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{"created":"2022-01-31T14:54:23.166652+00:00","id":"lit33171","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 128-129","fulltext":[{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nLiteraturbericht.\nspektive Erfahrungsquelle, psychische Ph\u00e4nomene neben den physischen, Wesensunterschiede zwischen Nervenprozefs und Empfindung, psychische Dispositionen aufser den aktuellen Bewufstseinsvorg\u00e4ngen u. s. w. Die einsichtsreiche Hervorhebung der so wichtigen genetischen und biologischen Bedeutung der einzelnen Erscheinungsklassen ist nach der Ansicht des Bef. der dankenswerteste Zug in diesem vortrefflichen Buche.\nNicht einverstanden ist der Ref. mit der Apperzeptions- und Urteilstheorie Jerusalems. Apperzeption im allgemeinen wird (mehr im Anschlufs an Herbart als an Wundt) definiert als \u201edie Formung und Aneignung einer Vorstellung infolge der durch die Aufmerksamkeit aktuell gewordenen Vorstellungsdispositionen\u201c (S. 87). Eine Apperzeptionsweise, \u201edurch welche alle Vorg\u00e4nge der Umgebung als Willens\u00e4ufserungen selbst\u00e4ndiger Objekte gedeutet werden,\u201c nennt der Verf. \u201efundamentale Apperzeption\u201c (90). Durch diese letztere soll nun das Vorstellen zum Urteilen werden. \u201eDurch das Urteil wird ein gegebener Vorstellungsinhalt vermittels der fundamentalen Apperzeption geformt, gegliedert und objektiviert. Sobald die fundamentale Apperzeption im Satze ihren sprachlichen Ausdruck gefunden hat, wird der vorgestellte Vorgang aufgefafst als ein Objekt, das eben jetzt diese bestimmte T\u00e4tigkeit entfaltet, diese bestimmte Wirkung \u00e4ufsert.\u201c Das Urteil \u201eder Baum bl\u00fcht\u201c, bedeutet, \u201eder Baum ist jetzt ein selbst\u00e4ndig bestehendes Kraftzentrum, welches das Bl\u00fchen in \u00e4hnlicher Weise aus sich hervorbringt, wfie unsere Willenshandlungen aus unserem Inneren hervorgehen\u201c (107). Der Ref. h\u00e4lt diese Theorie f\u00fcr eine nicht haltbare Generalisation. Wie sollen die elementaren Urteile von der Gestalt \u201eder Baum wird gef\u00e4llt\u201c', \u201ef\u00fcnf Finger sind mehr als vier\u201c, \u201eRot ist nicht Gr\u00fcn\u201c u. s. f. auch nur bildlich unter die Gesichtspunkte des Kraftzentrums, des Wollens und Wirkens gebracht werden? Der Psychologie der Urteilsfunktion fehlt bei Jerusalem die entsprechende R\u00fccksichtnahme auf die Relationen.\nWohlgelungene Abschnitte sind jene \u00fcber die typischen Vorstellungen (97 ff.), \u00fcber die Entstehung und Leistung der Sprache (104, 108, 146) und \u00fcber die Vorstellungen von Raum und Zeit. Bez\u00fcglich der Zeitsch\u00e4tzung sagt der Verf. einfach und klar: \u201eWir sch\u00e4tzen . . . die verfliefsende Zeit nach dem Gef\u00fchl der Bewufstseinsarbeit, die verflossene nach der Menge des auf genommenen Bewufstseinsinhaltes.\u201c Auch die Gef\u00fchlslehre des Verf. (die sich in der Hauptsache an Wundt anschliefst) zeichnet sich durch b\u00fcndige, dem Durchschnitts - Gymnasiasten leicht fafsliche Leits\u00e4tze aus.\tKreibig- (Wien).\nBev. philos. 53 (1), 1-\nOH -d \u00e9.\n1902.\nfr ? f Vs\nH. Bergson. L\u2019effort\nVerf. wirft die Frage auf: Welches ist das sinnliche Charakteristikum der intellektuellen Anstrengung? Speziell worin besteht die Anstrengung des Ged\u00e4chtnisses?