der prim\u00e4ren Erregung entsprechende), die dritte und die f\u00fcnfte deutlich heller sind als die Umgebung; jede dieser 3 hellen Phasen ist von einer dunklen gefolgt (d. s. die Phasen 2, 4 u. 6). Ein momentaner Lichtreiz giebt also drei deutlich von einander gesonderte helle Empfindungen, v. Kries und seine Schule haben nun bei ihren Untersuchungen in Folge der von mir mehrfach besprochenen Fehler ihrer Versuchsanordnung die ganzen langdauernden Phasen 4, 5 u. 6 vollst\u00e4ndig \u00fcbersehen (obschon sie bei richtiger Methode auch vom Laien leicht wahrgenommen werden). Daher spricht die v. KRiEs\u2019sche Schule auch jetzt noch unzutreffend stets von einer \u201eDuplicit\u00e4t des Erregungseffectes\u201c. Nun hatte ich schon in einer fr\u00fcheren Abhandlung gezeigt, dafs bei dem total Farbenblinden der Erregungsvorgang im Wesentlichen (bis auf die Farbe) in gleicher Weise abl\u00e4uft, wie beim Normalen, so dafs auch er bei momentaner Reizung drei helle Empfindungen wahrnimmt, v. Kries hatte urspr\u00fcnglich sogar in Abrede gestellt, dafs der total Farbenblinde die Phase 3 wahrnehme. Nachdem ich die Irrigkeit dieser Behauptung dargethan hatte, konnte Nagel sich von dem Auftreten wenigstens der Phase 3 in der von mir geschilderten Weise \u00fcberzeugen. Dagegen vertheidigt er auch heute noch die Angaben von v. Kries \u00fcber die \u201eDuplicit\u00e4t des Erregungseffectes\u201c, woraus hervorgeht, dafs er trotz meiner wiederholten Hinweise auf die Fehler der v. KaiEs\u2019schen Versuchsanordnuno-\no\nes nicht f\u00fcr n\u00f6thig gehalten hat, diese auszuschalten. Auch","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Untersuchungen \u00fcber totale Farbenblindheit.\n117\nbei den neuerdings von uns darauf untersuchten total Farbenblinden konnte man sich leicht \u00fcberzeugen, dafs sie auch die langdauernde Phase 5 offenbar in ganz \u00e4hnlicher Weise und ann\u00e4hernd gleicher Dauer wie der Normale sehen. Man m\u00fcfste consequenterweise also auch hier mindestens von einer \u201eTriplicit\u00e4t des Erregungseffectes\u201c sprechen.\nEin weiterer Irrthum der y. K\u00dfiEs\u2019schen Schule ist es, wenn sie das fragliche Nachbild (Phase 3) durch eine \u201eDoppelerregung im St\u00e4bchenapparate\u201c erkl\u00e4ren will; denn ich habe eingehend gezeigt, dafs diese Phase im Allgemeinen nicht wesentlich anders als auf den extrafovealen auch auf den st\u00e4bchenfreien, centralen Netzhautpartien wahrzunehmen ist. \u2014\nDas Ergebnifs der vorstehenden Untersuchungen l\u00e4fst sich in folgenden S\u00e4tzen zusammenfassen:\n1.\tDie hier er\u00f6rterten, von y. Kries zur Erkl\u00e4rung der totalen Farbenblindheit aufgestellten Hypothesen stehen s\u00e4mmt-lich mit den Thatsachen in Widerspruch. Denn :\n2.\tBei uncomplieirten F\u00e4llen von totaler Farbenblindheit ist ein centraler Gesichtsfeldausfall nicht vorhanden.\n3.\tBei diesen total Farbenblinden ist im dunkeladaptirten Auge eine centrale Minderempfindlichkeit in ganz \u00e4hnlicher Weise, wie beim Normalen nachweisbar, nicht aber im hell-adaptirten Auge.\n4.\tEs besteht beim total Farbenblinden kein l\u00e4ngeres Nachdauern der Reize wie es v. Kries behauptet.\n5.\tDas schlechte Sehen der total Farbenblinden bei heller Beleuchtung kann nicht, wie v. Kries behauptet, aus der \u201ehochgradigen localen Adaptation und dem sehr langen Nachdauern der Reize\u201c erkl\u00e4rt werden.\n6.\tDie bekannte Lichtscheu der total Farbenblinden steht in Widerspruch mit den v. KaiEs\u2019schen Hypothesen.\n7.\tDer Ablauf der Erregung nach momentaner Reizung des Sehorgans ist beim total Farbenblinden im Wesentlichen (bis auf die Farbe) der gleiche wie beim Farbent\u00fcchtigen; insbesondere sind bei momentaner Reizung mit m\u00e4fsiger Lichtst\u00e4rke nicht zwei helle Phasen wahrnehmbar (wie die v. K\u00dfiEs\u2019sche Schule behauptet), sondern deren drei.\n(Eingegangen am 7. Mai 1902.)","page":117}],"identifier":"lit33115","issued":"1902","language":"de","pages":"99-117","startpages":"99","title":"Weitere Untersuchungen \u00fcber die totale Farbenblindheit","type":"Journal Article","volume":"29"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:30:19.740982+00:00"}