\nDas Auswendiglernen eines gr\u00f6fseren St\u00fcckes in Prosa besteht nicht darin, dafs man Bild an Bild kn\u00fcpft, sondern darin, dafs man diejenigen Punkte aufsucht, in denen eine Vielheit von Bildern in einer Vorstellung konzentriert erscheint, und dafs man diese Vorstellung dem Ged\u00e4chtnis einpr\u00e4gt. Beim Reproduzieren steigt man alsdann gleichsam vom Gipfel der Pyramide zur Basis hinunter, von jenem h\u00f6heren Bewufstseinsfelde, wo","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n129\nalles in einer einzigen Vorstellung angeh\u00e4uft war, zu niedrigeren Feldern, welche der Empfindung benachbarter sind. Die Vollendung des Ged\u00e4chtnisses ist also mehr eine F\u00e4higkeit, die Bilder zu verkn\u00fcpfen. Verf. nennt jene einfache Vorstellung, welche in vielf\u00e4ltigen Bildern entwickelbar ist, ein dynamisches Schema. Sie enth\u00e4lt weniger die Bilder selber, vielmehr zeigt sie die Richtungen an, welche einzuschlagen sind, um erstere wiederzuerlangen. So halten auch die blind spielenden Schachspieler nicht die sinnliche Vorstellung von der Stellung der Figuren fest, sondern sie merken sich die Kraft, Tragweite und den Wert der einzelnen Stellungen. Wenn man einen Kamen reproduziert, oder wenn man sich einer Reise erinnert, so hat man zuerst ein allgemeines Schema, welches sich allm\u00e4hlich kl\u00e4rt. Also: \u201eDie Anstrengung heim Erinnern besteht darin, dafs man eine schematische Vorstellung, deren Elemente einander durchdringen, in eine verbildlichte umsetzt, deren Teile nebeneinander treten\u201c.\nWenn wir den Sinn einer Phrase verstehen wollen, so versetzen wir sie zun\u00e4chst in den Ideenbereich, in welchen sie geh\u00f6rt. Sodann entwickeln wir sie in Worte, welche das vervollst\u00e4ndigen, was wir h\u00f6ren. Auch beim Aufmerken haben wir zuerst ein allgemeines Bild oder etwas noch Allgemeineres. Also: \u201eDas Gef\u00fchl der Anstrengung heim Verstehen wird immer beim \u00dcberg\u00e4nge vom Schema zum Bilde produziert.\u201c\nBer\u00fccksichtigen wir, dafs alles Erfinden darauf beruht, dafs wir ein Schema bildlich umsetzen, so erhalten wir den weiteren Satz: \u201eDas intellektuelle Arbeiten besteht darin, dafs wir ein und dieselbe Vorstellung durch verschiedene Bewufstseinsfelder f\u00fchren, in einer Richtung, welche vom Abstrakten zum Konkreten geht, vom Schema zum Bilde.\u201c\nNach Dewey besteht Anstrengung in allen denjenigen F\u00e4llen, wo wir uns erworbener Gewohnheiten bedienen zum Erlernen einer neuen \u00dcbung. Hierbei haben wir einerseits die schematische Vorstellung der totalen und neuen Bewegung, andererseits der kin\u00e4sthetischen Bilder der fr\u00fcheren Bewegungen, welche identisch und analog den elementaren Bewegungen sind, in welche die Gesamtbewegung aufgel\u00f6st worden ist.\nBei der intellektuellen Anstrengung handelt es sich dabei um einen Kampf verschiedener Vorstellungen unter sich. Diese Unentschiedenheit reflektiert in einer Unruhe des K\u00f6rpers.\nBei der Umsetzung der Schemata in Bilder findet zun\u00e4chst eine Konkurrenz zwischen letzteren statt und auf diese Weise eine gewisse Verz\u00f6gerung, bis dann schliefslich Gleichgewicht der Anpassung zwischen Materie und Form eintritt.\nAllm\u00e4hlich wird eine bestimmte Vorstellung herausgehoben, wobei alle Bilder, welche nicht zu ihrer Hervorhebung dienen, zur\u00fcckgedr\u00e4ngt werden. Andererseits wird diese Vorstellung mehr und mehr mit Einzelheiten erf\u00fcllt, weil das Schema alles Assimilierbare assimiliert. In diesem Sinne besitzt jede sinnliche Anstrengung eine Tendenz zum Monoideismus. Die Einheit aber, welcher der Geist zustrebt, ist keine abstrakte, sondern eine \u201edirigierende Idee\u201c. Diese eine Vorstellung braucht jedoch keine einfache zu sein. Das genannte Schema entpuppt sich als ein \u201eErwarten von Bildern\u201c, es organisiert ein Spiel der herzustrebenden Bilder. Der intellektuelle Effekt reduziert sich auf ein Spiel zwischen Schemata und Bildern.\tGiessler (Erfurt).\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 32.\t9","page":129}],"identifier":"lit33171","issued":"1903","language":"de","pages":"128-129","startpages":"128","title":"H. Bergson: L'effort intellectuel. Rev. philos. 53 (1), 1-27. 1902","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:54:23.166658+00:00"}